#wochenthema Körpergefühl: Me, myself & Beyoncé, Heidi & Instagram

in #wochenthema6 years ago (edited)

Offiziell gehöre ich zwar nicht zur Riege derjenigen, die sich angemeldet haben, zu diesem Thema einen Beitrag zu verfassen. Allerdings reizt mich das Thema gerade immens. Das Timing ist einfach gut. :-)

Vorab vertrete ich zu diesem Thema die Meinung, dass das Körpergefühl etwas hochgradig Subjektives ist. Nur man selbst ist in der Lage seinen eigenen Körper zu spüren und genau deshalb, lehne ich jede Form von anderen Menschen projizierten Bewertungen auf den eigenen Körper grundweg ab. Mit anderen Worten: Mir ist scheißegal was andere meinen, wie ich mich in meinem Körper zu fühlen habe und das ist gut so.

Um mir selbst ein bisschen den Einstieg in dieses komplexe Thema zu erleichtern, gehe ich mal ein bisschen zurück in der Zeit.

Als Kind habe ich fast jeden Tag mit Pferden verbracht. Ich habe sie gepflegt, ich habe ihren Stall ausgemistet und bin natürlich auch immer geritten. Meistens ohne Sattel. Wild und frei, der Traum eines kleines Mädchens.

Dieser Traum war zu Ende als ich strukturierten Reitunterricht bekam, mich auf Turniere vorbereitete und der Spaß dem Leistungsdruck wich. Mit Anfang zwanzig habe ich dann aufgehört mit dem Pferdesport. Zu viel Oberflächlichkeit und die tierunwürdigen Praktiken widerten mich an. Was aber blieb, war dieses unbeschreibliche Gefühl eins mit dem Pferd zu sein. Mein Körper und der des Pferdes verschmolzen zu einer großen energetischen Masse. Ich musste nicht darum kämpfen, dass mein Pferd vorwärts lief. Der Gedanke daran genügte und wir wechselten gemeinsam die Richtung. Mein Körper lernte wie von selbst sich dem Tier anzupassen und es nicht in seinem Bewegungsfluss zu hindern. Auf ganz natürliche Weise entwickelte ich eine gewisse Kraft, um dem Tier gerecht zu werden und natürlich auch um mich auf dem glatten Pferderücken zu halten und nicht herunterfallen. Für eine kleine Göre im Grundschulalter war ich vermutlich erstaunlich zäh ;-) Es entstand ein Körpergefühl, welches ich mir zunutze machen konnte und intuitiv einsetze. Nun bin ich bereits seit einigen Jahren nicht mehr geritten. Das ist auch völlig ok. Dem englischen Reitstil kann ich sowieso nix mehr abgewinnen. Meine ethische Einstellung zum Umgang mit Tieren hat sich im Zuge meiner Ernährungsumstellung von vegetarisch zu vegan stark verändert. Einzig und allein die Techniken aus dem Westernreiten und freies Reiten ohne Sattel und Zaum würden mich nochmal reizen. Vielleicht widme ich mich dieser Leidenschaft irgendwann nochmal. Fürs Erste bin ich aber vollauf zufrieden damit, ab und an ein Pferd zu streicheln. Ich muss nicht drauf sitzen.

Dieses Körperbewusstsein aus der Arbeit mit Pferden habe ich in meiner Schauspielausbildung noch weiter intensiviert. Für Schauspieler ist ein intensives Körpertraining ein absolutes Muss. Der Körper ist quasi dein Werkzeug, er muss stark und geschmeidig, belastbar und kontrollierbar sein. Während dieser Zeit war ich mir meines Körpers so sehr bewusst wie niemals zuvor.

Einige Jahre Berufspraxis und ein Aufbaustudium in Theaterpädagogik später, erkrankte ich an einer chronischen Schilddrüsenentzündung, auch Hashimoto genannt. Diese Krankheit begleitet mich nachwievor. In der Anfangsphase zertrümmerte sie mir mein Körpergefühl vollends. Die Ärzte experimentierten wild mit den Dosen der nun notwendig gewordenen Medikamente und ich schlingerte durch Erschöpfungszustände, rasante Gewichtsabnahme und ebenso rasante Gewichtszunahme, Depressionen und Existenzängste. Ich hatte völlig den Zugang zu meinem Körper verloren. Ich verstand ihn nicht mehr, ich konnte ihm nicht mehr vertrauen. Ich begann sogar auf ihn wütend zu werden.

