Land der großen, weißen Wolke – III

in #deutsch7 years ago (edited)

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Amsterdam sinister

Nela hatte eine sehr spirituelle Einstellung zum Leben und verstand sich in dieser Hinsicht hervorragend gut mit mir. Das kam daher, dass wir zusammen, auch jeder für sich alleine, Dinge erlebt haben, die nicht als Erscheinungen der normalen Welt erklärt werden können. Ein gemeinsam erlebtes, total irres Ding geschah auf unserer Reise nach Amsterdam, eine Weile vor der Hochzeit mit Pieter. Sie war schwanger und klar war ebenfalls: Sie würde den Vater ihres Kindes heiraten. Wir erinnern uns, dass die Mutter von Pieter als junges Mädchen in einem japanischen Konzentrationslager aufgewachsen ist. Diese Familie hatte einschlägige Erfahrungen mit Faschisten. Mit denen war es im Pazifik, wie mit Faschisten in Holland. Einfach das gleiche Übel. Die Japaner waren nur noch einen Tick härter, als die Nazis. Man war auf Deutsche nicht gut zu sprechen in der holländischen Familie und wollte darin auf keinen Fall eine Deutsche haben.

Die Fahrt nach Amsterdam war zunächst der übliche, große Spaß. Wir waren jung, verdammt gut drauf und Pieter war ein fröhliches, durchtriebenes Unikum. Die Zeiten mit der RAF waren längst vorbei und wir hatten freie Fahrt, Musik und was man sonst dringend für eine fröhliche Reise brauchte. Zu Fünft waren wir unterwegs. Nela, ihr Baby im Bauch, Pieter, mein Hund und ich. Amsterdam war für mich bisher immer ein besonderes Erlebnis und ich war in freudiger Erwartung eines neuen Abenteuers. Diesmal versprach es eines mit Familienanschluss zu werden. Wie sehr habe ich mir bei meinen letzten Besuchen dort gewüscht, wenigstens ein bisschen zur Stadt dazu zu gehören, ein Teil von ihr zu sein. Nun sollten wir bei einem Onkel unterkommen, privat, den allerdings nicht einmal Pieter richtig kannte. Ja, man war entfernt verwandt. Mehr wusste Pieter auch nicht, außer der Adresse und dass dieser Onkel– und Tantenkreis in der Familie besonders zurückhaltend behandelt wurde. Man traf diese Verwandten nicht unbedingt beim jährlichen Clantreffen. Das Haus lag mitten in der alten Stadt, direkt an einer schwarzen, breiten Gracht. Vor dem Haus gab es Parkplätze. In Amsterdam an den Grachten einen Parkplatz zu finden, ist nicht einfach und hier gab es ausreichend private Stellfläche. Das gibt es nicht für Touristen in der Stadt, wie sie und ich Amsterdam kennen. Es war hier auch nicht dieses pittoreske Amsterdam. Das Viertel wirkte dunkel und abweisend und jedes Haus hatte im Giebel eine große Türe mit einem Kranausleger in der Verlängerung des Dachfirstes. Hier war es nicht so, wie im Tingel–Tangel–Amsterdam. Das Viertel kam ganz ohne bunte Lichter aus und auch das gegenüber liegende Ufer stand, wie eine schwarze Wand. Uralte, historische Gebäude lagen parallel zur Gracht fast, wie in ihre Häuserzeile eingewachsen. Sie wirkten, wie eine Reihe spitzer schwarzer Zähne. Wir wurden auffallend schnell von einer reinen Herrenrunde empfangen, die auf seltsam altmodische Weise, festlich gekleidet war, mit Hals– und Einstecktüchern an Sakkos mit großen, goldenen Knöpfen, die mit Zeichen versehen waren. Es war eine Menge Herren, die in die Halle hinter der Pforte strömten. Ich habe keine Frau gesehen. Wir schienen eine Attraktion darzustellen, was aber keineswegs zu irgend einem Anflug von Herzlichkeit geführt hat. Ein geschäftsmäßiger Händedruck war hier und da möglich und nach dem Austausch einiger arg bemühter Standards, geleitete man uns sogleich in die uns zugewiesene Dachstube hinauf. Wir hatten keinen Hunger, keinen Durst, unterwegs haben wir genug von Allem gehabt, was man auf einer Reise braucht. Mit einem Dankeschön beantworteten wir die spärlichen Fragen nach unserem Befinden.

