Über Solidarität (DE)

in #deutsch6 years ago (edited)


Mexiko ist unglaublich reich an Rohstoffen, insbesondere Obst, Gemüse und Getreide.

Was ich in Mexiko über Solidarität gelernt habe

Eines meiner größten literarischen Vorbilder ist Hermann Hesse. Er hat zu Lebzeiten kurze Texte in Zeitungen veröffentlicht, die ich gerne lese, wenn ich zum Beispiel in der S-Bahn unterwegs bin. 20 Minuten Wartezeit reichen manchmal schon aus, um sie zu lesen. Man findet sie übrigens in seinen Gesammelten Werken im Suhrkamp Verlag.

Leider bin ich meilenweit von Hermann Hesse entfernt. Aber meine Bewunderung für ihn ist grenzenlos. Ich bin fest davon überzeugt, dass er kein vom Realismus angetriebener bzw. eher sachlicher Autor war, so wie ich es bin (Mein Credo ist es, möglichst unverkrampft und sachlich zu bleiben, möglichst exakt das auszudrücken, was ich ausdrücken möchte.).

Hesse hat aus der Tiefe seines Herzens, ganz natürlich, geschrieben. Er war ein grandioser Poet und ich habe von ihm viel über das Leben gelernt.


Wie gesagt, bin ich noch meilenweit von ihm entfernt. Was mir allerdings hilft ist die Gewissheit, dass sowohl Goethe als auch Kant und Hesse den Zenit ihrer Schaffenskraft erst mit 60 Jahren erreicht haben, obwohl sie natürlich vorher auch schon schrieben und veröffentlichten. Aber alle drei haben ihre Hauptwerke erst mit 60 Jahren geschrieben.

Darum stört es mich auch nicht, dass der Rahmen, in dem ich meine Texte hier veröffentliche, sehr klein ist und ich versuche auch, mich nicht daran zu stören, dass meine Votes zurückgehen. Wenn Steemit für mich so etwas wie ein halbprivates Tagebuch wird, in dem ich meine (Lebens-)Reise dokumentiere, ist das immer noch ein Gewinn für mich.


Nun aber zum eigentlichen Thema. Die Botschaft dieses Beitrags ist im Grunde sehr kurz. Es geht, wie die Überschrift verrät, schlicht um Solidarität. Es fiel mir sehr schwer, aber ich weiß jetzt, dass ich aufhören muss, immer nur an mich zu denken. Einerseits bin ich im Sinne von Napoleon Hill der wichtigste Mensch in meinem Leben und darf mich selbst nicht gehen lassen oder vernachlässigen. Aber andererseits habe ich in der Vergangenheit einige meiner Bedürfnisse auch zu wichtig genommen.

In Mexiko wurde mir das langsam bewusst. Mexiko ist ein Land, das zwar als Industrienation gilt, in einigen Bereichen jedoch noch Entwicklung benötigt. Als „reiche“ Europäerin habe ich immer wenn ich von den zahlreichen Verkäufern angesprochen wurde, die Not der Menschen am eigenen Leib erfahren. Ich habe erfahren, dass viele Mexikaner mehrere Jobs haben, weil einer wegen der niedrigen Einkommen nicht zum Leben reicht.

Sie gehen dann z.B. mit einem Bauchladen am Strand entlang und verkaufen Süßigkeiten oder fahren mit einem Fahrrad voller Imbisse durch die Gegend.


Aus Sicht einer Touristin ist das erstmal putzig, eine nette Art, sein Einkommen zu verdienen und mit seinen Mitmenschen in Kontakt zu kommen. Die Mexikaner sind einfach ein sehr geselliges Völkchen. Aber ich habe euch ja schon gesagt, dass dahinter bittere Notwendigkeit steckt. Im Nachhinein frage ich mich manchmal, wieviel der Offenheit und der Freundlichkeit der Mexikaner eigentlich aus dieser Not kommt.

