U-Station (joru005)

joru (47)in #story • 6 years ago

U-Station

Auf der Toilette hinter einer schmutzigen, vollbeschmierten Tür sitzt reglos an die Wand gelehnt ein Stück Mensch, wie sonst soll man‘s nennen: Die blutunterlaufenen Augen weit offen mit zu stecknadelgroßen schwarzen Punkten geschrumpften Pupillen. Die Beine in zerrissenen Jeans weit von sich gestreckt und die Arme hängen links und rechts vom gekrümmten Oberkörper des Mädchens. Manchmal zuckt sie krampfhaft oder auch ein zufriedenes, vielleicht sogar glückliches Lächeln breitet sich für kurze Momente auf ihrem kleinen, wachsbleichen Gesicht aus. Der linke Ärmel ist hochgeschoben, den Oberarm hat sie mit ihrem Hosengürtel abgebunden. Die dreckige Spritze liegt lose in ihrer rechten Hand am Boden. Ihre Armbeuge ist übersät ist mit blutverkrusteten, rot entzündeten Löchern.

Ein dünner Blutfaden rinnt über die weiße Haut, tropft langsam auf die ungeputzten Fliesen am Boden, dem das egal ist, weil er schon „Schlimmeres“ gesehen hat.

Vor ein paar Wochen erst ist sie in der Stadt angekommen. Raus aus dem langweiligen Leben, das sie führte, hatte sie wollen. Lernen und vor allem zu leben war ihr Wunsch gewesen. Ihre neuen Freunde hatte sie bald gefunden und sie lachten mit ihr, waren so anders als diese spießigen Landkinder aus ihrer Vergangenheit. Sie rauchte ihren ersten Joint. Alles wurde ganz langsam, ging wie in Zeitlupe vor sich. Sie fühlte sich gut, wie in Watte gesteckt. Alles war schön. Alles andere war nicht mehr wichtig.

Einige Zeit später bei einer Party gaben sie ihr Koks und sie wurde richtig high. Und dann sagten sie - „Eine Spritze ist keine Spritze.“

Einmal werden sie die WC-Türe aufbrechen – dann, wenn sie sie wieder mal putzen wollen und nicht hinein können – und man wird eine oder zwei Zeilen in irgendeiner Zeitung weit hinten lesen können, wenn überhaupt, die lauten werden wie - „...schon wieder ... erst 18 ... armes Kind ...“, und in der Drogenstatistik wird sie gar nicht weiter auffallen.
Nur zu Hause, in dem langweiligen Dorf, werden sie weinen und nicht verstehen, warum ein Mensch sterben musste, der doch das Leben gesucht hat.