Wie Fleisch die Welt verändern kann
For my english readers:
This is a translation of one of my earlier posts. You can find the original one here.
Eine wissenschaftliche Annäherung an die ökologischen Herausforderungen bei der Massenproduktion von Fleisch. Der menschliche Drang nach Tierfleisch kann genutzt werden, um schädliche Emissionen und das Leiden der Tiere deutlich zu reduzieren.
Das Fleisch-Problem
Derzeit ist die globale Tierproduktion für einen massiven Ausstoß von Kohlendioxid, Methan und Distickstoffmonoxid verantwortlich - drei der Emissionen, die höchstwahrscheinlich die Klimaveränderungen (in Wechselwirkung mit anderen Emissionen) sehr stark beeinflussen. Ein guter Teil dieser Viehbestände wird für die Produktion von Fleisch als Nahrungsmittel verwendet. Dabei ist zu bedenken, dass ich speziell von Viehbestand und nicht nur von Fleischproduktion spreche - die Verbindung zwischen beidem ist sehr wichtig. Warum, werde ich später erklären.
2014 betrug die Gesamtproduktion an Fleisch rund 318 Millionen Tonnen(1). In den letzten Jahrzehnten hat der Fleischkonsum auf allen Kontinenten drastisch zugenommen. Daher ist davon auszugehen, dass diese Zahlen in naher Zukunft noch deutlich steigen werden.
Bei diesem enormen Verbrauch ist es nicht verwunderlich, dass auch der Flächenbedarf für die Viehzucht extrem hoch ist. Ein kurzer Blick auf dieses Diagramm kann für eine gewisse Perspektive hilfreich sein:
Angesichts dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass auch die Treibhausgasemissionen steigen. Zur Unterstützung dieser Hypothese können wir einen Blick auf eine kürzlich veröffentlichte Studie von Wolf et al. werfen(2). Die geschätzten Methanemissionen der Tiere im Jahr 2011 lagen nach ihren Erkenntnissen bei etwa 119,1 +/- 18,2 Tg. Das ist ein Anstieg um 12,8 Tg im Vergleich zu den Emissionen, die 2003 gemessen wurden. Die weltweiten Methanemissionen lagen zwischen 540 und 568 Tg pro Jahr - damit sind die Tiere für etwa ein Fünftel der weltweiten Methanemissionen verantwortlich. Soweit ich mich in die verfügbaren Daten einarbeiten konnte, fand ich nur Zahlen von 2010 oder 2011 und nichts Neueres. Selbst Studien, die Jahre später veröffentlicht wurden, verwenden diese Daten immer noch, so dass man wahrscheinlich davon ausgehen kann, dass die tatsächlichen Zahlen inzwischen etwas höher sind. OWiD stellt die verfügbaren Daten erneut in einem schönen Diagramm dar:
Und die FAO(3) schätzt einen Anteil von 44% Methan, 29% Stickstoffdioxid und 27% Kohlendioxid. Alles klar, genug Daten und Statistiken für heute.
Obwohl es für die Veganer und Vegetarier unter uns schwer zu akzeptieren ist - die meisten Menschen lieben einfach den Geschmack von Fleisch. Die meisten von uns kümmern sich nicht wirklich um Tierhaltung oder Umweltschutz, wenn es darum geht, was sie für die nächste Mahlzeit bekommen. Man könnte das traurig nennen oder darüber wütend sein, aber das wird nichts ändern. Stattdessen sollten wir versuchen, dieses Handeln im Auge zu behalten und es für einen guten Zweck nutzen.
Ihr wisst jetzt von den Problemen, aber ein kleines Licht brennt am Firmament, das immer stärker leuchtet. Nicht alle Hoffnung ist verloren.
Fleisch für eine bessere Welt
Wie kann die Fleischproduktion zur Bekämpfung der globalen Erwärmung und der Treibhausgasemissionen beitragen? Wie oben erwähnt, gibt es etwas Wichtiges zu beachten: Der Zusammenhang zwischen Viehzucht und Fleischproduktion. Wenn man in der Lage wäre, diese Verbindung zu unterbrechen und den Bedarf an riesigen Mengen von Vieh, das zur Herstellung von Fleisch verwendet wird, zu beseitigen, könnte man auch eine enorme Menge an Treibhausgasemissionen einsparen.
Aber wie macht man das?
Die Antwort ist so einfach wie schwierig: kultiviertes Fleisch.
