"Ich bin Diaspra"//(32) Kapitel 4: Teil 3

in #deutsch6 years ago (edited)

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...

*

Ich konnte nicht sagen wie viel Zeit vergangen war, doch als ich wieder zu mir kam hatte sich die Umgebung verändert. Ich wollte mich aufsetzen und umsehen, doch schon bei der kleinsten Bewegung schmerzte mein Kopf höllisch und jeder Muskel in meinem Körper brannte.
Das war wohl keine gute Idee... Ich versuchte, so viel wie möglich in meiner momentanen Position zu erkennen.

Das Licht in diesem Raum schien gedämpft, ich lag auf einem Bett und über mir matte Neonröhren die von einer metallenen Decke hingen.
Vorsichtig drehte ich meinen Kopf ein Stück zur Seite. Das Zimmer war nicht groß und nur zweckmäßig eingerichtet. Alles wirkte alt und heruntergekommen als hätte man Bauteile vom Schrottplatz lieblos zusammengewürfelt.
Dennoch schien es ein Quartier zu sein, doch ganz sicher keins auf der schönen Immortal.

An einer Seite zog sich ein langes aber schmales Fenster entlang. Leider sehr hoch, so dass ich nicht viel erkannte.
Monitore oder irgendwelche Hinweise auf den Ort an dem ich mich befand, konnte ich nicht feststellen.
Ich blieb noch eine ganze Weile liegen, schloss die Augen und hoffte, dass das Dröhnen in meinem Kopf sich bald legen würde.
Dabei versuchte ich meine Gedanken so gut es ging zu sortieren.

Das Letzte an das ich mich erinnerte war die Auseinandersetzung zwischen Mirabella, Jack und Nathaniel auf der Brücke. Was danach passiert war wusste ich nicht.
Nach einer Weile ließen die Schmerzen nach und ich riskierte einen neuen Anlauf. Vorsichtig setzte ich mich auf und rieb mir die Schläfen.
Dann stand ich auf und ging einige Schritte im Zimmer herum. Viel zu sehen gab es hier nicht.
Auch der Boden war nicht mehr als ein Konstrukt aus zusammengeschweißten Stahlplatten. Es wunderte mich, dass so etwas tatsächlich im All fliegen konnte, sollte es sich bei diesem Haufen Altmetall wirklich um ein Raumschiff handeln...

Ich wollte gerade probieren ob ich die Tür irgendwie öffnen könnte, als sie im gleichen Moment von ganz allein aufschwang und Jack vor mir stand.
Er wirkte nicht mehr verärgert. Alle Wut war aus seinem Gesicht verschwunden und er sah mich nun schuldbewusst und beinahe freundschaftlich an.

„Diaspra...“ Etwas unbeholfen rang er nach den richtigen Worten. Offensichtlich war ihm die Situation unangenehm. „Es tut mir leid, ich wollte nicht, dass es so eskaliert. Ich hoffe, es geht dir gut?“
Er kam hinein und sah sich mit seltsamen Blick in dem Quartier um. „Bitte entschuldige die Unannehmlichkeiten, die Pentay hat ihr glorreiches Zeitalter leider längst hinter sich.“

Der Boden knarzte beinahe bestätigend unter seinen Füßen. „Glaub mir, es war nicht meine Absicht dir in irgend einer Weise weh zutun. Zwar verachte ich Nathaniel, doch niemals würde ich einem eurer Schiffe Schaden zufügen. Sei unbesorgt, deinem Bruder und eurer Flotte geht es gut. Sie setzen ihre Reise fürs Erste fort.“

„Was willst du von mir?“ Seine Hand, die er mir versöhnlich hinhielt, ignorierte ich. „Was fällt dir ein mich zu entführen?!“
Ich wunderte mich über mich selbst. Wie gelang es mir, mit so festem, anklagenden Ton zu sprechen obwohl ich Mühe hatte, auch nur das Gleichgewicht zu halten? Jack entging es nicht. Er runzelte die Stirn und schob mich vorsichtig aber bestimmend zurück zum Bett.
„Setz dich besser. Ich habe dich vorhin ziemlich fies erwischt, das war dumm von mir. Ich hatte nicht bedacht, dass du noch nie mit einem Phaser in Berührung warst, ich hätte die Energie anpassen sollen.“

Ich quittierte seine Äußerung mit einem mürrischen Brummen, kam seiner Aufforderung jedoch widerwillig nach. Wahrscheinlich hatte er Recht....
Seufzend ließ er sich neben mich fallen und betrachtete mich für einige Momente stumm, dann begann er.

