"Ich bin Diaspra"//(8) Kapitel 1: Teil 3

in #deutsch6 years ago (edited)

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...

Ich lauschte ihrer ruhigen, angenehmen aber auch ein Stück weit unbeteiligten Stimme wie ein Schulkind, das den Worten seiner Lehrerin folgt.

„Dies ist der Statusmonitor Ihres Quartiers. Hier können sie sich sämtliche, Ihre Räumlichkeiten betreffenden Informationen ansehen, sowie Daten über die Immortal, ihre Besatzung, unserer Reiseroute oder Inhalte des Ynaer'i Netzwerks abrufen. Er ist ein direkter Zugang zur künstlichen Intelligenz dieses Schiffes und selbstverständlich auch mit dem Armband, an ihrer rechten Hand, verknüpft.“

Überrascht hob ich meinen Arm und betrachtete mein Handgelenk. Danaemes hatte Recht, ich trug tatsächlich ein schmales, schmuckloses Armband. Das war mir bisher überhaupt nicht aufgefallen. Allerdings spürte ich es auch gar nicht.
Es hatte nahezu kein Gewicht, war mit seinem silbrigem, transparentem Schimmer, der von einigen, ebenfalls silbrigen, Strukturen durchzogen war unscheinbar und lag eng an.
„Was ist das?“ fragte ich skeptisch und bemerkte, dass auch Danaemes ein identisches Schmuckstück besaß.

„Es nennt sich Edae und ist eine Art Computer der uns die Möglichkeit gibt, auf die künstliche Intelligenz des Schiffs zuzugreifen, mit ihr zu kommunizieren und uns auf dem Schiff zu bewegen. Etwas wie eine elektronische Schlüsselkarte, auf der verschiedene Informationen gespeichert werden können. Je nach Status des Träger stehen unterschiedlich viele Berechtigungen zur Verfügung.
Die gesamte Flotte der Ynaer'i nutzt, ebenso wie die meisten öffentlichen Einrichtungen auf Asgeanus das gleiche System, dadurch ist es uns möglich, uns auch auf anderen Schiffen gemäß unserer Freigabe zu bewegen. Doch es dient nicht nur uns zum Austausch mit dem jeweiligen Schiff, die künstliche Intelligenz des Schiffs kann auch darauf zugreifen um, für sie relevante, Daten abzufragen.
Jede, sich an Bord befindende, Person kann damit lokalisiert werden, was im Rahmen einer dringenden Evakuierung von großer Bedeutung wäre. Ebenso ist es uns sehr wichtig, dass sich jeder Ynaer'i in bester Verfassung befindet und etwaige Anomalien umgehend erfasst und behoben werden können oder das betroffene Besatzungsmitglied zeitnah ausgetauscht wird. Das ist für die Sicherheit unserer Schiffe unerlässlich und bietet auch jedem Ynaer'i einen großen Vorteil.
Sollten Sie also einmal krank werden oder sich nicht wohl fühlen, kann die Immortal umgehend und eigenständig Maßnahmen ergreifen um den Normalzustand wiederherzustellen.“

Erneut erstaunte mich der technologische Fortschritt der Ynaer'i. Zwar verspürte ich für einen Moment ein seltsames, beklemmendes Gefühl als Danaemes ihre Erläuterungen schloss und stellte mir vor, was für einen Aufschrei es auf der Erde gegeben hätte und wie die Datenschützer protestiert hätte, hätte man solch eine Erfindung auch nur in Erwägung gezogen, doch für die Ynaer'i erschien es völlig normal.
Sie hatten offensichtlich keine Bedenken bei der Freigabe sämtlicher persönlicher Informationen. Mir widerstrebte es jedoch ein wenig, dass ich offenbar mit einer Art GPS-Sender am Handgelenk herumlief und das Schiff jederzeit wusste, wo ich mich aufhielt.
Eine kritische Frage konnte ich mir deshalb nicht verkneifen.