Wenn ihr jetzt in euren Gedanken Bilder von Menschen in weißen Kitteln seht, die in Labors arbeiten, um euer Essen zu synthetisieren - ihr seid nicht weit von der Realität entfernt. Wissenschaftler und Unternehmen werden sich zunehmend der Probleme bewusst, die mit der heutigen Art der Fleischproduktion verbunden sind - und der damit verbundenen Chancen. Es ist an der Zeit, nach Alternativen zu suchen.
Was ist kultiviertes Fleisch?
Die Produktion von Fleisch ohne Tierhaltung ist alles andere als neu. Winston Churchill schrieb bereits 1932 in seinem Buch "Gedanken und Abenteuer"(4):
Fünfzig Jahre später werden wir der Absurdität entkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, indem wir diese Teile getrennt unter Verwendung geeigneter Mittel züchten.
Aber viel mehr Forschung war nötig, bis die Menschheit die Fähigkeit erlangte, es tatsächlich zu versuchen.
Post (2012)(5) spricht von drei verschiedenen Technologien, mit denen Skelettmuskeln, Knochen, Knorpel, Fett und Fasergewebe erzeugt werden:
- Stammzellisolierung und -identifizierung
- Ex vivo Zellkulturen
- Gewebezüchtung
Die Möglichkeit der In-vitro-Produktion von Fleisch würde auch eine breite Palette nützlicher Möglichkeiten eröffnen. Es wäre möglich, völlig neue Fleischsorten zu kreieren, sowie bestimmte Aspekte der biochemischen Zusammensetzung des Fleisches selbst zu verändern. Man könnte es gesünder machen oder als spezielles Diätprodukt entwerfen oder was auch immer man für eine gute Idee hält.
Aber lasst uns einen genaueren Blick auf die verschiedenen Werkzeuge werfen, die im Moment verwendet werden.
Stammzellen
Wenn man vorhat, Fleisch zu züchten, muss man zuerst herausfinden, welche Arten von Stammzellen für einen interessant sind. In diesem Fall verwendet man die sogenannten Myoblasten- oder Satellitenzellen(6). Das sind diejenigen, die dafür verantwortlich sind, die Muskeln zu heilen, nachdem sie verletzt wurden. Obgleich es ziemlich schwierig ist, ihren replikativen Zustand in einer Zellkultur beizubehalten, ist es eine der besten Weisen, Skelettmuskeln zu konstruieren, wenn man dazu in der Lage ist.
Eine andere Möglichkeit wäre die Verwendung von embryonalen Stammzellen, aber als Post seine Studie im Jahr 2012 durchführte, war es nur ein theoretischer, aber durchaus erfolgreicher Ansatz. Ich habe versucht, mehr verfügbare Daten der folgenden Jahre zu finden, konnte aber keine bekommen. Also, wenn ihr zufällig etwas mehr wisst, könnt ihr es gerne mit mir teilen.
Eine der vielversprechenderen Alternativen zur Verwendung von Myoblastenzellen sind induzierte pluripotente Stammzellen(7) (iPSC). Das Faszinierende an solchen Stammzellen ist, dass sie zuvor adulte Stammzellen waren, jedoch mit Hilfe von vier spezifischen Transkriptionsfaktoren, in pluripotente umgewandelt. Aber auch hier war es bis zu diesem Zeitpunkt nicht ganz möglich, bio-artifizielle Muskeln mit iPSCs zu erzeugen.
Aber nicht nur die Muskeln sind wichtig, wenn es darum geht, leckere Fleischstücke herzustellen. Fettgewebe sollte nicht ignoriert werden, und dafür wird man wieder eine andere Art von Stammzellen benötigen: Stammzellen aus Fettgewebe (Verseijden et al., 2012)(8).
Zellkulturen
Bevor die Wissenschaftler Stammzellen und ihre Verwendung entdeckten, setzten sie auf großflächige Zellkulturen von Säugetierzellen. Wenn man in einer Zellkultur Skelettmuskulatur aufbauen will, muss man Tausende von verschiedenen Variablen kontrollieren, um sicherzustellen, dass der gesamte Prozess zuverlässig und effizient bleibt. Das ist sowohl ein Vorteil als auch ein Nachteil. Obwohl man die Besonderheiten der einzelnen Variablen wie biochemische und biophysikalische Bedingungen definieren muss, kann man auch die möglichen Wechselwirkungen zwischen diesen Variablen auf verschiedene Weise beeinflussen.
Aber dank der Stammzellen verwendet man diese jetzt anstelle von Säugetierzellen. Wenn man im Begriff ist, Muskelzellen aus Myoblasten zu züchten, tut man dies in zwei getrennten Phasen: der Proliferationsphase und der Differenzierungsphase.
Proliferation
Das Hauptziel ist es, die maximal mögliche Anzahl von Zellen aus der Ausgangscharge zu erhalten.
