"Ilumnia ~ Vermisst"//(13) Kapitel 2: Teil 5
"Wir haben da etwas entdeckt!"
Ungläubig starrte der Wissenschaftler auf seinen Monitor.
"Eine Wärmequelle, nur wenige Kilometer von unserer Basis entfernt. Das gibt es doch gar nicht."
Er drückte einige Tasten seines Forschungscomputers, doch der rote Fleck auf der sonst blau gefärbten Polarkarte blieb.
"Was könnte das sein?"
Sein Kollege, ein hagerer Mann mit Hornbrille, wandte sich interessiert von seinem eigenen Computer ab und betrachtete den Bildschirm des Anderen.
"Schwer zu sagen. Bist du dir sicher, dass dein Programm richtig läuft? Könnte es vielleicht ein Bug sein?"
Der Forscher schüttelte den Kopf.
"Keine Chance, mein Programm läuft absolut fehlerfrei." Er stockte einen Augenblick.
"Ich sage dir, da draußen ist irgendetwas."
Sein Kollege kratzte sich am Kopf.
"Das kann gar nicht sein. Wir sind mitten am Nordpol. Keine Chance. Da draußen gibt es nichts."
Entschlossen stand er auf und ging zur großen Wandkarte.
"Laut den Koordinaten ist es genau hier."
Er wies mit seinem Finger auf eine Stelle, ganz in der Nähe der Polarstation.
"Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, es handelt sich um ein Feuer. Der Unterschied zur restlichen Temperatur ist beachtlich."
Dr. McAlbert nahm seine Brille ab und putzte sie verwirrt.
"Meinst du, wir sollten der Sache nachgehen?"
Professor Collmann, der andere Wissenschaftler, wandte sie ihm zu und überlegte für einige Sekunden.
"Hm.. Ich denke schon. Immerhin sind wir hier am Nordpol. Hier lebt nichts. Abgesehen von Einigen Eisbären und Robben. Ich denke, wir sollten uns das ansehen. Selbst wenn es tatsächlich ein Fehler der Software sein sollte. Mit den Raupenfahrzeugen brauchen wir nicht länger als 15 Minuten. Wir sollten der Sache auf den Grund gehen."
McAlbert war nicht sonderlich begeistert die Wärme seines Labors zu verlassen, jedoch siegte letztendlich die Neugierde.
"In Ordnung, dann lass uns nachsehen. Je eher wir dort sind, desto schneller sind wir zurück in der Basis."
Er verließ das Labor und ging zu dem Raum, in dem sie ihre Kleidung für Außeneinsätze verwahrten. Sie waren bestens ausgestattet.
Dicke Fleecejacken, Wollmützen, Bärenfellhandschuhe, Thermohosen und Schneestiefel lagen für Aktivitäten außerhalb der Basis bereit.
Während Dr. McAlbert bereits damit beschäftigt war die schwere Polarkleidung anzuziehen, blickte Professor Collmann noch einmal auf die Anzeige des Programms.
Eine Wärmequelle mitten am Pol.
Das war verrückt.
Dennoch hatte sich das Programm bisher immer als ausgesprochen zuverlässig erwiesen. Kein Grund also, an der Software zu zweifeln. Er zog eine Schublade auf und nahm zwei große Outdoor Walkie-Talkies heraus. Handys versagten hier draußen.
Sie hielten weder der Kälte stand, noch gab es Mobilfunkmasten, in die sie sich einwählen konnten.
Telefonieren konnte man hier draußen in der Basis nur per Satellitentelefon. Doch auch diese Geräte hielten der klirrenden Kälte nicht stand und konnten nur im Inneren der Basis benutzt werden.
Professor Collmann beeilte sich nun auch die Kälteschutzkleidung anzulegen, da McAlbert bereits fertig war und an der Schleuse auf seinen Kollegen wartete.
Auf der Forschungsstation hielten lediglich vier Personen Dienst.
Alle drei Monate wurde gewechselt.
Sie arbeiteten in Zweierteams in zwei Schichten, jeweils für 12 Stunden, sodass sie das andere Team lediglich beim Schichtwechsel zu Gesicht bekamen. Daher hatte es auch keinen Sinn, die anderen Forscher über den Vorfall zu informieren.
Sie wären sicher wenig erfreut, wenn man sie mitten in der Nacht wecken würde. Obwohl vermutlich überhaupt nichts war.
Sollten McAlbert und Collmann tatsächlich etwas Interessantes finden, könnten sie das andere Team immer noch informieren.
Sie verließen die Basis durch die Schleuse und liefen eilig zu ihrem Raupenfahrzeug. Sie wollten nicht länger als notwendig in der Kälte bleiben.
Trotz ihrer Schutzkleidung froren sie bereits nach wenigen Sekunden. McAlbert gab die Koordinaten ein und das GPS-Gerät hatte die Entfernung und voraussichtliche Dauer der Fahrt beinahe im gleichen Moment ermittelt.
Geschätzte Fahrzeit - etwa 11,5 Minuten.
