Dein Gewicht ist nicht dein Schicksal – Die Kontrolle erlangen
For my English readers: this is a German translation of one of my earlier series, so you will not miss anything. You can find the original posts here:
Dieser dritte Teil der Serie ist vielleicht der interessanteste von allen. Denn jetzt zeige ich euch jene Dinge, die euer tägliches Leben betreffen. Ich werde einige der verbreitesten Mythen über vernünftige Ernährung und Essverhalten aufgreifen. Zudem zeige ich euch, wie ihr feststellen könnt, wie viel Energie euer Körper wirklich braucht.
Mythos 3: Ich bin fett, obwohl ich überhaupt nicht viel esse!
Stellt euch selbst zwei simple Fragen:
- Wie viel denkt ihr, dass ihr esst?
- Wie viel esst ihr tatsächlich?
Ich kann euch fast versprechen, dass es ihr zwei unterschiedliche Zahlen als Antworten bekommt.
Der Grund dafür ist ebenso sehr schnell erklärt: Ihr wisst nicht, wie viele Kalorien das Essen und die Getränke, die ihr konsumiert, haben. Zudem ist es sehr wahrscheinlich, dass ihr die kleinen Snacks vergesst, die ihr im Laufe eures Tages zwischendurch esst/trinkt.
Das ist ok, die meisten Leute denken nicht wirklich darüber nach, aber es ist ein wichtiger Aspekt, den man beachten sollte, wenn man die Kontrolle über sein Gewicht erlangen will.
Aber das ist noch nicht alles. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ihr das Level eurer physischen Aktivität am Tag wesentlich höher einschätzt, als es tatsächlich ist.
Kurz gesagt: Ihr unterschätzt eure Kalorieneinnahme und überschätzt euer Aktivitätslevel.
Verdammt. Das ist heftig.
Aber ihr seid nicht allein mit diesem Problem. Um euch etwas Einsicht zu gewähren, kann ich euch die Ergebnisse einer Studie von Lichtman et al. (1) von 1992 zeigen. Die Forscher wollten Teilnehmer testen, die als resistent gegenüber Ernährungsumstellungen angesehen worden. Die Probanden gaben an, dass sie nicht wirklich viel aßen und gleichzeitig sehr aktiv waren.
Das Problem dabei: Nichts davon entsprach den Tatsachen.
Sie unterschätzten ihre Kalorieneinnahme um 47% und überschätzten ihre Aktivität um 51%. Natürlich taten sie das nicht absichtlich, aber unser Gehirn kennt einige effektive Wege, um sicherzustellen, dass wir gut dastehen, selbst wenn die Realität das anders sieht.
Eine ähnliche Studie von Pietiläinen et al. (2) von 2010 wurde mit eineiigen Zwillingen durchgeführt – einer war adipös, während der andere Normalgewicht hatte. Die adipösen Zwillinge waren überzeugt, dass Kalorienzufuhr und Aktivitätslevel ähnlich zu denen ihrer geschwisterlichen Gegenstücke war. Im Vergleich dazu sagten die normalgewichtigen Zwillinge über ihre Geschwister, dass jene mehr und ungesünder aßen, während ihr Aktivitätslevel ebenfalls niedriger war. Wahrnehmung ist ein hinterhältiges Ding.
Um das noch stärker zu verdeutlichen, könnt ihr einen Blick auf eine Studie von Burton (2006) (3) werfen, in welcher die Teilnehmer versuchen sollten, die Zahl der Kalorien verschiedener Gerichte zu schätzen. Die Ergebnisse waren so unterhaltsam wie faszinierend:
Je höher die tatsächliche Kalorienzahl war, desto ungenauer die Schätzung der Probanden.
Was bleibt also zu tun?
Mein Rat, um dieses Problem zu vermeiden, ist erneut recht simpel:
Wenn ihr nicht sicher seid (ihr seid es nicht), notiert einfach die Kalorienzahlen eures Essens bzw. eurer Getränke. Schaut einfach auf die Verpackung, schreibt es auf und berechnet, wie viel ihr tatsächlich braucht, um eure Ernährungsziele zu erreichen.
Ich empfehle euch deshalb stark, von nun an eine andere Frage zu stellen:
„Wie viel Essen brauche ich?“
Um das festzustellen, benötigt ihr zwei verschiedene Zahlen:
Ihr könnt beides einfach mit den verlinkten Tools ausrechnen.
