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RE: Heimat auf Bestellung

in #deutsch7 years ago

Danke für diese umfangreiche Antwort auf meine Frage. Da du die deutsche Sprache meisterhaft in deinen Texten einsetzt, hätte ich ehrlich gesagt eine weitaus emotionaler Beziehung zu Deutschland erwartet. Umso besser das wir mal darüber reden!

Persönlich verbinde ich mit der deutschen Kultur viel Positives und Negatives. Es ist ein Wechselbad de Gefühle sozusagen. Pingeligkeit und Bürokratie wären zwei negative Aspekte, die mir einfallen. Der Hang zu Ordnung, Strukturiertheit und Genauigkeit bringt aber auch viele Vorteile.

Ich hoffe, du verzeihst mir die Verallgemeinerungen in diesem Kommentar, ich will die Tendenzen, die ich meiner Umwelt sehe beschreiben und nicht sagen dass alle, wahrscheinlich sind es noch nicht mal die meisten, Deutschen so oder so sind.

Deutschland steckt seit dem 2. Weltkrieg in einer Identitätskrise. Dies tun wir auch zurecht, es wurden schreckliche Verbrechen in unserem Namen begangen. Ich denke aber es gibt eine Zeit ca. 100 Jahre vor den Nazis als deutsche Werte noch etwas ganz anderes waren. Das kritische Denken ist eines der wenigen die uns aus dieser Zeit noch erhalten sind, obwohl die Nazis versucht haben es auszurotten.

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Deutschland steckte besonders vor den Weltkriegen in schweren Identitätskrisen. Oder als was willst du die trunkenartige Germanifizierung des Sprachraumes sonst bezeichnen? Dude, ich wusste doch, dass ich für dich doch viel besser ein paar bekannte, griffige Kategorien hätte Revue passieren lassen sollen. In so einer Art geordneter Hommage an das Land, das man liebt, hasst oder hassliebt. Da habe ich doch glatt das Thema verfehlt.

Mit Hilfe der gröbsten wissenschaftlichen Parameter, wie räumlicher Ausdehnung, natürlicher Grenzen und genetischer Durchlässigkeit, unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Biotopes. Ich hätte den Bogen schlagen können zu geistigen, religiösen und technischen Errungenschaften, um damit möglichst viele Vorurteile auf einen Streich zu bestätigen. Anmoderiert von einem maximal läufigen Exemplar aus dem Pool williger C4–Promis im Rahmen einer knuffigen Chartshow, läuft so etwas heute im Vormittagsprogramm. Ich weiß, dass dieses lächerliche Format gerade Hochkonjunktur im Bereich cineastisch gestützter Zeitvernichtung genießt. Aber ein billiges Format wird halt auch durch seine ständige Wiederholung nicht besser.

Zu Allererst muss man sich bei dem Thema doch deutlich vor Augen führen, was man damit überhaupt tut, wenn man ein Land liebt oder hasst. So ein irrationales Verhalten ist doch mindestens mal kritisch zu hinterfragen. Menschen, Berge, Täler, Wälder, Wiesen, Gewässer, Gebäude, Produkte und Rituale in einen Eimer zu werfen, umzurühren, in nette, konsumierbare Portionen abzugießen und dabei Unterschiede zu feiern die gar keine Unterschiede sind, sondern vielleicht nur zufällige Parallelentwicklungen mit lokalem Kolorit.

Erstens hasst man bestimmt genau so viele Menschen von Herzen, wie man sie liebt, egal welcher Herkunft. Arschloch bleibt Arschloch. Ob das Arschloch nun in Berlin oder Baden–Baden bescheuert ist, spielt nicht die geringste Rolle. Zweites dürfte man beim Observieren von Dekadenz und Fäulnis in Bankog so ziemlich auf die gleichen Verdichtungspunkte stoßen, wie in Büsum und drittens wird man nicht dadurch schlauer, dass man in einem Land lebt, in dem angeblich Dichter, Denker und Erfinder in überdurchschnittlicher Stärke auftreten. Das sind alles an den Haaren herbei gezerrte Kategorien. Es kommt ja noch schlimmer. Selbstverständliches wird willkürlich zur Besonderheit stilisiert, um in einem feulletonistischen Mix als Attraktion verpackt, etwas Neues darzustellen. Einzig, um unterscheiden zu können, was bei strenger, objektiver Beschau überhaupt nicht im Geringsten unterscheidbar ist.

