Das Einmaleins der Notfallmedizin: Verbrennungen

in #deutsch6 years ago

Im Bestreben, bei "Sommerthemen" zu bleiben, springe ich heute fast ans Ende des Alphabets. Eigentlich passender wäre der Titel Sonnenbrand gewesen, aber der Sonnenbrand allein gibt nicht genug für einen Beitrag her. Daher das Oberthema Verbrennungen.

Was ist eine Verbrennung?

Als Verbrennung (oder Verbrühung) bezeichnet man eine durch Wärmestrahlung oder Wärmeleitung ausgelöste Schädigung der Haut.
Die schädigenden Ursachen können dabei ganz vielfältig sein:

  • Flammen (bei offenem Feuer)
  • Kochende oder sonstige heiße Flüssigkeiten und Dämpfe
  • feste, heiße Gegenstände im Haushalt
  • elektrothermische Verbrennungen (durch Strom oder Blitzschlag)
  • Explosionen
  • zu langer Aufenthalt unter Sonneneinstrahlung oder anderer hochenergetischer elektromagnetischer Strahlung

Wegen des umfangreichen Themas gehe ich auf Unfälle mit Strom- und Blitzeinwirkungen in diesem Artikel nicht ein, sondern verschiebe dies auf einen späteren Beitrag.

Entscheidend für die Schwere einer Verbrennung sind:

  • die Temperatur, die auf die Haut einwirkt
  • die Dauer der Einwirkungszeit
  • die Ausdehnung der Verletzung auf der Körperoberfläche und in Bezug auf die Tiefe im Gewebe

Dabei kann eine mäßig warme Wärmflasche, die mehrere Stunden auf der Haut verbleibt, die Haut genauso schädigen wie die kurze Berührung mit heißem Wasser.

Die Rolle der Körperoberfläche

Ich kann also keinen Artikel über Verbrennungen schreiben, ohne kurz auf die Berechnung der Körperoberfläche einzugehen. Alter und Wachstum des Verletzten und Ausdehnung des betroffenen Teils entscheiden über die Schwere der Verbrennung (den Anteil der verletzten Haut an der gesamten Körperoberfläche) und bestimmen so die Art der Therapie.

Folgende Tabelle findet sich als Grafik im Buch [1]:

Alter (Jahre)Oberkörper (%)Beine (jeweils %)Arme (jeweils %)Kopf (%)
1-432159,519
5-932179,515
10-1432189,513
> 143618910

Für die Berechnung der Gesamt-Körperoberfläche wird oft die sog. Dubois-Formel [2] herangezogen:

KOF [m^2] = 0.007184 x (Körpergröße [cm]^0.725 x Körpergewicht [kg]^0.425)

Eine vereinfachte Version ist die sog. Mosteller-Formel [2]: Die Körperoberfläche in Quadratmeter ist die Quadratwurzel aus 1/3600 x (Körpergröße [cm] x Gewicht [kg])

1., 2.,3. Grad?

Man unterscheidet zwischen 4 (eigentlich 5) Verbrennungsgraden. Die folgende Tabelle ist (in gekürzter Form) wiederum [1] entnommen:

Gradbetroffener HautabschnittSymptomeHeilung
1OberhautRötung, keine Blasen, gute Durchblutung, normales Schmerzempfindenspontan, ohne Narben, 1-2 Wochen
2aOberhaut und Teil der Lederhautstarke Rötung, nässende Blasen, gute Durchblutung, starker Wundschmerzspontan, ohne Narben, 2-3 Wochen
2bOberhaut und komplette Lederhautblasse Haut, offene trockene Blasen, verminderte Durchblutung, vermindertes lokales Schmerzempfindenlangsam, unter Narbenbildung, 4-9 Wochen
3Oberhaut, Lederhaut und Hautanhangsgebilde, Schmerzrezeptorengrau-braune Färbung, keine Durchblutung, Schmerzempfinden ausgeschaltetlangsam, unter Narbenbildung
4vollständige Verletzung von Haut und darunterliegendem Gewebe (Verkohlung)Schmerzempfindung erloschenkeine Heilung der betroffenen Körperteile möglich

Gerade bei großflächigen Verbrennungen können Verbrennungen verschiedenen Grades nebeneinanderliegen. Man unterscheidet daher nach [1] die folgenden Schweregrade (KOF = Körperoberfläche):

