Sein Platz (joru036)

joru (47)in #writing • 6 years ago (edited)

Sein Platz

Ja, nun saß er wieder hier oben in den Klippen. Tief unter seinen baumelnden Füßen tobte die See weiß schäumend.

Das Grün wuchs bis in die Felsen und es schien fast so, als ob es hinunterklettern wollte. Diese Stelle hatte er immer geliebt. So oft war er schon hierher zurückgekehrt, dass er schon nicht mehr genau wusste, wann er sie eigentlich entdeckt hatte. Weit und breit kein Mensch. Nur dieser alte Schäfer kam manchmal mit seiner Herde vorbei und gesellte sich eine Weile zu ihm. Sie sprachen nicht viel – teilten nur die Ruhe und Schönheit dieses Stücks Erde.

Als er sie dann kennenlernte vergaß er für eine Zeitlang seinen Lieblingsplatz. Doch als seine Liebe zu ihr wuchs, wurde auch der Wunsch größer, ihr seinen Platz zu zeigen. Sie fand es hier auch wunderschön, doch es war ihr zu langweilig. Damals kam ihm erstmals der Gedanke, dass sie vielleicht die Falsche für ihn wäre. In der Stadt, mitten in Trubel und Hektik fühlte er sich niemals richtig wohl, aber ein Blick in ihre Augen, eine Berührung, ihr Lächeln machte ihn glücklich an jedem Ort, den sie mochte. Aber mit zu seinem Platz nahm er sie nie wieder. Einen Sonnenaufgang am Meer sah sie sich schon gerne an, aber nur im Beach-Club nach einer durchtanzten Nacht. Trotzdem liebte er sie, wenn er hier draußen auch manchmal weinte. Alles wollte er für sie tun, doch das hatte sie nicht gewollt.

Und dann verließ sie ihn – weil er nur sie wollte und ihm die anderen Menschen egal waren und sie sie brauchte. Es tat ihr leid und sie ging nicht gerne, doch sie wollte lachen und das tat er dort, wo sie lachte, nur selten. Er hielte sie zu sehr fest, meinte sie. Als sie fort war, ertrank er in Selbstmitleid und in Unmengen von Bier. „Alles habe ich falsch gemacht. Ich bin selbst schuld“, dachte er.

Und hier wollte er nun einfach sterben. Als am nächsten Morgen die Sonne aus dem rot leuchtenden Meer aufstieg waren seine Tränen getrocknet.