Deutschland kann gar nicht so oder so sein, Nicht gut oder schlecht, weil Deutschland als Individuum weder existiert, noch einzuordnen ist. Du betrachtest einen Stahlpfosten und versuchst, sein organisches Herz zu finden. Deutschland ist ein in der Realität manifestiertes Konglomerat verschiedenster Ideen, ganz unterschiedlicher Zeitalter. Es ist die maximal mögliche Materialisierung verschiedener, geistiger Modelle im lokal Notwendigen.

C4–Promis im Rahmen einer knuffigen Chartshow

Ich könnte mir echt gut eine "Top10 der deutschen Vorurteile die wirklich war sind", ala Watchmojo vorstellen. <-- Sarkasmus

Zu Allererst muss man sich bei dem Thema doch deutlich vor Augen führen, was man damit überhaupt tut, wenn man ein Land liebt oder hasst

Kann ich sehr gerne tun, Herr Frosch. Das macht vielleicht viel klarer worum es mir geht. Erstmal der Hass:

Für viele Deutsche ist lautes Reden im öffentlichen Raum Lärmbelästigung, wenn es nicht gerade Samstag 01:00 ist. Wir fordern gerne sehr manierliches Verhalten und das ist als Tat etwas extrem Unfreundliches in meinen Augen.

Bürokratie. Wir Deutschen sind hier die Meister. Zu starke Bürokratie - man könnte es auch fast anti-Transparenz nennen - ist nie gut. Ich denke da stimmst du mir überein.

Pünktlichkeit und Genauigkeit, aka Pingeligkeit sehe ich auf beiden Seiten Liebe und Hass. Das zu erörtern würde aber denke ich den Rahmen sprengen.

Meine Liebe gegenüber Deutschland:

Der Hang zur Suche nach "der Wahrheit" auch wenn sie nie gefunden werden kann, ist die Reise immer wieder spannend. Ob in Wissenschaft oder Philosophie. <--- leider heutzutage nicht mehr ganz so populär

Skepsis gegenüber der Obrigkeit. Die meisten Deutschen sind grundsätzlich allem was mächtig oder reich ist skeptisch gegenüber eingestellt. "Macht korrumpiert" wie man so schön sagt.

Bescheidenheit, auch ein zweischneidiges Schwert.

Das waren ganz grob die Werte die ich mit Deutschland assoziere und die sind halt sehr gemischt, sowie die Leute hier, die selten allen diesen Vorurteilen gerecht werden.

100 Jahre vor den Nazis stand das Territorium, auf dem sich heute ein deutsches Wesen wähnt, in einer Art bürgerlichem, nachnapoleon'schen Findungsprozess. Aus vielen kleinen Staaten und einer handvoll Königreichen manifestierte sich die staatliche Ordnung in Europa, über völlig neue Grenzen hinweg, als Zusammenschluss verstreuter Lehen zu Staaten. Als identifikationsstiftendes Element in unserem Sprachraum erkor sich die darstellende Kunst einen hypothetischen, gemeinsamen Nenner, das Germanentum. Wie im Rausch wurde dies nicht ganz willkürliche, Modell von Idealisten, wie fortschrittlichen Denkern aufgesaugt und oft geradezu fanatisch gelebt. Wie gesagt mein Großvater, der Halbjude, war kurz vor dem 3. Reich begeisterter Germane im Fichtekreis von Wien, einer nationaltrunkenen Vereinigung adoleszenter Intellektueller um den Dichter Johann Gottlieb Fichte herum, die völlig kritikfrei dem Deutschtum fröhnte. Fichte ist wohl, gemessen an seinem schriftstellerischen Handwerk, an Harmlosigkeit nicht zu überbieten. Was im Biedermeier passierte, hat es in der Geschichte noch nie gegeben. Eine Sprachgemeinschaft suchte nach ihren historischen Wurzeln und hat ein Märchen gewählt. Die Geschichte kennt kein deutsches Volk. Völker, die sich bis Dato bis auf das Messer bekämpften, wurden zu einer nordischen Rasse integriert, die dann selbstverständlich auch ihresgleichen auf der Welt suchte. Ich meine, sie haben im Laufe der Geschichte immer wieder ihre Meister gefunden. Besonders das Volk, das gar keins ist.