McAlbert war jedes Mal aufs Neue fasziniert, wie die Technik unter diesen Extrembedingungen arbeiten konnte. Collmann startete das Raupenfahrzeug und sie setzten sich mit mäßigem Tempo in Bewegung.
Es war nicht leicht, das beinahe eine Tonne schwere Gefährt über die vereiste und zugeschneite Oberfläche zu manövrieren und sie konnten nicht schneller als 20, maximal 30 Kilometer pro Stunde fahren. Doch selbst dies erschien ihnen hier draußen in der Einöde wie eine wahnsinnig hohe Geschwindigkeit.
Das Navigationssystem zeigte ganz deutlich, dass sie sich dem Zielpunkt recht schnell näherten.
Zur Sicherheit hatte McAlbert eine Schrotflinte mitgenommen, falls sie unterwegs auf einen Eisbären stoßen sollten. Das war zwar äußerst selten, konnte jedoch nicht vollkommen ausgeschlossen werden. Und auf eine Begegnung mit solch einem Tier wollten sie vorbereitet sein. Mit Eisbären war nicht zu spaßen.
Der Punkt auf der Karte wuchs stetig an. Bald sollten sie die Stelle erreichen.
Sie verlangsamten ihr Tempo und blickten sich aufmerksam um. Durch den stark reflektierenden, weißen Schnee konnten sie trotz der Dunkelheit gut sehen.
Sie waren mittlerweile an die Lichtverhältnisse hier draußen gewöhnt.
"Sie erreichen das Ziel in 100 Metern."
Die blecherne Stimme des GPS-Gerätes wurde zwar vom Dieselmotor des Raupenfahrzeuges übertönt, war aber dennoch zu verstehen.
Collmann drosselte das Tempo. Sie wollten nichts übersehen Nach weiteren 90 Metern brachte er das Fahrzeug zum Stehen. Hier musste es sein.
Es dauerte nicht lang bis McAlbert die Umrisse des halbrunden, flachen Iglus entdeckte und seinem Kollegen irritiert anwies, ihm zu folgen.
Ein Iglu? Hier draußen? Das war nicht möglich. Hier konnte niemand leben.
McAlbert arbeitete lange genug im Bereich der Polarforschung um zu wissen, dass es so weit nördlich keine menschlichen Siedlungen mehr gab.
"Das ist total verrückt." Pflichtete Collmann bei. "Wie kommt ein Iglu hier rauf an den Pol?"
McAlbert erwiderte nichts, schließlich hatte er selbst keine Erklärung dafür. Er beugte sich hinunter zum niedrigen Eingang und klopfte laut gegen das windschiefe Brett. "Hallo? Ist da wer?"
Keine Reaktion.
Er versuchte es noch einmal. "Können sie mich hören?" Wieder erhielt er keine Antwort.
"Denkst du, wir sollen nachsehen?" Collmann klang unsicher.
Einerseits wollte er wissen was es mit dem Iglu auf sich hatte, andererseits erschien ihn die ganze Sache höchst merkwürdig.
"Und ob wir das sollten." Erwiderte McAlbert energisch.
"Hier oben gibt es keine Siedlungen und wenn irgendwo ein einsames Iglu herumsteht, dann ist dies alles andere als normal. Vielleicht benötigt jemand Hilfe."
Er zog kräftig an dem mittlerweile festgefrorenen Brett und musste sich sehr anstrengen, um es überhaupt ein Stück weit zu bewegen. Erst mit Collmanns Hilfe gelang es ihm, es zu entfernen und den Eingang des Iglus zu öffnen. Sofort schlug ihnen die Wärme des Feuers entgegen.
"Ein Lagerfeuer. Das gibt es doch nicht!" Er schob sich durch das enge Eingangsloch und staunte nicht schlecht, als er das Innere des Iglus erblickte.
Um die halbe Länge des Iglus waren Holzscheite sauber aufgestapelt, über dem Lagerfeuer hing ein großer Metallkessel und hinter dem Feuer, neben den Holzstapeln hatte sich anscheinend jemand ein Schlaflager errichtet. Erst auf den zweiten Blick registrierte er die Person unter der großen Decke.
"Harry, komm schnell. Hier ist jemand." McAlbert kroch näher in Richtung des Lagers.
Aufrecht stehen konnte man in diesem Iglu nicht. Dafür war es nicht hoch genug.
"Hallo? Mein Name ist McAlbert." Er schüttelte den jungen Mann vorsichtig an der Schulter.
"Können sie mich hören?"
Wieder kam keine Reaktion.
Mittlerweile hatte auch Collmann das Lager erreicht. "Was ist mit ihm?" McAlbert schüttelte den Kopf.
"Keine Ahnung. Er reagiert nicht, aber er atmet. Sieht aus als wäre er bewusstlos. Es ist das Beste, wir bringen ihn zur Basis."
Collmann nickte. "Wie ein verirrter Inuit sieht der aber nicht aus." Bemerkte er mit einem Blick auf eine unter der dicken Fellmütze hervorlugende blonde Haarsträhne.
McAlbert zuckte mit den Schultern.
"Egal, darum kümmern wir uns später. Zuerst müssen wir ihn hier weg bringen."