Erzähl' was Neues – IV

in #deutsch8 years ago (edited)

Lisa2630a.jpg

Es ist verblüffend. Das Tier sieht aus, wie mein vor 40 Jahren verstorbener Hund. Wie aus dem Gesicht geschnitten. Verstorben ist eine Notlüge. Ich habe Lisa vom Tierarzt töten lassen und dabei zugeschaut, wie ihre Augen gebrochen sind. Leberkrebs. Es „Einschläfern“ zu nennen, macht die Sache auch nicht besser. Während meiner Morgentoilette zwischen Teich und Büschen geht der Hund ebenfalls seinen Verrichtungen nach. Alle Sitzplätze, um den Teich herum, werden ab geschnüffelt, dann und wann etwas, mit hoch geworfenem Kopf, fast übertriebenem Genuss, weg geschmatzt. Alles geschieht in einer unglaublichen Geschwindigkeit. Ich beobachte das Tier unauffällig aus den Augenwinkeln und werde beinahe neidisch auf sein Tempo. Das Vieh soll bloß nicht glauben, dass ich mich für irgend etwas interessiere, was es da vorführt. Nun macht es einen großen Bogen um die Schwäne herum, zeigt sich fleißig und schnürt im Affenzahn, mit der Nase auf dem Boden einer Spur hinterher so, als würde mir vorgeführt, was da auf der grünen Wiese für ein prächtiger, brauchbarer Hund zu sehen ist. Ich bin fast beeindruckt. Das ist neu, denke ich, als die vermeintliche Sie an einem Baum das Bein hebt. Wo hatte ich nur meine Augen? Raffiniert, das Vieh hat sein Geschlecht im Fell versteckt. „Trotzdem Lisa. Was glaubst du denn? Jetzt erst recht,“ sage ich in den Spiegel hinein, den ich beim Stutzen meines Bartes benutze.

Bart-1c4512.jpg Huschke von Hanstein
Bart-20f7d1.jpg

Lange schon ist das Kinn silbergrau, beinahe weiß und mein Haupthaar gibt auch nicht mehr viel her. Was da als Kranz noch übrig ist, wird geschoren. Ich bin eine Glatze mit Zehntagebart. Ein richtiger Bart, ob Modell Ziege, Moslem, Zorro, Hipster oder Huschke von Hanstein, all das schmückt mich nicht besonders. Die Schöpfung hat mich mit einem komischen Schädel bedacht. Zwar im Gegensatz zum alpenländischen Rundschädel edel, in Seitenansicht dolychocran, also melonenförmig, jedoch aus der Frontansicht ein Kasten. Ungünstig für einen Style mit Applikationen, wie sich im Laufe zäher Versuchsreihen herausstellte. Selbst Koteletten wollten an diesem Schädel nicht gefallen. Daher traktiere ich die Schädeldecke gerade mit einer scharfen Schere an den Stellen, wo noch etwas wächst.

Ich begrüße mein Spiegelbild. Guten Morgen, Penner Silbergrau. Ich weiß noch genau, wie du früher über Leute, wie dich, gedacht hast. Das graue Geschwader sammelt sich gerne in Fahrradpulks, oder an Kassen und du wurdest böse, in der Warteschlange hinter ihnen. Am häufigsten passierte dir das in deiner Business-Periode, als du nie Zeit hattest. An der Kasse, im Verkehr, in Serviceeinrichtungen und beim Arzt, nur um die Klassiker des Zeitdiebstahls zu nennen. Dort hast du die Alten verflucht und fühltest dich persönlich beleidigt, von ihrer Langsam- und Dusseligkeit. Dein Blutdruck stieg ins Ungesunde, wenn sie vor dir dran waren. Was muss die jetzt auch noch umständlich mit der Kassiererin schwätzen? Warum reden Alte so langsam, so viel und wen interessiert das alles? Kurz und knapp, bitte. Zeit ist Geld! Wo kommen die nur alle her? Gibt‘s hier ein Nest? Können die nicht dann raus kommen, wenn der produktive Teil der Menschheit durch ist? Oh, ich war durch! Durch und durch ein Arschloch. Aber es hätte auch noch schlimmer kommen– und ich hätte eins bleiben können.

