Herbert ging zum Loch (joru018)

in #writing6 years ago (edited)

Herbert ging zum Loch

Es hieß einfach „Loch“ – und es war auch eines. Seit er laufen konnte, wahrscheinlich schon vorher, war ihm immer wieder gesagt worden „Das ist das Loch dort. Geh' nicht hin!“ Aber wie Kinder eben sind, waren sie doch hingeschlichen – bei Tag und auch schon mal nachts. Sie fanden jedoch wirklich nur ein Loch. Schwarz und kalt und einen Stein hörte man nicht aufschlagen. Einige Male waren sie dort gewesen und hatten dann die Kleineren ausgelacht als diese zitternd von dem „fürchterlichen Loch“ sprachen.

Hin und wieder hörte man nachts einen gedämpften Schrei aus nordwestlicher Richtung, also vom Loch her, aber nur ein oder zwei Mal wurde dann auch jemand vermisst und die Erwachsenen verloren am nächsten Tag kein Wort darüber – wie sie etwa damals über Mariah und Jason sich wochenlang die Mäuler zerrissen haben als die beiden einmal über Nacht nicht nach Hause gekommen waren – nur Schweigen.

Einmal hatte Herbert seinen Großvater mit Vater über das Loch sprechen hören. Ihm war eines Nachts zu heiß gewesen und er öffnete schweißgebadet das Fenster seiner Kammer. Unterhalb befand sich die Terrasse. Dort schaukelten Opa und Vater in diesen Rattan-Hängesesseln. Sie redeten leise. Ein paar Tage zuvor war ein Nachbarjunge verschwunden. Viel bekam der vierzehnjährige Herbert nicht mit. Nur, dass das Loch Fragen stellen sollte, wissen wollte 'warum' und einem sagen sollte, was es bedeutete zu springen, zu sterben und sterben zu wollen, nur weil man traurig war. Herbert war damals noch zu jung gewesen um zu verstehen was die beiden da sagten.

Nun war er 30 und alles war in letzter Zeit schief gelaufen was nur schief hatte laufen können. Beruflich hatte seine Firma ihn fallenlassen, obwohl er der Beste auf seinem Gebiet war und nur, weil er sich nichts mehr gefallen lassen wollte von den sogenannten Chefs, wie sie sich nannten und die doch nichts wert waren, wenn man ihnen nicht half. Und, was für ihn noch schlimmer war – sein Mädchen war gegangen, er war allein.

Er ging zum Loch und schon am Weg spürte er leise Fragen, die seinen Kopf durchbohrten - wer hat denn die Schuld an deiner Traurigkeit? Wer war denn zu stolz gewesen, sich mal unterzuordnen, zu sagen – „ich bin auch nur ein Mensch wie alle. Soll der Boss doch seine Freude haben.“ Bist du denn nicht eifersüchtig gewesen wie ein Othello und hast ihr weh getan mit deiner sogenannten „Liebe“, die ohnehin nur ein ängstliches Festhalten gewesen ist? Sie hat dich so oft gebeten zu vertrauen und du hast ihr nie geglaubt. Warum wohl ist sie jetzt weg? Warum wohl bist du jetzt traurig? Keiner hat Mitleid mit dir, stimmt‘s? Im Büro haben sie gesagt „gib nach. Du bist besser, das wissen wir alle und auch er.“

Sag, was willst du? – Sterben? – wo du im Dunkeln herumirrst auf deiner Ebene und alle, die du triffst, jammern dir was vor. Mitleid? - Du kriegst keines und dort unten weinen alle nur um sich selbst. Sie sehen sich im Leben, wie ihre Freunde sie verlassen, weil sie glauben, was Besseres zu sein und noch immer beweinen sie sich. Bei Prüfungen versagen sie und noch immer glauben sie, nichts lernen zu müssen.

Willst du sterben und auf ewig deinem Leben nachweinen? Dort auf der anderen Seite gibt‘s keine Lösung für dich und für alle, die sich töten, weil sie glauben, keinen Ausweg mehr zu haben. Deine Flucht in den Tod wird dir nicht helfen, sondern alles nur noch verschlimmern - und das auf ewig. Hilfe gibt es nur von dir selbst.

Herbert ging später in dieser Nacht nach Hause und dachte über sein neues Leben nach.

hole.jpg

017 Algheira / Der Verrat
016 Die Veränderung IV - Ende
015 Die Veränderung III - Zukunft
014 Die Veränderung II - Dauer
013 Die Veränderung I - Beginn
012 Stiefmutter
011 Mit Dir
010 Rolf / Der Letzte
009 Gunther / Der Fischling
008 Autumn
007 Tim / Der Keller
006 Die Schwester
005 U-Station
004 Der alte Chinakoch
003 Der alte Geiger
002 Leise
001 Der Spatz
Noch ein Tipp, um mich vielleicht besser zu verstehen
Vorstellung meiner Person


Bildquelle: https://pixabay.com/en/black-hole-art-optical-black-white-2942914/
Fotograf(in): dric - https://pixabay.com/en/users/dric-3888239/

Sort:  

Dies ist eine sehr nachdenkliche Geschichte.
Du hast sie sehr eindrucksvoll geschrieben.

Das Leben immer wieder neu zu entdecken und
die vielen Besonderheiten wahrzunehmen,
ermutigt einen, nicht zu "dem Loch" zu gehen.
Ein guter Freundes- und Bekanntenkreis trägt einen
und ermutigt auch, sich für sie einzusetzen.
Wahre Freunde sind ganz wichtig.

Ansonsten ist das Zitat von Forrest Gump
entscheidend:
"Das Leben ist wie eine Schachtel Pralinen.
Man weiß nicht was man bekommt."
Egal wie das Leben einem mitspielt, zum Guten
oder zum Schlechten, es wird letztlich gut.
Wir haben die Möglichkeit es zu verändern.
Es ist ein Anreiz, jeden Tag zu genießen.

Ein prima Artikel, sehr tiefgründig.
Viele Grüße.

Danke für den netten Kommentar - der ist ja fast länger als mein Text 😁

Mit den Worten ist es immer so eine Sache.
Manchmal fliegen sie einem zu und man hat
viele Ideen.
Dann sitzt man vor einem Blatt Papier und
einem fällt nichts ein.
Vielleicht hilft dann ein Zitroneneis oder
ein Kamillentee.

Coin Marketplace

STEEM 0.16
TRX 0.16
JST 0.030
BTC 57459.91
ETH 2436.61
USDT 1.00
SBD 2.38