[DE] Konstruktivismus, 6/7, Soziologische Varianten des Konstruktivismus

in #de-stem6 years ago

Entsteht Wirklichkeit ausschließlich im sozialen Prozess?


Das ist Teil 6 meiner 7-teiligen Serie über das Thema Konstruktivismus.

Teil 1, 2, 3, 4, 5

Im 5. Teil bin ich auf zwei populäre Einwände, die vor allem den radikalen Konstruktivismus betreffen, eingegangen: den Vorwurf, eine "erkenntnislose Erkenntnistheorie" zu sein, also keine Objektivität bieten zu können, sowie die Beliebigkeitsthese.

Im 6. Teil stelle ich die erweiterte Theorie des sozialen Konstruktivismus anhand des kommunikativen und des empirischen Konstruktivismus vor.

Soziologische Varianten des Konstruktivismus

Wir haben gesehen, dass der radikale Konstruktivismus auf den Einwand der Beliebigkeitsthese mit der Möglichkeit des Abgleichens der eigenen Wirklichkeitsauffassung mit der von anderen psychischen Systemen antwortet.

Trotz der Zugeständnisse, die der radikale Konstruktivismus in seiner soziologischen Variante an eine (mögliche) Außenwelt macht, verharrt er als "epistomologischer Solipsismus" in der Meinung

daß alle meine Aussagen über diese Wirklichkeit zu hundert Prozent mein Erleben sind.

Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.) (1987) Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 92003: 35.

Um die Theorie des radikalen Konstruktivismus weiterhin konsistent zu halten, muss aber der Status, den andere für das psychische System haben, untersucht werden. Die Frage muss also lauten: Wie kann der Abgleich der eigenen Wirklichkeitsauffassung mit der anderer psychischer Systeme von statten gehen und gleichzeitig weiterhin eine Aussage über die Ontologie vermieden werden?

Der soziale Konstruktivismus

Die These des sozialen Konstruktivismus lautet: Wir konstruieren Wirklichkeit ausschließlich im sozialen Prozess.

Der soziale Konstruktivismus stützt sich nicht wie die Autopoiesis-Theorie auf die Subjektivität als einzigen Bezugsrahmen für die Wirklichkeitskonstruktion, sondern behauptet in seiner radikalen Variante (Gergen, Berger/Luckman, Frindte), dass Realität ausschließlich im sozialen Diskurs entsteht.

Wenn Menschen keinen subjektiven Wirklichkeitsbegriff erzeugen können, sondern dieser ausschließlich über den Abgleich mit anderen hergestellt wird, ist aber wiederum nicht zu erklären, wie es jemals dazu kommen konnte, dass Individuen in einer Gruppe einen gemeinsamen Begriff von Wirklichkeit erzeugten.

Wäre es tatsächlich so, könnte man dem sozialen Konstruktivismus vorwerfen, dass er sich zu seiner eigenen zirkulären Voraussetzung macht (petitio principii, Inanspruchnahme des Beweisgrundes). Das ist freilich nicht der Fall. Erkennbar wird das aber erst, wenn man sich den Weg des Menschen zur Gesellschaft ansieht.

Der Weg des Menschen zur Gesellschaft

Der Mensch wurde im Laufe der Evolution in die möglicherweise verhängnisvolle Lage versetzt, über sich selbst zu reflektieren. Das heißt, es wurde ihm möglich, aus mehreren Handlungsalternativen zu wählen, wenn es ein Problem zu lösen gab.

Jeder Handlungsalternative liegt aber auch eine Wirklichkeitskonstruktion (ein Sinn) zugrunde. Da der Mensch erfahren hat, dass verschiedene Handlungsstrategien zum Ziel führen können, musste er sich grundsätzlich unschlüssig darüber sein, welche Handlungsstrategie er seinem Handeln zugrunde legen sollte, wenn er nicht scheitern wollte. Durch die Kontingenz konnte ein kohärentes Weltbild nicht aufrechterhalten werden.

Es reichte also nicht mehr eine valide Handlungsstrategie aus den vielen erlernten Möglichkeiten auszuwählen. Weil er sich durch das Auftreten der Kontingenz der miteinander konkurrierenden Realitätsdefinitionen, die allen Handlungsstrategien zugrunde liegen, bewusst wurde.