Den Wendepunkt markierte wieder meine Ernährungsumstellung. Nach dem ich mich peu á peu an die vegane Ernährung herangetastet hatte, passierte etwas Unglaubliches und irre Schönes: ich erlangte ein Bewusstsein für meinen Körper wieder, ich spürte wieder, was ihm gut tat und was nicht. Schließlich fühlte ich mich wieder zuhause in meinem Körper. Meine Medikamente nehme ich zwar immer noch, aber die Dosis ist seit Jahren konstant. Ich fühle mich fit und gesund. Apropos gesund: Seit ich keine Milchprodukte und Eier und natürlich auch keine Fertigprodukte mehr esse, hatte ich keine Erkältung mehr. Als Vegetarierin war ich jeden Winter von Oktober bis mindestens März verschnupft und steckte mich schnell bei anderen wieder an. In den vergangenen Wintern bin ich komplett frei von irgendwelchen Erkältungssymptomen durch die kalte Zeit gekommen. Ich fühle mich manchmal maximal für 1-2 Tage schlapp, aber komme schnell wieder auf die Beine und liege auf keinen Fall mehrere Tage mit Grippe oder Ähnlichem im Bett. Das ist so wunderbar! Und es fühlt sich großartig an!

Ich kann auch wieder Sport machen und dabei erleben, wie mein Körper an Stärke gewinnt. Ausdauersport wie Laufen und Radfahren sind wieder möglich. Kampfsport und Fitness ebenfalls. Aktuell befreie ich mich erfolgreich von meinen Winterpölsterchen. Und freue mich über jeden Muskel, den ich wieder spüren kann. Auch der Blick in den Spiegel wird von Woche zu Woche erfreulicher. Mein Ziel ist keine krasse Gewichtsabnahme, ich bin überhaupt nicht zu “schwer”. Ich möchte mehr Definition und Kraft und einfach ein bisschen stärker sein. Und ja gut, ich geb’s zu: Ich will in meine weiße Jeans passen, die ich im Sommer gerne trage ohne Arsch-frisst-Hose Happening :-)

In diesem Sinne kann ich zum Thema Körpergefühl beitragen, dass es wichtig ist, in sich hineinzuhören, sehr aufmerksam zu sein und der eigenen Intuition zu folgen. Wenn in deinem Körper etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist, dann hat das einen Grund. Und dies zu ignorieren kann gefährlich sein. Oder von Außen irgendwelchen semiprofessionellen Meinungen blindlings zu folgen, ist genauso ungesund und schädlich. Ein besonderer Dorn im Auge, ist mir der übertriebene Fitness- und Schlankheitswahn, den wir gerade auf Instagram in seiner vollsten Blüte verabscheuen dürfen.

Was ich sehr unterstütze und absolut überfällig finde, ist die aktuelle #bodypositive Bewegung. Unter diesem Hashtag finden sich Fotos von ganz normalen Menschen, Frauen wie Männer. Trainiert oder untrainiert, dick, dünn, medium, da ist alles dabei. Hier geht es um Toleranz, Akzeptanz und Selbstliebe.

Auch spannend ist die Initiative #notheidisgirl, wo es darum geht, dem Konzept von Germany`s next Topmodel zu widersprechen. Hier finden sich Fotos von Frauen und Mädchen, die sich bewusst von dem superskinny Schönheitsideal, welches von diesen Castingformaten propagiert wird, distanzieren. Das ist eine notwendige und vor allem gesunde Entwicklung, damit junge Menschen keine gestörte Einstellung zu ihrem Körper bekommen. Da hat GNTM in den letzten Jahren schon genug Schaden angerichtet.

An dieser Stelle muss ich jetzt mal ‘ne kleine Reallife Story aus meiner Arbeit als Theaterpädagogin einfließen lassen: Vor einiger Zeit arbeitete ich mit einer Gruppe Realschülerinnen der 7.Klasse an einem Theaterprojekt zum Thema Mode. Teil des Stücks war ein Catwalk, wo jedes Mädchen tragen durfte, was es ich schon immer gewünscht hatte. Schön dick aufgetragen in Heels und zu nem Remix von Beyoncés “Single Lady”. In den Proben dazu kam es zu einer Situation, in welcher drei Mädchen zu einem anderen Mädchen, das ein bisschen fülliger aber keineswegs dick war, sagte: “Helen, wenn du so weiter frisst, dann kriegst du nie ein Foto von Heidi!”. Ich hielt das für einen Scherz, es war aber bitterernst gemeint. Als ich dies realisierte unterbrach ich die Probe und arbeite zwei Wochen am Thema Selbstwertgefühl und persönliche Schönheit mit den Schülerinnen. Das Stück haben wir auch nochmal umgeschrieben. Dieses Erlebnis hat mich nachhaltig erschreckt und ziemlich hellwach für dieses Thema werden lassen.

