In der Mühle

in #deutsch8 years ago (edited)

Alter–Osterbrunnen.JPG

In der Mühle wird das Korn gemahlen. Einst Existenz, belebtes Wesen, wuchs es in einem ganzen Feld Gleicher unter der Sonne heran. Es hat gekeimt und reifte schließlich. Was es erlebte mit Blatt und Ähre, hat das Wesen in jedes Korn gelegt, dass es wieder keime. Was Leben neu beginnen lässt in dem Geiste, der sich im Korn verborgen hat. Durch das Nichts hindurch gereist in einem Samen, geschaffen aus sich selbst. Geschaffen, sich der Herrlichkeit eines Lebens um diesen Stern herum hin zu gegeben. Das gelingt den Wenigsten. Auf diese Weise entstehen Sinnlosigkeiten wie, geteiltes Leid ist halbes Leid.

Im Stau

Wer am Morgen zur Arbeit fährt, kennt die Mühle. Es bedarf nicht großer Phantasie, sich selbst als Korn gemahlen vorzustellen, wenn man jeden Arbeitstag im Stau steht. Sogar in der Freizeit, wenn alle Anderen auch zuhause sind, staut es sich beim Einkaufen. Einer Albernheit im Radio folgend, schmeckst du am Morgen den letzten Toast nach. Ohne Illusionen über den Verlauf des Tages, stehst du schon am Abend wieder drin, voll geschafft. Ist die Arbeit wenigstens voran gekommen? In den meisten Fällen nicht. Schaute ich mich um, die Gesichter hinter den Scheiben wären so leer wie meins. Routine spiegelnd, noch der Rolle folgend, kommt es jetzt erst auf die Idee, den Schlips zu lockern und den Knopf an der Hose endlich zu öffnen. Nun stehst du auf der Straße und weißt genau, wie lange das noch gehen wird. Jahre. Du weißt, dass es kein Beamen gibt, bei der Bezahlung wird aber so getan, als existierte es schon. In der Werbung ist zu hören, Auto mache Spaß. Die Ampel steht auf Rot. Eine Bö packt dein Fahrzeug, schüttelt es kurz und Regen peitscht die Scheibe. Die Zeit im Transfer wird nicht bezahlt, im Gegenteil. Du unterhältst ein Fahrzeug, bist Gefahren ausgesetzt und immer in Gedanken. Gedanken des inneren Gauklers, der fröhliche Urstände feiert. Ein Blitz am Straßenrand hier, ein Ticket dort, Blechschaden vielleicht und Kratzer garantiert. Die Werkstatt anrufen, das Servicezeichen blinkt seit Zehntausend Kilometern. Die Abhängigkeiten staffeln sich ins Unermessliche. Das Auto schafft nochmal Zehntausend. Es kostet nicht nur Geld, zur Arbeit zu kommen. Es kostet Geld, überhaupt zu existieren und was da alles mit dran hängt. Die Zeit fällt einem da noch gar nicht ein. Man mag gar nicht daran denken und das Einzige, was beim Denken von Gedanken heraus kommt ist die Tatsache, dass es schon immer so war und der innere Gaukler der einzige ist, der das Leben versüßt . Dass Zucker schädlich ist, wissen wir.

Das Nichts

Aber es ist nicht Gegenstand meiner Betrachtung. Nicht der Gaukler, nicht der Stau. Darüber wundere ich mich nur. Nüchtern betrachtet, gehört mir Nichts. Wer das Nichts schon mal gesehen hat, weiß wovon ich rede. Ich schreibe, weil das Schreiben das Einzige ist, was ich besitze. Samen für Worte. Das Leben ist die Mühle und wir geben uns hin. Wer was vom Antizyklischen versteht weiß, wovon die Rede ist wenn ich erzähle, aus Frankfurt heraus gefahren zu sein, als die Anderen hinein fuhren und umgekehrt. Man kann darüber sicher viel Theoretisches schreiben, soziologisch ventilieren, psychologisieren, fiskal oder anthroposophisch spekulieren. Praktisch bedeutet Nichts zu sein für ein Individuum, dass es immer freie Bahn hat. Da es Nichts ist, gibt es auch keinen Widerstand. Du kannst Nichts sogar erleben. Wenn du schläfst und keine Träume hast, war Nichts zu sehen.

