Land der großen, weißen Wolke – IV

in #deutsch7 years ago (edited)

Auf dem Land

Wer Geister erleben will, ist in Neuseeland am richtigen Ort. Pieters Mutter war in dieser Hinsicht eine ganz besondere Frau. Leonie hatte das dritte Auge und ich denke, wenn man in einem japanischen Konzentrationslager aufgewachsen ist, kann man jedes zusätzliche Auge auch gut gebrauchen. Eines Tages verunglückte ein junges Mädchen auf dem Highway, der an ihrer Ziegenfarm vorbei führte. Sie hat das Mädchen nach seinem Tod ständig auf der Farm herum irren sehen. Nils, der älteste meiner Neffen, war um diese Zeit dort. Als sie eines Abends auf der Veranda saßen und bei einem Kräutertee entspannen wollten, wurde Leonie sehr nervös und hat immer wieder besorgt auf das Farmland hinaus gesehen. Als dann auch noch die Ziegen im Stall unruhig wurden und gegen die Wände keilten, sagte sie zu Nils, er solle sich jetzt bitte keine Sorgen machen, sie müsse mal kurz fort gehen, käme aber gleich wieder. Sie stand aber nicht etwa auf. Statt dessen schien jedes Leben aus ihr zu weichen. Sie antwortete nicht mehr auf seine Fragen und saß leblos aber angespannt in ihrem Schaukelstuhl. Sie schaute unbeweglich auf die Teekanne. Der Junge spürte, dass sie noch am Leben war. Sie war weg, wie angekündigt, nicht in ihrem Körper, sondern draußen hinter dem Stall, das Mädchen suchen. Nachdem sie die Umherirrende gefunden und ihr erklärt hatte, dass sie tot sei und hier nicht mehr bleiben könne, kam sie wieder zurück, griff nach der Teekanne und schenkte die zwei Tassen ein, die noch immer unbenutzt auf dem Tisch standen. Dabei erklärte sie ihrem Enkel was es eben in der Zwischenwelt Wichtiges zu tun gab. Nils hat es verstanden, denn auch im Café seiner Eltern, in der Deli, hatten Geister große Unruhe verbreitet. Er verstand, dass seine Großmutter so etwas auf der Farm nicht brauchen konnte und es war für ihn vollkommen normal, was sie gerade tun musste. Leonie hatte auf der Farm ein Buch über ihre Zeit im KZ geschrieben. Nachdem sie fertig war, hat sie es verbrannt. Sie hasste Japaner und hat die Farm eigentlich nur verlassen, als Pieter und Nela geheiratet haben. Zur Deli nach Auckland zu fahren, dafür hatte sie gar keine Zeit, denn die Ziegen waren jetzt das Wichtigste in ihrem Leben.

In der Stadt

In der Deli waren einige Sachen sehr schief gelaufen. Frische Speisen, die dort in den Kühlschrank gestellt wurden, sind über Nacht zu einem schimmeligen Brei zerfallen. Als meine Schwester die Küche übernommen hatte dachte sie, dass im Kühlschrank wohl ein agressiver Schimmelpilz wohnen musste und hat das Gerät praktisch desinfiziert. Der Kühlschrank war so sauber, wie an seinem ersten Tag, doch es nutzte nichts. In der gleichen Nacht fing es wieder an, das Essen zerfiel zu Brei. Auch ein neuer Kühlschrank löste das Problem nicht. Immer wieder wanderte auch Besteck von einem Ende der Bar zum anderen oder fiel, gerade frisch eingedeckt, vom Tisch, obwohl kein Mensch in der Nähe des Tisches gewesen ist. Einmal sind Messer durch die Luft geflogen und immer bimmelte die Türglocke, obwohl längst Feierabend war und die Türe gewissenhaft verschlossen, nachdem der letzte Gast die Deli verlassen hatte. Pieter hatte dann die alte Türe gegen einen neuen, modernen Eingang tauschen lassen. Damit konnte im Sommer die gesamte Front zur Queens Road hin geöffnet werden. Rein geschäftlich war dieser Umbau ein Erfolg. Aber die Türglocke hat noch immer gebimmelt, obwohl es sie jetzt überhaupt nicht mehr gab. Auch im Restaurant, direkt nebenan, gab es immer wieder seltsame Vorfälle. Menschen haben das Lokal fluchtartig und kreischend verlassen, weil sie drinnen grausame Dinge gesehen hatten. Es sollen Menschen gewesen sein, denen die Haut in Fetzen vom Körper hängte, verbrannte Fratzen wollen sie gesehen haben. Die Sache wurde schließlich unerträglich und da weder Erdbeben, noch Schimmelpilze oder andere logische Erklärungen diese Vorfälle plausibel machen konnten, haben meine Schwester und ihr Mann keinen anderen Ausweg gesehen, als Geisterbeschwörer zu engagieren.