Sobald ihr über eure täglichen Bedürfnisse Bescheid wisst, könnt ihr anfangen, eure Ernährung entsprechend zu planen.
Mythos 4: Ich wiege mehr als zuvor, aber ich habe heute nur einen Apfel gegessen. Wirklich!
Ihr versucht also Gewicht zu verlieren und ihr stellt eure Ernährung um. Ihr wisst noch nicht, wie viel Energie ich tatsächlich braucht, aber ihr habt das Gefühl, dass weniger als aktuell eine kluge Entscheidung ist. Das ist höchstwahrscheinlich richtig.
Also reduziert ihr eure Nahrungsaufnahme an einem Tag und am nächsten steht ihr auf, rennt zur Waage – und brecht in Tränen aus.
Statt Gewicht zu verlieren, habt ihr sogar noch über Nacht zugenommen! Obwohl ihr weniger als zuvor gegessen habt, interessierte das euren Körper nicht im Geringsten. Stattdessen lacht er euch ins Gesicht und sagt „Nope, nope, nope.“
Vielleicht seid ihr verflucht? Vielleicht sind eure Gene schlecht? Vielleicht habt ihr am Ende überhaupt keine Kontrolle über euer Körpergewicht? Oh, was für eine grausame Welt!
Atmet. Bleibt ruhig. Entspannt euch. Alles ist ok.
Ihr seid nicht irgendeine Art von physischer Anomalie, die irgendwie die allgemeinen Gesetze der Physik ignoriert.
Euer Körper ist ein interessanter Organismus. Überraschenderweise wissen viele Leute nicht, wie Körperflüssigkeiten (4) euer Gewicht beeinflussen.
Be water, my friend
Wie ihr wahrscheinlich wisst, besteht euer Körper zu einem Großteil aus Wasser. Bei Männern sind es etwa 60% und für Frauen (die, seid stark, naturgemäß mehr Körperfett haben) 55%. Jeden Tag gewinnt oder verliert ihr einige Liter an Wasser, welches in eurem Körper gespeichert (oder nicht) wird. Das hängt maßgeblich von eurer Ernährung, Wetterumständen, gesundheitlicher Verfassung und täglichem Aktivitätslevel ab. Es ist nicht ungewöhnlich, dass euer Gewicht sich jeden Tag um die +/-3kg verändert, manchmal sogar mehr als 5kg.
Das ist ein wichtiger Aspekt, wenn es um Gewichtskontrolle geht. Denkt immer daran, denn es bedeutet, dass Gewichtsverlust bzw. -zunahme immer eine langfristige Angelegenheit ist. Seid nicht frustriert, falls frühe Ergebnisse auf sich warten lassen.
Um euch ein besseres Verständnis davon zu geben, warum es schlicht nicht möglich ist, 3kg an Fett über Nacht zuzunehmen, insbesondere wenn ihr weniger als zuvor gegessen habt, habe ich hier ein paar Zahlen für euch:
Ein Kilogramm an Körperfett sind etwa 7000 Kalorien. Eine durchschnittliche Person benötigt etwa 2000 Kalorien pro Tag und wenn ihr entscheidet, eure Kalorieneinnahme um 1000 zu reduzieren, werdet ihr etwa 140g an Fett verlieren. Jeden Tag. Ihr verliert also fast ein ganzes Kilogramm an Fett nach nur einer Woche.
Um aber tatsächlich 3kg Fett in nur einer Nacht zuzunehmen, müsstet ihr Essen von etwa 21,000 Kalorien zu euch nehmen (natürlich den Umstand ignorierend, dass ihr sehr wahrscheinlich kotzen würdet und eine harte Zeit hättet, all das Essen in eurem Körper zu behalten)!
Wie ihr sehen könnt: Nichts ist falsch mit euch.
Die Schwankungen von Körperflüssigkeiten betreffen euch sogar noch stärker, wenn ihr eine neue Diät startet. Bleibt einfach ruhig und zieht es weiter durch.
Mythos 5: Adipositas ist abhängig von den Genen
„Ok, du hast mir jetzt eine ganze Menge über Essen und Ernährung und Kalorien und anderen Kram erzählt. Aber ich habe bereits so viel in der Vergangenheit ausprobiert und nichts scheint für mich zu funktionieren. Ich denke, meine Gene sind einfach schlecht.“
Bitte. Hört genau hier auf. Nichts ist falsch mit euren Genen.
