Der Überwachungsstaat schreitet voran

in #deutsch5 years ago

Automatische Kfz-Kennzeichenprüfung unter dem Deckmantel einer Dieselfahrverbotsüberwachung

Dank des Informationsfreiheitsgesetz und noch größerem Dank der Anstrengungen einiger Aktivisten werden nun auch endlich Fachinformationen und Analysen, die mit Steuergeldern bezahlt werden, auf einer Homepage des Deutschen Bundestags veröffentlicht.

Am 12. Dezember 2018 wurde u.a. eine Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags veröffentlicht, von der alle nachfolgenden Zitate stammen. Sie trägt den Titel:

Gesetzentwurf zur automatisierten Erfassung und Verarbeitung von Kennzeichen und Bildaufnahmen zur Überwachung von Dieselfahrverboten > Datenschutzrechtliche Anforderungen und Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
https://www.bundestag.de/blob/584916/09baa28e5acb56a279de219d9c7f6800/wd-3-413-18-pdf-data.pdf

Ich will an dieser Stelle nicht auf die Ausarbeitung in voller Gänze eingehen. Kurz gesagt ist sie sehr gut. Über einige Einschätzungen kann man durchaus diskutieren. Die Sichtweise der Autoren ist nicht die Sichtweise von Betroffenen (von unten nach oben), sondern von oben (Staat) herab auf die Bürger .

Bevor auf den Inhalt und die Auswirkungen eines solches Gesetzes komme, möchte die dahinterliegende Agenda kurz streifen.

Kapitalismus lebt von Wirtschaftswachstum

Der geneigte Leser kennt möglicherweise die Diskussion um die sog. Klimaveränderung sowie deren Profiteure (siehe Wer profitiert vom propagierten Klimawandel).

Sogar die Autoindustrie profitiert vom sog. Dieselskandal, obwohl man dies auf dem ersten Blick nicht glauben mag. Denn dadurch, dass Fahrzeuge mit bestimmten Verbrennungsmotoren nicht in (immer mehr werdende) Bereiche einfahren dürfen, werden deren Halter kurz- und mittelfristig genötigt, sich neue Fahrzeuge anzuschaffen. Dies kurbelt die hiesige Wirtschaft an, selbst bei Importautos.

Gefahren für uns Bürger

Die Gefahren, die uns Untertanen durch diesen Überwachungsparagraphen drohen, bestehen in einem weiteren Ausbau der Überwachung dank Digitalisierung und trotz DSGVO. (Siehe auch DSGVO - 4 Implikationen eines Trojanischen Pferdes und Orwell)

Denn nun wird die digitale Überwachung von fließendem Verkehr und deren automatischen Abgleich mit einer zentralen Datenbank gesetzlich legitimiert. Digitale Überwachung von fließendem Verkehr wurde in Deutschland durch das überdimensionierte LKW-Mautsystem bereits eingeführt. Überwacht werden dort auf Bundesstraßen jegliche Passanten bis zu den Beifahrern. Nun wird das System auf kommunale Straßen ausgerollt und legitimiert.

Was bezweckt der Gesetzgeber?

Alle Zitate in diesem Steemit-Artikel von Gesetzentwurf zur automatisierten Erfassung und Verarbeitung von Kennzeichen und Bildaufnahmen zur Überwachung von Dieselfahrverboten. Datenschutzrechtliche Anforderungen und Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung:

2. Inhalt des Gesetzentwurfs
Dieselfahrverbote können aufgrund von § 40 Bundes-Immissionsschutzgesetz nach Maßgabe der straßenverkehrsrechtlichen Vorschriften oder aufgrund straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften zum Schutz der Wohnbevölkerung oder der Bevölkerung vor Abgasen zur Abwehr immissionsbedingter Gefahren angeordnet werden.

Dazu soll § 63c mit sechs Absätzen in das Straßenverkehrsgesetz (StVG) eingefügt werden. Zuständige Landesbehörden dürfen Kennzeichen (Nr. 1), Fahrzeugdaten (Nr. 2), Bildaufnahmen des Fahrzeuges und des Fahrers (Nr. 3) sowie Ort und Zeit der Teilnahme am Verkehr (Nr. 4) zur Überwachung von Dieselfahrverboten erheben, speichern und verwenden.

Satz 1
... erlaubt eine versteckte Datenerhebung, wenn der Zweck der Maßnahme durch eine offene Datenerhebung konkret und erheblich gefährdet werden würde.

Satz 2
... berechtigt die zuständigen Landesbehörden zum automatisierten Abruf der im Zentralen Fahrzeugregister (ZFZR) zu einem KFZ-Kennzeichen gespeicherten Fahrzeugdaten, nicht aber der Halterdaten.

Zunächst ist nur der Abruf aus dem ZFZR und nur zum Zweck der Überwachung von Dieselfahrverboten geplant. Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen aber, diese Begrenzung sukzessive aufgeweicht werden wird.

