Jason / Die Möwen jammern mit (joru027)

joru (47)in #story • 6 years ago

Jason / Die Möwen jammern mit

Hier war Jason oft gewesen. Immer wenn es zu Hause Ärger gegeben hatte oder wenn sein Lehrer ihn schalt. Senkrecht fiel der weiße Kalkfelsen vor ihm ab und fing sich weit unten zerklüftet in der bedrohlich tobenden Brandung.

Mit roten Augen lag er dann hier, die Beine breit angewinkelt und die Arme unterm Kopf verschränkt. Zwischen seinen Knien stand die Irische See weit und ruhig. Manchmal zog ein Frachter über den Horizont. Nach Amerika oder sonst wohin, nur weg von hier. Die Möwen kreischten und gaben Jason recht.

Mit den Jahren, die er älter wurde, kam Jason immer seltener hierher. Und als er auszog nach Dublin um zu heiraten, blieben die Klippen, auf denen er sich ausweinen konnte, und die Möwen, die ihn trösteten und halfen zu vergessen, zurück.

Die Zeit lief dahin. Als die erste glückliche Zeit vorbei war und sie nur noch nebeneinander her lebten, fraß er in den nächsten Jahren allen Frust in sich hinein und später kam der Alkohol. Seine Frau wollte nur lachen und sie lachte lieber ohne ihn. Dann, als er seinen Job verlor, verlor er bald auch sie. Jason begann den Whisky zu lieben und seine Kinder wandten sich verschämt von ihrem Vater ab.

Nun war er wieder hier, lag auf dem Rücken und weinte. Viele Schiffe fuhren verschwommen von seinem linken zum rechten Knie. Viel mehr und viel größere als damals vor 30 Jahren. Doch ihr Weg war noch immer derselbe - weg von hier. Alles, was er mal geliebt hatte, hatte er nun verloren und Jason wusste, er war selbst schuld daran. Aber diesmal wollte kein Hunger aufkommen, der ihn nach Hause trieb, und die Möwen jammerten nur mit ihm.

Lange vor dem Aufschlagen war er schon tot. Seine Leiche wurde weit ins Meer gespült und nie gefunden (und auch nie gesucht).