Postmodernismus erklärt: Skeptizismus und Sozialismus von Rousseau bis Foucault - Teil 28v100

in #deutsch7 years ago (edited)

Das Buch "Explaining Postmodernism" von Stephen Hicks setzt sich kritisch mit dem Postmodernismus auseinander und liefert eine Erklärung für dessen Funktionsweise. Als Leitkultur westlicher Kulturen wird der Postmodernismus von vielen Intellektuellen, Akademikern, Künstlern und Politikern vehement unterstützt. Gleichzeitig zeigen sich aber auch in Deutschland immer mehr die negativen Auswirkungen dieses Systems philosophischer - oder sich philosophisch gebender - Axiome, weshalb es von größter Bedeutung ist, den Postmodernismus in seinen Eigenschaften und in seiner Tragweite zu verstehen. Die Vorlage ist das Buch "Explaining Postmodernism" von Stephen Hicks, die Übersetzung ein Eigenprodukt.

Zur vorangegangenen Passage geht es hier.

Emotionen als Schlüssel

Mit der völligen Zerstörung von Vernunft und Logik und ihrer Ablehnung als eine scheinbar nur oberflächliche Art des Denkens - immerhin ein Konzept, das die Griechen für die gesamte westliche Welt vorgedacht haben - braucht es einen neuen Zugang zum Sein und zum Nichts. Wir können zwar versuchen, die Sprache zu ergründen ohne Vorannahmen zu Vernunft und Logik zu treffen, aber selbst Worte als Elemente der Sprache haben sich über die Zeit geformt und verändert und sind mittlerweile so verzwickt und überladen mit Bedeutungsschichten, dass sie ihre präzise Aussage fast vollständig verschwommen sind. Ihre ursprüngliche Kraft und ihr Kontakt zur Realität gingen verloren. Wir können daher nur versuchen, diese fest haftenden Schichten wieder von der Sprache zu entfernen, um an die Urwörter zu gelangen, in denen die originale und wahrhaftige verbindende Kraft zum Sein festgeschrieben ist, allerdings wird dies besondere Anstrengungen erfordern.

Für Heidegger bestand die besondere Anstrengung im emotionalen Bereich und gestaltete sich als die Erkundung der eigenen erkenntnisgebenden Emotionen von Langeweile, Angst, Schuld und Ehrfurcht.

Langewile ist eine gute Laune, mit der sich beginnen lässt. Wenn wir gelangweilt sind - also so richtig, richtig, richtig gelangweilt - dann sind wir nicht mehr verhaftet im normalen, gewöhnlichen Alltag, der den größten Teil unserer Zeit benasprucht. Wenn wir gelangweilt sind, dann "driften wir hierhin und dorthin in den Abgrund einer Existenz gleich einem gedämpften Nebel," und alles Sein wird egal und eins gleicht dem anderen. Alles zerfliesst und vermischt sich in eine undifferenzierbare Menge.

Dabei vollzieht sich eine Veränderung der Wahrnehmung: "Diese Langeweile enthüllt das, was tatsächlich ist." Wahre Langeweile trägt einen weg vom normalen Fokus auf das Spezielle und das sich darum kümmern und das Bewusstsein wegdriften, wodurch sich einem der Sinn für die Gesamtheitlichkeit eröffnet. Dieser Schritt aber bringt Angst und Ehrfurcht mit sich. Dieser Teil im Prozess der Selbstauflösung eines bestimmten Seins in den Zustand der Undifferenziertheit ist die Auflösung des inneren Gefühls der Einzigartigkeit, des Individuums. Ist das Selbstgefühl erst einmal aufgelöst wird es zu einem indifferenten Sein - gleichzeitig geht damit auch das Gefühl der Eigenidendität verloren und wird in die Bedeutungslosigkeit degradiert - was effektiv bedeutet, dass man zu einem Nichts wird. Das alles ist verstörend.

In Erfurcht "schweben wir". Oder um es genauer zu sagen, die Ehrfurcht hält uns in der Schwebe, da sie uns die Gesamtheitlichkeit nimmt. Daher rutschen auch wir als Wesen des Gewöhnlichen in diesem Prozess aus uns heraus. Aus diesem Grund ist es nicht das "du" oder das "ich", das in einem als Gefühl hochkommt, sondern das "ein".