Zweitausend und ein Bankier

Zweitausend, Ronan Keating lebte das Leben als Roller Coaster neu im Radio, als ich für einen schwedischen Bankier gearbeitet habe. Vorneweg: Es war ein sehr schönes, aufregendes Leben. Zu der Zeit war die Dotcom–Blase gerade erst heimlich am Platzen und 9/11 war auch noch nicht in Sicht. Amüsante Zeiten mit dicken Schlitten und großer Spur. Der Bankier kam auf schlanken, blauen Slippern ohne Socken. Prall in ein Sommerleibchen gehüllt, mit Koffer voller Geld. Angekommen in seinem blauen Zweisitzer BMW Achtfuffzig oder gar Achtfünfundsiebzig. Aus Goldketten–Ibiza eingeschwebt, erschien er in unserem PC–Laden und meinte, er brauche eine professionelle Computeranlage für seine Bank. Eine Anlage, die alles kann. „Mit Server und Schrank?“ „Mit welcher Software?“ Mit allen Tricks und Komfort! Software war egal. Ob wir einen Safe hätten? Der stand fett und mannshoch im Büro und war eigentlich keine Frage. Die drei silbernen Riegel blitzten versteckt im schweren Stahlmantel seiner blauen Tür. Den Koffer möge mein Chef doch bitte in Verwahrung nehmen. Er diene der Sicherheit und wir würden später abrechnen und bar bezahlt werden. Im Koffer lagen, schön gestapelt, Bündel mit Geld und er wurde wieder verschlossen. Es ist mir entfallen, welche Währung da gerade galt, wechselten Währungen doch gerade. Das spielt aber auch gar keine Rolle, bei der Masse. Ich war Vertriebsdirektor. Der Titel war größer, als die ganze Firma, aber der Schwede gehörte mir.

Der Chauffeur

Der Bankier hat in der Nacht gehandelt und am Tag geschlafen. Ich war IT–Joe und Mädchen für Alles. Telekom, Provider, Telefon, Internet, Server und Client waren meine Sache, wie beinahe alle lästige Lieferanten, und als Chauffeur waren meine Dienste ebenfalls gefragt. Als gelernter Taxifahrer fühlt man sich dabei nur noch glücklich und an Barem war kein Mangel . Zunächst war ich von der PC–Firma abgestellt für seinen persönlichen Bedarf. Den hatte nicht nur der Bankier. Er hatte auch eine süße, rumänische Freundin die immer „Trallali-Trallala“ mit herrlich rollendem R sang und sie nannten sich „Honey“. An meiner Computer–Anlage in der Kaiserstraße hätten hundert Clients hängen können, tatsächlich war es nur ein alter Schwede. Ein Computer–Imperium im Schrank, das ein ganzes Sekreteriat dominierte, in dem nie ein Mensch gesessen hat, außer mir und dem Hausmeister. Ich wurde oft gebraucht und die Firma, in der ich zuvor Sales Director gewesen bin, ging bald pompös unter. Da war der Koffer aber längst draußen. Mein Job war jetzt eine Bank mit Bloomberg–Frontend, einem Server, einem Chef und sonst gar Nichts. Schwedische Privatbank in der Kaiserstraße. Haus im Taunus. Ganz tief im Wald versteckt mit Kurven um die Hügel herum und dunklen Tannen im Garten.

Ach du Dickes

Wenn ihr weiterhin fröhlich bleibt, meine lieben Steemer, werde ich euch Geschichten vom Bankier erzählen. Eigentlich war er ein schwedischer Elitesoldat, Fallschirmjäger , der für die unglaublichsten Geschichten gesorgt hat. Seine erste Geschichte hätte vielleicht mit den schwitzigen Händen meines damaligen Systemhaus–Chefs begonnen, beim Verschließen des Safes vor aller Augen. Aber der Schwede ist besser. Der innere Gaukler ist Samen aller Geschichten, die vom Leben gemahlen werden und im Laufe eines Lebens kommen eine Menge Gaukler zusammen.

Bild: die Landfrauen Bruchköbel schmücken ihren Osterbrunnen. Womit ich im Vorgriff auf Ostern wohl der Gewinner wäre. Oder hat schon einer…?


Just a Frog in the Steem of whales,

der seine ersten Zweitausend Steem feiert. Geschaffen aus dem Nichts.

Hier gibt es ein Hilfe–Menu für Anfänger Hilfe! Wie mache ich meine Texte schön?

Vor Kurzem erschienen: Land der großen, weißen Wolke I, II, III, IV und V.


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Faszinierende Geschichte, und ja ich möchte mehr von dem alten Schweden hören und wie es in der Banker High Society wirklich zugeht.
Andererseits glaube ich nicht, dass das Leben wirklich so leer und sinnlos ist, wie es einem hin und wieder erscheinen mag.

Hallo @evehuman, ich danke Dir. Ich habe aber gar nichts geschrieben von leer und sinnlos. Muss doch noch mal nachlesen…

Sorry, ich glaube ich hab das hier falsch verstanden:

Schaute ich mich um, die Gesichter hinter den Scheiben wären so leer wie meins.
Und die Betrachtung über das "Nichts" hab ich auch nicht ganz verstanden. Das "Nichts" erinnert mich an die "Unendliche Geschichte" von Michael Ende, und da ist es Wort für die absolute Leere, die totale Zerstörung einer Welt, wenn auch einer Fantasiewelt. Und Bastian musste das Nichts überwinden, in dem er an sich selber glaubte, an die Macht seiner eigenen Fantasie.