Er brauchte eine neue Sinn vermittelnde Komponente, die ihm Aufschluss darüber gibt, welche Wirklichkeitskonstruktion (bzw. Realitätsdefinition) er für das Lösen eines bestimmten Problems zugrunde legen sollte.

Diese sinnvermittelnde Instanz ist die Gesellschaft. Dort, wo man sich in sozialen Systemen auf eine Handlungsweise zur Problemlösung geeinigt hatte, konnten Individuen ihre zahlreichen Realitätsdefinitionen aufgeben und mit der sozial bestätigten Realitätsdefinition ersetzen.

Gleichzeitig wurden die frei gewordenen Hirnkapazitäten dazu benutzt, parallele Handlungsstrategien und die ihnen zugrunde liegenden Realitätsdefinitionen für einen späteren Gebrauch abzuspeichern.

Allein im Dschungel: Soziale Rejektion

Die Theorie darf jedoch nicht dahingehend ausgeweitet werden, dass es dem Menschen ausschließlich Vorteile bringt, sich einer bzw. mehreren Gruppen anzuschließen. Da das Individuum in der Moderne als Schnittstelle mehrerer sozialer Systeme fungiert, sieht es sich mehreren heterogenen Lebenswelten ("Parallelwelten") ausgesetzt.

Es spaltet sich im Zuge dessen in mehrere persona (Rollen bzw. Masken) auf. Das heißt auch, dass es Anteil an mehreren konkurrierenden Lebenskonzepten hat. Ist es ihm nicht möglich, diese miteinander zu vereinbaren, kann das zu einer Krise führen, da es seinem Handeln fortan kein kohärentes Weltbild mehr zugrunde legen kann.

Soziale Aussteiger

Peter Hejl führt als eine mögliche Folge einer solchen Krise die Ablehnung aller angebotenen Alternativen ("soziale Rejektion") an, wie wir sie beispielsweise im sozialen Aussteiger finden.

Die Theorie, dass die Teilhabe an sozialen Systemen immer von Vorteil ist, ist bei zunehmender Komplexität der Gesellschaftssysteme also äußerst fragwürdig.

Der Verlust einer objektiven Wahrheit ist das Kernproblem des postmodernen Bewusstseins.

Gergen, Kenneth J. (1990): "Construction Of Self In The Postmodern Age". Psychologische Rundschau. Volume 41, Issue 4. 191-199: 191.

Eine Gesellschaftstheorie, die sich nur auf die sozial konstruierte Realität stützt und dem Einzelnen keinen Gestaltungsspielraum mehr ermöglicht, läuft also Gefahr, sich selbst zu demontieren. Adorno und Horkheimer haben diesen gefährlichen Zustand in Die Dialektik der Aufklärung sehr schön mit dem Satz zusammengefasst:

Man hat nur die Wahl, mitzutun oder hinterm Berg zu bleiben.

Horkheimer, Max; Adorno, Theodor W. (1947): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M. 1998: Fischer: 156.

Der kommunikative Konstruktivismus

Kommunikation ist unwahrscheinlich.

Anschaulich wird der soziale Konstruktivismus erst dort, wo subjektives Wissen übertragen wird, um als intersubjektives Wissen in den Kulturkreis einzugehen und zu kollektivem Wissen zu werden. Da wir Wissen sprachlich weitergeben, musste zeitgleich mit dem Aufkommen von Kultur auch Sprache entstanden sein.

Doch auch in der Sprache gibt es einen Konstruktivismus. Es ist nicht möglich, wahrzunehmen, was jemand objektiv sagt, sondern nur, was man selbst (systemintern) konstruiert. Wir referieren beim Sprechen also nicht auf den tatsächlichen Sinn, also eine zugrundeliegende Weltsicht, sondern auf eine Handlungsweise, der ein Sinn bzw. eine Weltsicht lediglich (als unkommunizierbar) zugrunde liegt.