Ich wollte eigentlich mehr auf die Dichter und Denker hinaus, als das Biedermeiertum. Von Harmlosigkeit halte ich nicht viel und historische Daten sind auch nicht unbedingt meine Stärke. ^^* Ich krieg die Namen nicht mehr alle zusammen, aber Kant, Marx und Hegel wären ein paar Beispiele für große deutsche Denker.

Bei Kant und Marx widersprech ich zwar und bei Hegel kenne ich eigentlich nur die Logik, aber das waren noch Menschen die sich mit Themen aktiv denkend auseinander gesetzt hat. Wie Kant so schon sagt: Mündigkeit. Das wurde uns in der Schule wie die Bibel gepredigt und da Stimme ich Kant auch zu. Ich halte den kategorischen Imperativ für Schwachsinn, aber das ist ein anderes Thema.

Natürlich sollte man darauf achten, dass man von den richtigen Epochen redet, wenn man es denn tut. Entschuldige die Verwirrung. Dass wir Deutschen ein bunt gewürfelter Haufen sind, ist mir als Großraum Düsseldorfer, der 3 Jahe in Köln studiert hat auch klar. :)

Die Dichter und Denker kamen doch nicht aus dem luftleeren Raum, der vor ein paar Generationen zufällig Deutschland genannt wurde. Das Denken dieser Menschen ging nachweislich in der Antike los, wurde aber ganz sicher schon lange davor in anderen kulturellen Hochzentren gepflegt. Die Vertreter der höfisch anerkannten Dichter und Denker waren doch nichts anderes, als rezente Träger und Fortentwickler einer humanistisch orientierten Aufklärung, die sich seit Jahrtausenden weltweit entwickelt hat. Das hat doch nichts mit lokalen Vor– und Nachteilen einer etwa genetischen oder intellektuell überlegenen Population zu tun. Wissen und Fortschritt akkumulierte stets im Umfeld einer die Entwicklung positiv beeinflussenden Geisteshaltung von Potentaten ganz verschiedener Nationalität. Ich habe zum Beispiel nichts gemein mit diesem Günstling Goethe. Worauf soll ich mir persönlich im Zusammenhang mit Kant, Bach oder Goethe ein Ei backen? Das wäre doch absoluter Tinneff. Ohne die chinesischen, phoenizischen, ägyptischen, hetitischen, persischen, arabischen, oder griechischen Denker hätte es diese Dichter und Denker nie gegeben.

Ich halt die deutschen Werte nicht für einzigartig, die Mischung schon eher. Wir teilen viele Werte nicht nur mit den Europäern, deswegen genießen wir auch heutzutage ein relativ gutes Ansehen auf der Welt. Ja, vieles was in der Aufklärung gesagt und gedacht wurde is auch schon in alten östlichen Kulturen zu finden. Persönlich finde ich auch vieles was aus dem alten Konfuzianismus sehr interessant. Wie gesagt ich finde eigentlich alle Kulturen spanned, manche mehr, manche weniger. Die Deutsche ist dabei gar nicht weit oben auf meiner Liste ;). Ich dachte nur es wäre angebracht erstmal über die eigene Kultur zu reden, wenn ich es denn tue. Das es nicht einfach ist, ist mir klar. ;)

Haha, ohne deinen comment zu kennen, aber teil-inspiriert vom Beitrag:

https://steemit.com/deutsch/@lennstar/volk-ein-wort-mit-problemen

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