Der Reset Button meines Lebens - Genesungstagebuch 2017 – Teil 10

in #deutsch8 years ago (edited)

Land in Sicht!


22. August 2016. Wir erreichen Venedig auf dem Seeweg. In der Mitte sieht man den Markusturm. Das Gebäude davor ist der Dogenpalast.


Nationalbibliothek, Markusturm, Dogenpalast vom Wasser aus gesehen. 22.08.2016.


Vor der Basilika di San Marco, Markusplatz, Venedig, Italien. 23. August 2016. Ich plante zeitnah einen Reisebericht auf Steemit zu veröffentlichen. Das Leben zwang mich jedoch, zunächst andere Prioritäten zu setzen.

Die Erinnerung an meinem Segelurlaub im August 2016 beschränkt sich heute nur auf die drei obigen Fotos. Zu Intensiv waren die Ereignisse der letzten vier Tage:

Heute schreiben wir Samstag, den 21. Januar 2017. Tag t-4.

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus, Dresden

Vergangenen Dienstag (t-8) hat meine Frau Sabine mich, wie geplant, in die Uni-Klinik Dresden gefahren. Ich wurde auf der Station für Knochenmark- und Stammzelltransplantation aufgenommen. Näheres dazu hier.

Mittwoch, 18. Januar 2017, t-7. Am Morgen krächzte ich wie ein Rabe. Meine Stimmbänder sind belegt, ich muss Husten. Hoffentlich entwickelt sich keine ernsthafte Erkältung daraus, dann müssten wir abbrechen. Ich will das aber jetzt durchziehen! Ansonsten ist der Tag voller Termine (und Wartezeiten): Lungenfunktionstest, Physiotherapie, Atemtraining, Knochenmarkpunktion (wieder ein mal) und Termin beim Kieferchirurgen zur Nachuntersuchung. Zwischendurch habe ich kaum Zeit zum Essen gefunden, geschweige denn zum Schreiben. Manche Leute glauben tatsächlich, im Krankenhaus wäre es langweilig.

Donnerstag, 19. Januar 2017, t-6. Ich schreibe in der Nacht und veröffentliche am frühen Morgen Teil 9 meines Genesungstagebuches. Beim morgendlichen Wiegen stelle ich fest, das ich ein paar Kilo zugenommen habe. In meiner Situation ist das SEHR GUT. Ab heute werde ich konditioniert.

Lasst mich das erklären: für Mittwoch, den 25. Januar 2017 ist die, mein Leben rettende Stammzellentransplantation geplant (Tag 0). Ein passender, freiwilliger Spender wurde glücklicherweise gefunden. Er ist männlich, lebt in Deutschland und wiegt 88kg. Mehr darf ich aus Datenschutzgründen nicht wissen. Ist aber auch egal, die Hauptsache die genetischen Merkmale der Stammzellen stimmen überein. Und das tun sie. Zu 100%. Ich bin ein echtes Sonntagskind. Könnt ihr nachprüfen: *03.01.1960.


Blutzellen. Von links nach rechts: Erythrozyt, Thrombozyt, Leukozyt. Bildquelle: Wikipedia, Lizenz: Gemeinfrei

das große Update

Allerdings müssen meine eigenen blutbildenden Stammzellen, egal ob krankhaft verändert oder noch gesund, vorher weg. Nur dann haben die übertragenen fremden Stammzellen eine Chance sich in meinem Knochenmark anzusiedeln und ein neues, gesundes Blutbildungs- und Immunsystem zu installieren.

Daher erhalte ich seit eben diesem Donnerstag, den 19. Januar intravenös Chemotherapie verabreicht. Die Dosis ist zunächst gering, wird aber in den nächsten Tagen gesteigert. Ziel: meine eigenen Stammzellen komplett abtöten. Das wird hart. Deswegen auch die Isolierstation. Ich habe dann für ein paar Tage NULL Abwehrkräfte gegen Keime, keine schützende Schleimhaut mehr im Mund, werde unter Übelkeit und Appetitlosigkeit leiden. Schmerzen haben und Haare lassen. Letzteres ist dabei das geringste Übel. Diese unumgängliche Vorbereitung dauert bis 24. Januar und nennt sich Konditionierung. Ein zu schönes Wort für eine gewaltige Tortur.