Spiegeln am Anderen (Strukturdeterminismus, Reziprozität der Perspektiven)




Der kommunikative Konstruktivismus überträgt das Postulat der Systemgeschlossenheit der Autopoiesis-Theorie von Maturana und Valera auf die Kommunikation zwischen zwei Menschen.

Kommunikation im Sinne eines Informationsaustausches wie etwa beim Sender-Empfänger-Modell von Shannon-Weaver findet aufgrund des Strukturdeterminismus nicht statt. Man kann sich das so vorstellen als würden sich zwei Spiegel gegenüberstehen: Jedes psychische System reagiert auf den Reiz, den es vom Gegenüber erfährt, mit geänderter Wirklichkeitswahrnehmung und gibt diese über einen Reiz (die Sprache) wieder.

Der Äußerung einer Handlungsstrategie wird aufgrund dieses Koppelungsprozesses ein Sinn subjektiv „untergeschoben“ und als „objektiv“ institutionalisiert. Damit findet der Sinn Eingang in das kollektive Wissen.

Dieses wird wiederum in Zeichen übersetzt und von den Individuen übernommen. Fortan können sich Individuen darüber verständigen, welche Handlungsstrategie mit einem zu lösenden Problem in Beziehung gebracht wird.

Das können sie, obwohl das der Handlungsstrategie zugrunde liegende Konstrukt der Wirklichkeit (der Sinn) als Institution nicht objektiv ist. Der mit der Handlungsstrategie verknüpfte Sinn gibt die „dahinterliegende“ Ontologie nicht objektiv wieder. Objektivität hat das Wissen vor allem dadurch, dass Problemlösungsverfahren als soziale Institutionen bzw. Paradigmen in das kollektive Wissen eingegangen sind.

Der empirische Konstruktivismus

Der empirische Konstruktivismus geht davon aus, dass die Naturwissenschaften nicht Realität, sondern nur (bis jetzt) stabile Beschreibungen der Realität (Theorien) (er)finden.

Der empirische Konstruktivismus löst sich von Institutionen und geht davon aus, dass Objektivität nur noch situativ durch wissenschaftliche Beobachtung gestiftet wird. Gegen den empirischen Konstruktivismus ist deswegen eingewendet worden, soziale Institutionen zu übergehen.

An die Stelle sozialer Institutionen treten allerdings Normen, Evidenzen und Kriterien, die auf der Beobachterebene zweiter Ordnung aus der Beobachtung der Beobachterebene erster Ordnung gewonnen wurden. Diese beobachteten Differenzen gehen als Theorien (sozusagen manifest gewordene Einheiten) bei zukünftigen wissenschaftlichen Beobachtungen in einen Pool bereits vorhandener Normen, Kriterien und Evidenzen des jeweiligen Wissenschaftsbetriebs mit ein.

Letztere sind, weil sie ihrem Ursprung nach einem sozialen System entsprangen (einer bestimmten Wissenschaft, die auf ihren eigenen Glaubenssätzen aufbaut und einem Wissenschaftsbetrieb unterliegt), nicht letztbegründbar und daher nicht objektiv.

Die so gewonnenen Annahmen tragen aber dazu bei, stabile Aussagen über die Klassifikation von Gegenständen aufzustellen (also z. B. etwas über die Art zu sagen, wie ein Gegenstand beschaffen ist). So entstehen Theorien, die auf Konstruktionen beruhen, weil sie nicht als ontologisch wahr vorausgesetzt werden dürfen, solange es möglich ist, dass eine Theorie mit höherer Konsistenz diese ablöst.

Letztere Erkenntnis führt zur Selbstverpflichtung der empirischen Wissenschaften zum Theorienpluralismus.

