Die unglaubliche Welt der Savants und ihre Hintergründe

in #deutsch6 years ago


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Schon als ich es exakt vor acht Jahren im Fernsehen das erste Mal sah, lies es mich nicht mehr los. Ich musste ständig daran denken, wie es wohl wäre, ein fotografisches Gedächtnis zu besitzen. Später während meines Studiums begann ich die Anwaltsserie 'Suits' von Aaron Korsh zu schauen, in der Mike Ross ein fotografisches Gedächtnis besitzt und einsetzt, um Fälle vor Gericht zu gewinnen. Auch wenn es sich dabei nur um eine bloß fiktionale Serie handelt, fesselten mich folgende Worte von Mike Ross: "I like to read. And once I read something, I understand it, and once I understand it, I never forget it." Dies lies und lässt mich heute noch sehr nachdenklich werden. Was ist, wenn in jedem von uns ein fotografisches Gedächtnis ruht und es nur darauf wartet, zum Vorschein gebracht zu werden?

Tatsächlich ist der Begriff des fotografischen Gedächtnisses höchst umstritten und kann nicht klar abgegrenzt werden. In der Psychologie wird auch von einem sogenannten eidetischen oder ikonischen Gedächtnis gesprochen.1 Erstaunlich ist, dass ein ikonisches Gedächtnis oder auch Ultrakurzzeitgedächtnis genannt, fast jeder Mensch besitzt. Streng zu unterscheiden ist davon aber das bekanntere Kurzzeitgedächtnis, dass dem ikonischen Gedächtnis chronologisch nachgelagert ist. George Sperling von der Harvard Universität hat in seiner Niederschrift "The information available in brief visual presentations"2 festgestellt, dass das ikonische Gedächtnis eine viel höhere Speicherkapazität hat, als das Kurzzeitgedächtnis. Der Haken daran ist aber seine Flüchtigkeit. So zerfallen die ersten "Memory Chunks" bereits nach 200 bis 400 Millisekunden. Aufgrund dieser sehr kurzen Zeitspanne kann ein Mensch sein Wissen aus dem Ultrakurzzeitgedächtnis praktisch nicht abrufen.

Interessanterweise haben ca. 5-10 Prozent aller Kleinkinder ein eidetisches Gedächtnis. 3 Mit dem Wachstum und der Entwicklung des Körpers geht das eidetische Gedächtnis danach aber zurück. Dies lässt sich damit erklären, dass jene Synapsen die für ein bildliches Gedächtnis verantwortlich sind, mit der Zeit durch Nichtnutzung abgeschaltet werden. Dies liegt wohl daran, dass ab der Volksschule bei jedem Kind die Kreativität praktisch erstickt wird. Für Kritik an unserem Bildungssystem ist aber hier wenig Platz, weswegen ich dies auf einen anderen Beitrag verschiebe. Zurück zum Thema. Als Erwachsener wird einem die erstaunliche Merkfähigkeit seines Kindes wohl erst beim Spielen mit Memory Karten bewusst.

Auch beim Üben von sogenannten Gedächtnistechniken ist mir aufgefallen, dass sich Erwachsene weitaus schwerer tun, Begriffe bildlich vorzustellen. Viele Savants oder Menschen mit Inselbegabung geben an, dass sie sich die schier ungeheuren Mengen an Informationen bildlich merken. Bei Memory Techniken geht man auch ähnlich vor, in dem man versucht, sich Begriffe möglichst verrückt und lebhaft - also bildlich vorzustellen. Vielleicht besteht hier eine Verbindung?

Gehirnscans haben gezeigt, dass bei besonders emotionalen Momenten unsere Gefühlszentrale (limbisches System) aktiviert wird. Durch Gefühle werden Informationen und Erlebnisse emotional belebt und aufgewertet. Diese mit Gefühle versetzten Informationen brennen sich dann sehr stark in unser Gedächtnis ein. 4 Dies ist oft der Grund warum wir sehr emotionale Kindheitserlebnisse oft nur schwer vergessen können und wollen. Diese Funktion kann man bewusst nutzen und als Lernmethode einsetzen.