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Tiefes Trauma

Was mich auf dem Weg hinauf überwältigt hat, war von außen nicht einmal ansatzweise zu ahnen. Die erste Treppe war die längste Haustreppe meine Lebens. Es ging ungefähr, nahe der Senkrechten, fünfzehn Meter in die Höhe, mindestens. Das Treppenhaus selbst war unglaublich hoch. Seine Front, zur Gracht hin, war mit bunten Glasscheiben versehen, wie Fenster einer Kathedrale. Hinter diesen Scheiben sind wir aufgestiegen und wurden in buntes Zwielicht getaucht, das sich im tiefen Raum jenseits der Treppe schon wieder verlor. Dunkle, blutige Rottöne beherrschten den Aufstieg und ein dezenter, mit seltsamen Melodien geschmückter Dauerton, vermischte sich im Raum mit gedämpften Stimmen. Durchsetzt mit Lila und Violett führte der Weg über die Stufen. Weiter oben dräute das schwarze Loch eines Absatzes, an dem man atemlos eine Kehrtwende nehmen musste. Wir trugen kein kleines Gepäck. Die wenigen Lampen spendeten kaum Licht, als der Weg auf eine Art Galerie führte, einen schmalen Gang mit Holzbrüstung, die sich zur Halle hin öffnete. Hoch auf dem Absatz hatte man einen schwindelerregenden Ausblick auf Fenster und Treppenhalle, wie von einer Empore. Unten stand niemand mehr, der uns etwa nachgeschaut hätte. Während wir, schon außer Atem, zum nächsten Aufstieg geführt wurden, der hinter einer schweren Türe lag, hatten wir nur noch einen einzigen Begleiter. Die hinter uns Mitgegangenen verschwanden nacheinander, wortlos. Auf dem Absatz zur Galerie lag eine Türe und noch eine nebenan, um die Ecke herum. Am Ende der Galerie war auch eine und den Rest der Begleiter hat grußlos ein düsterer Gang verschlungen. Irgend einen Raum erhaschte ich sogar mal kurz mit vollem Blick. Drinnen saß an einem Tisch mit Spitzendecke eine uralte Tante vor Kaffeegedeck. Sie wischte mürrisch krümel vom Tisch. Ich kannte sie nicht doch ich wusste sofort, es war eine Tante. Die Türe wurde schnell wieder geschlossen, während sich unsere Blicke noch kreuzten. Es lag kein freundliches Willkommen darin. Sorge und Pein kamen herüber. Der letzte Begleiter fragte am Ende höflich, ob wir noch etwas bräuchten und für Handtücher, wie Bettwäsche sei gesorgt. Wir bedankten uns, angesichts dieses Entgegenkommens und sanken vollkommen platt von Fahrt und Aufstieg in die Betten.

Auch der Hund verschwand sofort unter meinem Bett. Ein müdes Wort wurde noch gewechselt, ein lauer Scherz und schon haben wir geschlafen. Der Raum war überraschend groß, mit einem Badezimmer, einer Wand voller Einbauschränke und gegenüber lag das große Fenster, im Giebel zur Gracht hin. Dort saß meine Schwester. Es war zunächst kein ungewöhnlicher Anblick, denn wenn man in Amsterdam an einer Gracht wohnen darf, dann geht man auch schon mal ans Fenster und schaut hinaus. Es war die Art, wie sie am Fenster saß, was mich während des Erkennens aus dem Halbschlaf gerissen hat. Wobei mir alles Blut in die Magengrube sackte obwohl ich lag. Ihre Beine hingen nach draußen, weit unten das Pflaster, und die nach hinten gestellten Arme hielten das Mädchen gerade eben so im Gleichgewicht. Ich fragte, so ruhig wie es nur irgend möglich war: „Nela, was machst du da?“ Sie antwortete seltsam schläfrig, in beunruhigender Gleichgültigkeit:„Keine Ahnung, ich bin so wach geworden. Was mache ich?“ Ich sagte: „Halte dich bitte fest!“, und sah ein Zucken in ihren Händen. Da war ich auch schon drüben, habe sie gepackt und ihr hinein geholfen. Es war kein Traum, doch wir taten so, als sei es einer gewesen.