Okay, das genügt. Der Morgenblues hatte epische Tiefe und die einem Blues entsprechende Färbung. Mir geht es, den Umständen entsprechend, gut und ich frage mich, was das schon wieder für ein merkwürdiger Zustand ist. Seit wann geht es einem Penner den Umständen entsprechend gut? Kopfschüttelnd stecke ich die Schere weg und fange an, den Hund im Rasierspiegel zu suchen. Der liegt längst neben mir und fragt, wann es endlich los geht. Was für ein Schleicher. Ich habe nicht gemerkt, wie er sich genähert und mucksmäuschenstill hingelegt hat. Das fühlt sich nach Charakter an. Ich war wohl schwer in Gedanken. Jetzt hängt seine Zunge im offenen Maul, mal links und mal rechts herunter. Schlappen, schlecken, hecheln. Es tropft und er scheint mich heraus zu fordern, gerät ins Tänzeln und macht wieder Sitz. Das Vieh trägt eine Hundemarke. „Du gehörst zu jemanden und bist ein Schleicher“, sage ich. Auf das verschraubte Drehen seines Kopfes hin, kann ich nur antworten: „Woher soll ich das wissen? Wenn du nicht weißt, wo du her kommst – Okay Lisa, Lauser oder wie du auch gerne heißt, was liegt an für uns Kerle?“ Wie auf Befehl stellt sich das Vieh zackig hin und wittert mit knackendem Kehlgeräusch, über den Park hinweg ins Unbestimmte hinein. Ich packe mein Lager, verstaue es im Schacht hinter dem Gebüsch und schließe das Gitter ab. „Diese Richtung?“, frage ich. Lauser nickt im unmittelbaren Wegrennen und bearbeitet jede Strecke, in weiten Kreisen mehrere Mal, während ich meinen Takt mit dem Krückstock wieder aufnehme. Das Vieh ist weit davon entfernt, sich meinem Schneckentempo anzupassen.

Am Ausgang frage ich mich, wie das weitergehen soll und den Hund, ob er Fuß gehen kann. Das „Fuß“ betone ich etwas. Dank dem Umstand, dass Hundesprache universell ist, finde ich heraus: Lauser kann sogar hervorragend Fuß gehen. Er kompensiert das Schnelle, indem er, während meiner schleppenden Bewegung, ständig die Position in kleinen Tippel-Schritten wechselt. Immer dicht an mir dran, eifrig das Umfeld in Schach haltend, macht er einem Penner den Weg frei. Er ist ein Schäferhund, der die Herde schön in Formation hält. So einen perfekten Fußgeher wünscht man sich. Lauser ist etwa kniehoch und wie eine Tonne geschnitten. Nicht dick, nein stämmig und ein Wuschel. Die abgeknickten Ohren liegen brav an, oder stehen abgeknickt hoch, was bei alten Omas herzzerreißend wirken muss, wenn er sie unabhängig voneinander bewegt und dabei den Kopf schief legt. Beine und Körper sind harmonisch proportioniert und er sieht aus, wie ein prächtiges Unikat in gelockter, schwarzer Wolle, mit grauem Einschlag. Der leicht nach oben gebogene Schwanz trägt eine ebenso stattliche Fahne, wie die Oberschenkel an ihrer Hinterseite. Ich kann ihn dadurch auch von hinten anschauen, ohne an all die Arschlöcher zu denken, an die ich nicht denken will. Ein Unikat, das offenbar durch die Zeit reist, denke ich im Rückblick auf meine Lisa und, für einen kurzen Augenblick, sehe ich Phil an der Ecke grinsen. Kompletter Unsinn, denke ich und das Gesicht war auch schon wieder verschwunden.

Fortsetzung folgt, im Takt der deutschen Gilde.

In dieser Serie sind bisher erschienen
Erzähl' was Neues – I, II und III.

Fotos mit vielem Dank an:
Das Bild vom Moslem ist von Wikipedia.
Das Foto Huschke von Hanstein wurde Wikipedia von Fritz Ebert überlassen.


Es handelt sich bei der Arbeit um den Auszug eines Romans, den ich etwa vor mindestens vier Jahren begonnen habe. Das Bloggen des Materials zwingt mich, ihn endlich zu redigieren und sogar fertig zu schreiben. Ich hoffe, damit ein paar Kritiker zu finden. Als große Ehre empfände ich es, mit dieser Schreibe tatsächlich auch Leser zu gewinnen, die sich auf eine Fortsetzung freuen.


Hier gibt es ein Hilfe–Menu für Anfänger Hilfe! Wie mache ich meine Texte schön?


Meine letzten Beiträge:
Ebenfalls Literarisches ist von mir erschienen mit
Land der großen, weißen Wolke – I, II, III und IV. Diese Serie ist neu, basiert auf tatsächlich Erlebtem und wird auf alle Fälle auch weiter geführt werden, da es eine Geschichte ist, die mit dem Tod meiner Protagonisten längst nicht aufhört.

Coin Marketplace

STEEM 0.17
TRX 0.15
JST 0.029
BTC 56922.13
ETH 2347.73
USDT 1.00
SBD 2.43