Emotionale Kriegsführung

in #politics6 years ago

Der Bürgerkrieg in Syrien wird nicht nur mit Waffen auf dem Schlachtfeld, sondern auch mit Worten in den sozialen Medien gekämpft. Emotionale Debatten und Verschwörungstheorien bestimmen dabei den Diskurs.

Nicht die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges, sondern der Verstand

Bashar_al-Assad_in_Russia_(2015-10-21)_09.jpg
Quelle

Wenn man sich die westliche Berichterstattung über den Krieg in Syrien anschaut, ist es leicht, den Eindruck zu bekommen, dass die Schuldigen meist schnell gefunden sind: Assad, der Schlächter und Putin als dessen Mentor.
Wenn man nun den Fehler begeht und die Kommentarspalten sozialer Medien untersucht, wird man sehr schnell sehen, Dass die öffentliche Wahrnehmung in Deutschland diesem Narrativ nicht bedingungslos folgen mag. Den meisten Zuspruch erhalten dabei offenbar Kommentare, die in verlässlicher Regelmäßigkeit darauf hinweisen, dass „der Westen™“ auch nicht viel besser ist. Und überhaupt: Wer sagt denn, dass die ganze Misere nicht ohnehin Schuld des Westens™ ist? Mit dem Finger auf andere zu zeigen, ist immer einfach, aber die ganzen Kriege, die unter der Ägide der USA geführt wurden, sind mindestens genauso schlimm.

Wo Untätigkeit eine Tugend ist

Diese Kommentare sind so unsinnig wie irreführend. Man muss nicht einmal so weit gehen und gezielte Manipulationen russischer Trollfabriken dahinter vermuten, die damit Einfluss auf die öffentliche Wahrnehmung ausüben wollen. Auch wenn ich diese Möglichkeit nicht unbedingt ausschließen würde.
Aber gehen wir für einen Moment mal davon aus, dass diese Aussagen genuin von Menschen stammen, die hier ihre ehrliche Überzeugung kundtun. Was sagt uns das?
Menschen urteilen auf Basis ihrer Emotionen und nicht von Fakten.
Nehmen wir die aktuelle Debatte über den erneuten Einsatz von Giftgas.
Es erscheint geheimdienstlicher Konsens darüber zu bestehen, dass die chemischen Waffen erneut durch Assads Regime eingesetzt wurden, weshalb auch ein Militärschlag gegen damit in Verbindung stehende Einrichtungen erfolgte. Erwartungsgemäß bestreiten sowohl Russland als auch das Regime, dass sie diesen Einsatz zu verantworten hätten.
Gleichzeitig nutzen sie eine geradezu bestechende Logik, welche darauf hinweist, dass Assad überhaupt keinen Nutzen davon hätte, Nervengas einzusetzen. Weiß er doch schließlich, dass die mögliche Reaktion des Westens schwere Vergeltungsschläge sein könnten.
Diese Logik funktioniert allerdings nur, wenn man die Annahme vertritt, dass sich Putin oder Assad großartig um die Meinung des Westens scheren. Seit Jahren schlachtet das Regime die eigene Bevölkerung ab. Über eine halbe Million Tote und mehr als fünf Millionen Menschen auf der Flucht später, ist es schwer vorstellbar, dass das Säbelrasseln der westlichen Nationen mehr als ein müdes Lächeln hervorbringt.

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird der Völkermord in Ruanda regelmäßig als Beispiel für das Versagen internationaler Organisationen und die Passivität der UN genommen. Nun steht die Staatengemeinschaft erneut an einem Punkt, an dem ein brutaler Bürgerkrieg hunderttausende Todesopfer fordert – und ist dennoch nur sehr zögerlich zu einem stärkeren Eingreifen bereit. Mit ein paar Marschflugkörpern auf Chemiewaffenanlagen wird man diesen Krieg nicht beenden. Konventionelle Waffen töten ebenso sehr zuverlässig.
Mit einer Nation wie Russland im Sicherheitsrat der UN wird das Assad-Regime höchstwahrscheinlich keine schlaflosen Nächte haben – ganz gleich, wie viele roten Linien noch gesetzt werden. Obwohl Donald Trump hier zu einem Unsicherheitsfaktor werden können, den selbst Putin nicht vorhergesehen hat. Das wird wohl die Zeit erst zeigen.


