Debunk-Dienstag – Der Mythos des Alphamännchens

in #de-stem6 years ago

Jeden Dienstag werde ich einen bestimmten Mythos, eine Urban Legend, Verschwörungstheorie oder ein Stück Pseudo-Wissenschaft thematisieren. Dieses Mal müssen die Männer unter meinen Lesern besonders stark sein: Wenn ihr euch jemals als „Alphamännchen“ betrachtet habt, werdet ihr es vermutlich nicht mögen, was die Wissenschaft euch darüber erzählen kann.


Ich bin alpha, gehorcht mir

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Ich dachte von mir selbst immer, dass ich AAF sei – alpha as fuck (das ist eine komplett erfundene Abkürzung, aber als ein Alpha kann ich neue erschaffen, wann immer mir verdammt nochmal der Sinn danach steht). Obwohl mein physisches Erscheinungsbild nicht das respekteinflößendste ist (Dwayne Johnsons Bizep ist immer noch ein (kleines) bisschen größer als meiner), kompensiere ich das damit, ein unglaublich arroganter, selbstgerechter Wichser zu sein. Die meiste Zeit jedenfalls. Es sei denn, ich liege gerade heulend in den Armen meiner Freundin, weil irgendjemand im Internet gemein zu mir war und ich damit nicht umgehen konnte. Aber 99,9% meiner Zeit werde ich euch gegenüber super direkt sein, jeden eurer Fehler aufzeigen (denn ich habe schließlich keine) und auf jede Konfrontation zugehen, die es gibt. Und wenn es keine gibt, werde ich mit Sicherheit eine herbeiführen. Denn das ist es schließlich, was Alphamännchen tun. Wir sind geborene Anführer, dominant, aggressiv, laut, ungehobelt, arrogant und weit über herkömmlichen Narzissmus hinaus.

Es gibt da allerdings ein kleines Problem mit dieser Art des Verhaltens und Denkens: Die grundlegende Idee, auf der das alles basiert, ist kompletter Bullshit. Ihr seid nicht AAF, der Typ, der eure ehemalige Freundin gestohlen hat, ist es nicht und sogar ich muss zugeben, dass ich wahrscheinlich nicht einer der wenigen Übermenschen (1) (Friedrich, es tut mir SO leid, dich erneut zu enttäuschen!) bin, wovon ich lange überzeugt war.
Oh man, was für aufregende Zeiten.

Aber wie ist das passiert? Warum gehört der Begriff des Alphamännchens zum Allgemeinwissen so vieler Menschen? Hat wirklich niemand je dieses Konzept an sich hinterfragt? Glücklicherweise können wir einen Blick auf die Geschichte des Begriffes werfen und wie viel Wahrheit tatsächlich darin steckt.


Seid nicht dieser Typ

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Die gesamte Idee des Alphamännchens basiert maßgeblich auf der Forschung von L. David Mech (2) (obwohl der Begriff bereits von Rudolf Schenkel im Jahr 1947 genutzt wurde), der 1970 dieses Konzept einer breiteren Öffentlichkeit mit seinem Buch The Wolf (3) bekanntmachte. Darin erschien es, dass ein Wolf die grundlegenden Entscheidungen für die ganze Herde traf. Dieser wurde als der dominanteste, stärkste und demnach mächtigste aller Wölfe der Herde beschrieben, was ihm die Fähigkeit verlieh, dieses anzuführen. Das Problem des Buches war, dass seine Idee auf den Beobachtungen von gefangenen und unverwandten Wölfen basierte, was allerdings keine gute Repräsentation des wölfischen Verhaltens in freier Wildbahn darstellte. Als der gute Wissenschaftler, der er war, erkannte Mech einige Jahre später seinen Fehler und veröffentliche eine Studie, in welcher er den Begriff des Alphamännchens wieder verwarf. Er erklärte, dass die typische Wolfsherde eher als Familie betrachtet werden sollte, wo Dominanz eine recht ungewöhnliche Zurschaustellung von Macht war. Lediglich bei der Nahrungsverteilung verhielten sich Eltern dominanter, um sicherzustellen, dass auch die jüngsten Nachkommen genug bekamen. Unterwerfung war daher auch hauptsächlich eine Geste, um ein größeres Stück Fleisch zu erhalten und weniger Zeichen einer Hierarchie (4).

