"Ich bin Diaspra"//(7) Kapitel 1: Teil 2
„Hallo.“ Sagte ich vorsichtig und bemerkte, dass mir ihr Name entfallen war.
Wie unangenehm!
„Entschuldige, wie heißt du nochmal?“ Fragte ich zögernd und setzte ein freundliches Lächeln auf in der Hoffnung, dass sie mich nicht für vollkommen vergesslich oder gar respektlos hielt.
Zu meiner Erleichterung war jedoch nichts davon der Fall. Insgesamt schienen die Ynaer'i in dieser Hinsicht entspannter als die Menschen und fühlten sich nicht automatisch von allem und jeden angegriffen oder genervt, sondern wiederholten Dinge, die einem entfallen waren, mit stoischer Gelassenheit und der typischen Höflichkeit.
Vollkommen egal, wie oft man sie darauf ansprach. Dies hatte ich an meinem ersten Tag bereits gelernt.
Auch dieses Mädchen bildete keine Ausnahme.
„Ich heiße Danaemes, eure Majestät. Bis wir Asgeanus erreicht haben, bin ich eure persönliche Zofe und dafür da, Ihnen jedes Anliegen zu erfüllen.“ Antwortete sie beinahe mechanisch, frei von jeglicher Emotion, während sie einen unsichtbaren Fussel von ihrer perfekt sitzenden, ebenfalls kalkweißen Uniform wischte.
Auch ihr Haar war streng zurückgebunden und wirkte beinahe wie eine Perücke. Nicht eine Strähne ihrer hellblonden Haares störte die Perfektion. Auch dies war ein Aspekt, für den ich die Besatzung der Immortal bewunderte.
Bisher war mir kein Ynaer'i begegnet, dessen Kleidung oder Uniform auch nur den geringsten Störfaktor aufwiesen.
Sie durchquerte den kleinen Eingangsbereich, betrat mein Wohnzimmer und blieb neben dem glänzend weißen, von kristallenen Stühlen umgebenen Tisch, dessen Material mir unbekannt war und der sich inmitten des ausladenden Raumes, einige Meter von meinem die gesamte Frontwand füllenden Fensters befand, stehen.
Offenbar auf eine Einladung, sich setzen zu dürfen, wartend.
„Bitte nimm doch Platz.“ Kam ich ihrer Erwartung nach und wies auf einen der freien Stühle. „Ich freue mich, dass du hier bist, aber was ist der Grund deines Besuchs? Nathaniel hat dich gar nicht angekündigt.“
Ich beobachtete sie interessiert und versuchte, das Kommunikationsverhalten der Ynaer'i-Frau zu analysieren. Sie nahm mein Angebot an und ließ sich auf dem ihr nächsten Stuhl nieder.
Ihre hellgrauen Augen streifen mich kurz, dann blieben sie für einige Sekunden am Panorama des Weltraums hängen, an das ich mich bereits erstaunlich schnell gewöhnt hatte, das aber, zugegebener maßen, überwältigend aussah.
Aus meiner Quartier konnte man die Flotte der umliegenden Schiffe noch besser sehen, als von der Brücke aus.
Erst jetzt erkannte ich ihre gesamten Ausmaße und bemerkte, dass es weitaus mehr Raumschiffe waren, als ich bisher angenommen hatte. Offensichtlich waren weitere dazugestoßen, die uns auf dem Weg nach Asgeanus begleiten würden.
Anfangs hatte ich versucht, gemeinsame Merkmale auszumachen um die Schiffe irgendwie zu klassifizieren, aber bisher hatte ich damit keinen Erfolg. Nicht ein einziges glich dem Anderen. Die Ynaer'i setzten in ihrer Weltraumforschung, anders als die Menschen, offensichtlich sehr stark auf Design und verpassten jedem ihrer Schiffe ein ganz eigenes, mitunter sehr spezielles, Aussehen was sicher irgend eine Berechtigung hatte und einem bestimmten Zweck diente, den ich bisher aber nicht verstand.