Nächstes Thema: Zusammenfassung und Ausblick


Literatur

  • Dietrich Busse (1995): Sprache, Kommunikation, Wirklichkeit, in: Fischer, Hans R. (Hrsg.). Die Wirklichkeit des Konstruktivismus: Zur Auseinandersetzung um ein neues Paradigma, Heidelberg: 253 - 265.
  • Fischer, Hans R. (1995). Sprache und Wirklichkeit. Eine unendliche Geschichte, in: Fischer, Hans R. (Hrsg.). Die Wirklichkeit des Konstruktivismus: Zur Auseinandersetzung um ein neues Paradigma, Heidelberg.
  • Watzlawick, Paul 82005: Wirklichkeitsanpassung oder angepasste Wirklichkeit?, in: Glasersfeld, Ernst von, Foerster, Heinz von, Watzlawick, Paul. Einführung in den Konstruktivismus, München: 89 - 107.
    Schmidt, Siegfried J. (Hrsg.) (1987) Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt am Main 92003.
  • http://studienseminar.rlp.de/fileadmin/user_upload/studienseminar.rlp.de/bb-nr/fl-grafik/Sozialwissenschaften/Sozialkonstruktivismus-HorstSiebert.pdf
  • Kenneth J. Gergen, Mary Gergen: Einführung in den sozialen Konstruktionismus, Heidelberg 2009.
  • Matthies, Ellen: Sozialer Konstruktivismus - eine neue Perspektive in der Psychologie, in: Siegfired J. Schmidt (Hrsg.) Kognition und Gesellschaft: Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2, Frankfurt am Main 1991.
  • Wolfgang Frindte: Radikaler Konstruktivismus und Social constructivism, in: Hans R. Fischer: Die Wirklichkeit des Konstruktivismus, Heidelberg 1995.
  • Peter Hejl: Konstruktion der sozialen Konstruktion, in: Heinz von Foerster (Hrsg.), Ernst Glaserfeld (Hrsg.) et al.: Einführung in den Konstruktivismus, München 1985.
  • Paul Feyerabend: Erkenntnis für freie Menschen, Frankfurt 1980.
  • siehe auch Literaturangaben im ersten Teil der Serie

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09.04.2018 UTC + 1

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Woohoo! Platz 8 in den de_stem-Trends. Ich danke euch für eure Unterstützung. Insbesondere danke ich dem Team von de-stem um @sco für ihre Geduld und ihr Vertrauen!

Alter Schwede! Das war jetzt doch harter Tobak :) Umso mehr freut es mich das du dir die Mühe gemacht hast das alles zusammenzuschreiben!

Zum Glück hab ich immer was zum schreiben rumliegen, sonst würd ich glatt den Faden verlieren. Aber der Reihe nach.

Zum sozialen K.:

Ist nicht die erste Sinnvermittelnde Instanz die Familie, bzw. dir Großfamilie/Sippe? Gerade wenn man primitive Kulturen betrachtet. Von "Gesellschaft" ist da nicht viel zu sehen. Wobei wieder die Frage wäre, was denn eigentlich eine Gesellschaft sein soll. Ich vermute mal es dürfte sich unm einen Begriff, ähnlich dem Bürger oder Untertan, handeln.
Die genannten Parallelwelten spielen auf die Subkulturen an? Kann es sein das man hier (der Fachbegriff will mir nicht einfallen) Gegenwärtiges auf Vergangenes projeziert?
Denn, vergleichbares gab es natürlich früher auch. Nur fassten sich die Menschen immer als Teil von etwas Größerem auf, was sie heute nicht mehr oder immer weniger tun.
Und Aussteiger gab es schon immer, Stichworte Einsiedler, Eremiten, von Mönchen ganz zu schweigen.

Mir ist in dem Abschnitt allerdings etwas aufgefallen das mich sehr fröhlich stimmt. Nämlich, dass ich kein moderner Mensch bin, allerdings auch kein konservativer :) Find ich gut!

Zum kommunikativen K.:

Was ich hier nicht ganz verstehe ist, warum der gesamte Kontext mit dem Fragen nicht berücksichtigt wird. Ich habe das so verstanden, dass einer etwas sagt, der andere hört es, denkt für sich darüber nach und drückt sich dann aus. Das mag zwar rein formal sich so abspielen, nur warum sollten die Menschen sich nie über ontologisches Gedanken machen? War nicht gerade das die Geburtsstunde der Philosophie?
Und der letzte Absatz ist für mich auch etwas problematisch. Wie soll ein kolletives Wissen möglich sein, wenn alles rein subjetiv ist? Und es auch keine Objetivität gibt, zumindest nicht als letzte Instanz?
Hier stützt scheinbar eine Theorie die andere.

