Theo (joru030)

joru (47)in #story • 6 years ago

Theo

Wütend schlugen die Wellen gegen die Kalksteinfelsen, als ob sie sie zerstören wollten. Natürlich waren die hochaufragenden weißen Wände stärker, doch die See war geduldig. Große Einbuchtungen hatte sie schon herausgewaschen.

Theo saß unten auf einem herausgebrochenen großen Felsstück, umgeben von den tosenden Brechern. Feine Wassertröpfchen flirrten durch die Luft. Er hatte hierher schwimmen müssen und blutete nun aus mehreren Abschürfungen – die Wellen waren zu stark für so einen kleinen Jungen und hatten ihn spielend einige Male gegen die scharfen Kanten des Felsens geworfen, ehe er sich festhalten hatte können. Das Salzwasser brannte in den Wunden. Nun saß er erschöpft oben und blickte mit großen Augen auf das Spiel der See. „Mutter hat nicht gelogen“, dachte er nur.

Vor fünf Tagen war er von dem Heim weggelaufen. Mit dem Zug war er einige Stunden gefahren und hatte noch eine lange Strecke zu Fuß querfeldein gehen müssen. Doch in Erwartung dessen, was er nun zu sehen bekam, war er zielstrebig, ohne von seinem Weg abzukommen, drauflosmarschiert.

Und jetzt hockte er hier mit tränenden Augen und offenem Mund und Theo wollte nicht mehr fort von hier. Schon oft hatte er von diesem Platz geträumt, doch so überwältigend schön hatte er sich das hier niemals vorgestellt.

Seit seine gesamte Familie von dieser „Armee“, die doch an denselben Gott glaubte, wie er und wie die Menschen, die sie töteten, auf der Straße vor ihrem Haus erschossen worden war, fühlte er sich hier erstmals wieder daheim: An diesem kalten, nassen, wunderschönen Ort. Er wusste, er würde hierbleiben und angesichts dieser donnernden Stärke, die dennoch Ruhe und unendliche Größe und Gelassenheit auf ihn ausstrahlte, wollte er einschlafen.

Theo war wieder glücklich.