Es gab mehrere, der Nautyca ähnliche beinahe kreisrunde Schiffe, die offenbar zu den kleineren Typen der Flotte gehörten, sich jedoch ebenfalls stark voneinander unterschieden.
Die Nautyca war eine Art flache, fliegende Untertasse. Das, ebenfalls runde, Schiff in ihrer unmittelbaren Nähe war um ein Vielfaches dicker und verfügte rings herum um Objekte, die wie Satellitenschüsseln auf mich wirkten.
Im Gegensatz zur Nautyca, deren Kommandobrücke in einer Art Einbuchtung, die die runde Struktur als Einziges unterbrach, platziert war, befand sich die Brücke dieses Schiffs aufgesetzt auf dessen Oberseite, ähnlich wie ich es von menschlichen Containerschiffen kannte. Ich nahm mir fest vor, später mit Nathaniel darüber zu sprechen um mir die spezifischen Merkmale der einzelnen Raumschiffe erklären zu lassen.
Während ein noch kleineres, eher längliches zylinderförmiges Schiff mein Fenster passierte, wandte ich mich ab hörte mir an, was Danaemes zu erzählen hatte.
„Ihre königliche Hoheit Prinz Nathaniel dachte, dass sie eventuell noch nicht ausreichend mit den Eigenheiten ihres Quartiers oder des Bordcomputers vertraut sein könnten und daher nicht um die Nutzung der Ausstattung wissen. Deshalb bat er mich, Ihnen in dieser Angelegenheit zur Hand zu gehen und eine kürze Einführung zu geben. Anschließend werden sie alle zur Verfügung stehenden Funktionen selbstständig verwenden können.“
Sie blickte sich im Zimmer um und sah mich anschließend an. „Ich würde vorschlagen, wir machen einen kleinen Rundgang durch die einzelnen Module ihrer Kabine und sprechen im Anschluss über die Nutzung des Computers, der künstlichen Intelligenz der Immortal. Wenn sie also nichts dagegen haben schlage ich vor, dass wir im Eingangsbereich beginnen. Bitte folgen sie mir.“
Gemeinsam mit Danaemes betrat ich den kleinen, etwa 3 Meter in der Länge und ein wenig mehr in der Breite messenden, Raum und sah mich aufmerksam um. Bisher hatte ich mich tatsächlich noch nicht näher mit dessen Aufbau befasst. Was mich im Angesicht der Tatsache, dass es nicht einmal einen Tag her war, seit mein Heimatplanet beinahe vollkommen zerstört wurde und ich mir gewiss über andere Dinge als die Möblierung eines Quartiers Gedanken machen sollte, auch keine große Überraschung war. Es erstaunte mich selbst, dass ich die nötige Konzentration aufbringen konnte, Danaemes Ausführungen vollkommen entspannt zu verfolgen.
Sollte ich nicht eigentlich etwas anderes als das Interesse für ein Raumschiff empfinden? Etwas wie Angst, Trauer, Wut, Empörung oder einfach nur Unsicherheit? Nichts davon war der Fall. Es erschien mir beinahe, als hätte ich bereits jegliche Bindung zur Erde und dessen Bewohnern verloren, deren Schicksal mir plötzlich sogar vollkommen egal war...
Doch schnell verwarf ich diesen Gedanken und versuchte eine logische Erklärung zu finden. Was erwartete ich denn auch? Wahrscheinlich hatte ich einfach noch gar nicht realisiert was gestern geschehen war.
Vermutlich würde sich das erst im Laufe der nächsten Zeit ändern wenn mir tatsächlich bewusst wurde, dass ich die Erde, so wie ich sie kannte, wohl nie mehr wiedersehen würde.
Danaemes riss mich abrupt aus meinen Überlegungen.
Wir hatten den großen Monitor, der mir bereits zuvor aufgefallen war und den man gar nicht übersehen konnte wenn man meine Kabine betrat, erreicht und sie setzte zu neuen Erläuterungen an.