Daher möchte ich mich, auch wenn ich es den Mexikanern nicht mehr persönlich sagen kann, mit ihnen solidarisch erklären. Sie sind wunderbare Menschen in einem wunderschönen Land und ich fühlte mich als Touristin unwohl mit der Einkommensschneise zwischen ihnen und mir und auch damit sie für mich arbeiten zu lassen.

Ich vermute, sie arbeiten viel härter als wir es uns vorstellen und das noch, im Sinne eines ausgehenden Entwicklungs- und beginnenden Industrielandes, unter härteren Bedingungen.

Ich wünsche mir, dass mehr Menschen verstehen, wie wichtig Solidarität ist. Gerade die Menschen, die unzufrieden mit ihrer Situation sind, sind gleichzeitig diejenigen, die am meisten auf Solidarität angewiesen sind und sie schon aus Eigeninteresse auch anderen gewähren sollten.

Ich bitte euch, erklärt euch mit eurem Nächsten solidarisch. Jeder und gleichzeitig keiner von uns hat etwas, das ihn aus der Menge heraushebt, aber es macht uns nicht wichtiger oder besser als unser Gegenüber. Höchstens anders. Je solidarischer wir miteinander umgehen, je mehr wir zusammenhalten, desto stärker sind wir.


"Alles ist öffentlich, nur die Liebe nicht."

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Solidarität ist schon längst aufgenommen auf die Liste der Eigenschaften, die nach und nach dem Menschen abhanden kommen. Es dauert nicht mehr lange, dann drückt es denjenigen, der die Solidarität einfordert, an den ganz linken Rand unserer Gesellschaft. Dort hin, wo wir gerne versuchen die Menschen zu entsorgen, die uns ständig versuchen ein schlechtes Gewissen einzureden.
Wir regen uns über das Mauerprojekt zwischen den USA und Mexiko auf. Gleichzeitig ziehen wir durch halb Europa Zäune - reale und geistige.
Solidarität kostet Zeit, Energie, Wille, Barmherzigkeit und Mut. Viel zu viel Aufwand, wenn man bereits seit einem Jahr nicht mehr befördert wurde und gerade für ein neues Auto gespart werden muss.
Irgendwann sind wir alle nur noch egoistische Solisten und können uns gar nicht mehr daran erinnern, dass es da irgendwann mal was gab, das auch mit Soli... angefangen hat.
Gruß, Wolfram
p.s. Das klingt vielleicht. als hätte ich aufgegeben. Nein, habe ich nicht. Ich bin ein Kämpfer.

Hallo Wolfram, es ist schwer, auf so ein Kommentar zu antworten. Ich mag Ehrlichkeit sehr und finde es wichtig, sich nicht zu verstellen. Ich hoffe, dass du mit dem Auto und der Beförderung nicht dich gemeint hast.

Ich glaube aber, das Gegenteil deiner These könnte auch der Fall sein. Nämlich, dass Menschlichkeit erst in der Not richtig sichtbar wird. Manchmal ist es leider das Fehlen der Menschlichkeit, das sichtbar wird, manchmal aber auch das Gegenteil.

Vielleicht sollten wir auch einfach aufhören, immerzu an Endlichkeiten zu denken. Das eigene Leben ist ja so etwas vermeintlich Endliches. Ich habe mich, seit ich mich mit Patriarchatskritik beschäftige, entschlossen, nicht mehr linear zu denken, sondern in Kreisläufen. Je weniger ich mich selbst als getrennt von der Natur betrachte, desto weniger habe ich ein Problem mit meiner eigenen Vergänglichkeit und eventuell auch mit Not und Verzweiflung, die zu unserem Leben dazugehören.

Ich glaube, es ist kein Zufall, dass der Herbst meine liebste Jahreszeit ist. Sie ist die ehrlichste Jahreszeit, denn sie zeigt uns, wohin die Reise geht.