Wer am lautesten schreit, hat Recht

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Quelle

Aber zurück zu den Social-Media-Aktivisten. Russland bzw. das Assad-Regime werden in deren Sichtweise als die harmlosen Underdogs wahrgenommen, die sich gegen die imperialistischen Bestrebungen des Westens zur Wehr setzen. Jener versucht hingegen mit allen Mitteln diese mutigen Avantgardisten einer besseren Welt zu diskreditieren und schreckt dabei auch nicht vor unlauteren Mitteln, sogenannten False-Flag-Operationen zurück.
Wenn es sich schon nicht abstreiten lässt, dass es Einsätze von Giftgas gab, so waren diese doch zumindest von feindlichen Agenten inszeniert worden. Hier zeigt sich ein weiteres Problem dieser emotionalisierten Herangehensweise: Die völlige Ignoranz hinsichtlich von Fakten, die dem eigenen Narrativ widersprechen könnten.
Die vergangenen Chemiewaffenangriffe wurden jedes Mal vonseiten des Assad-Regimes und Russlands dementiert. Halbgare Verschwörungstheorien und obskure Schuldzuweisungen wurden stattdessen in die Welt gesetzt. Nützte alles nichts – die meisten der Angriffe konnten im Nachhinein klar mit einer Urheberschaft der Dementierungsweltmeister in Verbindung gebracht werden.
Das hingegen interessiert die Aktivisten in den sozialen Medien wenig. Ganz gleich, wie oft Putin und Assad der Täuschung überführt werden, diese Informationen werden entweder bewusst nicht wahrgenommen oder als Diskreditierungsversuch seitens der westlichen Nationen, allen voran der USA, bezeichnet.
Ein wenig erinnert diese Herangehensweise an Debatten mit Evolutionsgegnern oder Flat-Earth-Gläubigen: Es spielt absolut keine Rolle, wie widersinnig deren Behauptungen aussehen mögen und welche Vielzahl an Beweisen dagegenspricht – sie werden sich am Ende stets im Recht wähnen.

Die Social-Media-Aktivisten rufen geeint nach Frieden und dass der Westen sich komplett aus dem Bürgerkrieg heraushalten sollte. Ihrer Überzeugung zufolge, sorgt die Einmischung westlicher Demokratien nur für mehr Eskalation und würde nicht zur Lösung des Konfliktes beitragen. Vielleicht haben sie sogar ein Stück weit Recht damit. Putin und Assad arbeiten mit Hochdruck daran, die Situation zu deeskalieren. Wer tot ist, kann nicht mehr rebellieren. Wenn es keine Rebellen mehr gibt, verschwindet der Konflikt. Eine Logik, die so bestechend wie zynisch ist.
Den Frieden, welchen sich die Aktivisten herbeisehnen, findet man vor allem auf Friedhöfen.


PS:
Dieser Beitrag erschien ursprünglich bei den Salonkolumnisten - einem Autorenblog, bei dem ich seit Kurzem mitwirken darf.
Es ist ein tolles Projekt mit vielen klugen Menschen und welches ich sehr empfehlen kann, regelmäßig zu verfolgen.

Auf diese Weise löse ich übrigens auch die Steemit Name Challenge auf, zu der ich von @variola nominiert wurde. Keine Angst, ich hatte es nicht vergessen.
Ich werde allerdings keine Leute nominieren, da ich diesen subtilen Druck, der dadurch entsteht, nicht sonderlich mag.


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Lieber @egotheist, zuallererst war ich nicht der Annahme, dass Du es vergessen hattest und akzeptiere natürlich Deine Entscheidung. Auch wenn es die Option gegeben hätte, über die Entstehung von egotheist zu schreiben, ohne eine weitere Bennenung :D aber wenn ich das richtig verstanden habe, kommt da ja noch was?