Chemotherapie - sanfter Start

Auch nach der erfolgreichen Stammzellentransplantation wird es noch mindestens 14 Tage dauern, bis das neue Immunsystem seine Arbeit merklich aufnimmt. Seid bitte geduldig, falls ich in dieser Zeit längere Schreibpausen einlegen muss.


Das Einführen eines Schlauches (ZVK) durch die Halsvene bis kurz vor die Herzkammer wird mit diesem Ultraschallgerät überwacht.

Am Nachmittag des selben Tages bekomme ich noch einen Zentralen Venenkatheter (ZVK) gesetzt. Das ist ein dünner Schlauch, der durch die Halsvene bis kurz vor das Herz geschoben wird. Kurz vor der Herzkammer werden die über diesen Schlauch eingebrachten, teilweise ziemlich aggressiven Medikamente am schnellsten verwirbelt und mit Blut verdünnt. Außen hat der ZVK mehrere Anschlüsse, um Infusionen zu verabreichen und/oder Blut zu entnehmen, ohne jedes mal neu stechen zu müssen.


Der Zentrale Venenkatheter, kurz ZVK, hat mehrere "Einfüllstutzen". Hier ist die Eintrittspforte in die Halsvene nur durch eine farblose Klebefolie geschützt.

Freitag, 20. Januar 2017, t-5. Ich werde um 7:00 Uhr geweckt. Blutentnahme. Dieses mal aus dem ZVK. Wie angenehm.


Blutentnahme aus dem Zentralen Venenkatheter. Ohne stechen.

Nachdem ich mich im Bad erfrischt habe, Frühstücke ich reichlich. Bemerke, dass sich mein Mund wieder ein Stückchen weiter öffnen lässt. Fein. Da passt jetzt noch mehr rein. Das will ich ausnutzen, brauche ich doch Reserven für die vor mir liegenden Wochen. Ich bitte die Hostess, mir noch 2 Scheiben Brot zu bringen und öffne eine mitgebrachte Konserve mit Truthahnfleisch.
10:00 holt mich die Physiotherapeutin, Schwester Christine ab, um mit mir zu trainieren. Es gibt hier einen kleinen Fitnessraum mit Stepper, Fahrradergometer und Zugseil-Gerät. An letzterem trainiert Christine meine Arm- und Beinmuskulatur. Damals im Fitnessstudio hatte mir so was nie Spaß gemacht. Unter Christines professioneller Anleitung und Motivation schon. Ich hab jetzt einen personal Fitness Coach :-).

11:00 schaue ich mal kurz ins Internet. Was gibt es neues auf Steemit und Facebook? Da steht auch schon ein Pfleger vom Krankentransport neben mir. Er soll mich abholen und ins Haus 27 bringen zum Herz-Ultraschall und EKG. Hatten wir erst vor kurzem, aber was soll's. Leider muss ich dort 1/2 Stunde warten bis ich endlich dran bin. EKG ist voll in Ordnung; der Ultraschall sagt, mein Herzmuskel ist leicht verdickt. Wohl eine Folge von meinem etwas erhöhtem Blutdruck. Nicht beängstigend und vor allem zum jetzigen Zeitpunkt nicht meine Baustelle. Zurück ins Haus 66 gehe ich zu Fuß.

Mittagessen. Ich wähle Kochfisch mit Senfsoße und Kartoffeln. Dazu frisches Obst. Die Senfsoße verfeinere ich mit ordentlich Butter, die habe ich vom Frühstück übrig.


Chemotherapie: Busulfan in 0,9 Prozentiger NaCl Lösung.

