Debunk-Donnerstag - Gin & Tonic hilft bei Heuschnupfen

in #de-stem6 years ago (edited)

Jeden Donnerstag werde ich einen bestimmten Mythos, eine Urban Legend, Verschwörungstheorie oder ein Stück Pseudo-Wissenschaft thematisieren. Dieses Mal überprüfen wir die Idee, dass klare Spirituosen wie Gin gegen Heuschnupfen helfen.


Wenn Wünsche Wissenschaft Werden

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Quelle

Ich mag Alkohol. Wirklich. Während ich den ersten Entwurf dieses Artikels schreibe, sitze ich am Tresen meiner Lieblingsbar und genieße hervorragende Drinks. Ich arbeite seit über fünf Jahren professionell als Bartender. Man kann also durchaus sagen, dass ich ein gewisses Know-How habe, wenn es sich um Alkohol dreht. Um so mehr stört es mich jedes Mal, wenn ich Nachrichtenartikel über die angeblich positiven Wirkungen von Alkohol lese. Auf meinem Blog habe ich bereits mehrmals über die Wirkung von Alkohol und den Einfluss auf die persönliche Gesundheit geschrieben. Grundsätzlich ärgern mich die meisten Mythen hinsichtlich des Konsums von Alkohol. Am berühmtesten ist sicherlich jener Mythos, dass Rotwein vor Herzkrankheiten schützen würde. Obwohl es einige Anzeichen dafür gibt, dass das Trinken von Rotwein eine positive Korrelation zur Prävention von Herzerkrankungen hat, stellt das keine Empfehlung für irgendwas dar. Es existieren weitaus effektivere Wege, um Vorsorge für die eigene Gesundheit zu betreiben.
Ich sage es noch einmal:
Der Konsum von Alkohol ist nicht vorteilhaft für die eigene Gesundheit(1).

Das ist ok, muss er nicht, aber man sollte auch so ehrlich sein, sich diesen Umstand einzugestehen. Kein Mensch bei Verstand würde argumentieren, dass Rauchen einen gesundheitlichen Vorteil mit sich bringt – warum also wird bei Alkohol so sehr versucht, genau das zu tun?
Meine Vermutung ist, dass es dafür zwei Gründe gibt.

  1. Alkoholtrinken ist gesellschaftlich akzeptierter als Rauchen.

  2. Menschen suchen nach Rechtfertigungen für schädliche Verhaltensweisen.

Einige Leser werden sich womöglich noch an die Studie von Flegal et al. (2013) (2) erinnern, die besagte, dass leichtes Übergewicht gesünder ist als Normalgewicht. Jene Studie wurde unglaublich wohlwollend in den Medien rezipiert, während die wissenschaftliche Community vor allem auf methodische Schwächen aufmerksam machte(3). In Deutschland sind etwa 53% aller Frauen und 67% der Männer übergewichtig(4) – verständlich, dass man dann eher Studien glaubt, die besagen, dass Übergewicht eigentlich gar nicht so schlimm ist. Und die restlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse, die das Gegenteil aussagen, wohlwollend ignoriert.
Psychologisch ist das sehr gut zu erklären, suchen Menschen doch häufig nach Erklärungen für ihr Verhalten und wollen das Bewusstsein haben, dass sie das Richtige tun.

Doch Aufgabe eines guten Wissenschaftsjournalisten ist auch, über die eigene Komfortzone hinauszugehen und nicht die persönlichen Wünsche als Wissenschaft zu verkaufen. In einem kürzlich erschienen Artikel auf WELT-Online wurde jedoch genau das getan. Hier wurde Alkoholkonsum auf einen Status erhoben, den er nicht verdient.
Als jemand, dessen Beruf der Verkauf von Alkohol ist, ärgert mich das ungemein. Weil es intellektuell unaufrichtig ist. Niemals würde ich meinen Gästen erzählen, dass ihr Drink für gesundheitliche Vorteile sorgt – schlicht, weil es nicht so ist.
Ich werde es gern noch ein weiteres Mal sagen:

Alkoholkonsum hat keinen gesundheitlichen Vorteil*.

(*Zumindest keinen, der nicht auch anders erreicht werden könnte)

Es gibt durchaus einige Aspekte, die vorteilhaft von Alkoholkonsum beeinflusst werden können, ABER eine gesunde Ernährung, regelmäßiger Sport und die Vermeidung von zu viel Stress sind wesentlich effizienter darin, eure Gesundheit zu erhalten – ohne die schlechten Nebenwirkungen von Alkohol. Nur weil er bei einigen Dingen eine positive Wirkung hat, bedeutet das nicht automatisch, dass Alkohol grundsätzlich gut ist. Man sollte nicht die eigenen Trinkgewohnheiten mit Mythen rechtfertigen.