Dieses Gefühl der Ehrfurcht, die mit dem Gefühl der Selbstauflösung allen Seins einhergeht war für Heidegger ein metaphysisch potenter Zustand, da man damit einen Vorgeschmack auf den eigenen Tod bekommt, ein Gefühl der Selbstvernichtung, ein Gefühl des ins Nichts gehens - und daher ist es auch ein Gefühl, das einen metaphysisch in die Mitte des Seins bringt.

Man darf daher absolut nicht diesem überwältigenden Gefühl der Verzweiflung nachgeben und von der Ehrfurcht wegrennen und zurück in die Sicherheit des eigenen kleinlichen Alltagslebens zurückkehren. Man muss die eigene Ehrfurcht zelebrieren und sich ihr ergeben, denn die "nur von den Mutigen gefühlte Ehrfurcht" ist ein emotionaler Zustand, der einen für die ultimative Erkenntnis öffnet. Diese ultimative Erkenntnis besteht in der Wahrheit der judäo-christlichen und hegelianischen Metaphysik.

In Ehrfurcht beginnen wir zu fühlen, dass das Sein und das Nichts identisch sind. Deswegen ist die gesamte Philosophie, die auf dem griechischen Modell basiert falsch und es ist das, wohin jede Philosophie, die nicht auf der griechischen basiert versucht hinzugelangen.

"Nichts," so schrieb Heidegger,"bietet einem auch nur annähernd konzeptionell das Gegenteil des Tatsächlichen und ist gleichzeitig auch ein Teil der ursprünglichen Essenz." Laut Heidegger war es Hegel, der diese für die westliche Tradition verlorene Einsicht wieder zurückholte: "Das pure Sein und das pure Nichts sind daher ein und das selbe. Diese Vorbemerkung zu Hegels Wissenschaft der Logik ist korrekt." Hegel selbst hatte diese in seinem Versuch erkundet, die judäo-christliche Vorstellung der Schöpfung wieder zu Relevanz zu verhelfen, in der Gott die Welt aus dem Nichts erschuf. Heidegger beräftigte diese judäo-christliche Behauptung, nach der "alles Sein, so weit es als ein Sein bezeichnet werden kann, aus dem Nichts entstand."

Nachdem also Vernunft und Logik aufgegeben wurden und nachdem die wahre Langeweile und die furchterregende Ehrfurcht erlebt wurden entblöst sich vor uns das finale Myterium aller Mysterien: Das Nichts. Am Ende ist alles Nichts und das Nichts ist alles. Mit Heidegger erreichen wir daher schließlich den metaphysischen Nihilismus.

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So faszinierend wie beängstigend!
Ich kann mir nicht helfen, doch solche Passagen lesen sich wie frisch gepresst im Elfenbeinturm.

Dichter und Denker halt :) ich hab mal gelesen, das in der Ontologie der Hl. Thomas von Aquin der Maßstab ist, in der Transzendentalphilosophie Immanuel Kant und im Göttlichen-Absoluten (oda so ähnlich) Hegel. Damit wären 2/3 dieser Universalwissenschaft deutsch geprägt, was dann ja nur abfärben kann.

Kataplexie. Wieder was gelernt.

solche Passagen lesen sich wie frisch gepresst im Elfenbeinturm.

Oh ja. Heidegger meinte ja selbst sogar, dass ein Philosoph keinen Alltag haben darf und sich langweilen muss, sprich, er muss entrückt sein vom normalen Leben. Das ist die Definition von Elfenbeinturm.

So gesehen haben wir heute gut 5 Mio Philosophen im Land.

Die englische Version war sehr, sehr schwammig. Übersetzen musste ich daher relativ frei, zumal einige der mehrere Worte umfassenden Umschreibungen mit einem schlichten deutschen Wort ausgedrückt werden können, etwa die Ganzheitlichkeit. Mir ist bislang nicht aufgefallen, wie stark die deutsche Sprache philosophisch geprägt ist, als an dieser Passage. Das ist ziemlich beeindruckend - und auch problematisch für alle Denker, die kein Deutsch beherrschen. Denn auch wenn man die deutsche Philosophie ablehnt, sie ist die eindeutig bedeutendste in der heutigen Zeit.

Zu Heideggers Gefühlsrausch, den er für die Erkundung tiefer philosophischer Gedanken brauchte, liesst sich wie die Beschreibung von Kataplexien. Das habe ich auch manchmal und ist idR recht seltsam und unangenehm.

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