Als nächstes kommt eine präventive Gefährderprüfung dazu. Denn schließlich will man die Innenstädte vor z.B. Weihnachtsmarkt-Randalen schützen (bedenke inszenierte Vorfälle in Berlin und Straßburg, von denen schlecht informierte Kreise glauben, dass dies Enthusiasten mit Selbstverwirklungsdran gewesen seien).

Schließlich wird dieses Prozedere präventiv auf jedes vorbeifahrende Fahrzeug ausgedehnt werden. Man bedenke die Kompetenzerweiterungen aufgrund der neuen Polizeigesetze. Schließlich müssen die Bürger geschützt werden.

Satz 5 und 6
Für die Löschung der übermittelten Daten bei den Ordnungswidrigkeitenbehörden stellt Absatz 5 die Zweckbindung, also die Geltung der entsprechenden Vorschriften für das Bußgeldverfahren klar.

Nach Absatz 6 sollen insbesondere landesrechtliche Regelungen über die Überwachung des Straßenverkehrs unberührt bleiben. Das bietet allerhand Raum für Kreatives. Ich interpretiere das so, dass ein Land die Speicherfrist und Zweckbindung erweitern darf. Testweise könnte man das mal temporär und später dauerhaft probieren und schauen, wer aufschreit (Juncker-Methode, die in der EU praktiziert wird).

Ein solcher Testfall könnten bekannte Volksfeste (Weihnachtsmärkte, Oktoberfeste in München/Stuttgart, Schützenfest in Hannover, Gäubodenfest in Straubing usw.) sein. Da man die Bevölkerung vor (inszenierten) Anschlägen schützen will, wird jedes Kfz. gescannt (Vorratsdatenspeicherung).

Gesichtserkennung macht man auch gleich mit und gleicht die Ergebnisse mit der Fahndungskartei ab. Schließlich will sich kein Bürokrat nachsagen lassen, er hätte nichts zum Schutz seiner Steuerzahler getan. Das Wort Gesichtserkennung kommt allerdings im Gesetzestext nicht vor. Aber ich denke, findige Leuten werden interpretierbare Textpassagen nutzen, um sie entsprechend zu interpretieren. Ansonsten wird es in anderen Gesetzen, Verordnungen versteckt, z.B. Polizeiaufgabengesetz.

Und was machen eigentlich die geheimen Dienste, angefangen beim Landesverfassungsschutz? Wie ist deren Zugriff auf die Daten und was machen diese mit den Daten? Werden diese brüderlich/internetmäßig geteilt (kopiert)? Wie lange ist die Speicherdauer der Kopien? Und mit welchen anderen Datenquellen werden die so erlangten Daten zusammengeführt? Welche Erkenntnisse werden daraus erlangt? An wen werden die Daten durch die geheimen Dienste weitergegeben? Wer kontrolliert das überhaupt?

Vorgeschobene Löschfrist

Gemäß Satz 2 sind die Daten in jedem Fall sechs Monate nach ihrer erstmaligen Erhebung zu löschen.

Was ist aber, wenn ich täglich oder wöchentlich in eine solche Kontrollzone einfahre? Die ersten sechs Monate werden wahrscheinlich die Bestandsdaten, die beim ersten Einfahren kreiert wurden, erweitert. Nach dem Löschen meiner Daten beginnt das Spiel von Neuem. Dann wird eine erneute Abfrage beim ZFZR durchgeführt und das Datensammeln fängt theoretisch wieder bei Null an.

  • Wer sagt mir als Betroffener, dass die alten Daten vollständig gelöscht wurden?
  • Sofern ich Auskunft der über mich gespeicherten Daten verlange, woher weiß ich, dass die Auskunft vollständig und richtig ist? Wird das Auskunftsersuchen und der Inhalt der Auskunft gespeichert? Wenn ja, wie lange und wo? Wer hat darauf Zugriff?
  • Woher weiß ich, wer auf meine Daten wann zugriff?
  • Wie erfahre ich, welche Schlüsse aus meinen gesammelten Daten gezogen wurden? Denn die DSGVO sieht ein solches Recht nicht vor!

Was merkte der wissenschaftliche Dienst an?

Der wissenschaftliche Dienst diskutierte zahlreiche Aspekte wie echte, unechte Treffer sowie Nichttreffer. Unechte Treffer sind Dieselfahrzeuge, die eine Einfahrgenehmigung besitzen. Er beschäftige sich auch mit personenbezogenen Daten, insbesondere den fotografischen Beweisen beim Passieren der Kontrollstellen.