„Hör mir bitte zu es hat einen Grund, weshalb Daphne und ich dich hier her gebracht haben.
Wir – Ich – Unser Volk braucht deine Hilfe. Doch dafür musst du nach Maelenar, noch bevor du deine Familie auf Asgeanus triffst. Bitte vertrau mir, dir geschieht nichts. Du hast es wahrscheinlich bereits mitbekommen, mein Name ist nicht Jack sondern Balthazareon.
Ich stamme vom Planeten Thaemyar und bin Prinz der Xeadnar. Die Xeadnar leben heute ebenfalls im Caenyus-System und waren einst der größte Feind der Ynaer'i.
Ursprünglich kamen wir aus einem benachbarten Sonnensystem um Caenyus mit all seinen Planeten zu erobern.
Wir befanden uns vor vielen Tausend Jahren im Krieg mit den Ynaer'i von Asgeanus, wurden jedoch letztendlich von euch besiegt und in einem finalen Raumkampf vernichtend geschlagen.
Thaemyar ist heute eine leblose Eiswüste und ich habe den größten Teil meines Lebens im Exil auf Asgeanus verbracht, während die Meisten meines Volkes in Ynaer'i Minen nach Platinum-Adamantem IV schürften, unter anderem auf Maelenar.“

Ich versuchte die unterschiedlichen Fäden in meinem Kopf zusammenzufügen, doch es wollte mir nicht so Recht gelingen. Gleichzeitig musste ich herauszufinden, ob ich ihm das Gesagte glauben konnte oder ob es nur eine weitere Lügen war.
Ich war mir nicht sicher woher es kam doch ich wusste, dass er dieses Mal die Wahrheit sagte. Seine blaugrünen Augen glänzten melancholisch während er von seinem Volk sprach. Am Ende seiner Ausführungen schluckte er heftig und sah mich durchdringend an.

„Bitte Diaspra, vertrau mir nur dieses eine Mal. Nicht ich bin dein Feind und war es auch nie. Könnte man mit Nathaniel auch nur im Ansatz vernünftig reden, dann wäre all dies nicht notwendig gewesen. Doch dein Bruder ist verblendet und bisweilen ein Sturrkopf sondersgleichen.
Ich kenne ihn, wir sind genau genommen Sandkastenfreunde.“

Er legte mir die Hand auf die Schulter und für einen kurzen Moment fühlte ich mich beinahe so wie damals auf Aeles Heaven.
Wir hatten zahlreiche Nachmittage zusammen verbracht und saßen beinahe täglich auf dem ausladenden Sofa in meinem Zimmer und alberten herum, hörten Musik oder philosophierten über Gott und die Welt. Meistens sprach er zwar eher wenig, dafür aber bedacht und klug.

Dass er meinen Bruder kannte hatte ich bereits auf der Brücke der Immortal mitbekommen. Ich fragte mich jedoch, weshalb die beiden sich so sehr zerstritten haben, dass sie nun mit Phasern aufeinander losgehen wenn sie sich sehen... Das passte weder zu Nathaniel, noch zu Balthazareon.
So gut kannte ich beide inzwischen.