Nun könntet ihr anmerken, dass selbst wenn es keine Beweise für die Hypothese von Alphamännchen bei Wölfen gibt, das nicht ebenso für Primaten (also auch Menschen) gelten muss. Ich mag kritisches Denken, aber muss euch erneut enttäuschen.
Tatsächlich haben Foster et al. (2009) (5) diesen Aspekt genauer untersucht. Sie beobachteten das Verhalten von Schimpansen und wie dieses ihre Dominanz im Vergleich zu anderen Gruppenmitgliedern beeinflusste, welches sie an die Spitze der Hierarchie setzte. Moment, was? Jetzt gibt es plötzlich Dominanz und Hierarchie?
Sicherlich, aber um an die Spitze zu gelangen, nutzten die beobachteten Schimpansen Strategien, die wir normalerweise nicht als alphamännchentypisch bezeichnen würden. Tatsächlich war es so, dass den meisten reine physische Stärke fehlte, was sie allerdings dadurch kompensierten, indem sie wesentlich mehr Zeit investierten, andere Männchen zu entlausen, unabhängig deren Ränge. Selbst nachdem die beobachteten Tiere ihren Status als Alphamännchen erreicht hatten, behielten sie ihre ehemaligen Entlausungsangewohnheiten bei, vermutlich um ihre Position zu festigen. Es erscheint fast so, als wäre der nette Typ zu sein eine Möglichkeit, an die Spitze der Nahrungskette zu gelangen.

„Haha! Aber ich weiß, dass Schimpansen nicht unsere nächsten Verwandten sind, also ist ihr Verhalten nicht ähnlich zu unserem!“
Nun, ja. Da hast du recht. Unsere nächsten, genetischen Verwandten sind Bonobos. Die in einer matriarchalischen Gesellschaft leben. Willst du wirklich, dass ich weiter in diese Richtung gehe, du starker Kerl? Dachte ich mir.

Obwohl Mech die Idee des Alphamännchens zurückzog, war der Schaden bereits angerichtet.
Menschen sind Primaten, aber nicht jeder Primat ist ein Mensch. Unsere Gesellschaften und dementsprechend das Verhalten sind wesentlich komplexer. Dean Burnett (6) argumentiert, dass Verhalten immer zwischen verschiedenen Kontexten variiert. Ein Typ, der in einer Bar mit all seinen Errungenschaften angibt, um Frauen zu beeindrucken, ist womöglich ein frustrierter Angestellter, der nicht imstande ist, seinem Chef die Stirn zu bieten. Dominanz und Unterwerfung schließen sich nicht zwangsläufig aus, was die Annahme vernünftig macht, dass etwas wie ein universelles Alphamännchen (jemand, der sich die ganze Zeit dominant, aggressiv, direkt, etc. verhält) sehr unwahrscheinlich ist.
Manchmal ist ein Rüpel einfach nur ein Rüpel.


Die harte Wahrheit

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Ich weiß, das mag für einige von euch ein Schock sein. Ich war selber überrascht, als ich verstanden habe, dass ich nicht AAF bin, sondern einfach nur ein Arschloch. Nun, man kann wohl nicht immer gewinnen, nicht wahr?
Wahrscheinlich nicht. Aber das eröffnet neue Möglichkeiten. Einfach mal nett sein zur Abwechslung. Wie wir sehen können, hat das oft seine Vorteile. Das Witzige dabei ist, dass ein netter Mensch zu sein, tatsächlich evolutionäre Vorteile haben kann. Es gibt einiges an Forschung darüber was eine gesunde und stabile Beziehung ausmacht. Persönlichkeitseigenschaften wie Vertrauenswürdigkeit, Güte und Humor zählen zu den besten Anzeichen dafür. Stabile Beziehungen neigen dazu, häufiger Kinder zu produzieren, was ein klarer Hinweis auf reproduktive Fitness ist.
Vor ein paar Jahren habe ich mal jemanden sagen hören „Nette Typen kommen als Letztes“. Ich weiß nicht, ob das wahr ist, aber soweit ich das beurteilen kann, kommen nette Typen, um zu bleiben.