Aus Datenschutzsicht daher folgendes Zitat von Seite 16 der Ausarbeitung (Hervorhebung von mir):

**3.3.2.4.4. Bildaufnahmen sonstiger Fahrzeuginsassen **
Sonstige Fahrzeuginsassen setzen ebenfalls selbst durch ihr Verhalten keinen Anlass für die Durchführung der Überwachungsmaßnahmen, da sie weder Halter noch Fahrer der KFZ sind. Insofern lassen sich die Erwägungen unter 3.3.2.4.3. sinngemäß auch auf die Fälle übertragen, in denen echte oder unechte Treffer hinsichtlich der Geltung von Dieselfahrverboten für die jeweiligen KFZ vorliegen. Im Falle der Herstellung von Bildaufnahmen zum Zwecke der Verfolgung von Geschwindigkeitsübertretungen hat das BVerfG die Subsidiaritätsklausel des § 100h Abs. 3 StPO in Verbindung 37 Vgl. BVerfG NJW 2006, 1939. 38 Vgl. BVerfG NJW 2008, 1505 (1507 Rz. 79 m.w.N.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 3 - 3000 - 413/18 Seite 17 mit § 46 Abs. 1 OWiG in die Grundrechtsprüfung einbezogen. Danach dürfen andere Personen von der Maßnahme nur betroffen sein, wenn dies unvermeidbar ist. Auch wenn mit § 63c StVG-E offenbar eine gegenüber den Ermittlungsmaßnahmen nach § 100h StPO eigenständige Ermächtigungsgrundlage geschaffen werden soll, ist die Grundsituation vergleichbar. Dies könnte für eine Übertragung des in § 100h StPO aufgezeigten Maßstabes bezüglich sonstiger Fahrzeuginsassen sprechen.

Da § 63c StVG-E nicht ausschließt, dass eine Sammlung von Daten erfolgt, also im Einzelfall nicht lediglich einzelne Aufnahmen vorliegen können und damit verbundene Einschüchterungseffekte zu einer Beeinträchtigung bei der Ausübung von Grundrechten führen können, könnte eine weitere bundeseinheitliche Einschränkung der im Entwurf vorgesehenen Maßnahmen angezeigt sein. Ob es technisch möglich ist, Bildausschnitte, auf denen weitere Fahrzeuginsassen abgebildet sind, unkenntlich zu machen oder auszusondern, kann nicht abschließend beurteilt werden. Die entsprechende technische Ausgestaltung der Anlagen zur automatisierten Erfassung und Verarbeitung der Bildaufnahmen obliegt nach § 63c StVG-E zudem den Bundesländern.

Welche Regelungen gelten?

  • Für die Datenübermittlung aus dem Zentralem Fahrzeugregister durch das Kraftfahrtbundesamt (Bundesbehörde) gilt das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG).
  • Für die Datenerhebung und -verarbeitung durch die zuständigen Landesbehörden gelten grundsätzlich die jeweiligen Landesdatenschutzgesetze.
  • Betreffen einzelne Regelungen des BDSG oder der Landesdatenschutzgesetze den Anwendungsbereich der DSGVO und sind mit dieser unvereinbar oder lückenhaft, so gilt die DSGVO als höheres Recht.
  • Die DSRL-JI (Datenschutz-Richtlinie im Bereich von Justiz und Inneres) gilt für die Datenverarbeitung zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung, einschließlich des Schutzes vor und der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. In diesem Bereich ist die DSGVO bewusst schwammig gehalten und bietet Raum für so ziemlich jede erdenkliche staatliche Überwachnungs- und Datensammelmaßnahme. Schließlich ist die öffentliche Sicherheit bereits gefährdet, wenn ich eine Silvesterrakete zu Ostern horizontal abfeuere.

Nachgelagerte Halterdatenabfrage

Der neue Paragraph bedeutet, dass die anfänglich nicht abfragbaren Halterdaten in einem zweiten Schritt nachgefordert werden können. Das ist prinzipiell zu begrüßen, schützt aber im Umkehrschluss nicht vor Überwachung und Tracking. Schließlich wird eine öffentliche Institution auf eigene, dann landeseigene und schließlich Bundesdaten zurückgreifen. Das Abfragen von ausländischen EU-Daten ist gegenwärtig noch nicht möglich - ist jedoch leider der nächste logische Schritt zur Gefahrenabwehr. Anfangen könnte man damit mal mit bilateralen Abkommen und später mit einer EU-Verordnung, die an Parlamenten vorbei ruckzuck für alle gilt.

Was bedeutet ein Überwachungsstaat?

Nachfolgend ein Video, welches eigentlich zum Grundwissen gehört. Denn nicht jedem Leser ist überhaupt klar, was ein Überwachungsstaat ist, was dies für den einzelnen Bürger bedeutet und wo dies hinführen kann:

Informationsfreiheitsgesetz und deren Akteure

Auf dem letzten, zwischen den Jahren stattgefundenen Chaos-Computerclub-Treffen in Leipzig (Dezember 2018) gab es einen Vortrag zum IFG namens "35C3 - Best of Informationsfreiheit":

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Guter Beitrag, dem ich zustimme. Siehe auch hier:

Bildungsforscher Gerd Gigerenzer

Deutschland wird eine Überwachungsgesellschaft

Der Psychologe und Ex-Regierungsberater schlägt Alarm: Sprachassistenten sind Heimspione, Barbie verrät Geheimnisse aus dem Kinderzimmer. Ein Interview.

https://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/bildungsforscher-gerd-gigerenzer-deutschland-wird-eine-ueberwachungsgesellschaft/23855396.html

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