Erzähl' was Neues – IsteemCreated with Sketch.

in #deutsch8 years ago (edited)

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Erzählt mir mal was Neues, denke ich, während eine Gruppe junger Leute kichernd an mir vorüber zieht. Sie sind so stolz. Akribisch gestylt, wie es nur die ganz Jungen fertig bringen. Menschen, die sich vollkommen sicher sind einzigartig im Universum zu sein, Unikate. Dass sie genau so daherkommen, wie schon viele vor ihnen, können die Schönen im sicheren Hort ihrer Gruppe nicht erkennen. Selbst in der direkten Gegenüberstellung mit ähnlich gestylten Nachtschwärmern, würden sie sich einzig an ihrer eigenen Originalität berauschen, anstatt nur ein Quäntchen von der Uniformität zu bemerken, der sie alle auf den Leim gegangen sind. Sie sind keine unbeteiligten Beobachter, wie ich. Sie schlafen nicht in Parks, unter Brücken sondern stecken mitten im Pudding des Lebens und besitzen Dinge, die ich als Penner nicht kenne.

Erzählt mir was Neues! Das könnt ihr nicht, denn es gibt kaum noch was Neues. Als ich so jung war, hat es mindestens wöchentlich Neues gegeben, wenn nicht gar täglich, jede Stunde. Glaubt es, oder lasst es bleiben, fahre ich mit meiner inneren Ansprache fort und schiebe den Hut, in dem sich ein paar Münzen verirrt hatten, auf dem Pflaster des Bürgersteiges zurecht. Er rückt in eine scheinbar günstigere Position. Sie ist genau so gut oder schlecht, wie die zuvor. Die jungen Leute sind schon längst im Club hinter der nächsten Ecke verschwunden, während ich im Geiste noch immer zu ihnen spreche:
Das ist die reine Wahrheit und auch kein spezieller Verdienst von mir. Neues in Hülle und Fülle, pausenlos. Es war ein ganz seltenes Geschenk der Zeit an ihre Genossen. Als die Gesellschaft meiner Jugend plötzlich eine ganz andere wurde, hat kein Mensch auch nur ansatzweise vermutet, dass es ein außergewöhnliches Geschenk gewesen sein könnte, das man uns wieder wegnehmen wird. Ich war als junger Zwanzigjähriger tatsächlich der Annahme, falls ich in der ganzen Aufregung des tobenden Lebens überhaupt zum Nachdenken gekommen bin, die ganze Herrlichkeit sei eine logische Folge unserer blühenden Einzigartigkeit und eine Art gerechter Ausgleich für das triste Leben der Nachkriegszeit. Die Zeitgeschichte brachte während meiner Jugend unvermittelt Licht unter die Menschen und ungewohnt viel Farbe in das Leben aller offenen Geister. Wir glaubten schnell, einen Anspruch darauf zu haben.

Ich kann nicht aufhören, den Faden weiter zu spinnen und spreche im Kopf zu denen, die jetzt bestimmt schon längst Tänzer geworden sind: Das ist doch nun wirklich nichts Neues. Nackter Pimmel mit Arsch an einem Adonis auf traumhafter Insel, im TV zu bestaunen. So kannst du auch Bocuse lesen. Frischer Spargel an Frühlingskartöffelchen. In mir steigen fade Bilder auf, was man heutzutage im Fernsehen als neu zu feiern pflegt, während eine Münze im Hut klingelt. Eine Verbeugung, dann geht das Gezeter weiter. Wenn nackt normal ist, taugt es gerade noch zu sanitären Zwecken, wühlt es in meinem inneren Monolog. „Erotik ist dann perdu!“ Der Passant, der mir gerade die Münze in den Hut geworfen hat, war schon ein Stück weiter gegangen. Nun dreht er sich um und schaut mich versonnen an. Habe ich das gerade laut gesagt? Es ist egal, ob ich laut oder leise denke. Von mir will sowieso niemand irgend was wissen. Einen, der auf der Staße sitzt, fragt man noch nicht einmal nach dem Weg, wenn sonst keine Seele unterwegs ist. Ich bin noch immer nicht fertig: Ordinäre Prominente, die in einem Container um die Wette flatulieren und die Quote sekundiert mit drei Millionen, das ist auch nicht neu. Das hat bereits der Adel durchgespielt. In den Schlössern hing er Wochen lang mit seinesgleichen ab. Anbei Massen prominenter Denker und Künstler der Epoche und noch viel mehr Geld darum herum. All diese Versuche, dem Dasein im Überfluss der Macht, einen tieferen Sinn zu verschaffen, endeten immer im gleichen Sack, wo alles Öde die Zeit still stehen lässt. Was soll daran neu sein? Es gibt eine neue Nachtigall in einem Singwettbewerb. Sie trällert das Auditorium zu frenetischem Applaus. Es trampelt mit den Füßen auf dem Boden. Das ist neu. Sie trampeln jetzt auf Anweisung der Regie. Das Lied der Nachtigall war zwar schön, aber langweilig, tausend Mal Ähnliches gehört. Es ist nur ein kleines bisschen anders gewesen, als vorher. Ein neuer Krieg beherrscht die Schlagzeilen, aber was ist neu daran? Du kannst ihn weder stoppen, noch dort anfangen, wo es vielleicht sinnvoll wäre, wenn ein paar Menschen stürben. Was soll daran neu sein?

