Clochard (joru028)

in #story6 years ago

Clochard

Gestern war es gewesen - bevor sie ihn gefunden hatten. Herumgeirrt war er in den Straßen. In einer Stadt, die er nicht kannte, in einer Stadt, die ihn nicht mochte. Auf der Suche nach etwas zu Essen, einem trockenen Platz zum Schlafen. Seine große Sporttasche hatte er längst am Flohmarkt verkauft – mitsamt der Kleidung und allem was er noch gehabt hatte. Und mitsamt den Träumen von einem Leben in Glück und Freiheit.

Davon war er wieder ein paarmal satt geworden. Bis auf die Jeans, die Turnschuhe und das dreckige T-Shirt, die ihm am Körper klebten, besaß er nun überhaupt nichts mehr. Sogar seine Uhr, die er letzte Weihnachten von seiner Oma geschenkt bekommen hatte, hatte er zu Essen machen müssen.

Und er war schon wieder hungrig. Schon wieder!?
Seit zwei Tagen war ihm fast nichts Essbares mehr untergekommen. Wenn er in die Mülltonnen hinter Restaurants sah, wurde ihm übel. Doch ein paar Mal war ihm keine andere Möglichkeit übriggeblieben, als einen angebissenen Apfel oder Gemüsereste, einmal auch einen halbabgenagten Hühnerschenkel aus der einen oder anderen Tonne hinunterzuwürgen.

Jetzt bereute er seinen Entschluss, von zu Hause wegzulaufen. So einfach hatte er es sich vorgestellt. Ein Clochard hatte er werden wollen – so wie die, die man manchmal im Fernsehen sah. So leben wie sie – glücklich und frei – und keine Eltern, keine bösen Lehrer, die befahlen und bestraften, so wie sie gerade aufgelegt waren.

Mitten auf dem Gehsteig war er zusammengebrochen. Niemand hatte etwas gesehen oder gesagt, sie waren einfach um ihn herumgegangen. Schwarz war ihm vor den Augen geworden, so schlecht war ihm gewesen. Sein Bauch war voll von glühend heißen Nadeln. Dann hatte er sich in einem Abbruchhaus in eine dunkle Ecke verkrochen. Es war nass und stank verschimmelt. Die Kälte biss. Wie ein ängstliches Tier rollte er sich zusammen und weinte sich in den Schlaf.

Er träumte von seinem Zuhause, von seiner Mutter, die ihn oft schalt, wenn er nicht aufaß und die ihn doch liebte. Er träumte von seinem warmen, trockenen Bett. Aber als er sich hineinlegen wollte, krochen Würmer unter der Decke hervor. Es wimmelte von Ratten, riesigen schwarzen Ratten. Er versuchte aufzuwachen – wegzulaufen, konnte sich aber nicht bewegen.

An einem der nächsten Tage fand ihn eine Arbeitergruppe, welche das Haus ausräumen sollte, – die Reste von ihm, die die Ratten übriggelassen hatten.

clochard-joru028.jpg

Bildquelle: https://pixabay.com/en/people-homeless-male-street-1010001/
Fotograf(in): Leroy Skalstad


027 Jason / Die Möwen jammern mit
026 Der grüne Otto
025 Hannah
024 fort
023 Vorstadt-Rambo
022 Billys Auto
021 Sam und der Indianer
020 gefror'ne Gefühle
019 Mein Freund / Mister "B"
018 Herbert ging zum Loch
017 Algheira / Der Verrat
016 Die Veränderung IV - Ende
015 Die Veränderung III - Zukunft
014 Die Veränderung II - Dauer
013 Die Veränderung I - Beginn
012 Stiefmutter
011 Mit Dir
010 Rolf / Der Letzte
009 Gunther / Der Fischling
008 Autumn
007 Tim / Der Keller
006 Die Schwester
005 U-Station
004 Der alte Chinakoch
003 Der alte Geiger
002 Leise
001 Der Spatz
Noch ein Tipp, um mich vielleicht besser zu verstehen
Vorstellung meiner Person

Coin Marketplace

STEEM 0.16
TRX 0.16
JST 0.030
BTC 57459.91
ETH 2436.61
USDT 1.00
SBD 2.38