Ich kann mich auch in keinster Weise für Dünn oder für Dick positionieren. Meines Erachtens nach sollte jeder Mensch selbst entscheiden, wie er sein möchte und sich entsprechend verhalten, wenn es ihm möglich ist. Nur extrem ungesunde Ausprägungen wie enormes Hungern, Fitnesswahn, krankhaftes Übergewicht und Fettleibigkeit kann ich nicht als schön oder gut oder gesund verstehen. Ich akzeptiere das, bin aber kritisch gegenüber allem was in ein Extrem abrutscht und das Körpergefühl und die Gesundheit des Menschen nachhaltig stört.

Ich begrüße jede Anstrengung und Initiative, welche in der Gesellschaft zu einem Umdenken in Richtung gesundem und bewusstem Umgang mit dem eigenen Körper, anregt.

So und mit diesen Worten schließe ich jetzt. Danke für`s Lesen!

Eure

PS: Apropos Beyoncé: Ich steh auf diese Frau, aber sowas von! Mal abgesehen davon, dass sie eine großartige Künstlerin ist, macht sie uns allen seit Jahren vor wie sie als Frau ihren Platz findet. Und dabei ist sie verdammt weiblich, selbstbewusst und inspirierend. Auch sie ist nicht perfekt oder fehlerfrei, aber macht einen verdammt guten Job in punkto Feminismus!


Bildquellen: Bild 1, Bild 2, Bild 3

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Schöner Artikel und danke für deine Offenheit. Ich schätze persönliche Erfahrungen immer sehr und deine "Geschichte" aus dem Schulprojekt hat mir richtig Gänsehaut beschert... Gruselig - ich kann mir so etwas überhaupt nicht vorstellen...

Gut, dass du zur Stelle warst!!!!! Machst du inzwischen eine Tournee für alle Mädchen in diesem Alter? Das wäre doch mal ein sinnvolles Projekt für unsere Steuergelder ;) LG Kadna

Hi @kadna, würde ich machen! Reichst du beim Bildungsministerium den Antrag für die Finanzierung ein? ;-)

Oups, da bin ich nicht die Richtige ;) Ich würde die Situation nutzen, um einmal ganz deutlich zu machen, was ich vom deutschen Bildungssystem halte. Da würden die sich keine Verbesserungsvorschläge mehr anhören...

Ja, die Welt ist ver-rückt... LG Kadna

War auch nicht so ernst gemeint ;-)

hihi, klar - aber ich wollte schon seit Wochen einmal einen Kommentar zum Bildungsministerium posten ;-) daske für die "Steilvorlage".

Ein sehr schöner Beitrag Liebes.
Deine Beschreibung beim Reiten kann ich total gut nachfühlen, bin als Kind sehr gerne geritten und habe die Verbindung zwischen dem Pferd und mir geliebt. Ähnliches kenne ich vom Snowboarden oder dem Skaten :)

Vielen lieben Dank! Dieses Gefühl beim Reiten ist wirklich was Besonderes. Ich glaube, das kennt jeder der mal ein bisschen länger geritten ist. Und ja du hast total recht, beim Skaten ist das sehr ähnlich. Habe keine große Skateerfahrung, aber so eine Skateboardphase aus der Teeniezeit kann ich auch vorweisen;-) Nur Snowboarden war ich bisher noch nie. Kann auch nicht Skifahren...die Berge sind einfach echt weit weg von unserem Wohnort. Steht aber auf jeden Fall noch auf to-do ;-) Liebste Grüße, Lu

