"Ilumnia ~ Vermisst"//(25) Kapitel 4: Teil 3
Zwar wurde auch dieses Gebäude im Zuge der umfangreichen Umbauarbeiten grundlegend erneuert, vergrößert und verschönert, jedoch hatte man die Jahrtausende alten Fundamente und die drei Untergrundgeschosse erhalten.
Man hatte damals lediglich den oberirdischen Teil renoviert.
Das Archiv war einer der Orte, dessen Geheimnisse bis heute nicht in allen Details erforscht waren.
Immer wieder stieß er hier auf Schriften, die völlig neue Perspektiven und Sichtweisen im Bezug auf die Erdgeschichte, die Geschichte der Vereinigung und die Naturwissenschaften eröffneten.
Das Archiv war auch der Platz, an dem er damals das eingestaubte, in Holz eingebundene Buch der Chroniken der Vereinigung entdeckt hatte.
Die Chroniken von Ilumnia.
Er fand es als er, wie er es damals so oft tat, in einem der überfüllten Regale gestöbert und nach Antworten suchte.
Nach Antworten, die ihn so brennend interessierten.
Er wollte die Wahrheit kennen, die Welt verstehen und den Lauf der Geschichte nachvollziehen können.
Schon eine Weile hatte über den Pergamenten, Schriftrollen und Büchern gesessen, als ihm ein Stück Holz auf dem mehr als 3 Meter hohen Bücherregal aufgefallen war.
Irrtümlich hielt es aufgrund seiner Größe zuerst für eine Kiste und merkte erst als er es unter großer Anstrengung auf den Boden beförderte, dass es sich um ein Buch handelte.
Schon der hölzerne Umschlag mit den befremdlich wirkenden Symbolen zeigte ihm, dass er auf etwas ganz besonderes gestoßen sein musste.
Beinahe ehrfürchtig hatte er den schweren, zahlreich bebilderten Buchband aufgeschlagen und ab diesem Tag nächtelang darüber gesessen und die in winzig kleiner Schrift geschriebenen Aufzeichnungen gelesen.
Das Meiste war in der alten Runensprache von Arcanda verfasst. Kein Problem für ihn, da er diese bereits früh gelernt hatte. Damals war es noch üblich, den Anwärtern die Geheimnisse der Runensprache zu lehren. Heute brachte man ihnen lediglich die Wörter und Redewendungen bei, die sie zur Ausführung bestimmte Zauber und Energierituale benötigten.
Nur wenige waren der Runen von Arcanda auch heute noch mächtig. Der Counsellor war über dieses Wissen jedoch froh und dankbar, dass ihm die schwierige und geheimnisvolle Sprache der Zeichen noch beigebracht wurde.
Einige Teile des Buches aber waren in ihm unbekannten Schriften verfasst, die er bis heute nicht entziffern konnte.
Ein Umstand, der ihn noch immer frustrierte und nach wie vor beschäftigte.
Viele Gelehrte der Vereinigung hatten sich die Texte angesehen und nicht ein Einziger konnte ihm sagen, worum es sich bei den mysteriösen Zeichen handelte.
Es schien, als wäre die Sprache in der man es verfasst hatte gänzlich vom Erdboden verschwunden, ja beinahe so, als hätte sie nie existiert.
Über Monate hinweg durchstöberte er das Archiv nach weiteren in dieser Sprache verfassten Schriften, jedoch bis heute ohne Erfolg.
Es war ein Rätsel.
Die Chroniken von Ilumnia blieben das einzige Buch, in dem die elegant geschwungenen Linien, Striche, Kreise und Vielecke auftauchten.
Manchmal erweckten sie sogar den Eindruck, die Schrift würde sich vor seinen Augen verändern. Oft bildete er sich ein, die Linien und Striche würden beim Ansehen verschwimmen und sich zu völlig neuen Mustern formieren.
Anfangs dachte er, es handele sich dabei vielleicht um einen Schutzzauber, der verhindern sollte, dass Unbefugte Zugriff auf die Textpassagen erhielten, allerdings verwarf er diesen Gedanken alsbald wieder, als er sämtliche Rituale zum Lösen von Schutzzaubern ausprobierte und jedes Mal aufs Neue feststellen musste, dass die Buchstaben ihm kein bisschen klarer erschienen.
Mehr noch als die Herkunft der Schrift interessierte ihn aber der Inhalt dieser Texte. Warum waren ausgerechnet sie in dieser geheimnisvollen Kalligraphie verfasst?
Sie mussten von immenser Bedeutung sein! Möglicherweise enthielten sie sogar das, wonach er suchte.
Regelmäßig kam er nun ins Archiv, ging die verstaubten Wendeltreppen aus Stein hinab bis ganz nach unten, tief unter die Erde und setzte sich auf die bereits morsche Holzbank.
Obwohl sich diese Etage tief im Boden der Wüste befand, drang Nässe herein und ließ die Luft modrig und abgestanden schmecken.
Auch an den Holzregalen, Bänken und nicht zuletzt an den Büchern machte sich die Feuchtigkeit bemerkbar.
Viele der Buchseiten fühlten sich klamm an oder hatten bereits dunkle Flecken davongetragen. In vielen Ecken setzte der Schimmel an.
Jegliche Bemühungen, dieses Untergeschoss trocken zu legen, waren gescheitert.
In den oberen Etagen herrschte hingegen staubtrockene Luft und es roch angenehm nach alten Pergament, Holzmöbeln und Antike.
Lediglich hier unten im dritten Untergeschoss war es so unwirtlich, ja beinahe abstoßend. Einmal hatte man probiert, dieses Geschoss zu räumen und die Bücher nach oben auf die trockenen Etagen zu verteilen, jedoch schien sich das Archiv dagegen zu wehren.
Als eine Gruppe Mitglieder der Defense versuchte, die wertvollen, alten Bücher in Kisten zu packen und über die Treppen hinauf zu bringen, zerfielen sie zu Staub, als sie die erste Stufe betraten. Man wiederholte diesen Versuch noch einige Male, bis man enttäuscht feststellte, dass sich jedes der Bücher, die man hinauftragen wollte, selbst zerstörte und unwiederbringlich verschwand.
Auch der Versuch, die Bücher in der oberen Etage wieder herzustellen indem man die Verwandlung rückgängig machte, scheiterte. Der erhoffte Erfolg blieb aus.
Der Inhalt es Archivs wehrte sich vehement, von dieser Etage fortgeschafft zu werden.