Causa Kollegah, Campino & Co.

in #politics7 years ago (edited)

Eigentlich bin ich gerade im Urlaub in Belgrad (wo ich nebenbei noch ein wenig auf der LibertyCon 2018 herumstreune), weshalb ich eigentlich vor Dienstag nichts Neues schreiben wollte. Allerdings geht momentan ein Thema durch alle Medien, das mich aus verschiedenen Gründen nervt und worüber ich schon vor ein paar Tagen kurz auf Facebook etwas geschrieben habe. Wie unschwer am Titel zu erkennen ist, handelt es sich um den Skandal der Echopreisverleihung an Kollegah und Farid Bang, wegen judenfeindlicher Textstellen. Mein Blog hat sich bisher nahezu ausschließlich um Wissenschaft gedreht, aber da ich zudem ein sehr politischer Mensch bin, erweitere ich hiermit das Spektrum.


Gefangen zwischen Kunst und Politik

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Gleich zu Beginn muss ich etwas gestehen:
Ich mag deutschen Gangster-Rap – worunter, ja, auch Kollegah und Farid Bang fallen, die gerade (mal wieder) unrühmliche Aufmerksamkeit erlangt haben. Für mich stellen die aggressiven Beats und inhaltliche Tabugrenzen zertrümmernden Lines eine Form des Entertainments dar. Nicht mehr. Vielleicht liegt es daran, dass ich Politik und Kunst für mich als Konsument sehr radikal trenne. Als jemand, der sehr großen Gefallen an libertärem Gedankengut findet, ist es nahezu unmöglich, Musik zu finden, deren Interpreten mir politisch nahestehen. In einigen Momenten höre ich ebenso gewaltverherrlichenden, antideutschen Hip-Hop a la Captain Gips & Johnny Mauser – schlicht, weil es mir gefällt, obwohl ich mit den transportierten Ideen nahezu nichts anfangen kann. Klingt paradox, aber der menschliche Verstand funktioniert nun einmal nicht 100% rational.

Macht mich das zu einem schlechteren Menschen? Ich weiß es nicht. Dieses Urteil überlasse ich jenen, die Übung darin haben, andere zu bewerten. Den Feuilletons, zum Beispiel. Oder Campino und Oliver Polak. Der Hälfte meiner Facebook-Timeline. Sie alle sind sich darin einig, dass Kollegah und Farid Bang Antisemiten sind, was sind mit einer Auschwitz-Line aus dem jüngsten Album der beiden belegen. Vermutlich haben sie damit sogar Recht. Aber nicht so sehr, wegen besagter Line, sondern den realpolitischen Äußerungen und Taten von Kollegah. Dieser hat sich in der Vergangenheit wiederholt zur Konfliktfrage des Nahostkonflikts geäußert und dabei eine dezidiert propalästinensische Haltung eingenommen. Kulminiert ist dies schließlich in einer Palästina-Doku, die zeigt, wie Kollegah und Freunde vor Ort „anpacken“, um die Welt zu verbessern. Die üblichen antiisraelischen Ressentiments inklusive.
Ich schrieb schon vor Monaten auf Kollegahs Facebookseite hinsichtlich dieser Doku, er solle sich besser auf Musik konzentrieren, denn von Realpolitik hat er offenbar keine Ahnung. Man kann sich die Reaktionen der Fanboys in etwa vorstellen.


Symptombekämpfung statt Ursachenanalyse

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Als Libertärer bin ich ein Freund der absoluten Meinungsfreiheit – worunter Kunst selbstredend ebenso fällt. Sicher, viele sind der Ansicht, Auschwitz-Lines erfüllen nicht die Definitionsanforderungen von Kunst, aber das ist hierfür unerheblich. Kunst ist ein hinreichendes, aber kein notwendiges Kriterium für Meinungsfreiheit. Ein Idiot muss öffentlich zeigen dürfen, dass er ein Idiot ist – das libertäre Credo in a nutshell.
Verdienen solche Aussagen aber auch noch Preise? Erhalten sie dadurch quasi eine Art Legitimation? Nein und nein. Sicherlich sind das Lines, die weit unter die Gürtellinie gehen und nicht unbedingt auch noch honoriert werden müssen, aber sie werden auch nicht heiliggesprochen, nur weil plötzlich ein Echo dahintersteht. Gerade im Fall dieses Preises, der den Verkaufserfolg als Basis hat, zeigt sich ein ganz anderes Problem:
Den riesigen Erfolg, den man mit derartigen Inhalten erzielen kann. Und ja, ich weiß, dass ich auch ein Teil des Problems bin.