Du musst dich für Nichts entschuldigen, @evehuman. Ich danke dir, dass du dich mit meiner Mühle beschäftigst. Es gibt in meinen Texten keine Pflicht zum korrekten Verstehen, wobei ich selbst oft nicht ganz verstehe, worauf das Eine oder Andere hinaus laufen soll. Also freue ich mich, dass man überhaupt etwas verstehen kann. Ich schreibe die meisten Texte innerhalb ganz weniger Stunden, ohne jedes Konzept, schaue nur darauf, dass sie an einem roten Faden hängen. Was in ihnen entsteht, ist dem Zufall überlassen und folgt kaum einem Plan. Ich selbst habe nur sehr wenige Klassiker unserer Literatur gelesen. Sollte mein Nichts an das von Herrn Ende erinnern, ist das der reine Zufall.

„Nichts“ ist bei mir kein Synonym für etwas. Es steht für Leere und ich habe auch geschrieben, wo du sie etwa finden kannst, im „Schlaf ohne Traum“. So gab ich einen nachvollziehbaren Anhaltspunkt, wie dieses Nichts zu begreifen ist. Ob es eine Bedrohung ist, das liegt im Betrachter selbst, der dieser Inhaltslosigkeit gewahr wird. Ich sehe es, ganz leidenschaftslos, als den Antipoden von Entitäten und Angst macht es mir auch keine.

Vielleicht erscheint mir das "Nichts" als eine Bedrohung, genau weil mich das Wort allein, groß geschrieben, an die "Unendliche Geschichte" und dessen zerstörerische Macht dort erinnert.
Dein "Nichts" ist dann eher eine Art von Frieden, und aus diesem "Nichts" kann man auch wieder erwachen.
Und doch erscheint mir die Leere in den Augen der Menschen als etwas Schmerzhaftes, als ob man sich selbst verliert.
Wenn ich irgendwohin fahre und meine Augen in die Ferne starren, und ich fast nichts von meiner Umgebung wirklich sehe, dann ist doch im Inneren keine Leere, sondern mein Kopf ist voller Gedanken und Träume. Ich habe vielleicht den Kontakt zur realen Welt und zu den anderen Menschen verloren, aber mir selbst bin ich dann am Nächsten.
Und wenn ich Leute sehe, deren Augen in die Leere zu starren scheinen, dann nehme ich an ihnen geht es genau so in dem Moment. Auch wenn sie mich zur Zeit nicht sehen, dann sehen sie doch etwas tief in sich.

Es geht nicht um Kommunikation, Nähe oder Ferne. Versuche nicht, dem Nichts eine Bedeutung zu geben. Vermeide das. Der innere Gaukler ist die Instanz, die uns aktiv vom Nichts fern hält, das in jedem von uns wohnt. Das macht er so gut, dass er uns selbst im Schlaf noch Bilder anbietet, die wir ihm bereitwillig abnehmen, um sie zu Träumen zu verspinnen.

In beinahe jeder Lehre, die zu einem erweiterten Bewusstsein führt, beginnt man damit, diesen inneren Gaukler zum Schweigen zu bringen. Dafür gibt es nahezu zahllose Übungen. Um sich überhaupt in die Lage zu versetzen, des Nichts gewahr zu werden, muss man üben und es soll sich angeblich lohnen. Es gibt sogar einen Guru, einen Meister, der uns nahe legt, das Nichts zu befragen, wer es sei, wenn wir ihm gegenüber stehen. Bei vollem Bewusstsein, versteht sich. Darüber schreibe ich, wohl wissend, dass ich dabei ein blutiger Anfänger bin. Tatsächlich verfügt aber nahezu jeder Mensch über ein ganz natürliches, spontanes Verständnis dieser Vorgänge.

Naja, bei mir hapert es mit dem Verständnis ein bisschen.
Vielleicht liegt's daran, dass ich den inneren Gaukler auch nicht zum Schweigen bringen möchte.
Er liefert oft ziemlich gute Vorstellungen ab. Er zeigt mir die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft, sogar eine Zukunft in der ich längst nicht mehr auf Erden weile, sei es im Stil eines Horrorfilms oder in einer Geschichte mit einem ganz kitschigen Happy End.
Manche seiner Vorstellungen bringen mich zu einem Lächeln, andere zum Weinen oder zum Zittern.
Meditieren für mich, ist der Weg zu Gott, und Er ist das "Alles". Und abgeleitet von ihm bin ich auch nicht "Nichts" sondern ein geliebter Teil des Großen und Ganzen.
Sicher, auch in meiner Religion gibt es die Erinnerung an das Nichts, die Aschermittwochformel:
"Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zum Staube wieder werden wirst."
Aber der Aschermittwoch ist nicht das Ende der Geschichte. Er ist der Anfang eines Weges, der über die Verzweiflung des Karfreitag führt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?", bis in die dunkle Gruft. Und auch dort ist er nicht zu Ende, denn dann kommt Ostern.
Vielleicht erweitert diese Sichtweise mein Bewusstsein nicht auf die Weise, wie die östlichen Religionen es sehen, aber andererseits muss jeder Mensch seinen eigenen Weg finden, denke ich.

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