[DE - ENG] Das magische Spiegeltor in Die unendliche Geschichte · Magic Mirror Gate in The Neverending Story

in #deutsch6 years ago (edited)

Das magische Spiegeltor in Die unendliche Geschichte

Ich hab' gesucht und gesucht. Aber keine freien Bilder über "Die unendliche Geschichte" gefunden. Ihr müsst bei diesem Beitrag sehr stark sein und eure Phantasie anstrengen wie Bastian.

Engywook:

Das magische Spiegeltor. Da sieht der Junge sein wirkliches Selbst. Wer sich für freundlich hält, entdeckt seine Grausamkeit. Wer glaubt, er sei' tapfer, erkennt seine Feigheit. Wenn sie ihrem wahren Selbst ins Auge sehen, laufen die meisten Menschen davon, so furchtbar ist es.
Petersen, Wolfgang (1984). Die unendliche Geschichte (DVD), Deutschland.

Als Atréju "ein gewaltiger Krieger", der "allein (...) die Fähigkeit (hat) uns (das Volk Fantasiens) zu retten" (Huse 1988, 31) in das magische Spiegeltor tritt, sieht er Bastian in der Dachkammer sitzen und lesen. Er greift in den Spiegel, schrickt aber zurück, bevor er tatsächlich durch ihn hindurchsteigt.



English summary:

The Magic Mirror Gate in The Neverending Story

Engywook:

Next is the Magic Mirror Gate. Atreyu will have to look his true self in the face...kind people find out that they are cruel. Brave men find out that they are really cowards! Confronted by their true selves, most men run away, screaming!
Petersen, Wolfgang (1984). Die unendliche Geschichte (DVD), Deutschland.

When Atréju "a mighty warrior", who "exclusivly (...) occupies the ability to save us (people of Phantasia)" (Huse 1988, 31) steps at the inside of the Magic Mirror Gate, he watches Bastian sitting in the attic reading. Atréju reaches inside the mirror but backs off before he actually steps through.

Es gibt eine ständige Verbindung zwischen Bastian und seinem Alter Ego Atréju. Das Fenster in der Dachkammer der Schule, dort, wo Bastian von der Unendlichen Geschichte liest, öffnet sich in dem Moment, als er vom Sturz Atréjus aufgrund eines Sturmes liest. Als Bastian laut schreit, hört es Atréju auch in der Geschichte und Bastian kann darüber lesen.

Um das Menschenkind zu finden, muss Atréju die Grenze Phantasiens überqueren. Durch Bastians Glauben an die Realität der Unendlichen Geschichte und des Reiches Fantasien, gelingt ihm das scheinbar Unmögliche: zwischen sich und seinem Alter Ego Atréju zu vermitteln. Er winkt ihm, auf Fuchur reitend, in Fantasien zu, transferiert Fuchur aber auch in die Realität (seine Heimatstadt) und reitet dort auf ihm, um es den Klassenkameraden, die ihn einst schikanierten heimzuzahlen.

Die gemeinsame Sprache der Menschen bejaht eine gemeinsame Realität. Der Tod jedoch verneint sie. Indem Bastian als Atréju in das magische Spiegeltor blickt, erkennt er sein außerhalb der Gesellschaft geformtes Ich und verlässt die gemeinsame Realität der Menschen.

Weil Bastian den Tod erkennt, erkennt er sein "seperate self", sein außerhalb der Gesellschaft geformtes Ich, zu dem er durch seine vielen "Abenteuer", die er als Kapitän Nemo usw. erlebt hat, geworden ist. Er tritt in die Welt ein, die mit Worten allein nicht zu beschreiben ist:

(Bastian, auf Furchur reitend:)

Das ist ja noch viel toller als ich gedacht habe.
Petersen, Wolfgang (1984). Die unendliche Geschichte (DVD), Deutschland.

Nicht Worte allein konnten ihm vermitteln, wie es ist, auf Fuchur zu reiten, sondern nur das Erlebnis selbst kann es.

Der Held, der durch das magische Spiegeltor geht, kann für die Heilung der Krankheit Fantasiens sorgen. Die Sprache wird in der Unendlichen Geschichte zu einem Heil- und Bewusstwerdungsmittel: Die Kindliche Kaiserin (die Herrscherin Fantasiens) braucht einen Namen, sonst stirbt sie. Fantasien wird nur aufrechterhalten und ist vor dem Nichts geschützt, wenn auch Erinnerungen und Wünsche in der menschlichen Sprache bewahrt werden.

Die Menschen müssen in einem Individuationsprozess ihr außerhalb der Gesellschaft geformtes "wahres Ich" entdecken. Dies geschieht in Märchen- und Heldengeschichten, wie Bastian sie liest. Da die Menschen jedoch keine Bücher mehr lesen und daher auch an Fantasie verlieren ("Du musst versuchen mit beiden Beinen auf dem Boden zu stehen, Bastian.") zerfällt Fantasien.

