Erzähl' was Neues – II

in #deutsch8 years ago (edited)

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Eingepackt im Schlafsack, schaue ich in meinen Trenchcoat hinein. Der Rhythmus von vorhin geht unerbittlich weiter. Es ist die Percussion zu meinen alten Tagen, von denen ich nie eine konkrete Vorstellung hatte, wie sie einmal aussehen würden. Bis sie plötzlich da waren. Dabei habe ich sie nicht einmal kommen sehen. Einmal sagte ein Mädchen im Taxi „Sie“ zu mir. Ich bin ein Hippie, bin es von Anfang an immer gewesen. Ich wollte ihr daher antworten, du kannst ruhig Du zu mir sagen, hielt aber instinktiv inne. Hätte ich anschließend mal nachgedacht, warum ich nichts gesagt habe. Ich hatte instinktiv gepürt: Ander Zeiten, ander Menschen. Beim Taxifahren hast man Zeit zum Nachdenken. Zeit, bis zum Abwinken. Das Alter wäre mir trotzdem nicht eingefallen. Ich war sehr lange jung. Vielleicht, weil es nach dem Krieg so lange finster blieb. Kindergarten gab es damals nicht für uns. Meine auffallend jungen Eltern trauten niemanden mehr über den Weg. Schon gar keiner Kirche und keinem Verein. Sie kannten die Leute, die dort ihren Alltag wieder aufgenommen hatten, als sei nichts gewesen.

Stellvertretend für ihr eigenes Seelenheil schickten die Eltern uns Kinder zur Kirche. Die füllte sich überwiegend mit Nachwuchs und den ganz Alten. Das war für mich aber lange kein Anlass zum Nachdenken. In der Schule lehrten wieder die alten Nazilehrer, ohne dass Schüler eine Ahnung davon hatten, dass es überhaupt Nazis gibt. Die gab es überall, hießen aber nicht mehr so. Man nannte sie einfach nur Hausmeister, Aussiedler, Vertriebene, Lehrer, Flüchtlinge, Busfahrer, Taxifahrer, Kriegsversehrter, Gasmann, Wassermann, Polizist, Politiker, Kontrolleur, Richter, Professor. Aber es gab sie noch, die richtigen Vollnazis. Drei Jahre lang hat mich so eine Lehrerin rund gemacht. Blond, zynisch, ausgemergelt, hart wie Kruppstahl. Nach dem Umzug aus der Stadtmitte in eine etwas feinere Gegend, wurde sie in der neuen Schule meine Klassenlehrerin.

Sie hat mich vor der Klasse erniedrigt, wann immer ihr sich eine Gelegenheit bot. Gelegenheiten liefert ein Erniedrigter natürlich in zunehmender Fülle, je tiefer er in seine Rolle hinein wächst. Ich dachte kindlich: was für eine böse Frau und habe den Grund für ihre Boshaftigkeit bei mir gesucht. Kinder sind so. Ich wusste nichts davon, dass ihr bekannt war, dass mein Großvater ein Halbjude war. Heute weiß ich das. Sie ist vermutlich vor Kriegsende ein Spitzel des Regimes gewesen und wurde meinem Großvater zugeteilt, weil er mit seiner Famile kurz vor Kriegsende von Berlin kommend, in unsere Stadt umsiedelte. Nun hing sie hier fest und Berlin war eine zweigeteilte Insel. Mein Großvater war Doktor der Metallurgie und bei Siemens als kriegswichtig unabkömmlich eingestuft, womit er vermutlich der Deportation entgangen ist. Ihm wurde die technische Leitung eines Zweigwerkes in unserer kleinen Industriestadt übertragen. Pünktlich zur Bombardierung und völligen Zerstörung der Stadt am Main. Er lebte mit meiner Klassenlehrerin Zaun an Zaun. Man sagte sich Guten Tag, aber Gespräche hat es niemals gegeben.

Die Nazis hatten eine entsprechende Zackigkeit im Wesen, wirkten aber trotzdem gebrochen. Paralysiert vom Krieg, dachte ich, als das eigenständige Denken irgendwann eingesetzt hatte. Stehen geblieben und nichts dazu gelernt. Es gab eben keine Lehrer für die Fächer, die man ihnen selbst hätte beibringen müssen und alles, was sie gelernt hatten, lag in Trümmern hinter ihnen. Von Demokratie und Humanismus hatten Ende der Fünfziger Jahre nur ganz Wenige überhaupt einen Schimmer. Wer davon Ahnung hatte, war in der Regel tot, oder hat lieber sein Maul gehalten. Daher wusste ich das Alles nicht. Alles fühlte sich falsch an, wenn nicht gar gemein und abstoßend. Doch, wie die Welt vorgefunden wird, so nimmt man sie als Normal hin. Das waren die Menschen, zu denen ich hinzu geboren wurde. Mit Fremden konntest du selbst in den späten Sechzigern noch keinen harmlosen Plausch im Vorbeigehen halten, ohne gewaltiges Abprüfen deiner Gesinnung ging gar nichts. Ich hatte gar keine Ahnung von Gesinnung, aber das war ihnen egal. Die haben sie immer als Erstes gecheckt. Als ich kapiert hatte, was mit ihnen los war sind sie bereits, im Laufe der Zeit, immer stummer geworden. Bis endgültig nur noch die gleiche Endlosschleife angesagt wurde: Krieg ohne Anfang.