Nach dem Essen folgen die Infusionen. Nun, da ich einen ZVK habe, muss der auch herhalten. Zuerst 106 ml Fludarabin, das gleiche, relativ sanfte Mittel, welches ich gestern schon erhielt. Danach 515 ml Busulfan, das muss ein stärkerer Tobak sein. Noch stecke ich es gut weg. Die Nebenwirkungen zeigen sich wohl erst Tage später, hab ich irgendwo gelesen. Dann folgt eine Spülung mit Elektrolyten während die Stationsschwester schon 2 Einheiten Erythrozyten-Konzentrat vorbereitet und Dr. med. Krüger die Kreuzprobe macht. So vergeht der frühe Nachmittag.

15:30 Uhr kommt Sabine mich besuchen. Wir haben uns einen Nachmittag lang viel zu erzählen. Deshalb höre ich jetzt erst einmal auf zu schreiben...


Ein kleiner Gruß von zu Hause: Blick auf unsere Terasse

Heute Morgen schickte mir Sabine noch einige Fotos per WhatsApp. Die möchte ich euch nicht vorenthalten: Deutschland - ein Wintermärchen.

Ich habe Krebs. Einen ganz speziellen. Die blutbildenden Stammzellen im Knochenmark sind betroffen. Konkret: am 29. Juli 2016 wurde bei mir Hochrisiko-MDS RAEB-II diagnostiziert. Ohne die Hilfe der modernen Medizin eine absolut tödliche Krankheit.
So weit ich dazu in der Lage bin, werde ich regelmäßig an meinem Genesungstagebuch schreiben. Sollte sich mein Zustand mal vorübergehend verschlechtern, müsst ihr auf die Fortsetzung eventuell ein paar Tage warten :-)
Mit diesem Genesungstagebuch will ich nicht nur über meine Fortschritte (und eventuelle Rückschläge) berichten. Vor allem möchte Menschen in ähnlichen Situationen Mut machen. Egal ob sie selbst oder Angehörige bzw. Freunde betroffen sind.

Fortsetzung, 11. Teil: Abschied und Neubeginn

Die vorhergehenden Artikel findest du hier:

  1. Teil: Auf der Isolierstation der Hämatologie - Was passiert da eigentlich in meinem Körper?
  2. Teil: Auf "Am Wind Kurs" - Geburtstag feiern im Krankenhaus
  3. Teil: Die 72 Stunden Regel - Endlich nach Hause
  4. Teil: Prüfungen, Vorfreude und das Tal der dunklen Schatten
  5. Teil: Das Meer ruft - Ab in den Süden
  6. Teil: Club Nautique - Die Maus auf dem OP-Tisch
  7. Teil: Was bitteschön ist Steemit!? - 33. Hochzeizstag
  8. Teil: Leben mit MDS - Ich wünsche mir Zeit
  9. Teil: Russisch Roulette - Entscheidung fürs Leben

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Lieber Thomas,
Ich wünsche dir weiterhin viel Erfolg bei deiner Behandlung. Ich bin froh, dass du uns über diesen Weg auf dem Laufenden hältst und gleichzeitig auf eine schöne Art uns die Problematik näherbringst. Du hast wirklich ein Talent zum Schreiben und Geschick verschiedene Lebensabschnitte und Themen zu kombinieren… weiter so!
„Und immer eine Handbreit Wasser unter dem Kiel!“
Alles Gute,
Katharina

Hallo Katharina,
Vielen Dank für deinen Kommentar. Jetzt muss ich aber erst mal rückfragen. Du bist doch ganz sicher DIE Katharina E., meine Segelfreundin aus Dresden? (Ich kenne nämlich mehrere Katharinas.) Schön, das du hier her gefunden hast. Und vielen Dank für die guten Wünsche.

LG Thomas

Richtig geraten! :)
_____/)___/)________(______

Hallo Thomas,
trotz allem... ich finde es genial, dass du einen Spender gefunden hast, das war die Nadel im Heuhaufen und ist ein gutes Omen!
Du weißt, was ich von der Schulmedizin halte, aber in diesem Fall.. ich bin schon seit über 20 Jahren in der Spenderkartei und vielleicht motiviert das wieder ein paar Menschen, sich auch registrieren zu lassen.

Heute ist Weltknuddeltag.. ich knuddel euch mal ganz dolle!

Liebe Grüße
Michaela

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