Differenzierung
Sobald man genügend Zellen hat, will man, dass sie sich zu Skelettmuskelzellen ausdifferenzieren und sie zur maximalen Proteinproduktion bringen. Wenn man Myoblasten verwendet, geschieht dies mit nur geringen Anpassungen der Kulturbedingungen.
Ich möchte hier nicht zu sehr ins Detail gehen (aber schaut euch gerne meine Quellen an), also hoffe ich, dass ihr die Grundbegriffe versteht. Und für die Wissenschaftler unter uns, die tatsächlich in den Labors arbeiten: Bitte verzeiht mir, dass ich hier nicht mehr ins Detail gehe.
Gewebezüchtung
Allgemein gesprochen, kann man(8) Gewebezüchtung als eine Möglichkeit definieren, Zellen zu kombinieren, indem man technische Methoden sowie biochemische und physikalisch-chemische Faktoren verwendet, um biologisches Gewebe zu verändern.
Die Anwendung dieser Techniken ermöglicht es uns, eine kleine Menge an bio-artifiziellen Muskeln zu erzeugen. Derzeit ist es nicht so einfach, größere Mengen zu produzieren, aber die zukünftige Forschung wird den Labors wahrscheinlich die Möglichkeit dazu geben. Daher ist es sinnvoll, sich bewusst zu machen, welche Anforderungen notwendig sind, dass Menschen freiwillig Fleisch aus dem Labor essen. Post (2012) weist darauf hin, dass synthetisches Fleisch die bekannten Aspekte von Tierfleisch - wie Aussehen, Geruch, Textur und Geschmack - nachahmen oder sogar verbessern muss. Nur wenn wir dies erreichen, können wir das Bedürfnis nach konventionellem Fleisch verringern. Was mich zu meinem letzten Punkt bringt.
Zum Fressen gern
Eine der größten Herausforderungen, neben der technologischen, ist die massenhafte Einführung von kultiviertem Fleisch. Es ist nicht ungewöhnlich, dass viele Menschen mit Ekel und Gefühlen der Unnatürlichkeit reagieren, wie Verbeke et al. im Jahr 2015 festgestellt haben(9). Dies hängt weitgehend mit der Angst vor dem Unbekannten und der Verehrung der so geglaubten "Natürlichkeit " bei der Nahrungsmittelproduktion zusammen. Es ist ein ähnliches Denken, das die breite Akzeptanz von gentechnisch veränderten Organismen verhindert - selbst wenn es uns gelingt, feste Fleischmengen kostengünstig zu synthetisieren, würde die irrationale Angst die Massenadoption wahrscheinlich um Jahre hinauszögern.
Deshalb ist es wichtig, die Vorteile von Laborfleisch hervorzuheben und zu zeigen, wie es sich nicht nur positiv auf die Umwelt, sondern vielleicht auch auf die Gesundheit des Einzelnen auswirkt. Es wird viel weniger Viehbestand benötigt, so dass der Ausstoß von Treibhausgasen reduziert wird. Wir könnten in der Lage sein, besseres Fleisch als je zuvor zu produzieren, mit besserem Geschmack und besserem Ernährungswert.
Vielleicht sind wir eines Tages sogar so weit, dass auch unter Laborbedingungen keine Antibiotika mehr benötigt werden, da wir sicherstellen können, dass die Produktionsumgebung steril ist. Kultiviertes Fleisch kann helfen, letztendlich das Leiden der Tiere zu lindern, da keine Massentierhaltung und kein Transport von lebenden Tieren mehr notwendig ist; Schlachthöfe werden veraltet sein.
Wäre das nicht etwas, wofür es sich zu forschen und zu kämpfen lohnt?
Fühlt euch jederzeit frei, meine Ideen zu diskutieren und eure Gedanken über die Dinge, die ich thematisiere, zu teilen. Niemand ist allwissend und wenn wir alle ein bisschen klüger als zuvor daraus hervorgehen, werden wir eine Menge erreicht haben.
Danke fürs Lesen und bleibt skeptisch.
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Falls ihr euch für Wissenschaft begeistern könnt, dann schaut unbedingt unter #steemstem bzw. #de-stem vorbei.
Quellen
(1) https://ourworldindata.org/meat-and-seafood-production-consumption#environmental-impacts-of-meat-production Eine wissenschaftliche Anleitung für ein gesünderes, spaßigeres und erfolgreicheres Leben
(2) Wolf, Julie, Asrar, Ghassem R.; West, Tristram O. Revised methane emissions factors and spatially distributed annual carbon fluxes for global livestock. Carbon Balance and Management. 2017. 12:16. doi: https://doi.org/10.1186/s13021-017-0084-y
(3) http://www.fao.org/news/story/en/item/197623/icode/
(4) Churchill, W. S. Thoughts and adventures. 1932. London: Thornton Butterworth.