Aber darum geht es nicht. Ich kenne einen Haufen politisch hochgebildeter, proisraelischer Menschen, die trotzdem Kollegah hören. Das ist keine Form der Rechtfertigung a la „Ich kann kein Antisemit sein, weil meine besten Freunde Juden sind“, sondern soll ein Hinweis auf die Reflexionsfähigkeit des einzelnen Konsumenten darstellen. Es gibt durchaus Menschen, die ebenso wie ich imstande sind, die mentale Trennung zwischen Politik und Entertainment zu vollziehen. Ich wage allerdings zu behaupten, dass diese Menschen in der Minderheit sind. Schaut man sich die gängigen Social-Media-Kanäle besagter Rapper an, sieht man dort häufig ein vergleichsweise junges, männliches Publikum, deren Aussagen nicht unbedingt darauf schließen lassen, dass sie die tabubrechenden Lines in einen sinnvollen Kontext setzen können. Ganz im Gegenteil. Verschwörungstheorien und politisches Halbwissen sind dort an der Tagesordnung.
Der Erfolg von Kollegah und Co. ist nicht die Ursache, sondern vielmehr ein Symptom eines viel tieferliegenden Problems – des generellen Unverständnisses realpolitischer Komplexitäten und einer Affinität für einfache Erklärungen bei einem großen Teil der Konsumenten dieser Musik.
Aufklärung und Bildungsarbeit müssen viel früher ansetzen und nicht erst bei jedem halbgrößeren Skandal. Aber dass exakt das nicht passiert, überrascht mich letztlich nur geringfügig. Ich schrieb es schon vor ein paar Tagen an anderer Stelle:

In einem Land, das sich mit Augstein und Todenhöfer zwei Vorzeigeantisemiten in prominenten Medien leistet, wirkt die Kritik an judenfeindlichen Textzeilen bei Kollegah und Farid Bang dann doch ein wenig bizarr.
Nur weil die einen ihren Antisemitismus eloquenter als "Israelkritik" tarnen, macht es das nicht besser.
Ein gewisser Teil der Leute, die sich jetzt über zwei Rapper aufregen, werden nicht zögern, demnächst wieder von einem Vernichtungskrieg Israels gegen die friedfertige palästinensische Bevölkerung zu fantasieren.

Deutschland hat ein grundlegendes Problem damit, wie es jüdisches Leben wahrnimmt, vor allem in Form des Staates Israel. Kollegah und dessen Rapperfreunde sind nur die Auswüchse dieses Problems, das nach wie vor kein Thema gesamtgesellschaftlicher Auseinandersetzung ist. Solange allerdings öffentlich-rechtliche Medien auch weiterhin unfassbar einseitige „Dokumentationen“ zur Nahost-Thematik veröffentlichen, wird sich das auch nicht ändern. Jegliche hysterischen Artikel, die jetzt wegen judenfeindlicher Rap-Lines über den Äther versendet werden, sind nichts weiter als Krokodilstränen.
Polak hat Recht damit, wenn er Campino vorwirft, nicht konsequent zu sein – wäre der Boykott solcher Inhalte tatsächlich ernst gemeint, hätte Campino den Echo nicht annehmen dürfen. Aber als Champagnerlinker ist es eben sehr bequem, sich auf ein moralisch erhöhtes Podest zu stellen. Genau dort steht allerdings auch das Gros der deutschen Empörungsgesellschaft – außerstande, die eigenen Positionen zu reflektieren. Oder konsequent Haltung zu zeigen.
Man wird wohl noch träumen dürfen.


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Sort:  

Aber als Champagnerlinker ist es eben sehr bequem, sich auf ein moralisch erhöhtes Podest zu stellen.

Damit bringst Du es auf den Punkt.
Und unter dem Podest lauern noch jede Menge Opportunisten auf die Champagnertropfen, die von der Bühne spritzen...

Beleuchtet wird die Vorführung von ganz oben, vom Licht der allmächtigen und unumstößlichen moralischen Überlegenheit.

Ich muß mir gleich mal ein Kontra-Bier aufmachen!

Ich mag halt dieses moraltrunkene Betroffenheitsverhalten nicht. Das Problem ist seit Jahren bekannt - wenn man sich denn mal damit auseinandergesetzt hätte. Der Skandal dauert genau solange, bis Augstein im SPIEGEL wieder über Gaza als Freiluftgefängnis fantasiert.

Obacht ist angeraten, daß mit deren Methodik bei "uns" nicht die immer gleichen Knöpfe der Erregung gedrückt werden. Diese Energie speist auch wieder deren System auf einer anderen Ebene.
Hach, da sind noch viele spannende individuelle Herausforderungen zu lösen! :)

Man wird solche "Probleme" sicherlich nicht lösen können, indem man sie wegsperrt.

Wonderful post ..thanks for sharing...Best of luck friend ✫

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Als Libertärer bin ich ein Freund der absoluten Meinungsfreiheit

Sorry, could'nt resist. :)
Ich ärgere mich leider auch immer mehr über diese Schergen...

Touche :P

Aber der Punkt ist ja, hätte ich die Möglichkeit, würde ich es vermutlich nicht löschen. Abgesehen davon geht es hier auch eher um staatliche Restriktionen als privates Hausrecht :)

Deine Grenzziehung bei der privaten Schwelle bzw. Grundstücksgrenze als argumentativen Übergang akzeptiere ich voll!

Zum Glück kann man ja muten...

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