Die Leute auf der Straße waren entweder sofort schimpfend auf Touren gekommen oder in undefinierbarer Art nicht ganz zu Hause. Wir hatten keinen blassen Dunst von dem, was vor uns gewesen ist. Selbst vom Krieg gab es nur die vage Vorstellung, die man aus den dürftigen Erzählungen der Erwachsenen ableiten konnte. Wie gesagt, viel wr das nicht. Meine lokale Geschichte fing mit Bomben an. Die sind allen auf den Kopf gefallen. Warum es Bomben gab? Wegen dem Hitler. Zuerst wusste ich gar nicht, was das war: das Hitler. Später erkannte ich, dass davon die Ruinen in der Stadt zeugten und es genügte an Erläuterung. Vereine galten übrigens als zwielichtige Kabuffs. Da haben die besseren Leute ihre Kinder auf keinen Fall mehr hin geschickt, auch nicht in den Kindergarten.

Es gab kein Licht in dieser Finsternis, das wir Kinder nicht selbst angezündet hätten. Kein Ding, das nicht auch gleichzeitig ein Mangel war. Das Leben spielte sich überwiegend in Grau ab, als sich die Gegenwart plötzlich mit gleißender Helligkeit erfüllte. Es fing mit neuer, nie gehörter Musik an. Um uns herum wurde es auf einen Schlag so hell, dass sich niemand auch nur ansatzweise vorstellen konnte, es würde jemals wieder dunkel werden. Wir blinzelten erstaunt in die neue Welt hinein und hatten keine Vorstellung, was damit anzufangen war. Natürlich wollten wir das alles festhalten. So viel war klar. Es ist heute schwer vorstellbar und kaum zu beschreiben, welch totaler Art dieser gesellschaftliche Paradigmenwechsel gwesen ist. Das Meiste davon ist wieder verloren gegangen und weil ich feststelle, dass mir gar niemand zuhört und ich immer weiter endlos denke, bin ich eingeschlafen.

Plötzlich wache ich auf. Irgend etwas stimmt nicht. Der Himmel hat sich zugezogen und es beginnt zu regnen. Rauschen aus den Blättern hüllt mich ein. Es ist allgegenwärtig und ein Husten, von dort drüben, aus den Büschen am Teich, erreicht mich nur noch gedämpft. Der Trenchcoat, über meinem Kopf, steht fest verspannt an der Krücke. Wasserdicht gebe ich mich dem Prasseln hin. So ein sanftes Rauschen denke ich, und noch, wie sanft es rauscht. Schon wieder in einen langen, unruhigen Traum gleitend sehe ich die Tänzerin vor mir stehen. Nach selbstvergessenem Tanz strahlen mich ihre hellen, blaugrünen Augen an. Wildes, blondes Haar umkränzen das Haupt, es scheint in der sterbenden Musik zu schweben. Sie ist wunderschön und für einen kurzen Moment, schaut sie tief in mich hinein. Stechend, wie ein Stilett. Da ist kein Widerstand beim Eindringen. Ich kann, für einen kurzen Moment aufgespießt, kaum noch atmen. Da merke ich auch schon, wie sie in meinem Innersten arbeitet, es aufwühlt. Lange Verborgenes wird lebendig. Tausend Bilder bestürmen meinen Kopf. Dann legt sie sich neben mich und mit warmer, seidiger Stimme, die sofort beruhigt, fragt sie tief in mir drin: „Warum?“ Gerade will ich zweifeln, ob das alles seine Richtigkeit hat, da rettet mich das Wohlgefühl, welches ihr Anblick in mir hervorruft: „Weil Du so schön bist,“ sage ich verliebt. Voller Hingabe und total ahnungslos, warum sie mich das gefragt hat, plätschert es peinlich, süßlich aus mir heraus. Dann sehe ich in mich selbst hinein, will das gar nicht tun, werde aber sanft dazu gezwungen. Ich spüre Zweifel, ob all das Schöne nicht vielleicht nur Tarnung ist, weißgott wofür. Über meinem Herzen drückt es. Genau dort, wo ihr duftendes Haupt liegt. Süße Tänzerin! Mein Traum nimmt Fahrt auf und mit der Nase ganz nah an ihrem Ohr, verströmt sie einen heißen, süßen Duft mit beschwingender, leicht animalischer Note. Weil sie ihre Augen schließt und ihren Kopf auf meine Brust legt, beginne ich wieder zu erzählen.

Fortsetzung folgt, im Takt der deutschen Gilde.

Danke für das Foto: Good Free Photos.


Es handelt sich bei dieser Arbeit um einen Roman, den ich etwa vor vier Jahren begonnen habe. Das Bloggen des Materials zwingt mich vielleicht dazu, ihn endlich weiter zu redigieren und sogar fertig zu schreiben. Ich hoffe, ein paar Kritiker zu finden. Damit wäre schon viel erreicht. Als große Ehre empfände ich es, mit dieser Schreibe tatsächlich Leser zu gewinnen, die sich auf die Fortsetzung freuen.

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Meine letzten Beiträge:
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Land der großen, weißen Wolke – I
Land der großen, weißen Wolke – II
Land der großen, weißen Wolke – III
Land der großen, weißen Wolke – IV

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