Es gibt drei Dinge, für die ihr eure Gene zur Verantwortung ziehen könnt:
Appetit, Bedürfnis für Bewegung und Vorliebe für Geschmack (süß oder salzig).
In einer Studie von Haupt et al. (2009) (5) konnte bewiesen werden, dass Teilnehmer mit sogenannten „Adipositas-Genen“ eine höhere Kalorienzufuhr von etwa 125-280 Kalorien pro Tag hatten. Das ist etwas, aber definitiv nicht katastrophal. Nichts, was ihr nicht in den Griff bekommen könnt.
Wenn ihr zu den unglücklichen Leuten gehört, die Adipositas-Gene haben, seid ihr dennoch nicht von ihnen abhängig. Es ist wahrscheinlich schwerer Gewicht zu verlieren oder einen gesunden Lebensstil durchzuhalten, aber es liegt auf jeden Fall innerhalb des Möglichen. Ihr könnt es mit Alkoholismus vergleichen:
Gene spielen eine wichtige Rolle in der Entwicklung von Alkoholismus – einige Leute sind einfach stärker determiniert abhängig zu werden als andere. Wenn sie allerdings nie einen Tropfen Alkohol getrunken haben, werden sie auch nie an Alkoholismus erkranken – und selbst wenn, können sie es immer noch (manchmal mit Hilfe) kontrollieren.
Eure Gene bieten lediglich die Umgebung für eure Gewohnheiten, aber es liegt immer noch an euch, ob ihr nach deren Regeln spielt oder euren eigenen. Wenn ihr denkt, dass es zu schwer ist, dies alleine zu tun, dann fragt einfach ein paar Freunde, die euch helfen können. Es gibt fast immer eine Lösung.
Im nächsten Teil werde ich über die positiven Effekte von Sport, verschiedene Wege, um eure Ernährung zu planen, Gewichtszunahme und warum die Kontrolle über euer Gewicht nicht das Ende aller Probleme, aber trotzdem eine gute Idee ist.
Fühlt euch jederzeit frei, meine Ideen zu diskutieren und eure Gedanken über die Dinge, die ich thematisiere, zu teilen. Niemand ist allwissend und wenn wir alle ein bisschen klüger als zuvor daraus hervorgehen, werden wir eine Menge erreicht haben.
Danke fürs Lesen und bleibt gesund.
Ego
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Quellen
(1) Lichtman, S.W., Pisarska, K., Berman, E.R., Pestone, M., Dowling, H., Offenbacher, E., Weisel, H., Heshka, S., Matthews, D.E. & Heymsfield, S.B. (1992) Discrepancy between self-reported and actual caloric intake and exercise in obese subjects. The New Englad Journal of Medicine. 327 (37), 1893 – 1898
http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM199212313272701
(2) Pietiläinen K.H, Korkeila M., Bogl L.H., Westerterp K.R., Yki-Järvinen H., Kaprio J. & Rissanen A. (2010) Inaccuracies in food and physical activity diaries of obese subjects: complementary evidence from doubly labeled water and co-twin assessments. International Journal of Obesity. 34 (3), 437-45
https://www.nature.com/articles/ijo2009251
(3) Burton, S., Creyer, E.H., Kees, J. & Huggins, K. (2006) Attacking the Obesity Epidemic: The Potential Health Benefits of Providing Nutrition Information in Restaurants. Journal of Public Health. 96 (9), 1669–1675
http://ajph.aphapublications.org/doi/full/10.2105/AJPH.2004.054973
(4) https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6rperfl%C3%BCssigkeit
(5) Haupt, A., Thamer, C., Staiger, H., Tschritter, O., Kirchhoff, K. & Machicao, F. (2009). Variation in the FTO gene influences food intake but not energy expenditure. Experimental and Clinical Endocrinology & Diabetes. 117(4), 194–197
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/s-0028-1087176
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Fügst Du die Links immer Händisch ein oder hast Du ein Tool oder ähnliches, dass Du nutzt?
Bisher alles manuell. Ich überlege aber, das zu vereinfachen und schaue die Tage nach sinnvollen Möglichkeiten.
Ein wirklich guter Artikel, sehr informativ und sachlich, gefällt mir sehr gut.
Ich danke vielmals :)