"Ich bin Diaspra"//(5) Prolog: Teil 5

in #deutsch6 years ago (edited)

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...

Nathaniel schien meine Gedanken zu erraten und unterbrach mich jäh.
„Wir sollten uns nun wichtigeren Dingen zuwenden und die Reise beginnen. Hier gibt es nichts mehr zu tun, wir haben unsere Aufgabe erfüllt. Zeit, nach Hause zurückzukehren und Asgeanus zu altem Glanze zurückzuführen. Die Ynaer'i erwarten deine Rückkehr bereits mit großer Sehnsucht und auch ich, liebe Schwester, kann es kaum erwarten, dir unsere Welt zu zeigen. Die Menschen waren töricht, sie haben ihre Chancen nicht genutzt. Wir haben ihnen viele geboten doch nicht ein einziges Mal haben sie deren Potential erkannt.“

Sein Blick verfinsterte sich ein wenig, jedoch beinahe unmerklich, bevor er weiter sprach.
„Die tausend, die die Immortal aufgenommen hat, werden sich auf Asgeanus erst noch beweisen müssen. Sind sie der Ynaer'i würdig, steht ihnen ein gutes Leben im Ruhm unserer Errungenschaften bevor. Sollten sie unsere Erwartungen enttäuschen, dann liegt ihr Schicksal nicht mehr in unserer Hand sondern in der, unserer Volkes.“

Ein hämisches Grinsen huschte über sein Gesicht und seine eisblauen Augen beobachteten mich genau. Beinahe so, als wollte er meine Reaktion, jede noch so kleine Regung, genauestens analysieren.

Nathaniel hasste die Menschen, das wusste ich bereits. Ebenfalls wusste ich, dass es ihm von Anfang an ein Dorn im Auge war, Aeles Heaven zu evakuieren. Doch ich hatte darauf bestanden.

Aeles Heaven war meine Heimat während der letzten Jahre gewesen und ich hatte mich dort immer sehr wohlgefühlt. Nachdem das kleine Antill nahe den Bahamas zur Zuflucht der modernen Bevölkerung wurde, während radikale Gruppierungen und religiöse Sekten, die jeden Fortschritt verweigerten und alle Andersdenkenden auslöschen wollten, den Rest des Planeten Stück für Stück immer mehr übernahmen.

Letztlich hatte sich auf den Antillen eine Art neuzeitliche, aufgeklärte Hochkultur entwickelt. Technologische Fortschritte wurden erzielt, die all die Jahre zuvor undenkbar gewesen waren.
Die Menschen arbeiteten und forschten gemeinsam und gelangten auf diese Weise zu ungeahnten Höchstleistungen, während der Rest der Erde in Anarchie und Chaos versank und sich die Gruppierungen gegenseitig, beinahe animalisch, aufeinander stürzten und ums blanke Überleben kämpften.

Aeles Heaven war eine Art sicherer Hafen für alle geworden, die abseits von Ideologien und leben und forschen wollten. Die sich nicht auf ihr primitives Dasein als „Mensch“ einlassen sondern neue Erkenntnisse gewinnen und die Rätsel des Universums lösen wollten.
Deshalb war es mir wichtig seine Einwohner um jeden Preis zu schützen. Sie hatten ein besseres Leben verdient und ich hoffte, dass Asgeanus ihnen dies bieten konnte.

Ich folgte Nathaniel, der sich inzwischen abgewandt hatte und bereits am Aufzug auf mich wartete. Worte waren nicht notwendig, ich wusste auch so, dass ich ihm hinterherkommen sollte.
Uns verband von Anfang an eine seltsame Vertrautheit, obwohl ich ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Vielleicht ging es ihm ähnlich.
Dennoch fiel es mir bisher schwer, in seiner Gegenwart klare Gedanken zu fassen oder ihm die Fragen, auf die ich mir Antworten erhoffte, zu stellen. Wahrscheinlich lag das an seiner, für alle auf diesem Schiff charakteristischen Distanzierung.

Wir verließen den Aufzug auf dem Deck, auf dem ich mein Quartier vermutete.
Noch immer sahen die Gänge für mich identisch aus. Lediglich anhand der Zahlen, die man im Aufzug angeben musste, konnte ich mich ein bisschen orientieren. Deck 7, hatte Nathaniel gesagt.
Auf Deck 7 sollten unsere privaten Quartiere liegen.
Wir ließen den schimmernden Gang hinter uns, bogen um eine Ecke und standen vor einer kristallenen, mit Marmor verzierten Tür.

Ich hatte Recht, dies war meine Kabine.
Die Überwältigung, als ich die Tür öffnete, war auch jetzt nicht geringer als beim ersten Mal, als ich das Zimmer – was eher die Dimensionen einer ganzen Wohnung hatte und aus mehreren Räumen bestand, betrat.
Ich wollte gerade den Eingangsbereich mit einem großen Bildschirm, der mir die aktuellen Neuigkeiten und den Status des Schiffs sowie unsere momentane Position zeigte, in Richtung des Wohnzimmers verlassen, als Nathaniel mich zurückhielt.

„Diaspra. Ich habe noch etwas für dich. Ich denke, es ist an der Zeit, es dir zu überlassen. Wir haben eine lange Reise vor uns, du kannst sie nutzen um es zu lesen.“
Mit diesen Worten hielt er mir ein kleines, bereits leicht vergilbtes, graues Notizbuch hin.

Zögernd griff ich zu und blickte ihn fragend an, doch er nickte lediglich, drehte sich um uns verließ mein Quartier.
Wieder glitt die Tür mühelos zu und wurde ohne Geräusche verriegelt.
Nur ich oder der Sicherheitschef der Immortal konnten sie nun öffnen. Dies sollte Unbefugten den Zutritt zu meinen Räumen verwehren.

Ich strich vorsichtig über den Einband des Buches und las, was mit sauberen, geschwungenen Buchstaben auf den Umschlag geschrieben und bereits nicht mehr ganz deutlich zu erkennen war.

Diaspra Eleana Ylaene XVII. - Prinzessin von Asgeanus,
Comtessa von Terras, Maelenar und Ygae, Herrscherin der Ynaer'i, Patronin von Caenyus sowie Gesandte
von Ealores.

Tochter von König Caemor und Königin Reava.

...


Prolog
Teil 1
Teil 2
Teil 3
Teil 4
Teil 5

Kapitel 1
Teil 6
Teil 7
Teil 8

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