Zum empirischen K.:

Da hätte ich dann eine grundsätzliche Frage, die mir bei deinem Post gekommen ist. Kann es sein, dass diese ganze Theorienansammlung (und streng genommen ist es ja nichts anderes, wenn man das Postulat der Subjektivität stehen lässt) nur möglich ist weil man heutzutage nicht mehr verifiziert sondern statt dessen falsifiziert?
Mir kommt das nämlich langsam so vor als ob man sich immer wieder was neues konstruiert, nur um die eigentliche Theorie nicht aufgeben zu müssen.

Entschuldige das der Kommentar etwas lang geraten ist.
Ich wünsche dir noch einen angenehmen Abend.

Da muss ich jetzt auch erstmal drüber nachdenken ;)

Die Frage

Wie soll ein kolletives Wissen möglich sein, wenn alles rein subjetiv ist?

beantworte ich aber im Text ziemlich direkt: Man einigt sich sozusagen auf eine Handlungsstrategie, der ein "Konstrukt der Wirklichkeit (ein Sinn)" zugrunde liegt, der zwar als Institution einen, die Menschen verbindenden, Charakter hat, aber trotzdem nicht objektiv ist. Man findet sozusagen über die vielen konkurrierenden Handlungsoptionen zueinander und beschließt, eine gemeinsame anzuwenden, aber man einigt sich in Wahrheit nicht wirklich, weil das dahinter liegende Konstrukt (die ontologische Erklärung dafür, warum es überhaupt funktioniert) unkommunizierbar ist. So habe ich es zumindest verstanden.

Warum sollten die Menschen sich nie über ontologisches Gedanken machen? War nicht gerade das die Geburtsstunde der Philosophie?

Der Konstruktivismus, besonders der radikale Konstruktivismus löst sich ja exakt von diesen ontologischen Fragen. Das sind für ihn sozusagen nur Gedankenspiele, Spekulation. Der Konstruktivismus würde nicht leugnen, dass man sich über ontologische Fragen Gedanken machen und diese auch besprechen kann, aber alle Aussagen über diese Fragen haben keinen Wahrheitswert. Sie sind alle wahr genauso wie sie gleichzeitig alle unwahr sind.

Kann es sein, dass diese ganze Theorienansammlung (und streng genommen ist es ja nichts anderes, wenn man das Postulat der Subjektivität stehen lässt) nur möglich ist, weil man heutzutage nicht mehr verifiziert, sondern statt dessen falsifiziert?

Die Frage verstehe ich nicht so recht. In den empirischen Wissenschaften macht man ja immerzu beides. Man stellt eine Theorie auf und prüft sie, indem man einen bestimmten Versuch aufbaut. Andere müssen in Tests mit den selben Versuchsaufbauten zu den selben Ergebnissen kommen können. Wenn dies eines Tages nicht mehr klappt oder man im Zuge ähnlicher Experimente plötzlich zu anderen Ergebnissen kommt, muss man die Theorie entweder korrigieren oder wieder fallen lassen.

Ich verstehe dich jetzt so, dass du annimmst, die emp. Wissenschaften würden Theorien nur noch widerlegen (wollen). Das kann ich mir so nicht vorstellen. Aber ich bin auch kein emp. Wissenschaftler.