Fühlt euch jederzeit frei, meine Ideen zu diskutieren und eure Gedanken über die Dinge, die ich thematisiere, zu teilen. Niemand ist allwissend und wenn wir alle ein bisschen klüger als zuvor daraus hervorgehen, werden wir eine Menge erreicht haben.
Danke fürs Lesen und seid nett.
Ego


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Falls ihr euch für Wissenschaft begeistern könnt, dann schaut unbedingt unter #steemstem bzw. #de-stem vorbei!


Quellen

(1)https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbermensch
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/L._David_Mech
(3) Mech, L. David. (1981). The Wolf: The Ecology and Behavior of an Endangered Species
(4) Mech, L. David. (1999). "Alpha status, dominance, and division of labor in wolf packs". Canadian Journal of Zoology. 77 (8): 1196–1203. doi:10.1139/z99-099. Archived from the original on December 14, 2005.
(5) Foster, M.W. "Alpha male chimpanzee grooming patterns: implications for dominance "style"". American Journal of Primatology. 2009.
(6) https://www.theguardian.com/science/brain-flapping/2016/oct/10/do-alpha-males-even-exist-donald-trump


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Vielen Dank für die Arbeit, damit endlich die Wahrheit ans Licht kommt @egotheist :D
An manchen Stellen hab ich mich köstlich amüsiert und ala Australische Schwarze Witwe Kopfkino gehabt 😂
Das interessante ist, dass im WWW das AAF-Syndrom nochmals eine gaaaanz andere Bedeutung impliziert - aber selbst dort entpuppt es sich früher oder später?

Auf die aufklärerischen Beiträge der Verschwörungstheorien, welche vom Godfather of Verschwörungstheorien Axel Stoll mit "wissen die wenigsten" verbreitet hat, bin ich gespannt!

Liebe Grüße.

Gerne :)

Auf die aufklärerischen Beiträge der Verschwörungstheorien, welche vom Godfather of Verschwörungstheorien Axel Stoll mit "wissen die wenigsten" verbreitet hat, bin ich gespannt!

Haha, ja, da kommen sicher auch noch irgendwann ein par Dinge^^

Hach, schön, dass das endlich mal einer klar gestellt hat!
Jetzt können sich die ganzen "Alphamännchen" vielleicht mal ein bisschen entspannen! Und womöglich noch zu netten Typen werden.

Obwohl ich mir nicht sicher bin, dass nette Typen bleiben....
😃

Jetzt können sich die ganzen "Alphamännchen" vielleicht mal ein bisschen entspannen! Und womöglich noch zu netten Typen werden.

Man darf die Hoffnung nicht aufgeben, bei mir hat es ja auch irgendwie ganz gut geklappt :)

Na wenns bei dir geklappt hat, lässt das hoffen!!!!! 😅
Ich bin hocherfreut!! 😊

ein schöner artikel, danke sehr.
eventuell genügt es ja die definiton vom alphatier mal zu überdenken. nicht ohne grund delegieren wir viele verantwortungsvolle aufgaben an personen, die wir für fähig halten. da zählen dann verlässlichkeit und güte aber auch mal stärke gegenüber anderen. wie die da hinkommen ist teilweise sehr unterschiedlich, es geht aber trotzdem um macht. sei diese durch körperliche stärke, was sicher beim nächsten nickerchen verhängnisvoll sein kann, oder durch die ansammlung von sympathien und guter reputation.

eventuell genügt es ja die definiton vom alphatier mal zu überdenken. nicht ohne grund delegieren wir viele verantwortungsvolle aufgaben an personen, die wir für fähig halten. da zählen dann verlässlichkeit und güte aber auch mal stärke gegenüber anderen.