Aber ja, du hast auch Recht. Ein weiteres meiner Credos ist auch, dass Wahrheit immer konkret ist. Das sind die realen Auswirkungen unseres Handelns...Mauern, die wir hochziehen z. B. Sie sind der Ausdruck unserer Abscheu voreinander, einer Abscheu, die erschreckend ist und meiner Meinung nach viel mehr mit unserer Abscheu vor uns selbst als der vor den anderen zu tun hat.

Nun, die konkrete Wahrheit, sie ist eben da. Aber dann ist sie auch wieder nicht da. Ich gehe, und das ist jetzt kein Witz, seit einer Woche wie in einem Traum durch die Welt spazieren. Ich war ganz real spazieren am Sonntag und ich ging, da ich mich nach einem Monat Mexiko erst wieder eingewöhnen muss, tatsächlich wie durch einen Traum. Alles erscheint mir irreal und ich erwartete, jeden Moment aufzuwachen.

Es kann also gut sein, dass wir einen gewissen (vielleicht auch nur sehr kleinen) Anteil an dem, was wir als konkrete Wirklichkeit manifestiert sehen, haben. Ob unsere Einstellung, unser Blick auf sie, tatsächlich etwas ändern kann, vermag ich nicht zu sagen, aber ich denke, dass wir nicht absolut machtlos sind.

Danke für die Einblicke in deine Reise.

Für die meisten von uns bedeutet dieser kulturelle Unterschied etwas für die persönliche Entwicklung. Die Fremdheit ist, was wir suchen. Und wenn wir davon loslassen können, alles Fremde verstehen zu wollen, sondern das, was uns ungewohnt und seltsam scheint, einfach nur anschauen und akzeptieren können, ohne eine Wertung dahinter, ist etwas sehr Bedeutsames passiert: Wir können einfach nur sein.

Wären Mexiko und andere Länder auf demselben Stand wie wir hier in Europa oder anderen "modernen" Gesellschaften, würde Reisen kaum einen solchen Wert besitzen. Das, was wir als "noch zu entwickeln" in solchen Gesellschaften betrachten, ist im Grunde eine Invasion und ein Streben, die Menschen uns "gleich machen" zu wollen. Ich sehe keinen Gewinn darin, dass wir auf die Welt gucken und sie in Entwicklungs- und entwickelte Länder auftteilen. Darüber sollte man einmal viel tiefer nachdenken. Mit dieser Haltung gelingt es uns prima, auf der ganzen Welt unseren Standard und unsere Technik zu etablieren. Von unserer eigenen Kultur scheint nicht sehr viel übrig zu sein.

Entschuldige, dass ich das so kritisch betrachte, aber ich glaube, dass das nötig ist. Außerdem denke ich, dass ich in dir eine Adresse habe, wo mein "Brief" ankommt.

Alles Gute für dich auf deiner Reise:)
Erika

P.S. von Charles Eisenstein habe ich mal gelesen, dass wir nur deshalb auf harte körperliche Arbeit blicken, weil wir sie selbst nicht tun können und daher unser Mitleid oft nicht angebracht ist. Er kann das viel besser ausdrücken als ich. Lohnt sich, ihn zu googeln.

Ich wollte nicht über Mexiko oder die Mexikaner urteilen... Ich sage auch immer ganz explizit, dass Mexiko im Grunde ein viel reicheres Land ist als z. B. Deutschland. In meinem Beitrag ging es ja gerade darum zu zeigen, dass wir NICHT besser sind als die Mexikaner.

Und mit den Bereichen, die der Entwicklung bedürfen meinte ich sowas wie, dass die Straßen relativ schlecht sind und der Verkehr nicht optimal geregelt ist, was, wie ich einer Einheimischen entnehmen durfte, zu regelmäßigen Unfällen auf einer bestimmten Strecke führt (Es war von mehreren in der Woche die Rede.). Einen davon haben wir mit eigenen Augen gesehen, von einem anderen, auch mit einem Toten, haben wir von einer anderen Touristin gehört.

ach so. Der Begriff "Entwicklung" ist sehr besetzt. Danke für die Erhellung.

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