Das limbische System ist ein Gehirnareal, das zur Verarbeitung von Emotionen dient. Die Neurowissenschaft beschreibt das limbische System als das emotionale Machtzentrum des Gehirns. Ein sehr interessanter Zusammenhang, nachfolgend erläutert, ist mir bei meinen Recherchen aufgefallen: Alzheimer ist eine sehr bekannte Krankheit, unter der viele ältere Menschen erkranken und als Folge Gedächtnisverlust erleiden. Erstaunlich ist, dass einer der ersten Gehirnareale, die von der Allzheimer Krankheit befallen werden, der Hippocampus ist. Interessanterweise könnte man hieraus also schlussfolgern, dass für die Bildung von langfristigen Informationen im Gedächtnis unbedingt Gefühle notwendig sind - auch wenn sie uns vielleicht nicht bewusst sind.


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Das Problem wurzelt also darin, dass bei einem normalen Menschen die Informationschunks zu schnell verfallen um sie nachhaltig abrufen zu können. Es mangelt normalen Menschen also an der Speicherdauer und nicht an der Speicherkapazität. In Film und Fernsehen bekommt man außergewöhnliche Menschen zu Gesicht, die sich eine scheinbar unendliche Menge an Informationen in wenigen Minuten einprägen können. Das solche Menschen auf den ersten Blick wie nicht wie "unseres gleichen" gesehen werden können, ist wohl nachvollziehbar. Diese Menschen haben daher schon von Natur aus Schwierigkeiten, sich in unsere soziale Welt zu integrieren. Wir nennen sie Savants ("Gelehrter" auch "Wissender") oder Menschen mit Inselbegabung.5

Der Begriff der Inselbegabung kommt daher, dass diese Menschen in sehr kleinen Teilbereichen (sogenannten "Inseln") außergewöhnliche Leistungen vollbringen können, obwohl sie manchmal in anderen Teilbereichen ein starkes Handicap aufweisen. So beweist die Statistik, dass ca. die Hälfte aller Savants auch Autisten sind. Andersrum sind aber nur ein kleiner Teil der Autisten auch Inselbegabt. Savants erhalten ihre außerordentlichen Fähigkeiten meist seit Anbeginn ihres Lebens, sie können allerdings auch später durch Hirnschädigungen entstehen.

Welche genauen Prozesse oder Gendefekte allerdings notwendig sind, damit ein Mensch mit Inselbegabung geboren wird, ist bis heute weitgehend unerforscht. Der Hintergrund liegt darin, dass es nicht den einen typischen Savant gibt. Viel mehr gibt es unzählige Ausprägungen und (Teil-)Fähigkeiten der Savants, sodass ein Model aufgrund der verschiedenen Variationen nur schwer nachgebildet werden kann.

Es gibt viele Theorien und Behauptungen, wie Savants zu ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten kommen. Eine veraltete Theorie legt dar, dass es sich bei Savants um verunglückte Genies handle. Diese Theorie kann sich aber in der modernen Wissenschaft nicht behaupten. Vielmehr vermutet man, dass es durch die autistischen Ausprägungen zu einer Konzentration in gewissen Teilbereichen ("Inseln") kommt. Nach Draaisma ist der Savant ein Produkt aus Konzentration, Einseitigkeit und endloser Wiederholung.6 Diese Theorie legt nahe, dass auch normale Menschen ein Züge eines eidetisches Gedächtnis entwickeln könnten, würden sie sich nur lange genug auf ein und diesselbe Sache konzentrieren. Dadurch, dass sich aber die breite Masse nicht 24/7 mit Erkennung von Mustern oder dem Entwickeln von Rechenbausteinen, sondern mit sozialen Kontakten, Sorgen und Wünschen beschäftigt ist, ist die Entwicklung eines eidetischen Gedächtnisses auf diesen tendenziell auszuschließen.