(5) Post, Mark J. Cultured meat from stem cells: Challenges and prospects. Meat Science. Volume 92. Issue 3. 2012. 297-301. doi: https://doi.org/10.1016/j.meatsci.2012.04.008
(6) https://en.wikipedia.org/wiki/Myocyte
(7) https://en.wikipedia.org/wiki/Induced_pluripotent_stem_cell
(8) Verseijden, F., Posthumus-van Sluijs, S. J., van Neck, J. W., Hofer, S. O., Hovius, S. E., & van Osch, G. J. Vascularization of prevascularized and non-prevascularized fibrinbased human adipose tissue constructs after implantation in nude mice. Journal of Tissue Engineering and Regenerative Medicine. 2012. 6(3). 169–178
(9) Verbeke, Wim, Marcu, Afrodita, Rutsaert, Pieter, Gaspar, Rui, Seibt, Beate, Fletcher, Dave, Barnett, Julie. ‘Would you eat cultured meat?’: Consumers' reactions and attitude formation in Belgium, Portugal and the United Kingdom. Meat Science. Volume 102. 2015. 49-58. doi: https://doi.org/10.1016/j.meatsci.2014.11.013
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Nicht den #deutsch Tag vergessen ;-)
Stimmt, da war ja was :)
Cooler Artikel, die Idee und auch die Methodik war mit natürlich nicht ganz unbekannt.
Eines vielleicht:
Schreiben das die Wissenschaftler tatsächlich? Man muss in der Zellkultur extrem steril arbeiten, was oft eben nicht zu 100% funktioniert, weswegen erst recht Antibiotika eingesetzt werden. Und gerade wenn du so was extrem komplexes ausdifferenzieren musst wie einen ganzen Muskel dauert das ja Wochen... ich kann mir kaum vorstellen, wie du da Antibiotika-frei ohne gröbere Ausfälle über die Runden kommst.
Ein weiteres Problem, dass ich sehe: Zellkulturmedium ist ziemlich teuer (mindestens 20€ der halbe Liter, aber bei dem zur Ausdifferenzierung sicher benötigten Spezialmedium geht's vermutlich eher Richtung 50€+), was die Fleischproduktion dann erneut sehr teuer machen würde. Zur Zeit wär das also sicher nicht rentabel - bei einer Massenadaption könnte das Medium aber evtl. entsprechend billiger werden. Dann hast aber immer noch die Kosten zum Betreiben riesiger steriler Labors samt Kultivierungsgefäße, Inkubatoren, etc. etc...
Aber wenn wir diese Probleme alle irgendwie lösen: Coole Sache. ;-)
Ich hatte auf deinen Kommentar gehofft :)
Ja, stimmt, das stammte von meiner utopischen Wunschvorstellung, was cool wäre, wenn. Ich passe das mal noch an.
Ist auch richtig. Mittlerweile gibt es allerding schon viele Firmen, die hier stark investieren und Forschung betreiben und teilweise kurz vor der Massenproduktion stehen. Den Artikel fand ich dazu auch ganz cool.
Ich finde auch die Idee von Impossible Foods ziemlich spannend, die sehr stark daran arbeiten, nicht nur in Restaurants, sondern bald auch in Supermärkten vertreten zu sein :)
Kurz, knackig, verständlich, richtig.
"Retortenfleisch" braucht meiner Meinung nach gutes Marketing. Vegetarier/Veganer/Fleischvermeider/"Ökos" aus tierethischen Gründen sind ja durchaus eine interessante Zielgruppe. Wenn dann der Preis irgendwann auch noch etwas annehmbarer wird und keine gesundheitlichen Risiken bestehen, ich wäre dabei (esse Fleisch, aber wenig).
Vielleicht auch interessant, wenn auch etwas andere Thematik:
https://utopia.de/rewe-insektenburger-88174/
Für die Hardcore-Tierrechtler natürlich uninteressant. Ich bin aber durchaus interessiert, finde es bei mir hier nur leider noch nicht im Supermarkt.
Ja, das sehe ich auch mit als die größte Herausforderung. Gerade in Deutschland sind viele gerade zu besessen von einer imaginierten "Natürlichkeit", die es so schon lange nicht mehr gibt. Frustrierend.
Это шикарно! Вегитарианцам не понять!
You can't force people to be right :)
Hi @egotheist!
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