[DE - ENG] Wie ich meine Gedichte schreibe · How my poetry „works“

in #deutsch6 years ago

Wie tickt eine Lyrikerin?

Ich wollte die ganze Zeit schon etwas darüber schreiben, was mir meine Gedichte bedeuten. Heute kam dann die Eingebung erstmal nur etwas darüber zu schreiben, wie das Gedichteschreiben funktioniert, so ein bisschen aus der technischen Perspektive. Aber es ist natürlich überhaupt nicht technisch. Es geht eher um die verschiedenen Phasen, die verschiedenen Momente beim Schreiben.

English summary:

How does a female poet "tick"?

All the time I wanted to address what my poems mean to me. Today I got inspired to write more about how writing poems works in general, a little bit like a technical perspective. But of course it does not get technical at all. It’s rather about the different phases, the different moments of writing.

Unterwegs in einem Traum


Ich empfinde es manchmal als Ironie, dass Gedichte relativ wenig mit der Außenwelt und viel mehr mit unserem inneren Reichtum zu tun haben. Für mich sind sie sozusagen ein mit Worten gepflasterter Weg, auf dem ich mehr darüber erfahre, was ich wirklich denke und fühle.

Aus Hegels Philosophie habe ich mitgenommen, dass alles, was sich nicht in irgendeiner Form ausdrücken lässt, nicht wahr, sondern nur ein Traum ist. Eine Erscheinung aber nicht mehr.

Ob meine Gefühle „wirklich“ sind, ist daher eine schwierig zu beantwortende Frage. Ich würde sagen, ihre Auslöser sind wirklich, aber alles andere braucht vermutlich, um „Wirklichkeit“ beanspruchen zu können, eine (manifeste) Ausdrucksform. Und das sind meine Gedichte.

Und wie funktioniert das jetzt?


Zunächst mal ist es wie bei vermutlich jeder Kunstform: Du musst ganz bei dir selbst sein, um das, was in dir steckt, herausholen zu können. Es sind daher in meinem Fall immer nur sehr kurze Momente, in denen ich spüre, dass ich bei mir selbst bin und gleichzeitig (!) zufällig einen Eindruck wahrnehme, der sich bei mir festsetzt. Dieser Eindruck ist sehr schwer zu fassen, er ist eigentlich nicht vermittelbar. Auch nicht durch Gedichte, sie sind nur das Medium, aber nicht die „Wahrheit“.

Meine „Wahrheit“, mein Gefühl, kann ich schlecht direkt mitteilen. Es wäre ja geradezu gruslig, wenn ich das könnte. Ich selbst nutze die Gedichte auch nicht, um anderen meine Gefühle mitzuteilen, sondern, um den Prozess des Bei-mir-selbst-Seins zu intensivieren. Aus den kurzen Momenten mache ich mit den Gedichten lange.

Ich weiß ja erst, indem ich meine Eindrücke in Gedichte „übersetze“, was mich da „getroffen“ hat, und versuche dem dann sozusagen ein „Kleid“ zu verpassen. Um dem Eindruck eine Form, einen Sinn und ein Ziel zu geben.

Mein künstlerischer Anspruch ist es natürlich, aus diesem Eindruck etwas Anziehendes, etwas Schönes oder Weises zu machen. Ich kultiviere da sozusagen etwas, das erstmal nur in seiner rauen, natürlichen Form vorliegt.

Man könnte es als Selbstbeobachtung, gepaart mit dem Wunsch nach Schönheit auffassen. Je mehr ich meine Wahrnehmung auf das Gedichteschreiben fokussiere, desto mehr kultiviere ich mein Innenleben, das ja eigentlich auch etwas Ungezähmtes, Raues an sich hat.

Außerdem trete ich nach jedem Gedicht, das ich schreibe, hoffnungsvoller in den Tag, in die Welt hinaus. Denn es warten überall Eindrücke auf mich. Sie sind nicht immer schön. Ich schreibe ja auch traurige Gedichte. Aber es gibt dennoch in allem auch etwas Schönes zu entdecken. Auch wenn das nur bedeutet, dass ich mich beim Prozess des Wahrnehmens selbst spüre.

Es ist nicht so leicht, den Prozess des Gedichteschreibens in Worte zu fassen, da er einfach sehr persönlich und sehr individuell ist. Er hat, wie gesagt, mehr mit mir selbst als mit meiner Außenwelt zu tun.