Wie "verschiebbar" die Grenzen für Nicht-Savants sein können, demonstrieren Menschen bei Memory-Wettbewerben bei denen bis zu 1000 Ziffern oder eine Vielzahl von komplexen Wörtern in wenigen Minuten eingeprägt und dann fehlerlos widergegeben werden. Diese Fähigkeiten sind aber das Resultat harten Trainings und nicht eines genetischen Defekts. In diesem Sinne kann man hier sehr wohl die Theorie vertreten, dass sich die Fähigkeiten eines Savants erst aufgrund ihrer einseitigen und trivialen Tätigkeiten entwickeln. Sehr oft bemerkt man auch, dass sich Savants durch niemanden von diesem "one track mind" abbringen lassen - sie sich also in einem Zustand der "höchsten Konzentration" befinden. 7

Eine weitere sehr gängie Theorie besagt, dass bei Savants die "Filterfunktion" des Gehirns deaktiviert ist. Die Filterfunktion dient vor allem dazu, eine Überforderung des Gehirns zu vermeiden und schnelle, rationale Entscheidungen treffen zu können. Dabei werden dem-Menschen-als-wichtig-vorkommende Informationen bevorzugt bewusst gespeichert und gefiltert. Bei den Gedächtnistechniken gibt es auch eine sehr bekannte Technik die als "Priming" bezeichnet wird, deren Basis dem hierzu beschriebenen sehr ähnlich ist. Es geht darum, sich vor dem Lesen einer Seite die Frage "Was ist an dieser Seite interessant?" zu stellen. Dies schafft eine erhöhte Konzentration und Aufmerksamkeit - was unterm Strich in eine erhöhte Merkfähigkeit resulitiert.8 Jedem begeisterten Leser ist sicherlich auch bekannt, dass man sich besonders interessante Informationen tendenziell leichter merkt, sie also nicht ausfiltert. Aus persönlichen Erfahrungen mit Gedächtnistechniken, insbesondere der Priming-Technik stelle ich hier die Behauptung auf, dass diese Filterfunktion tatsächlich existiert und sie nicht nur ein theoretisches Konzept ist. Wo sie sich aber genau im Gehirn befindet, mag ich nicht zu erklären.

Fraglich ist aber, wohin die ausgefilterten Informationen wandern. Sind sie für immer verloren und müssen gegebenfalls wieder erneut durch Sinneseindrücke in unser Gehirn aufgenommen werden? Ich vermute, dass hier das Unterbewusstsein, was es auch immer genau sein mag, eine wesentliche Rolle spielt. Zunächst möchte ich auf das Unterbewusstsein näher eingehen, da ich vermute, dass dort weitaus mehr gespeichert ist - als uns im wahrsten Sinne des Wortes bewusst ist.

Die Entdeckung des Unterbewusstseins geht auf Sigmund Freud zurück. Nach Freud werden dabei alle Informationen, die wir bewusst verdrängen - ob wir es wollen oder nicht - im Unterbewusstsein gespeichert. 9 Der Psychoanalytiker stellte sogar die Behauptung auf, dass ein kollektives Unterbewusstsein in jedem von uns vorhanden wäre, in der das ganze Wissen der Menschheit gespeichert wäre. Obwohl diese Behauptungen empirisch natürlich schwer zu überprüfen sind, hat man zumindest vereinzelt Nachweise in der Epigenetik zur Unterstützung dieser Theorie gefunden. 10

Etwa 95-99% aller täglichen Abläufe werden durch das Unterbewusstsein gesteuert. Denn auch wenn wir es nicht bemerken, werden unsere Gedanken, Handlungen und Gefühle zum größten Teil durch unser Unterbewusstsein geprägt. Zum Beispiel denkt niemand, mit Ausnahme eines Fahranfängers, über die Wahl des richtigen Ganges beim Autofahren nach. Selbiges gilt für viele Sportarten. Ein viel einfacheres Beispiel aber ist die Sprache oder das unbewusste Wahrnehmen von äußeren Eindrücken durch die Sinnesorgane. Das menschliche Gehirn ist von Automatismus geprägt und versucht dem bewussten Denken nur die wirklich wichtigen Aufgaben, die aktuell von Bedeutung sind, zu übertragen.

Folgt man dieser Theorie, sind im Unterbewusstsein somit theoretisch alle Gedanken, Gefühle und Sinneseindrücke unseres gesamten Lebens gespeichert. Seit der Entdeckung des Unterbewusstseins stellen sich renomierte Forscher immer wieder die Frage, wie man das Unterbewusstsein anzapfen könnte. Klar ist allerdings, dass dies nicht so einfach ist. Dazu bedarf es bestimmter Techniken von Psychologen, Psychotherapeuten, Psychoanalytikern oder Hypnotiseuren. Über die Methoden und deren Wirkungsweisen wird allerdings bis heute sehr viel diskutiert.