Ein sehr, sehr guter Artikel, zu welchem ich politisch nicht viel schreiben möchte, da 1. Du es sehr gut auf den Punkt getroffen hast und 2. die kommunizierte Präsenz, eben wie Du es beschreibst, für mich ein hohes Maß an Energieressourcen bedarf.

Menschen urteilen auf Basis ihrer Emotionen und nicht von Fakten.

Merkt man ja sicherlich auch eigenreflektiert (in geringer relevanten Themen beispielhaft), wie sehr sich die Wahrnehmung verschieben kann, wenn das eigene Kohärenzgefühl "angegriffen" wird. Bei Deinem aufgegriffenen Punkt, grenzt es ja schon an eine Art Nihilismus - gekoppelt an narzistische Verhaltensweisen. Ein schönes Beispiel ist ebenso der "koreanisch gemachte" misteröse Tod von Kim Jong Nam - und die damit verbundenen Theorien. Aber leztendlich gilt auch da vom Urpsung her

Wer tot ist, kann nicht mehr rebellieren.

Selbst wenn es offenkundige Fakten und Beweise gibt - die Scheuklappen werden großzügig ausgefahren.

Auch wenn es die Option gegeben hätte, über die Entstehung von egotheist zu schreiben, ohne eine weitere Bennenung :D aber wenn ich das richtig verstanden habe, kommt da ja noch was?

Das hast du richtig verstanden.
Ich habe da bereits ein paar Ideen im Hinterkopf, wie ich das darstellen werde - sobald ich die Zeit dafür finde, wird da was kommen :)

Sehr gut geschrieben, und bringt vieles gut auf den Punkt.

Ich persönlich finde ja das Schwierige an Assad ist, dass er zwar tatsächlich ein Verbrecher und Mörder ist, aber absolut keine Lösung in Sicht ist, bei der nicht noch Schlimmere an die Macht gespült würden. Das Gleiche hatten wir schon in Lybien. Da war Al Gaddafi auch ein skrupelloser und kleptokratischer Diktator, keine Frage. Ist es nach ihm besser? Nein, im Gegenteil. Irak detto, und in Afghanistan ist das alte Regime nicht wirklich weg.
Für ein westliches Eingreifen wäre ich dann (gewesen), wenn man tatsächlich einen brauchbaren Plan für danach gehabt hätte. Aber den gab und gibt es nicht.

Und trotzdem ist es absurd, aus Assad und Putin Heldenfiguren zu machen, da stimme ich dir dann wieder voll zu.

P.S.: Ich symphatisiere ja mit den Kurden, aber die geraten ja gerade leider auch übel zwischen die Fronten, weil sich der Sultan ja auch noch unbedingt einbringen muss.

P.P.S.: Was bei deinem Outing (sehr mutig übrigens, chapeau) fehlt ist die Antwort auf die Frage, wie es zu "egotheist" kam.^^

Nein, im Gegenteil. Irak detto, und in Afghanistan ist das alte Regime nicht wirklich weg.
Für ein westliches Eingreifen wäre ich dann (gewesen), wenn man tatsächlich einen brauchbaren Plan für danach gehabt hätte. Aber den gab und gibt es nicht.

Ja, die Planlosigkeit des Vorgehens ist tatsächlich sehr problematisch. Übrigens denke ich nach dem Lesen von Christopher Hitchens Autobiographie durchaus, dass der Irak-Krieg sinnvoll war - zumindest in dem, was er erreichen wollte. Die Ausführung war halt leider furchtbar.

Ich denke nicht, dass es einfach ist, da eine gute Lösung zu finden, aber die momentane Vorgehensweise erscheint mir doch arg kontraproduktiv. Russland hat klar gezeigt, dass es expansionistische Bestrebungen hat und durch die schwache Außenpolitik Obamas wurde es darin nur noch mehr bestärkt. Das rächt sich jetzt.

P.P.S.: Was bei deinem Outing (sehr mutig übrigens, chapeau) fehlt ist die Antwort auf die Frage, wie es zu "egotheist" kam.^^

Das ist wohl wahr^^
Ich wurde schon von mehreren Leuten danach gefragt und werde wohl bei Gelegenheit mal noch einen separaten Beitrag dazu schreiben - da kann ich dann auch etwas weiter ausholen :)

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