Sam und der Indianer (joru021)
Sam und der Indianer
Sam wollte schlafen, einfach einschlafen und nicht mehr aufwachen.
Doch – oh, wie das brannte. Heiße Stiche fuhren langsam durch seine Nerven in sein Hirn, wo sie erst recht mit großen Messern bohrten. Sie kamen von seinem Bauch – von der Bauchdecke zwischen Nabel und Magen. Der Indianer hatte seine Sache gut gemacht – ein Profi eben.
Seine Frau Agatha erschien vor Sams Augen: keifend. Diese Halluzination war ihm heute so vertraut, so lieb. Dabei hatte er sie gestern noch lauthals verflucht als er den Rucksack in den Jeep verlud. Dann war sie ihm noch auf die Straße nachgelaufen und hatte geschrien, er solle sich ja nicht mehr blicken lassen. Wie gerne hätte er sie jetzt hier gehabt. Agatha wäre sicher auch mit dieser Rothaut fertig geworden.
Verdammt, jetzt wünschte er sich, er wäre zu Hause bei ihr und sie könnte ihn anschreien so viel sie wollte. Nach diesem letzten Streit war er rausgefahren in die Wüste, wie schon öfters bei solchen Gelegenheiten. Es war so still, so friedlich hier. Kein Gezeter einer unzufriedenen Frau. Nur Grillen zirpten und manchmal heulte ein Kojote.
Sam hatte erst mal eine Weile fahren wollen als es plötzlich einen Knall gab und der Wagen vorne links einbrach. Ein Platter – kein Problem. Doch als er sich mit dem Wagenheber nach unten beugte, gab es noch einen Knall, eine Explosion in seinem Kopf, dann war er weg.
Ein Lachen weckte ihn und er sah dieses pockennarbige dunkle Gesicht. Besoffene Augen grinsten böse aus ihren schwarzen Löchern. Sam wollte sich herumwerfen und riss sich dabei die Handgelenke an den dünnen Nylonschnüren auf, mit denen er an Pflöcken links und rechts und auch an den Füßen auf die Erde gebunden lag. Der Indianer lachte laut und spuckte ihm Kautabak ins Gesicht. Der grünlich-schwarze Schleim rann Sam ins rechte Auge und brannte.
Dann kam das Messer, ein riesiges Rambo-Messer. Mit einem blitzschnellen Schnitt, der Sam schon an sein Ende denken ließ, zerschnitt er dessen Hemd. Oh, wie sehr wünschte er sich jetzt, der Indianer hätte ihn abgestochen. „Warum?“, stöhnte Sam. Der Rote lachte und spuckte ihm wieder ins rechte Auge.
Nachdem Sams Hemd in Streifen entfernt war, nahm er noch einen tiefen Schluck Whiskey. Dann zerschlug er die Flasche neben Sams Kopf. Ein Splitter sprang in seine linke Wange. Aus den Scherben suchte der Indianer eine scharf glänzende heraus. Er grinste. Dann machte er damit einen langsamen, tiefen Schnitt von ungefähr zwei Zentimetern Länge mitten auf Sams Bauch. Der schrie. Und weiter schnitt der Indio, mehr und mehr, und sein Grinsen wurde immer breiter. Insgesamt über 20 kleine Löcher, die manchmal bis in die Bauchhöhle vordrangen. Dann stand er auf. Sam schaute nur noch aus übergroßen, rot-schmerzerfüllten Augen zu ihm auf. Seelenruhig tauschte nun der Indianer den zerschossenen Reifen aus. Sam sah zu, wie die Rothaut lachend in den Jeep einstieg und davonstaubte.
Sam dachte, er träume nur, aber er wachte nicht auf. Direkt am Bauch hatte er fast keine Schmerzen mehr – nur mehr ein dumpf stechendes Pochen, das jedoch in den ganzen übrigen Körper irrsinnige Schmerzen verschickte.
Die Mittagssonne brannte auf ihn ein. Hinter seinem Kopf raschelte etwas. Eine große Spinne krabbelte über seinen rechten Arm. Sam hasste Spinnen. Sie nahm Kurs auf die Fliegen, die schon im Kreis an den Wunden saugten.
Ohnmächtig musste er zuschauen. Auch ein paar Geier kreisten hoch droben vor der Sonne. Ein Kojote heulte. Oh Gott, Sam begann zu beten. So viele Jahre hatte er das nicht mehr gemacht.
Und es half auch nichts – außer es war Gottesgnade, dass er an einem Hitzschlag sterben durfte kurz bevor sich der erste Aasvogel neben ihm niederließ.
Bildquelle: https://pixabay.com/en/vehicle-oldtimer-cadillac-desert-2539077/
Fotograf(in): Gerhard Gellinger
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