Wieder fällt eine Münze in den Hut und ich verbeuge mich. Der Platz vor dem Club ist nicht so schlecht. Ich sollte doch noch mal auf der Backpacker spielen, habe aber keine Lust mehr. Statt dessen geht das Kopfgewitter weiter: Das Universum verblasst, haben sie jetzt heraus gefunden. Na und? Es geht auch mit einem Knall wieder an, wenn' s zu dunkel geworden ist. In 'Game of Thrones', reitet die schöne Khaleesi den Drachen. Das war doch klar, also lass' es stecken. Immer die gleiche Geschichte von Gut und Böse. Diesmal mit wahrlich schönen Titten. Noch eine Münze klimpert im Hut und ich verbeuge mich. Neues Kommunikationsgerät ist auch nur eine Medienschnittstelle, neue Autos sind Fahrzeuge, neue Hochhäuser sind nur Gebäude, ein neuer Hit ist morgen alt, und neue Mode war bereits einmal alt, bevor sie wieder neu kam. Neue Intensität? Lass' gut sein. Echt. Lass‘ stecken. Ich meine, was richtig Neues, total was Anderes. Neu, wie der erste Sex. Neu, wie das allererste Mal Jimmy Hendrix sich in deinen Kopf bohrt. Vorher gab es ihn nicht und plötzlich ist er da. Ihr Kinder habt ihn bereits in tausend Varianten gehört, wahrscheinlich ohne zu wissen, dass es Hendrix überhaupt gab. Neues, wie der erste Morgen, meine ich. Wie das erste Mal Satisfaction, I can't get no…, die erste Demo, der erste Zeitungsbericht, der mich packte, das erste Sit-In, der erste Wasserwerfer. Der allererste Schrei von Jimmy Page. Neu wie: Was ist das jetzt schon wieder Geiles? Es gibt nicht mehr viel Neues, heute. Das Licht ist ausgegangen und unsere Kinder stehen einer dunklen Zeit gegenüber. Sie sagen neuerdings immer: Keine Ahnung, wenn sie dir was erzählen. Das ist unsere Schuld. Wir haben ihnen zu wenig erzählt.

Schon seit einer Stunde habe ich nichts mehr auf der Klampfe gespielt. Nachtbummler kamen in der letzten Stunde weniger vorbei. Wie jeden Abend um diese Zeit in der kleinen Großstadt. Ich könnte weiter machen, bis sie wieder aus dem Club heraus kommen. Dann ist vielleicht einer so besoffen, dass er mir einen Schein in den Hut wirft. Aber ich bin müde und nehme meinen Hut. Mit abschätzendem Blick auf die Einnahmen ist leicht zu erkennen, dass es morgen auch wieder kein Gras geben wird. Zuerst brauche ich neue Saiten. Für beides reicht das Geld nicht. Meine Hüfte ist kaputt, ich fühle mich zerschlagen, weil ich nicht weiß wie ich noch sitzen soll, ohne Schmerzen zu bekommen. Obwohl ich auf Platte wieder sagenhaft muskulös wurde, war heute nicht mein Tag. Keine Kondition mehr, denke ich und packe zusammen. Die alte, abgenutzte Backpacker, eine Gitarre für unterwegs und den kleinen Verstärker verstaue ich im Rucksack. Dann schultere ich das Paket, nehme die Krücke unter die Achsel, und schlurfe im Rhythmus aller unsichtbaren Versager zurück zu meiner Pappe. Tack, schlägt die Krücke, von der sich der dämpfende Gummistopfen längst verabschiedet hatte. Tapp, der rechte Wanderstiefel setzt sicher auf. Schleifend zieht das Bein der kranken Hüfte den linken Stiefel hinterher. Tapp, tack und Schleifen, beinahe endlos. Ich will nur noch schlafen, will endlich mit dem Denken aufhören. Tapp, tack, Schleifen. Ich will nicht mehr in diesem endlosen Monolog gefangen sein. Es war das Kichern, Das hat den Schalter umgelegt, den Gedankensturm ausgelöst. Tapp, tack und Schleifen. Als ich endlich zugedeckt in das Schwarz des Sternenhimmels blicke, geht der Rhythmus in mir weiter. Tapp, tack und Schleifen. So geht der Takt meiner letzten Tage.