Ich hoffe, ich konnte dem einen oder anderen damit aber erklären, wie eine Lyrikerin tickt 🙂


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24.04.2018 UTC + 1
finché vita in petto avrò

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Danke für diesen Beitrag und deinen Einblick! Genau so etwas hab ich jetzt gebraucht. Das motiviert und ist ein echter Lichtblick! :)

Es sind daher in meinem Fall immer nur sehr kurze Momente, in denen ich spüre, dass ich bei mir selbst bin und gleichzeitig (!) zufällig einen Eindruck wahrnehme, der sich bei mir festsetzt.

Genau deshalb hab ich so Probleme mit dem Schreiben von Lyrik. Ich denke mir so oft, dass Texte meine Lieder sehr bereichern würden, aber ich will natürlich nicht irgend ein sinnloses Geschwafel darin haben. Die Lieder sollen meine Gefühle und Gedanken ausdrücken und dazu auch noch cool klingen und richtig deep sein. Klingt fast unmöglich.

In den ganzen Jahren hab ich noch nicht ein Lied mit richtigem Gesang geschrieben. Ich lass bisher immer nur die Melodien sprechen.

Aber kaum hab ich deinen Beitrag gelesen, kamen die ersten Zeilen zu meinem aktuellen Projekt aufs Papier! Zwar noch nicht so deep wie ich es gern hätte, aber ich hab es immerhin noch nicht verworfen.

Danke für die Starthilfe! :)

P.s: Deine Gedichte finde ich auch richtig gut!^^

Vielen Dank! Es freut mich wirklich sehr, wenn ich dir helfen konnte, deine eigenen Worte zu finden.

Es gibt viele Bereiche im Leben, in dem uns buchstäblich die Worte fehlen. Es ist wichtig, dass wir sie uns zurückerobern!

Mach' dir nichts draus, wenn der Anfang holprig ist. Beim Schreiben geht es weniger um deine Außenwelt sondern mehr um dich. Je mehr du die Außenwelt und all' ihre Erwartungen außen vor lassen kann, je mehr es dir gelingt, dich auf dich zu konzentrieren, desto eher wird es dir auch gelingen, eine Sprache für deine Gedanken zu entwickeln. Das ist zugegebener Maßen ein schwieriges Projekt, aber eines, das es Wert ist, immer wieder geübt zu werden. Denn die Ergebnisse, auch wenn sie erstmal nur in der Schublade liegen oder vielleicht noch nicht "vorzeigenswert" sind, sind deine eigenen Worte, deine Leistung. Sie gehören dir und es ist wichtig und wunderbar, zu ihnen zu stehen.

Ich denke, irgendwann kommt ein Prozess in Gang und die "Kräfte" bestärken sich gegenseitig, also deine subjektiven Eindrücke und deine Fähigkeit, diese in "unsere Welt" zu übersetzen, bestärken sich gegenseitig.

Erste Entwürfe und "Unpassendes" würde ich nicht zu schnell wegwerfen. Wir haben die Fähigkeit auch diese zu "kultivieren", ihnen einen hübschen Anstrich zu verpassen. Das braucht Zeit, Ausdauer und Übung. Aber ich denke, das ist es Wert.

Viel Erfolg dabei!

Der Kommentar von Dir ist mal wieder wunderbar! Ich danke dir.

Damit werde ich jetzt einen Ordner namens "Die hilfreichsten Kommentare" anlegen und Deiner gehört auf jeden Fall da rein! Falls ich das mal vergessen sollte. ;)

Können da bitte mal ein paar Tausend Menschen kommen und jeder ein Upvote auf den Kommentar über mir geben? Ich hab doch noch keine Votingpower... ;)

Das ist so lieb von dir ^^ Es passt schon. Ich versuche z. Z. wirklich sehr, nicht mehr so sehr auf die Votes etc. zu schauen und einfach nur meine Zeit hier zu genießen. Ich würde es hier nicht dauerhaft aushalten, wenn ich mich nur darauf konzentrieren würde.

Ehrlich gesagt fürchte ich manchmal, dass ich vielleicht noch 1 Monat oder so hier aktiv bin und dann einfach nichts mehr zu sagen habe. Es sei' denn ich mache überraschender Weise Erfahrungen, die mitteilenswert sind.