Doch wie sieht es bei Menschen mit Inselbegabung mit dieser Filterfunktion aus? Es wird angenommen, dass Savants diese gerade nicht haben und deswegen die meisten Savants mit dem täglichen Leben und den sozialen Interaktionen so derart überfordert sind. Dadurch das der Filter schlichtweg nicht besteht, gehen wohl alle wahrgenommenen Informationen direkt in das bewusste Gedächtnis und sind aus diesem auch sofort abrufbar.

Savants sind erstaunliche Menschen, die auch in mir einen tiefen, positiven Eindruck hinterlassen haben. Zurzeit trainiere ich mir eine Technik namens "Photoreading" selbst an, die verspricht, Informationschunks direkt aus dem Unterbewusstsein holen zu können. Wäre dies wirklich möglich, so käme dies einem Savant nach den oben beschriebenen Darlegungen schon sehr nahe. Gerne schreibe ich im nächsten Artikel mehr darüber. Ich hoffe, der Artikel hat dem ein oder anderen gut gefallen und regt zum Nachdenken über die tiefe Welt der uns unerklärlichen Savants an.

2073 Wörter

Quellen:
1 https://de.wikipedia.org/wiki/Ikonisches_Ged%C3%A4chtnis
2 http://www.cogsci.uci.edu/~whipl/staff/sperling/PDFs/Sperling_PsychMonogr_1960.pdf
3 David Moxon: Memory. Heinemann 2000, ISBN 978-0-435-80652-1, S. 15 (Auszug (Google))
4 https://de.wikipedia.org/wiki/Limbisches_System
5 https://de.wikipedia.org/wiki/Inselbegabung
6 Douwe Draaisma: Der Profit eines Defekts: das Savantsyndrom. Piper 2006, ISBN 3-492-24492-0
7 https://books.google.at/books?id=v3hMZo-qZrMC&pg=PA92&lpg=PA92&dq=one+track+mind+savants&source=bl&ots=PYQiIzooW3&sig=wmPMH6j7RWxf1lGSW2DTqmHGsH0&hl=en&sa=X&ved=2ahUKEwi71dmBuK7eAhWBCOwKHTceC-kQ6AEwAXoECAAQAQ#v=onepage&q=one%20track%20mind%20savants&f=false
8 https://www.markchannon.com/blog/priming-for-daily-success
9 https://medlexi.de/Unterbewusstsein
10 http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/oai/container/index/docId/41471 (direkter Download)

Weiterführende Links:
https://academic.oup.com/brain/article/137/4/e268/365419
https://www.e-study-psychologie.de/mod/book/view.php?id=2932&chapterid=3317



Was denkt ihr über Savants? Ich freue mich über eure Kommentare! :-)

euer @infinitelearning
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Dass es Menschen mit außergewöhnlichen Begabungen gibt, ist unbestritten, aber ich habe mal eine Romanserie über Savants gelesen, die Fähigkeiten hatten, die für mich weit über das Mögliche hinausgingen. - Aber wer weiß? Vielleicht nutzen wir ja alle unsere Ressourcen nicht richtig aus?

Das ist die große Frage, die wir nur dadurch herausfinden können, in dem wir über unsere Grenzen gehen :)

War sehr informativ und interessant! Ich kannte die Bezeichnung "Savant" bislang auch nicht.

The word is actually very French! that triggered my attention ;)

Vielen Dank @sco! Freut mich wirklich sehr! :)

Servus.

Savants, die Bezeichnung hab ich noch nie gehört.
War allerdings sehr informativ der Post, Respekt! Wieder was gelernt.

Vielen lieben Dank! :)

Schöner Artikel!
Vor ein paar Jahren habe ich mir auch einige Dokus zum Thema Savants angesehen. Interessant fand ich dabei vor allem die Geschichte von Orlando Sorrell, die wohl für die Theorie der Deaktivierung der "Filterfunktion" spricht. Sein Beispiel zeigt sehr gut, dass Inselbegabung oft mehr Fluch als Segen sein kann...

P.S.: Suits finde ich auch mega! 😊

Vielen Dank für das Lob. Der Name sagt mir durch meine Recherchen bereits was, wusste das Detail dazu nicht! :) Ja Suits ist echt mega cool! :D War schön mal wieder was von dir zu hören! :)

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