Fortsetzung folgt, im Takt der deutschen Gilde.

Foto mit vielem Dank von Sitterphoto at Pixabay


Es handelt sich bei dieser Arbeit um einen Roman, den ich etwa vor vier Jahren begonnen habe. Das Bloggen des Materials zwingt mich vielleicht dazu, ihn endlich weiter und sogar fertig zu schreiben. Ich hoffe, ein paar Kritiker zu finden. Damit wäre schon viel erreicht. Als große Ehre empfände ich es, mit dieser Schreibe tatsächlich Leser zu gewinnen, die sich auf die Fortsetzung freuen.

Hier gibt es ein Hilfe–Menu für Anfänger Hilfe! Wie mache ich meine Texte schön?


Meine letzten Beiträge:
Land der großen, weißen Wolke – I
Land der großen, weißen Wolke – II
Land der großen, weißen Wolke – III
Land der großen, weißen Wolke – IV

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Ich lese deine Texte immer sehr gerne. Nur weiter so!

Ich danke Dir. Ach, wenn meine Frau das mal lesen würde! Aber dann wäre ihr auch nicht wohler. Das einzige, was meinen Arsch noch retten kann ist ein steigender Steem.

Das Gefühl kenne ich 😜

WIR SIND NICHT ALLEINE.

DAS ist doch mal ein sauber komponierter Text, @afrog, zwingt den Leser soagr zum konzentriert lesen. Ich freue mich auf die nächsten Teile.

@dirkzett, zahnloses und wunderbar kompliziertes Wesen, ich danke Dir für deine Konzentration. Hoppla, Elke hat angerufen. Ist schon fertig mit Schicht und ich muss sie abholen. Bis später.

Ey @dirkzett, ich hoffe Du bist nicht beleidigt. Ich habe das gelesen, was ich geschrieben habe und fühle mich jetzt gar nicht mehr so wohl wie in dem Moment, in dem ich es schrieb. Erst habe ich mich über Dich gefreut, dann hat Schwester Elke angerufen und ich konnte dich nicht weiter bauchpinseln. So alleine steht das „zahnlos, kompliziert “ arg provokant da, wie es überhaupt nicht Null Komma Nichts gemeint war. Es ist nur ein Echo Deiner letzten Story. Wie Du siehst: Die hat gesessen!

Warum sollte ich beleidigt sein? Ich bin doch glücklich darüber, (fast) zahnlos zu sein und in Kürze perfekt aussehende und nutzbare Kauwerkzeuge zu besitzen.
Und das Andere; auch das ist eher ein Geschenk. Außerdem fühle ich mich zu alt, mich zu verstellen oder mich auch nur dem Zeitgeist anzudienen. Und es amüsiert mich, mir die Gedanken meiner Leser vorstellen, wenn sie meinen Gedankensprüngen und links folgen :-) Nicht alles ist Wahrheit, nicht alles ist Dichtung.

Da fällt mir ein Stein vom Herzen. Chatten, replyen, Commenten, das alles nimmt mich emotional immer schwer mit. Es wurde schon so Vieles falsch verstanden.

Ja und je doller man es als Autor treibt, desto doller werden die Gedanken beim Leser. Das ist einer der großen Späße beim Schreiben und niemand kann dich einbremsen. Du kannst vom Leder ziehen, wie ein Berserker. Alles ist erlaubt und kein Gedanke muss verworfen werden, weil es ja die Figur im Stück ist, die denkt, spricht und handelt. Wo ist der Übergang zwischen utor und Kunstfigur? Wenn der Autor keine Anhaltspunkte preis gibt, bleibt das im Nebel. Ich empfinde das auch als sehr befreiend und gerade das macht ja auch die Spannung beim Lesen aus. Es hängt nicht alles am Verlauf der Story. Viel Genuss beim Lesen entsteht zu großem Teil zwischen den Zeilen, in zwei Köpfen: Dem des Lesers und dem des Autoren.

Das ist auch ein Spagat, denn der Text soll sowohl den Leser unterhalten, der nichts vom Autor weiß, als auch diejenigen, die den Autor sehr gut kennen.

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