Wissenschaftsjournalismus auf Abwegen

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Quelle

Kommen wir zurück zum Artikel der WELT. Dieser sagte aus, dass klare Spirituosen wie Gin und Vodka therapeutische Effekte hinsichtlich der Symptome von Heuschnupfen hätten. Der Autorin zufolge wirken diese Spirituosen wie ein Antihistamin, da während ihrer Destillation Histamin (das Hormon, das der Körper während einer allergischen Reaktion freisetzt) nicht in denselben Mengen (bzw. gar nicht - mir ist allerdings kein Prozess der Alkoholproduktion bekannt, bei dem kein Histamin entsteht, aber vielleicht kann mich hier nochmal jemand aufklären) wie bei dunklen Spirituosen produziert wird.
Man kann jedoch den ersten Logikfehler bereits hier erkennen:
Klare Spirituosen beinhalten weniger Histamine (doch sie sind immer noch vorhanden, da sie als ein Nebenprodukt der Fermentation entstehen), sollen aber trotzdem irgendwie auf dieselbe Weise wie Antihistamine wirken? Liegt es an mir, oder ergibt das schlicht keinen Sinn?

Doch das ist nicht das einzige Problem, das ich mit diesem Artikel hatte. Er war im Grunde eine Empfehlung dafür, klare Spirituosen zu trinken, wenn man an Heuschnupfen leidet. Dieser wird häufig mit Antihistaminen behandelt, um allergische Reaktionen zu unterdrücken. Antihistamine haben häufig stark sedierende Nebenwirkungen – welche zudem die Wirkung von anderen Beruhigungsmitteln (depressants) wie Alkohol potenzieren können. Tatsächlich ist es so, dass manchmal lebensbedrohliche Wechselwirkungen zwischen Alkoholkonsum und Antihistaminen auftreten können(5).
Die grundsätzliche Empfehlung der medizinischen Literatur ist die grundsätzliche Vermeidung von Alkoholkonsum, gerade dann, wenn man Antihistamine bereits als Behandlung einsetzt(6)(7).
Aber es gibt noch zwei weitere Probleme.

Erstens:

Diese Geschichte ist beinahe ein Jahr alt. Monate, welche in die Recherche für die Annahmen des Artikels hätten fließen können. Man hätte die Behauptungen ordentlich auf den Prüfstand stellen können.
Doch die Autorin tat nichts dergleichen. Ein Beispiel für schlechten Wissenschaftsjournalismus par excellence. Die ganze Geschichte basiert auf…was genau? Das war etwas, das ich mich während meiner eigenen Nachforschungen häufiger fragte. Der Artikel in der WELT behauptete, dass es eine Studie von Asthma UK gäbe, welche die therapeutischen Vorteile von klaren Spirituosen belegte.
Überraschung, die „Studie“, die als Quelle angegeben war, bestand lediglich aus einer Übersichtsseite(8) von Alkohol und Asthma besagter Organisation. Offensichtlich ist das keine wissenschaftliche Studie. Die Tragikomik dabei ist jedoch, dass man auf eben jener Übersichtsseite KEINEN EINZIGEN Hinweis darauf findet, dass klare Spirituosen in irgendeiner Weise vorteilhaft bei Heuschnupfen wären.
Das war der Punkt, an dem ich richtig verärgert war, denn es schien nun offensichtlich zu sein, dass die Autorin nicht einmal die Zeit aufwandte, um ihre eigene Quelle zu lesen. Dann hätte sie nämlich bemerkt, dass dieser Quelle zufolge, die Verbindung zwischen Alkohol und Asthma (übrigens nicht Heuschnupfen) nicht so klar ist, wie sie es gerne hätte und Wissenschaftler immer noch dabei sind, die genauen Mechanismen dahinter zu erforschen.

Zweitens:

Asthma UK’s Website erwähnt Heuschnupfen (oder seinen medizinischen Namen Allergische Rhinitis) überhaupt nicht. Sicher, Asthma und Heuschnupfen haben ähnliche Symptome und die Behandlung ist häufig ebenso ähnlich. Aber sie sind dennoch nicht dasselbe.
Hatte ich nicht gesagt, dass diese Story fast ein Jahr alt(9) ist? Richtig. Die HuffPost UK hatte nämlich damals schon ihre Hausaufgaben(10) gemacht und eine Gegendarstellung veröffentlicht. Im Gegensatz zu anderen Medien, haben sie tatsächlich mit einer verantwortlichen Person von Asthma UK gesprochen – und, ohne große Überraschungen, Dr. Andy Whittamore stellte klar, dass es nie eine Empfehlung für den Konsum einer bestimmten Spirituose gab, wenn man unter Heuschnupfen oder Asthma leidet. Es gibt lediglich eine Tendenz dafür, dass manche Spirituosen weniger wahrscheinlich sind, eine allergische Reaktion hervorzurufen.


