Der grüne Otto (joru026)

in #story6 years ago

Der Grüne Otto

Otto wusste nun sicher, dass er bald sterben würde. Dieser Arzt hatte es ihm gerade gesagt. Nicht mitleidsvoll – nein, kalt und schleimig hatte er die Worte positiv und einige Tage noch ausgespuckt.

Aber Otto machte das nichts aus. Nur dieses Zucken in den Mundwinkeln des Arztes hatte ihn etwas gestört. War er den Menschenwirklich so egal, dass sie über seinen nahen schmerzvollen Tod sogar lachen konnten.

Der „Grüne Otto“ – so war er schon immer genannt worden. Grün nicht etwa wegen seiner politischen Ansichten, solche hatte er niemals gehabt, sondern wegen seiner Hautfarbe. Immergrün, klein und dick mochte Otto keiner. Und er wollte eigentlich auch schon lange nicht mehr gemocht werden. Freilich, in den ersten Lebensjahren weinte er oft, weil kein Kind mit ihm spielen wollte. Nicht mal seine Lehrer sprachen mit ihm mehr als unbedingt notwendig war. Und natürlich saß er alleine ganz hinten links in der Klasse. Seine Eltern hassten ihn und gaben ihm für jedes noch so kleine Missgeschick die Schuld.

Als Otto acht Jahre alt war, begann die Gleichgültigkeit dem Hass seiner Mitmenschen gegenüber. Und dann begann er, ihre Abneigung zu erwidern. Er verabscheute sie für das, was sie waren – weiß und makellos. In seinen Träumen ermordete er viele, die ihm tagsüber begegnet waren und malte sie dann grün an.

Mit elf fanden Nachbarn einen seiner Mitschüler erstochen und mit grün angemaltem Gesicht. Dafür kam Otto ins Irrenhaus. Mit 30 ließen sie ihn frei. Eine Weile lebte er zurückgezogen von dem wenigen Geld, das seine Eltern ihm gesetzlich hinterlassen hatten müssen. Dann begannen diese Schmerzen. Seine Haut brannte und fing an, grüne Blasen zu werfen. Der Arzt zog sich bei den Untersuchungen dicke Gummihandschuhe an und wusch sich nachher angewidert die Hände.

Er ging durch die Stadt, eingehüllt in einen schwarzen Mantel und er spuckte den Menschen ins Gesicht: Grüne, schleimige Batzen, die nicht leicht abzuwaschen waren und auch einen grünlichen Schimmer hinterließen, der noch lange sichtbar blieb.

Otto starb im Gefängnis – allein. Er wurde irgendwo neben einem Friedhof schnell verscharrt.

Aber Otto hatte gewusst, er würde weiterleben – nämlich in seinen Kindern, deren Samen er den Leuten ins Gesicht gespuckt hatte.

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Bildquelle: https://pixabay.com/en/seaweed-mucus-quagmire-blow-278553/
Fotograf(in): Alexander Przibill


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