Betroffeneleichtmittelschwerschwersehr schwer
Erwachsene< 2% Körperoberfläche bei Grad 3

< 10% Körperoberfläche bei Grad 2

< 20% Körperoberfläche bei Grad 1
< 10% KOF bei Grad 3

10 - 20% KOF bei Grad 2

> 20% KOF bei Grad 1

Verbrennungen beider Hände oder Füße, des Gesichts oder des Genitalbereiches
10 - 20% KOF bei Grad 3

25-50% KOF bei Grad 2

chemische oder elektrothermische Verbrennungen
> 20% KOF bei Grad 3

> 50% KOF bei Grad 2

Verbrennungen mit Inhalations- oder Polytrauma
Kinder< 5% KOF bei Grad 2

< 10% KOF bei Grad 1
< 5% KOF bei Grad 3

5-10 % bei Grad 2

> 10 % bei Grad 1

Verbrennungen beider Hände oder Füße, des Gesichts oder des Genitalbereiches
> 10 % KOF bei Grad 2-3

chem. oder elektrotherm. Verbrennungen
> 50% KOF bei Grad 2-3

Verbrennungen mit Inhalations- oder Polytrauma
Was mache ich als Ersthelfer?

Das ist abhängig von der Schwere der Verbrennung. Grundsätzlich gilt:

  • nichts von der Haut reißen
  • nichts auf die Haut aufbringen
  • den Verletzten von der Unfallstelle wegbringen und beobachten

Von bisher bekannten Hausmitteln wie dem Aufstreichen von Joghurt oder Quark auf frischen Sonnenbrand ist daher bitte abzusehen. Alles, was mit der verbrannten Stelle verkleben könnte, ist tabu. Das gilt besonders dann, wenn es sich nicht um den eigenen Körper handelt ...

Bei Sonnenbrand reicht es meistens, den Patienten in den Schatten zu bringen und für ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu sorgen. Vom Kühlen der entsprechenden Stelle mit kaltem Wasser oder gar Coolpacks rate ich wegen der Gefahr der Verkühlung der verletzten Stellen ab; wer unbedingt kühlen will, nimmt lauwarmes Wasser. Bei moderater Rötung können feuchte Tücher, die auch nicht zu kalt sind, etwas Linderung verschaffen. Bei ausgedehnter Rötung sollte ein Arzt verständigt werden. Hierfür stehen an Wochenenden die Ärztlichen Bereitschaftsdienste zur Verfügung.

Hat jemand ungeschickt den Grill oder den Backofen angefaßt, gilt ebenfalls: nicht mit kaltem Wasser kühlen (lauwarmes kann dagegen gegen die weitere Hitzeausbreitung sinnvoll sein), nicht eincremen, die verbrannte Stelle steril abdecken und, wenn möglich, eine Arbeitspause einlegen. Kommt es zur Bildung größerer Blasen, ist ein Arztbesuch unumgänglich.

Schwer verbrannte Hautstellen (Verbrennungen 3. Grades), wie sie bei Kontakt mit sehr großer Hitze über mehrere Sekunden bis Minuten oder Starkstromschläge entstehen können, werden überhaupt nicht berührt (auch und gerade dann nicht, wenn Kleidung in Mitleidenschaft gezogen wurde), sondern nur so steril wie möglich abgedeckt. Wichtig ist, bei diesen Patienten auf den Wärmeerhalt zu achten - durch die tiefgehende Verletzung der Haut ist der Körper nicht mehr gut vor dem Auskühlen geschützt. Auch wenn es seltsam anmuten mag: Ein Kind, das mit einem Teil des Unterarms ins Grillfeuer gekommen ist oder sich (z.B. durch eine Wärmflasche oder heißes Wasser) großflächig den Oberkörper verbrüht hat, braucht eine warme Decke. In solchen Fällen ist unbedingt ein Notarzt zu verständigen.

Brandverletzte werden nach Möglichkeit abgelöscht (mit Wasser, einem Feuerlöscher oder durch Abdecken mit Baumwoll- oder Wolldecken - Kunststofftextilien sind ebenfalls leicht brennbar!). Ausgedehnte Brandverletzungen werden nicht gekühlt bzw. nur in den ersten Minuten nach der Verletzung und nur mit lauwarmem Wasser - spätere Kühlung kann aufgrund der zunehmenden Zentralisierung des Kreislaufes zu Unterkühlung und weiter verminderter Gewebedurchblutung führen. Zur Abdeckung der Brandwunden können alle Verbandstoffe verwendet werden, die nicht mit der Wunde verkleben - also vor allem Verbände mit metallischer Oberfläche oder spezielle Verbandtücher für Brandwunden.