Grundsätzlich noch eine Art inneres Bild, das ich in Bezug auf emp. Wissenschaften und spekulative Wissenschaften (Philosophie) habe: Die empirischen Wissenschaften gehen immer von außen an die Wahrheit, das Absolute heran und kratzen hin und wieder an ihm. Trial and Error. Die Philosophie, die Religion und die Künste befinden sich immerzu in der Wahrheit, aber ohne es wirklich "nach außen tragen" zu können. Sie haben ihre bestimmten Ausdrucksformen. Die höchste Form des Ausdrucks, die meiner Meinung nach Möglich ist, ist der Begriff wie Hegel ihn verstanden hat (sich selbst gleich und auch nicht gleich, sich entwickelnd, immer in der Wahrheit seiend, unabhängig davon, ob der Betrachter/Denker ihn durchdrungen hat, eine in sich unabhängige Instanz). Doch mit diesen Dingen will der Konstruktivismus eben nicht operieren. Er "weigert" sich sozusagen, das Spielchen mitzuspielen. Er ist sozusagen so etwas wie ein Religionskritiker, der darauf pocht, dass wir unser momentanes Weltwissen nur aus Beobachtungen und bestenfalls Wissenschaften, Experimenten und Co. ziehen können. Aber dieses Weltwissen ist äußerst fragil, eben wegen des Postulats der Systemgeschlossenheit. Das Problem ist, dass Menschen trotz allem das Bedürfnis nach "Mehr" haben und ständig metaphysische Fragen stellen wie "Was ist Schönheit?", "Was ist Glück?", "Gibt es Gott?" usw. Ich finde persönlich selbst die emp. Wissenschaften in gewisser Weise als kaltherzig, weil sie damit nichts zu tun haben wollen. Aber es gibt natürlich auch Naturwissenschaftler, die an Gott glauben und metaphysischen Fragen gegenüber aufgeschlossen sind. Es ist ja nicht jeder Naturwissenschaftler Konstruktivist. Aber aus meiner Sicht argumentiert der eine oder andere Naturwissenschaftler ein wenig "metaphysikfeindlich".

Ist nicht die erste Sinn vermittelnde Instanz die Familie, bzw. dir Großfamilie/Sippe? Gerade wenn man primitive Kulturen betrachtet. Von "Gesellschaft" ist da nicht viel zu sehen. Wobei wieder die Frage wäre, was denn eigentlich eine Gesellschaft sein soll. Ich vermute mal es dürfte sich um einen Begriff, ähnlich dem Bürger oder Untertan, handeln.

Was die erste Sinn vermittelnde Instanz ist, ist aus meiner Sicht jetzt nicht so relevant für die Theorie. Ich denke, es wird im Laufe der Evolution einen Punkt gegeben haben, an dem der Mensch anfing über sich selbst reflektieren, er wurde bewusster. Ich denke spätestens als homo sapiens sapiens. Sobald er "seine Innenwelt verlassen konnte" wurden alle anderen homo sapiens sapiens für ihn zur Sinn vermittelnden Instanz. Ich habe Gesellschaft gewählt, aber ja, es ist vielleicht nicht die beste Wortwahl.

Zu diesem letzten Thema gibt es noch ein paar interessante Theorien wie die, dass der Mensch bis er sich über sich und die anderen bewusst wurde, nur nachgeahmt hat, was er bei anderen gesehen hat. Weil er keinen Zugang zu höheren Bewusstseinsebenen und schon gar nicht so irgendwelchen metaphysischen Entitäten, Göttern oder ähnliches hatte, konnte er seinen Handlungen nichts darüberliegendem / Sinn behaftetem zuordnen. Er tat sozusagen Dinge, ohne zu wissen warum. Aber dieses Thema ist bei mir recht lange her, das habe ich nur mal so am Rande gestreift. Ich kann es daher hier auch nicht länger ausarbeiten.

Danke für deine ausführlichen Antworten.

Wenn ich dich also recht verstehe, dann bräuchten wir einen anderen Begriff als den des Wissens. Denn, Wissen setzt ja voraus, das etwas ist. Und zwar objektiv. Wenn ich mich nur darauf einige, was ist, können wir uns auch irren, oder sogar lügen (hier möchte ich auf das Hermeneutische Wahrheitsproblem verweisen).
Man müsste dann ja den Konstruktivismus eher als Glauben den als Wissenschaft bezeichnen, denn, er setzt etwas voraus das man nicht überprüfen kann, und zwar nicht wissenschaftlich überprüfen kann! Gleichzeitig behauptet er, er habe recht.
Das schlägt auch den Bogen zur Falsifikation. Ich meinte damit die Wissenschaftstheorie nach Sir Karl Raimund Popper.
Ursprünglich war es in der Wissenschaft üblich, wenn man eine Theorie aufstellt, gilt sie so lange als ungültig, bis sie bewiesen wurde. Das nennt man Verifizieren. Trial and error, hat nur bedingt etwas damit zu tun. Denn, dazu ist keine Verstandesleistung von Nöten, sprich , kein Reflektieren.
Seit Poppers Zeiten jedoch, hat man das ganze umgedreht (böse Zungen könnten auf die Umdeutung aller Werte verweisen). In den Naturwissenschaften hat sich das klarerweise nicht wirklich durchgesetzt, in den Geisteswissenschaften jedoch schon (gibt es die in der BRD noch?, in Österreich wurden die schon abgeschafft, bei uns gibt es nur mehr Gesellschaftswissenschaften). Man Falsifiziert. Das bedeutet, eine Theorie ist solange gültig, bis sie wiederlegt wurde. Dies ist, meiner Meinung nach, die einzige Möglichkeit gewesen, den postulierten Pluralismus retten zu können.
Denn jetzt kann ich mir alles konstruieren, was ich will, ohne es je beweisen zu müssen. Im Grunde ist das Willkür in Reinkultur. Meiner Meinung nach hat das dann eben mehr mit einem Glauben als mit einer Wissenschaft zu tun.