„Er macht sich sicher Sorgen...“ Probierte ich das Gespräch in Richtung Nathaniel zu lenken. „Ich muss ihn kontaktieren und ihm mitteilen, dass es mir gut geht!“
„Alles zu seiner Zeit.“ Beschwichtigte Balthazareon. „Du solltest dich vorerst ausruhen. Die Pentay ist nicht die Immortal, dieser Flug wird vermutlich um einiges unangenehmer für einen Neuling wie dich.“

Dass ich mich auf einem fliegenden Schrotthaufen befand, brauchte er mir nicht sagen, das hatte ich bereits festgestellt. Auch zweifelte ich daran, dass wir unser Ziel mit diesem Ding überhaupt erreichen würden. Wahrscheinlich fiel der alte Kasten unterwegs auseinander.
Es brauchte keine Worte um meinen Unmut über den Zustand des Schiffes auszudrücken. Er verstand es auch so.

„Die Pentay mag ein Wrack sein, doch sie verfügt über zwei bahnbrechende Innovationen, die noch nicht einmal die Ynaer'i besitzen. Es hat einen Grund, weshalb wir mit diesen Gurken durchs All fliegen, sei dir sicher: Die Pentay ist ein Wolf im Schalfpelz.“

Stolz erzählte er mir, dass sein Flaggschiff nicht nur über eine neuartige Tarnvorrichtung verfügte durch die es vor sämtlichen Scannern verborgen bleiben konnte sondern auch die Fähigkeit hatte – und das war das eigentlich Unglaubliche – über gewisse Distanzen zu teleportieren.

„Natürlich ist es keine wirkliche Teleportation.“ Lenkte er ein. „Wir erschaffen Raum-Zeit-Portale, von den Menschen Einstein-Rosen-Brücken genannt, um an einer Stelle zu verschwinden und an einer beliebig anderen Stelle praktisch aus dem Nichts zu erscheinen.“

Wurmlöcher... Schoss es mir durch den Kopf. Natürlich! So also war es ihnen gelungen, ihre gesamte Flotte von einem Moment auf den Anderen vor der Immortal zu platzieren!
Das erklärte einiges...
„Hätten wir diese Technologie bereits zur Zeit der großen Kriege gehabt, wäre das Ergebnis heute ein anderes.“ Er wirkte in diesem Moment wie ein Schuljunge der seinen Eltern stolz und inbrünstig von der letzten guten Note berichtete.

„Hattet ihr aber nicht.“ Erwiderte ich trocken. Auf irgendwelche Siegesphantasien hatte ich keine Lust. Zwar kannte ich bisher weder mein eigenes Volk besonders gut, noch hatte ich jemals Kontakt zu den Xeadnar, doch ich konnte kaum sagen dass ich traurig über den Sieg der Ynaer'i war.
Was wäre passiert, wenn die Xeadnar tatsächlich gewonnen hätten? Möglicherweise hätte ich dann heute nicht die Chance, Asgeanus kennenzulernen.

Im gleichen Moment gab es einen lauten Knall, gefolgt von ohrenbetäubendem Lärm. Balthazareon sprang auf und machte einen Satz in Richtung Tür, musste sich jedoch an der nächstgelegenen Wand abstützen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
Eine Erschütterung ging durch das Schiff und einige der leichteren Möbelstücke verschoben sich. Ein Stuhl fiel dumpf zu Boden.

„Verdammt!“ Zischte Balthazareon und hob seine Hand. Er trug ebenfalls ein Armband, meinem Edae nicht unähnlich, jedoch schwarz und aus massiverem Material.
„Balthazareon hier, erbitte Statusbericht!“ Die Antwort erfolgte prompt. „Hier Brücke. Maschinen soweit in Ordnung, außerplanmäßige Entladung des Ionit-Kerns, Fehlerquelle wird lokalisiert. Empfehlung: Quartiere bis zur Beseitigung des Problems nicht verlassen, Decks verriegeln.“

Er seufzte und ließ sich zurück auf die Bettkante fallen. Auch mich hatte dieser Vorfall ordentlich durchgeschüttelt und ich musterte ihn fragend. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Unbehagen ab, offenbar sorgte er sich.

„Was war das?“ Er legte seinen Arm um meine Schultern und nickte aufmunternd. „Keine Sorge. Ich sagte ja, dass wir mit einer alten Mühle fliegen.“
Sein erzwungenes Lächeln wirkte unecht. Er konnte mir nichts vormachen, das wusste er selbst.


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