Jegliches Kühlen einer Verbrennungswunde ist auf deren örtliche Ausdehnung zu beschränken.

Ein paar Worte zur Intensivtherapie Brandverletzter

Um die weitere Einwirkung einer mittelschweren oder schweren Brandverletzung, das sogenannte Tieferbrennen der Haut, das bis 30 Minuten nach der Verletzung ablaufen kann, zu verringern, ist der betroffene Bereich etwa 10 Minuten lang mit 20° warmem Leitungswasser zu kühlen.

Brandverletzungen führen immer zu einem gesteigerten Flüssigkeitsverlust über die Haut, deshalb muß schnell mit einer Volumenersatztherapie begonnen werden [3]. Empfohlen werden bis zu 1000 ml Vollelektrolytlösung innerhalb der ersten Stunde nach der Verletzung. Auf diese Weise kann auch ein Nierenversagen verhindert werden. Die weitere Volumentherapie richtet sich nach der Schwere der Verletzung.

Hitzeeinwirkungen durch offenes Feuer oder heiße Dämpfe gehen oft mit sog. Inhalationstraumata einher. Ödeme, die sich durch die Einwirkungen der Hitze und potentiell toxischer Gase (Verbrennungsend- oder -zwischenprodukte) auf Atemwege und Lunge bilden, verringern die Qualität der Atmung; somit ist eine Indikation für Sauerstoffgabe (6-8 l/Minute) über eine Beatmungsmaske oder eine Nasensonde gegeben.

In jedem Fall sollte der Verletzte bzgl. seiner Vitalparameter (Blutdruck, Sauerstoffsättigung, Puls) überwacht werden. Zur Analgesie (Schmerzlinderung) empfehlen sich Opiate und Ketamin. Dopamin, Kortison, Diuretika und Plasmaexpander sind kontraindiziert.

Transportziel sind dabei nahe Krankenhäuser mit chirurgischer und intensivmedizinischer Versorgung, teilweise auch spezielle Fachkliniken. Die Koordination von Krankenhausbetten für Schwerbrandverletzte übernimmt zentral für Deutschland eine spezielle Abteilung der Hamburger Feuerwehr.

Quellen

[1] J. Luxem et al, Rettungsdienst RS/RH
[2] http://flexikon.doccheck.com/de/K%C3%B6rperoberfl%C3%A4che
[3] D. Kühn et al, Rettungsdienst heute, 5. Auflage

Weiterführende Links
Über die Reihe "Das Einmaleins der Notfallmedizin"

In dieser Beitragsreihe erkläre ich in loser Folge Begriffe aus der Ersten Hilfe und Notfallmedizin, die mir gerade wichtig sind. Grundsätzlich dient die Reihe auch dazu, mein eigenes Wissen aufzufrischen.

Bisher sind erschienen:
Das ABCDE-Schema
Die Anamnese
Der anaphylaktische Schock
Adenosin

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Sehr ausführlich beschrieben, toller Beitrag!
Ich hatte in meinen 9 Monaten bei der Rettung (zum Glück?) keine Brandverletzungen zu versorgen, obwohl ich die aluminiumbedampften Wundauflagen gerne mal "in Aktion" gesehen hätte, wenn man schon jeden Tag darauf achtet, dass eine mittlere im Unfallkoffer und eine große im Auto ist...

Ich bis jetzt auch nicht. Toi, toi, toi. Obwohl es vermutlich nicht viel anders wäre als bisher: Überwachung anschließen, Infusion vorbereiten, Zeug anreichen ...
Das heißt, bei nem Sandienst kam mal einer vom Würstlestand, der gegen den Grill gelangt hatte. Mit einer Stunde Verspätung, also haben wir nicht viel gemacht. Salbe, Verband, fertig. ;o)



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Sehr informativ, danke. Ich hätte wohl instinktiv auch eher mit eiskaltem Wasser gekühlt. Was genau ist denn das Problem dabei? "Verkühlen" tut man sich doch meitens nicht so schnell?