„Bietet das nicht ein enorm hohes Risiko und Potential für Missbrauch?“
Danaemes Reaktion erstaunte mich. Es schien, als verstand sie meinen Einwand überhaupt nicht. Beinahe so, als wäre ihr dieser Gedankengang vollkommen fremd und meine Zweifel absurd.

„Aber weshalb denn? Die Ynaer'i nutzen ihre Technologie zum Fortschritt. Wir sind nicht wie die Menschen, die technologische Möglichkeiten für niedere Zwecke missbrauchen. Wir arbeiten Hand in Hand und haben gelernt, unsere Errungenschaften zu nutzen um unsere Existenz zu erweitern.
Wir trennen längst nicht mehr zwischen reell und virtuell, bei uns ergänzt die unsichtbare Realität die sichtbare. Die Ynaer'i nutzen ein Netzwerk, ähnlich dem menschlichen Internet. Wir können darüber nicht nur kommunizieren sondern praktisch auf jeden Ort und jede Aktivität zugreifen oder Informationen anfordern deren Berechtigung wir besitzen.
Die Nutzung der Edaes geht schon längst über den Einsatzbereich auf Raumschiffen hinaus und ist überall in unserem Alltag zu finden.“

Ihre Erklärung leuchtete mir ein. Nach allem was ich bisher gesehen hatte hielt ich es tatsächlich für möglich, dass die Ynaer'i hochentwickelt genug waren, um ihre Technologie, im Gegensatz zu den Menschen, wirklich lediglich zu guten, sinnvollen oder positiven – Dingen, ein wirklich passendes Wort wollte mir nicht einfallen, zu verwenden. Möglicherweise musste ich einfach lernen, mein noch sehr menschliches Denken abzulegen um die Zweifel beseitigen zu können.
Ein Gedanke hielt sich dennoch hartnäckig und ließ sich nicht abschütteln.

Auf der Erde hatte ich mich schon lange für Science Fiction-Romane und Filme interessiert und ein eher düsteres, dystopisches Bild im Kopf, wenn ich an perfektionistische Hochkulturen mit absoluter Überwachung dachte und hoffte, dass dies auf die Ynaer'i nicht zutraf.
„Wie stehen die Ynaer'i zu Imperfektion? Zu Abweichungen in ihrer normalen Vollkommenheit?“

Danaemes zögerte und musste offensichtlich nachdenken. Gespräche dieser Art führten die Ynaer'i selten, da war ich mir mittlerweile sicher.
Nach einem kurzen Moment schien sie die Antwort jedoch gefunden zu haben.

„Die Ynaer'i streben die Perfektion, den Optimalzustand mit jeder ihrer Handlungen an. Dennoch ist uns bewusst, dass dies einen Prozess darstellt, an dem kontinuierlich und zielstrebig gearbeitet werden muss und der, in seiner Gesamtheit betrachtet, nur schwer erreichbar sein wird. Die Hilfe eines jeden Ynaer'i ist dafür unerlässlich. Dieses Bestreben sicherte uns in der Vergangenheit unsere Vormachtstellung im Weltraum und machte uns zu der überragenden Hochkultur, die wir heute sind. Doch genug davon an dieser Stelle, wir werden auf unserem Flug genügend Zeit haben um die Geschichte der Entwicklung der Ynaer'i ausgiebig zu besprechen. Wir sollten nun mit unserer kleinen Tour fortfahren.“
Ich nickte zustimmend, nahm mir aber vor, auf dieses Thema bei nächster Gelegenheit zurückzukommen.

Danaemes Ausführungen klangen wunderbar, beinahe utopisch und ich wünschte mir, sie würde damit Recht behalten. Gleichzeitig schoss mir aber die Frage, wie es denn in einer scheinbar perfekten Zivilisation zu der bedrohlichen Rebellion von der ich in Nathaniels Notizbuch gelesen hatte, kommen konnte.
Schloss sich dies nicht gegenseitig aus? Doch das war nicht der einzige Gedanke, der mich irritierte und mir Unsicherheit bereitete.

Wie würden die Ynaer'i wohl auf eine nicht perfekte Prinzessin reagieren?

...


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