Und das die Menschen ein Bedürfniss nach mehr haben, würde ich jetzt nicht als Problem bezeichnen. Wie schrieb Aristoteles:"Alle Wesen streben von Natur aus nach Wissen." Der Mensch willl eben alles wissen. Und warum auch nicht? Wenn das in unserer Natur steckt, ist das unser Wesen. Wenn das unser Wesen ist, sind nicht wir das Problem, sondern der Konstruktivismus der unser Wesen beschränkt (im Sinne von, nur eine Seite der Medaille).

Ebenfalls danke für deine Gedanken! Mit dem modernen Wissenschaftsbegriff hatte ich mich noch nicht so intensiv auseinandergesetzt. Von daher konnte ich noch etwas dazulernen, danke!

Wenn ich dich also recht verstehe, dann bräuchten wir einen anderen Begriff als den des Wissens. Denn, Wissen setzt ja voraus, das etwas ist. Und zwar objektiv.

Ich sehe Wissen eher unter dem Aspekt "gangbare/viable Informationen". Ich finde, wir sollte die Unterscheidung zischen Subjekt und Objekt, also uns und unserer Außenwelt in einigen Teilen aufgeben. Wir beobachten sie ja nicht nur, wir beeinflussen sie auch direkt. Schon in der romantischen Literatur (z. B. "Aus dem Leben eines Taugenichts", Joseph von Eichendorff), aber sicher auch davor schon, bildete die Umwelt den Gemütszustand des Protagonisten/Helden ab. Ich glaube, das ist nicht nur ein Stilmittel, sondern sagt auch etwas über unsere Welt aus. Ich persönlich würde mir wünschen, dass wir das wieder oder zumindest mehr anerkennen.

Ich verfolge so einige Diskussionen im Internet, habe aber aufgehört, mich an ihnen zu beteiligen. Darin sind sich die Akteure dieser Zusammenhänge nicht immer bewusst. Sie argumentieren immer wieder wie empiristisch arbeitende Wissenschaftler, die eine gewisse Form der Eigendynamik in dem Zusammenspiel Subjekt - Objekt, die von außen nicht hinterschaubar ist, nicht anerkennen, weil sie sich zu sehr in ihrem "Ich habe beobachtet / gelesen / faslifiziert / verifiziert..." feststecken und auch, weil sie vergessen haben, dass eine Diskussion im Internet über konkrete Lebensfragen wichtige Aspekte des menschlichen Zusammenlebens, die wir zum Aufbau von Nähe und Vertrauen brauchen, ausblendet. Hier findet keine echte Kommunikation mehr statt (falls es die überhaupt gibt). Das ist sehr schade. Mein Gefühl sagt mir, dass wir uns an vielen Stellen schon in einem Zirkel befinden, der sich selbst kontrolliert und aufrechterhält. Wie eine Echokammer. Na ja, soviel zu meiner Beobachtung. Vielleicht hast du ja schon Ähnliches erlebt. Ich für meinen Teil werde immer skeptischer und folge da auch ganz klar der Position von @erh.germany hier auf steemit.

Einen schönen Dienstag wünsche ich dir!

Ich denke, dass würde ich so unterschreiben.

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