"Ich bin Diaspra"//(6) Kapitel 1: Teil 1

in #deutsch6 years ago (edited)

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• Kapitel 1 - Diaspra •

Prinzessin Diaspra...
Mein Blick verharrte lange auf den dünnen Buchstaben. Noch immer konnte ich es nicht glauben.
Der Name war befremdlich. Beinahe noch befremdlicher als der Titel Prinzessin, den ich mir zwar als kleines Mädchen immer gewünscht hatte, jedoch niemals damit rechnete, dass ich mich tatsächlich irgendwann einmal so nennen konnte.

Es war ein Kindheitstraum von mir. Einmal eine Prinzessin sein, wie aus einem echten Märchen. Mit einem weißen Pferd, einer Kutsche und einem wunderschönen Ballkleid.
Nun, das Kleid trug ich bereits.

Für einige Momente war ich mir nicht sicher, ob ich das Buch tatsächlich lesen wollte. Ich kannte den Inhalt. Ich kannte ihn sehr gut. Als Nathaniel es mir eben überreichte wusste ich bereits, was er mir da entgegenhielt.
Es war mein Leben. Eine Chronik über meine Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die mir nun weiter entfernt vorkam als jemals zuvor und sich beinahe so anfühlte, als wäre es nicht meine eigene sondern die einer Fremden.

Die des kleinen Mädchens mit dem Namen Céline Lindemann, dass ich bis gestern noch war.
Oder von dem ich dachte, dass ich es bin.

Ich hatte zwar ein gutes Gedächtnis, doch an alle Details meiner Kindheit konnte auch ich mich nicht erinnern, daher überkam mich einerseits die Neugierde, immerhin hielt ich den Inhalt meines gesamten bisherigen Lebens in den Händen, andererseits meldeten sich aber auch Bedenken.
Der Gedanke, dass mich die Ynaer'i mein ganzes Leben lang genauestens beobachtet hatten und nichts vor ihnen verborgen blieb, verunsicherte mich.

Wollte ich wirklich an jedes Detail erinnert werden?

Doch letztendlich siegte die Neugierde über die Angst und wischte alle Bedenken beiseite.
Ich lief zu meinem modernen, wie auch der Rest der Möblierung, weißen Sofa und kuschelte mich in dessen Ecke.
Die Reise würde mir genügend Möglichkeit bieten, um alle Einträge des Buches zu lesen.

Donnerstag, 10. Dezember – Brücke der Immortal

Dies ist der erste Eintrag. Alles verläuft planmäßig, wir haben das Solae-System wie erwartet ohne Zwischenfälle nach 24 Reisetagen erreicht und die Prinzessin an der Oberfläche des Planeten Erde in Sicherheit gebracht. Sie lebt nun bei einer Familie, die weder von ihre Herkunft, noch von unserer Art, der Ynaer'i weis.

Wir haben diese Familie gemäß, den vom Asgeanus'schen Rat getroffenen, Richtlinien nach umfangreicher Beobachtung und auf königlichem Wunsch ausgewählt um sie vor den politischen Spannungen aus Asgeanus zu schützen und von den Rebellionen fernzuhalten.

Als Thronfolgerin und Patronin des Caenyus-Systems war sie direkt von Attentaten und Verschwörungen bedroht und musste unverzüglich in Sicherheit gebracht werden. Die Wahl fiel nach umfangreichen Ermittlungen auf das
Solae-System, welches aufgrund seiner abgelegenen Lage am Rande der Milchstraße als sehr sicherer Zufluchtsort zählt und den Rebellengruppen unbekannt ist.

Aufgrund der sehr geringen Anzahl an lebensfreundlichen Planeten in diesem System blieb uns letztlich lediglich die Möglichkeit, die Prinzessin auf den Planeten Erde, dem einzigen in der habitablen Zone dieser Sonne, zu schicken.
Sie lebt von nun an als Céline Lindemann in einer Menschenfamilie und wird unter den Menschen aufwachsen.

Ebenfalls haben wir die Nautyca, die sich noch von früheren Erkundungsmissionen auf ihrem Wachposten befindet, zu ihrem Schutz reaktiviert. Die Nautyca ist jederzeit einsatzbereit um die Prinzessin, sollte Gefahr drohen, zu evakuieren und gemäß den, mit dem Rat getroffenen, Vereinbarungen, aus der Gefahrenzone zu entfernen.

Die Immortal verbleibt bis auf Weiteres in unmittelbarer Nähe der Erde, bereit, die Prinzessin kurzfristig aufzunehmen und fungiert als Verbindungsglied zwischen dem Solae-System und Asgeanus.
Ihre Rückkehr ins Caenyus-System ist erst nach Beendigung der Rebellion geplant.

Die Situation auf Asgeanus ist unverändert. Wir warten auf Nachricht von unseren Außenposten während wir die Kommunikation zu unserer Flotte aufrecht erhalten.

Unterzeichnet:

Laemus Merodem, Kommandant des Raumschiffs Immortal, Aktuelle Position, Solae-System, Jahr 2 der Rebellion

Ich blätterte weiter, zum nächsten Beitrag. Dieser war auf den 14.12. datiert. 4 Tage nach dem Ersten. Gerade als ich mit dem Lesen beginnen wollte, klopfte es an meiner Tür.

Überrascht wandte ich mich um und antwortete. „Herein.“
Ganz so, wie ich es in all den Jahren immer getan hatte. Dabei vergaß ich völlig, dass die Immortal nicht mein Kinderzimmer im Haus meiner Eltern war, die mich zum Essen rufen wollten. Eine einfache Bestätigung genügte nicht, um Gäste eintreten zu lassen.

„Computer!“ Begann ich. „Bitte öffne die Tür.“

Die genaue Bezeichnung der künstlichen Intelligenz war mir entfallen. Wie die meisten Ynaer'i hatte auch der Bordcomputer einen nur schwer aussprechbaren und kaum merkbaren Namen. Aber ich nahm mir vor, die Sprache der Ynaer'i so schnell es ging zu erlernen.

Dies wäre wohl spätestens auf Asgeanus ohnehin notwendig. Hier auf der Immortal konnte ich mich mit den Besatzungsmitgliedern problemlos verständigen, diese hatten die Sprachen der Menschen jedoch über Jahre hinweg umfangreich studiert und sich an ihre Gepflogenheiten gewöhnt.

Ob dies auf Asgeanus ebenso sein würde, wusste ich nicht. Es erschien mir jedoch mehr als nur Unwahrscheinlich.
Weshalb sollte ein Volk, dass beinahe 1500 Lichtjahre von der Erde entfernt, in einer vollkommen anderen Sonnensystem lebte, mit der menschlichen Sprache vertraut sein?
Mir selbst war die Sprache der Ynaer'i doch ebenso fremd wie dem Rest der Menschheit.
Ich glaubte nicht daran, dass dies in anderen Teilen der Galaxie anders aussah.

Der Computer hatte meine Anweisung verstanden und reagierte.
„Tür wird geöffnet. Erbitte Bestätigung vor Ausführung des Befehls. Tür freigeben?“

„Bestätigt. Tür freigegeben.“ Die erneute Rückfrage erschien mir etwas albern, doch sie gehörte offenbar zum Sicherheitsprotokoll der Immortal.
Umgehend nach Erkennung meiner Bestätigung öffnete sie sich und ließ eine der jungen Frauen eintreten, die bereits bei meiner Ankunft hier gewesen waren und mir saubere Kleidung gebracht hatten.

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Prolog
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