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Finale furioso

Anschließend wurden Scherze darüber gemacht, wie sie dort mit ihrem dicken Bauch überhaupt hinauf gekommen ist. Wir ahnungslosen Naivlinge! Wenn einen große Erleichterung überkommt, wird man albern, anstatt sich Gedanken darüber zu machen, wie so eine unwirkliche Situation überhaupt entstehen kann. Weiter drüben lagen Nela und Pieter wieder in ihrem Doppelbett und hier vor der Wand zum Badezimmer, neben der Türe zum Gang hinaus, lag ich. Auf der anderen Seite der Zimmertüre begann die Riesenfront der Schrankwand, deren erste Tür leicht angelehnt, mit einem schwazen Spalt offen stand. Vor der Türe knarrte der Boden. Gedämpftes Murmeln war zu vernehmen. Ich schaute warnend zu Nela und Pieter hinüber und legte den Zeigefinger über meine Lippen, weil sie leise sein sollten. Draußen wurde es sofort ruhig. Wir kamen nicht auf die Idee hinaus zu gehen, um zu schauen. Den ganzen beschwerlichen Weg hinunter zu gehen, das wäre nicht im Entferntesten jemandem eingefallen. Wir wollten jetzt einfach besser aufpassen und Pieter schnarchte schließlich als erster. Gipsy, der Hund hatte in der Zwischenzeit eine gemütliche Runde um den Raum gedreht, hat sich ein Mal kräftig geschüttelt und ist mit einem Grunzen unter meinem Bett verschwunden. Mit einem Hund fühlt man sich hinreichend geschützt und warum sollte so ein Tier auch unruhig werden oder gar warnen, wenn sich jemand auf ein Fensterbrett setzt? Drüben beim Hochzeitspaar war alles ruhig und so war auch ich schnell wieder im Traumland. Ich fiel in einen unendlich tiefen Schlaf, aus dem ich durch das Winseln des Hundes wieder geweckt wurde. Ich konnte spüren, wie Gipsy unter dem Bett zitterte, wie sie im Schlaf rannte, was sich durch das Kratzen der Krallen auf dem Holzboden bemerkbar machte. Bevor ich die Augen öffnete war klar: Hier läuft was verkehrt und spürte auch schon einen stechenden Druck auf meiner Brust. Ich schaute auf einen Huf. Das Stück Horn. Blickte ein mit Fell behaartes, muskulöses Bein hinauf, weiter hoch über viel Fell im Schritt hinweg nach oben, in eine Teufelsfratze mit schwarzen Hörnern hinein. All das hing in einer Art Siegerpose an einem stämmigen, nackigen Oberkörper.

Der Hund unter dem Bett war außer sich. Er winselte, fiepste, kratzte und jaulte. Hier war etwas am Höhepunkt. Ich war über die Maßen empört, habe weit ausgeholt und dem Ding auf meiner Brust den härtesten Schlag verpasst, den ich je in meinem Leben abgesetzt hatte. Dabei habe ich in einer unglaublichen Verachtung, mich beinahe schäumend aufstemmend, ausgestoßen: „Hau ab, du blödes Arschloch!“ Während ich mich aus dem Bett warf, sprang das Ding auch schon wieder vom Boden auf, berappelte sich für den Bruchteil einer Sekunde, ungläubig seinen Körper betastend und hat einen langen Satz. mit peitschendem Schwanz in den weit aufgesperrten Wandschrank hinein gemacht. Darin lief es dumpf polternd davon. Es rumpelte einen langen, verborgen Gang entlang, an dessen Ende, weit weg, schließlich hörbar eine Luke zuschlug. Wie in Trance schloss ich den Schrank und ging im Zimmer auf und ab, um wieder zur Ruhe zu kommen. Der Hund drückte sich zitternd an meine Beine. Ich versuchte, ihn zu beruhigen und war selbst so aufgewühlt.

Das Paar war saß in seinem Bett, schaute mich besorgt mit großen Augen an und war überhaupt nicht im Bilde, was vorgefallen ist. Ich konnte nur stammeln: „Eben. Gerade. Der Teufel stand auf meiner Brust und ich habe dem Arschloch eine verpasst.“ Niemand wird ernst genommen, wenn er so etwas sagt. Aber weder Pieter, noch Nela haben Fragen gestellt. Sie wussten Bescheid und an Schlaf war nicht mehr zu denken. Gipsy ist zu mir ins Bett gekrochen. Sogar sie ist für den Rest dieser Nacht wach geblieben, was gar nicht mehr so lange dauerte, weil es dämmerte. Ich ging ein wenig später ans Giebelfenster und habe über die Gracht hinweg auf die Dächer der gegenüber liegenden Häuserzeile geblickt. Genau dort, auf einem glänzenden Dach in der aufgehenden Sonne, stand eine Hexe an einen Kamin gelehnt. Daneben, der bekannte Besen mit Quaste nach oben. Sie wirkte fast, wie eine Hexe aus Stroh und starrte zu uns hinüber. Mitten in Amsterdam. Wir waren ziemlich viel schneller wieder aus dem Haus draußen, als wir hinein gekommen sind. Weitgehend grußlos, denn es zeigte sich kaum jemand bei unserem überstürzten Auszug. Was wir danach noch in Amsterdam getan haben, entzieht sich meiner Erinnerung vollkommen. Pieter und ich hatten aber immer sehr verlässlich Spaß miteinander und mit jedem Prachtsohn mehr, wurde meine Schwester zum fruchtbaren Born des Clans und ihre Töchter seine Zierde.

Aussichten

Seit dieser Nacht muss ich die Schranktüre im Schlafzimmer immer schließen. Steht sie offen, kann ich nicht gut einschlafen. Vielleicht sollte ich in der nächsten Folge etwas von der Geisteraustreibung in der Deli von Devonport erzählen. Da muss ich aber erst die Kinder befragen, die Nichten und Neffen. Was meine Leser ganz besonders interessieren wird, ist natürlich der Teufelskreis im Garten unserer Großeltern. Aber das kommt alles viel später. Obwohl es früher passierte, als ich etwa sieben Jahre alt war. Nela ist jetzt aber viel interessanter und richtig begriffen habe ich all das mit ihr sowieso erst heute.

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