Das Problem, soweit ich mir das zusammenreimen kann, ist, daß durch die veränderte Flüssigkeitsverteilung in der Haut, aber auch durch die Verbrennung selbst sonst vorhandene Schutzmechanismen der Haut nicht mehr greifen.
Mir passierte es ja in der Vergangenheit schon mal, daß ich ein gebratenes Hühnerbein etwas zu früh aus dem Ofen holte, es aufschnitt und dann viel Wasser rauslief. Kennt man von anderem Fleisch auch, daß beim Garen Flüssigkeit abgeht. Die kleinen und kleinsten Kapillaren werden zuerst geschädigt, aber die Flüssigkeit muß ja irgendwo hin, bleibt also im interstitiellen Raum, bis sie irgendwo austreten kann. Und Wasser nimmt genauso schnell Wärmeenergie auf, wie es sie abgibt.

Sehr interessant, danke.

Bitte. Fühlt sich komisch an, Dir Sachen zu erklären. ;o)

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Ein wirklich sehr informativer Artikel!

Ich bin selbst Erntehelfer und merke immer wieder wie anstrengend es ist diese Hausmittel-Weisheiten aus den Köpfen der Menschen rauszubringen. Ich hatte mal eine Küchenmitarbeiterin, die die schlimmsten Brandwunden immer nass gemacht und dann Salz drauf geschüttet hat. Konnte gar nicht zuschauen dabei...

Salz???? Das muß doch höllisch weh getan haben ... vermutlich meinte sie, das Salz zieht die Flüssigkeit aus der Brandblase ... kopfschüttel

Ja meint sie, und sie macht es auch als Jahren (Küchenchefin in der Gastro). ich habe es ein paar mal getestet. Weh getan hat es nie mehr als die Verbrennung selbst, aber geholfen glaub ich auch nicht.

I'd love to read your content. Please write in english.

There has never been a real request for the same content in English so far. Some details apply specifically for Germany. And I'm not among the most qualified medical staff on Steemit. Maybe someone else wrote about burns already too.
There might be translations some day but I don't make promises.

Was mache ich als Ersthelfer?
...
nichts auf die Haut aufbringen

Was hälst Du von Hydrogel Wundabdeckungen wie BurnTec für eine Erstversorgung in einem Szenario, wo eine weitergehende Versorgung nur deutlich verzögert (mehrere Stunden) stattfinden kann?

Ich finde die Kombination der Kühlung mit einer guten Abdeckung gegen bakterielle Infektionen sehr interessant.
Ich teste ja immer gerne alles aus meiner Ausrüstung, mich selber zu verkokeln, hab' ich aber noch nicht machen wollen...

Ups, den Kommentar sehe ich jetzt erst. Kühlen und antibakteriell abdecken ist immer gut, etwas draufschmieren, das verkleben kann, ist eher suboptimal. Aber das wird Dir auch der Apotheker sagen, bei dem Du die Salbe kaufst. :)
Ich bin kein Apotheker und diese Gele gehören nicht zu unserer Ausrüstung.

Bei Verbennungen 1. und 2. Grades würde ich auch zu Verbrennungsgel greifen (bei mir selbst verwende ich dann gern Aloe Vera-Gel), bei 3. Grad würde ich je nach Sachlage entscheiden. Bei eigenen oder fremden Kindern sollten Hausmittelchen eher nicht verwendet werden.

Für eine Verbrennung 2. Grades reicht ein unachtsamer Griff an das Gitter im Backofen oder den Topf auf dem Herd. Bei einer Wärmflasche oder kochendem Wasser ist die Verbrennung teilweise oder sogar größtenteils drittgradig.

Die verlinkten Bandagen sind ähnlich einer sterilen Wundabdeckung, aber getränkt mit dem Brandgel.
Nach meinem Selbsttest bleibt das Gel beim Abnehmen auch an der Trägerlage und schmiert fast gar nicht. Allerdings hab ich mir für den Test auch nicht 5x5 cm Oberhaupt abgehobelt...

In der Praxis hoffe ich das nicht anweden zu müssen; Verbrennungen sind einfach eine fiese Sache...

Posted using Partiko Android

Danke für Deine überaus wertvollen Tipps, Anne !
Das hilft, das Richtige zu tun.

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