Bisher bin ich immer davon ausgegangen, dass mein Leben eigentlich nicht sehr mitteilenswert, weil sehr durchschnittlich ist. Vielleicht ist es aber gar nicht so. Ich weiß es nicht. Es wird sich zeigen. Ich möchte mir da nur einfach keinen Druck mehr machen.

Trotzdem danke für deinen lieben Kommentar. Er ist wertvoller als irgendwelche Upvotes es jemals sein könnten. Danke dir!

Das freut mich. Ja ich versteh dich schon. Ich hab meinen Fokus auch nicht auf dem Geld sondern auf dem Austausch hier. Das ist weit mehr wert. Aber schlecht wäre es ja auch nicht wenn es mal upvotes hagelt. ;)

Druck ist der reinste Kreativitätskiller.

Ehrlich gesagt fürchte ich manchmal, dass ich vielleicht noch 1 Monat oder so hier aktiv bin und dann einfach nichts mehr zu sagen habe

Sowas hab ich auch schon gedacht. Schauen wir einfach mal wie es weiter geht. :)

Ach noch etwas: Versuche es mal so zu sehen: Immer wenn du denkst "Verdammt. Ich komme nicht weiter. Vermutlich habe ich den 'Höhepunkt meiner künstlerischen Schaffenskraft' in diesem Moment erreicht", dann stelle dir vor, du bist wie die Natur (die Geige) im Sommer von den Vier Jahreszeiten von Vivaldi. Hör da ruhig mal parallel rein, damit du verstehst, was ich gleich schreibe.

Der Sommer glaubt ja, er hat den Höhepunkt seiner Schaffenskraft erreicht. Die Obstbäume liegen schwer und träge in der Mittagssonne und wollen jetzt nur diesem Gefühl der Trägheit nachgehen und reagieren nur schwach auf äußere Anregungen. Dennoch kündigen sich in der Ferne Wetterleuchten und auch schon das erste Donnergrollen an (die tief spielenden Streicher).

Der zweite, dritte und vierte Donner kommt. Und plötzlich Sturzbäche. Die Natur wird vom Regen übermannt und muss jetzt wieder zu Kräften zu kommen, aufwachen, um gegen den Regen anzukommen. (Die Geige wird unfassbar virtuos und der Sommer zeigt sein "wahres Gesicht".) [kleine Ergänzung: bei Hegel würde es an dieser Stelle heißen, dass sie sich einem selbst gesetzten Widerstand gegenüberstellt.]

Dabei kommt es sogar vor, dass die gerade noch so sanfte und schläfrige Natur vom Regen nahezu übertönt wird. Wie kommt sie wieder raus aus dem Schlamassel? DAS GESAMTE ORCHESTER SPIELT ZUSAMMEN. Dieser Moment ist der wichtigste im Stück. Die gesamte Natur agiert als Eines und nur dadurch kann die träge Natur erkennen, dass sie noch nicht am Ende ist, dass sie ihre Höchstform noch nicht erreicht hat UND GLEICHZEITIG SPIELT DIE NATUR / DIE GEIGE auch erfolgreich gegen den Regen an. Weil das ORCHESTER (der Rest der Instrumente, der tatsächlich schon 'im Schlaf lag') ihr hilft.

Ich hab das Video grad auf Youtube gesehen und genau diese Assoziation gehabt. Es hat mich buchstäblich zu Tränen gerührt, so sehr hat es mich gepackt. Es ist ein unfassbar wunderschönes Stück, wenn man sein Herz öffnen kann und versteht, worum es geht.

Hier in der Minute 09:11 erkennt die Natur, dass sie noch nicht am Ende ist mir ihrer Schaffenskraft. Die Geigerin sieht sich zum Orchester um und die restlichen Instrumente helfen ihr, sich selbst auf einer neuen Ebene zu verwirklichen und prompt schafft sie es auch, gegen den Regen (die tiefen Streicher) anzuspielen:

Gerade waren die Streicher noch ein Widerstand, jetzt schwingen sie als Eins zusammen mit der Geige und dem übrigen Orchester.

Eventuell hilft dir die Assoziation ja ein bisschen.

Hab' noch einen schönen Tag!

Sehr inspirierend was du da schreibst. Hab mir das Video auch angesehen. Wirklich beeindruckend und sehr schön! Danke dafür :)

...wirklich sehr beeindruckend. DANKE für all die interessanten Worte in Deinen Kommentaren.
M.

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