Ein Plädoyer Für Intellektuelle Aufrichtigkeit

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Quelle

Es kostete mich lediglich ein paar Stunden, um die verfügbare Forschung zu diesem Thema zu sichten – dasselbe, was ich von jemandem erwarte, der auch noch genau dafür bezahlt wird (Steemit ist kein Gehalt, sondern ein Bonus).

Um ehrlich zu sein: Ich bin richtig angepisst deswegen. Wir haben bereits eine Krise vernünftiger Wissenschaftskommunikation. Viele Menschen verstehen nicht, was Wissenschaft eigentlich tut und wofür sie gut ist – schaut nur kurz auf die Trending-Seiten hier und ihr werdet dümmer als zuvor sein. Journalisten, die über Wissenschaft schreiben, sollten an denselben hohen wissenschaftlichen Standards gemessen werden, die Wissenschaftler erfüllen müssen, um angemessene Anerkennung zu erhalten.

In einem Fall wie diesem, wenn es so einfach zu widerlegen ist oder es sogar bereits vor langer Zeit getan wurde, ist das einfach unglaublich ärgerlich. Menschen zu erzählen, dass Alkoholkonsum oder leichtes Übergewicht vorteilhaft für ihre Gesundheit sind (wenn das eigentlich nicht zutrifft), ist unglaublich unverantwortlich. Nicht jeder hat die Zeit und/oder das Wissen, um Quellen zu überprüfen und nachzuforschen, ob eine Story wahr ist oder nicht.
Wir brauchen mehr intellektuelle Aufrichtigkeit und nicht nur simples Click-Bait – oder das Problem mit wissenschaftlichem Analphabetismus wird immer weiter zunehmen.


Fühlt euch jederzeit frei, meine Ideen zu diskutieren und eure Gedanken über die Dinge, die ich thematisiere, zu teilen. Niemand ist allwissend und wenn wir alle ein bisschen klüger als zuvor daraus hervorgehen, werden wir eine Menge erreicht haben.
Danke fürs Lesen und bleibt gesund.
Ego


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Falls ihr euch für Wissenschaft begeistern könnt, dann schaut unbedingt unter #steemstem bzw. #de-stem vorbei.


Quellen


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Eine wissenschaftliche Anleitung für ein gesünderes, spaßigeres und erfolgreicheres Leben

Sort:  

Ja, die Qualität des Wissenschaftsjournalismus ist ein Riesenproblem. Vielleicht ist es der tristen finanziellen Situation der Printmedien geschuldet, aber aus irgend einem Grund schaffen sie es nicht, Leute anzustellen, die sich tatsächlich auskennen.

So erklären sich auch diverse Meldungen darüber, was sich alles wieder als besonders gesund oder krebserregend erwiesen hat... Sobald man dann in die Quellen geht, mag man am Liebsten zum Schreien beginnen. Da haltet dann meistens eine in vitro Studie her. Hilft es dann nicht, geben die Leute den Wissenschaftlern die Schuld. Dabei sind es meistens nicht die Wissenschaftler, sondern die berichtenden Journalisten, die Stoffe aufgrund unvalidierter Daten zu Wundermitteln erklären.

Genauso in die andere Richtung: da regt man sich dann darüber auf, dass "die EU" das und das noch nicht längst verboten hat. Der einfache Grund dahinter: Die Wissenschaft sieht tatsächlich (noch) kein Problem. Die öffentliche Wahrnehmung ist aber durch hysterischen, sich auf bruchstückhafte Daten beziehenden Journalismus gelenkt.

Ja, die Qualität des Wissenschaftsjournalismus ist ein Riesenproblem. Vielleicht ist es der tristen finanziellen Situation der Printmedien geschuldet, aber aus irgend einem Grund schaffen sie es nicht, Leute anzustellen, die sich tatsächlich auskennen.

Man muss noch nicht einmal direkt Leute anstellen. Bei denjenigen nachzufragen, deren Ergebnisse man verwenden will, wäre häufig schon genug. Oder einfach mal in wissenschaftlichen Datenbanken schauen, wie diese Ergebnisse rezipiert wurden.

Was mich besonders, gerade in Verbindung mit dem Thema des Artikels stört, ist die damit einhergehende Unverantwortlichkeit. Natürlich gibt es gewisse Korrelationen dafür, dass Alkohol in moderaten Mengen präventive Funktionen gegenüber bestimmten Krankheiten haben kann - doch nur das bedeutet doch nicht automatisch, dass der Konsum damit gesund ist. Vor allem dann, wenn es Alternativen ohne schädliche Nebenwirkungen gibt.
Es wird von einem oder zwei positiven Effekten auf das gesamte Treatment geschlossen. Das ist doch unsinnig. Gerade eben erst wieder so einen Artikel gelesen.

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