Meine Liebe!! Boahhhh was für ein geiler geiler Artikel!! Hammer- du hast so ein Talent fürs Schreiben- kann ich da was von abhaben?? hihi also ich könnte jetzt einen Roman dazu schreiben aber ich versuche mich kurz zu halten. Momentan bin ich nicht ganz vegan aber erinnere mich an diese Zeit, und ich fühlte mich anders, leichter und irgendwie "feinstofflilicher" (hört sich komisch an nicht). Beyonce ist eh der Knaller und deine Reaktion auf die Mädels im Theater war genau richtig!!! Supaaaa!!!!!! Danke:-***

Hey Jasmin <3 danke danke danke für deinen tollen Kommentar! :-D freu freu freu Klar kannst du was abhaben, würde ich dir sofort rüberschicken, wenn möglich ;-) Ohja das Thema ist wirklich unendlich...musste mich auch echt zurückhalten. Der Text ist so schon ziemlich lang geworden. Ich weiß genau, welches Gefühl du mit „feinstofflicher“ du meinst! Ich finde das trifft’s echt gut! 😋👌🏻 Liebste Grüße & Drücker, Lu

Lu! Ja der Text war echt lang, aber wenn er gut ist (sowie deiner) und fesselt, macht das überhaupt nichts! Im Gegenteil!! 😍😍😍😍

Danke 🙏🏼😋😊

@lulafleur. es ist ein wirklich schöner artikel geworden und in vielem kann ich voll und ganz mit dir mitfühlen, da dein lebensweg ab "hashimoto" meinem fast identisch ist. ich weiss, wie hart und leidvoll die zeit sein kann, wenn man nicht richtig eingestellt ist und umso schöner kann sie werden, wenn man seine lebensumstände und sein essverhalten ändert und dadurch ein ganz neues körpergefühl entwickelt ...nächtliche sternengrüße aus berlin @malumaa

Hallo liebe @malumaa, hab ganz lieben Dank für deinen Kommentar. Das ist ja ein Zufall! Naja obwohl, Hashimoto tritt schon häufig auf... wir sind auf jeden Falle einige, die dieses Schicksal treilen! Ich wünsche dir Alles Gute & es freut mich sehr, dass dir mein Text gefallen hat! Ganz liebe Grüße

ja leider sind es viel zu viele...aber ich wünsche dir auf deinem weg trotzdem alles alles liebe und poste bitte weiterhin solch schöne artikel... :) bis bald und ich freue mich wieder von dir zu hören :) liebe grüße @malumaa

Respect!

Versuch's mal mit Rai-Reiten. Müsste Dein Ding sein.

Hi Leroy, guter Tipp! Vielen Dank! :-)

Hallo liebe Lu,

schön dein Artikel!
Was mich interessieren würde, wie haben denn die drei Mädels vom Theaterprojekt reagiert, bzw. sich verändert, nach dem du die Probe gestoppt hast?
LG an dich, Mo*

Hallo Mo, lieben Dank <3 Also die haben natürlich erstmal nicht verstehen können, wo das Problem liegt. Für die ist das was im Fernsehen gezeigt wird die Wahrheit. Und wenn da keine Eltern sind, die diese Formate mit den Kindern reflektieren, dann nehmen die einfach super schnell an, dass es total dramatisch ist, wenn sie nicht Größe XS tragen. Und fühlen sich schlecht, falsch und sonst was alles. das mündet dann oft darin, dass 13jährige Mädachen plötzlich Diät machen.

Ja, ich weiß!
Meine Tochter hat das zum Glück nicht gehabt. Die fand sich eher immer zu dünn, erstaunlicher Weise! GNTM haben wir dann vor 6 Jahren zusammen geschaut und darüber gesprochen, dass die viel zu dünn sind. Bei mir also gut gegangen. Ich habs aber leider auch anders gesehen. 😓
Konnten sie das denn nach 2 Wochen ein bisschen anders sehen?

Hey Mo, ja auf jeden Fall. Das ging bei den Mädchen dann auch ziemlich schnell. Schönheitsideale sind immer ein spannungsreiches Thema, vor allem auch in diesem Alter. In der Pubertät verändert sich das Körpergefühl ja ständig und wenn man das dann nicht richtig einsortieren kann als junger Mensch (und die Eltern den Prozess nich vernünftig begleiten) kann sowas wie GNTM da richtig blöde Auswirkungen haben. Finde es super, dass du es mit deiner Tochter zusammen angeschaut hast! :-)

Das ist schön! Es sollte viel mehr Aufklärung und Auseinandersetzung damit in der Schule geben!!! Schön, dass du das gemacht hast!

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