Sehen ich bzw. die zugehörige Sozialpsychologie ähnlich. Bestimmte Persönlichkeitseigenschaften sind in unterschiedlichen Situationen mal nützlicher, mal hinderlicher. Aber das, was sich die meisten unter einem Alphamännchen vorstellen, trifft das häufig nicht und das ist ein Problem.

Ich persönlich bin ziemlich davon überzeugt, dass es eine gesunde Mischung aus Nettheit (asoziale Narzisten mag niemand) und AAF (es muss ja auch mal was voran gehen) braucht.
Und komm mir jetzt nicht mit Argumenten! ;-)

(asoziale Narzisten mag niemand)

Es wird dich vielleicht erschrecken, aber ich habe tatsächlich schon gegenteilige Erfahrungen gemacht :D

Aber ja, grundlegend gebe ich dir Recht - es kommt auf eine ausgeglichene Balance von Charaktereigenschaften an. Extreme sind häufig problematisch.

ich kenne auch ein paar sehr nette asoziale Narzisten..^^

Super mega toller Artikel! :)
schöne Selbstreflexion^^
altruism for the win

super spannend, Reppa erzählen den Kindern aber anderes :D

Alphamännchen (die es ja trotzdem gibt) sind ja auch die einzigen zur Zeugung berechtigten oder die die ihr Recht auf Zeugung durch infantizid durchsetzen. Wird ja schon allein dadurch ausgeschlossen, dass wir keine Paarungskämpfe haben, dann wenn man erst alle anderen totprügeln muss um eine Familie zu gründen, dann wenn man in die Häuser anderer geht und den Nachwuchs auffrisst.

Bei jugendlichen in der Schule sieht man meiner Meinung trotzdem was zählt, Materielles, Physis und Aussehen. Wer klein, schwach und hässlich ist wird ganz sicher nicht viel zu sagen haben und da machen die lieben Mädchen keine Ausnahme. Später wird das ganze nur dekonditioniert weil man sich fast nur noch über Kariere oder ideologisch ausdrückt, hauptsache in einer künstlichen Hierarchie was zu sagen haben. Sozial Media keine Ausnahme, da heißt es nur Einfluss und nicht Macht oder Dominanz. PS. der Genderkram ist m.M.n. auch nur ein Machtspiel von selbst ernannten Alpha-Weibchen

super spannend, Reppa erzählen den Kindern aber anderes :D

Als bekennender Hörer von Rap, kann ich das bestätigen :)

dann wenn man erst alle anderen totprügeln muss um eine Familie zu gründen, dann wenn man in die Häuser anderer geht und den Nachwuchs auffrisst.

Die Vorstellung ist irgendwie lustiger als sie sein sollte :D

Bei jugendlichen in der Schule sieht man meiner Meinung trotzdem was zählt, Materielles, Physis und Aussehen. Wer klein, schwach und hässlich ist wird ganz sicher nicht viel zu sagen haben und da machen die lieben Mädchen keine Ausnahme.

Stimmt schon, das liegt aber v.a. auch daran, weil sich Menschen unfassbar einfach beeindrucken lassen. Von dir beschriebene Attribute können kurzfristig häufig Vorteile bringen, bei langfristiger Konsistenz sieht es da aber oft anders aus.

PS. der Genderkram ist m.M.n. auch nur ein Machtspiel von selbst ernannten Alpha-Weibchen

Würde ich nicht so pauschal sagen. Der Begriff Gender kann ja in verschiedenen Kontexten verwendet werden. Ich persönlich bin z.B. kein Freund von gegenderter Sprache, allerdings ist es durchaus so, dass Menschen mit dem falschen biologischen Geschlecht geboren wurden und sich dann ausgesprochen unwohl fühlen, wenn man das nicht anerkennt. Ich denke, da muss man einfach entsprechend zwischen realen Problemen und Schimären differenzieren.

Was für ein beta-Männchen Artikel :D Cheers!

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