Diesen Text habe ich vor vielen Jahren während meines Germanistikstudiums geschrieben. Damals besuchte ich Seminare zum Thema Medientheorie bzw. konstruktivistische Medientheorie. Der Text war so eine Art Kurz-Resümee zur Unendlichen Geschichte. Meine ersten analysierenden Gedanken. Ich hatte damals leider nur sehr wenig Sekundärliteratur gefunden, weswegen er auch so kurz ausfiel. Was mich an "Die unendliche Geschichte" so fasziniert, ist das Thema des "wahres Ichs".

Man kann natürlich argumentieren, dass es kein wahres Ich gibt, weil wir uns ja letztendlich immerzu für ein bestimmtes entscheiden (müssen). Wir können nicht allen Handlungssträngen nachlaufen, die prinzipiell möglich wären. Vermutlich ist das auch gut so.

Ich glaube aber, dass da doch mehr dran ist. Ich glaube, dass wir prinzipiell Zugang zu einem Teil von uns haben, der auch außerhalb der Gesellschaft existieren kann, auch wenn wir meistens mehr mit einer Art virtuellem (unserem in oder von der Gesellschaft geformten) Ich konfrontiert sind. Bei "Matrix" ist das, glaube ich, das "Virtual Self Image".

Was glaubt ihr, glaubt ihr es gibt mehr als euer nach außen hin sichtbares Ich? Ich für meinen Teil hoffe zumindest, dass es mehr gibt.

Für mich hat es mit einer Art unendlichen Betrachtungsweise zu tun. Mit räumlicher und zeitlicher Unendlichkeit. Vielleicht fasziniert mich die "Unendliche Geschichte" deswegen so sehr. Weil wir alle Teil von etwas Unendlichem sind. Die Menschen, die glauben, wir wären endlich und nach dem Tod ist Schluss, tun mir leid. Ich glaube, sie haben das Prinzip der Natur nicht verstanden.

Ich habe überhaupt ein sehr inniges Verhältnis zur Unendlichkeit, wenn ich das so sagen darf. Sie ist leider auch ein gefährliches "Werkzeug". Der eine oder andere glaubt nämlich, man könnte in unserer Realität eine Art lineare Unendlichkeit installieren. Eine Art Vorausberechnung aller Möglichkeiten, die Eliminierung des Ungewissen.

(Der Kalte Krieg und John Nash, der das Nash Equilibrium entdeckte, zeigen diesen Wunsch nur als zu deutlich. Wer mehr darüber erfahren möchte, dem empfehle ich das Buch "Ego. Das Spiel des Lebens" von Frank Schirrmacher.)

Gerade das möchte ich nicht. Ich möchte das Ungewisse. Ich liebe es geradezu. All' die Möglichkeiten. Das ist für mich wahre Unendlichkeit.

An dieser Stelle fällt mir auf, dass ich noch ewig über dieses Thema philosophieren könnte. Für heute ist erstmal Schluss. Ich überlasse euch der Unendlichkeit eures eigenen Geistes und schicke euch in den Schlaf :)


Quellen

  • Petersen, Wolfgang (1984). Die unendliche Geschichte (DVD), Deutschland

  • Huse, Nancy (1988). "The Blank Mirror of Death": Protest as Self-Creation in Contemporary Fantasy. In: The Lion and the Unicorn: A Critical Journal of Children's Literature 12:2:28-43


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25.04.2018 UTC + 1
finché vita in petto avrò

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Wunderbar geschrieben!!!!

Ich habe überhaupt ein sehr inniges Verhältnis zur Unendlichkeit, wenn ich das so sagen darf. Sie ist leider auch ein gefährliches "Werkzeug". Der eine oder andere glaubt nämlich, man könnte in unserer Realität eine Art lineare Unendlichkeit installieren. Eine Art Vorausberechnung aller Möglichkeiten, die Eliminierung des Ungewissen.

Dem stimme ich zu....ich fühle mich ebenfalls stark verbunden mit einem ich, welches diese Gesellschaft oder Realität kaum akzeptiert oder sieht oder wahrnimmt. Vielleicht verdrängt es die Norm auch nur...
Doch wenn ich mich mit meinem wahren ich Verbünde sehe ich Dinge, die kaum in Worte zu fassen sind und auch eintreffen in der Realität...ich kann es dir kaum beschreiben.

Egal

Grandioser Artikel super nice liebes!
Hugs

Was für ein süßes und liebes Lob! An der Uni konnte ich mit diesen Gedanken damals nicht viel anfangen. Aber das macht nichts. Außerhalb sind sie dafür umso wertvoller. Wenn man ihren wahren Sinn versteht. Ich glaube - oder hoffe - du hast sie richtig verstanden.

Wieder mal ein sehr schöner Beitrag von Dir. Da denkt man auch gerne mal länger drüber nach. :)

Der eine oder andere glaubt nämlich, man könnte in unserer Realität eine Art lineare Unendlichkeit installieren. Eine Art Vorausberechnung aller Möglichkeiten, die Eliminierung des Ungewissen.

Ja, das erinnert mich wieder an die technologische Singularität. (Wenn eine KI so mega schlau wird, dass sie buchstäblich ALLES weiß!)

Das lustige ist, dass kein Mensch weiß was ab dem Moment passiert, obwohl das Ziel von technischem Fortschritt ja genau das Gegenteil bewirken soll. Die Eliminierung des Ungewissen wird zur absoluten Ungewissheit. ;)

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