Geisteraustreibung

Die rückten mit fünf Personen an und bestanden darauf, dass Nela und Pieter an der Zeremonie teilnehmen sollten. Die Begründung war, dass es vorher dort nicht gespukt hatte und einer der Beiden ursächlich mit der Sache zu tun haben musste. Es war Nela und Pieter zwar nicht klar, woher die Leute wusste, dass es hier vorher nicht gespukt hatte, aber das Thema war eh keiner Diskussion würdig, da sie sowieso neugierig auf die Zeremonie waren. Es war Abend, als das Deli geschlossen wurde und die Geisterprofis im VW-Bus anrückten. Sie sahen aus, wie eine esoterische Hippiekommune, verloren keine Zeit mit Smalltalk und stellten sich im Kreis auf, in den sich Nela und Pieter integrieren mussten. Dann war die Gruppe aufgefordert sich bei den Händen zu nehmen und eine Frau in lagem Wallekleid begann einen scheinbar endlosen Singsang zu sprechen in den, an bestimmten Stellen, auch die anderen Mitglieder der Gruppe einfielen. Plötzlich begann Pieter wie wild zu schwanken und zu zittern. Seine Nebenleute konnten verhindern dass er umfällt und die Gruppe fuhr mit dem Singsang fort. Pieter schwankte weiter, war schließlich völlig weggetreten, hatte Schaum vor dem Mund und wurde in die Mitte des Kreises gelegt. Es gibt Punkte im Leben, da holt man keinen Krankenwagen, sondern macht weiter, womit man gerade beschäftigt war. In der Küche begannen Topfe und Pfannen im Schrank zu klappern. Die nicht mehr vorhandene Türglocke klingelte unablässig Sturm und das Besteck in den Schubladen rumorte, als wäre es lebendig und gegen seinen Willen eingesperrt. Ein Messer, das wohl hinter der Bar übersehen worden war, flog durch die Luft und blieb in der Holztäfelung stecken. Die Messer waren nicht etwa spitz, oder besonders scharf. Es muss eine unbändige Wucht gehabt haben, um in das Holz eindringen zu können. Meine Schwester spürte, wie etwas Kaltes durch ihren Körper ging und plötzlich war es ruhig. Die Glocke hörte auf zu bimmeln, die Frau beendete ihren Singsang und Pieter lag erschöpft, schweißgebadet auf dem Boden. Der Spuk war vorbei. Jahre später las meine Schwester, dass es in der Queensroad vor ca. 100 Jahren gebrannt hatte. Bei diesem Brand sei eine Frau in das brennende Haus hinein gelaufen, um ihre Tochter zu retten. Dabei kamen beide um. Nela war fest davon überzeugt, dass es das Haus war, in dem sie ihr Café hatte. Für sie war die Sache mit dieser Erklärung endgültig abgeschlossen und während ihrer restlichen Jahre in der Deli, ist auch nichts mehr Ungewöhnliches vorgefallen.

Foto von Michael Sprehe


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