Volk: Ein Wort mit Problemen

in #deutsch7 years ago (edited)

Sprache, und mit ihr die Wörter, wandeln sich im Laufe der Zeit. Was vor 100 Jahren noch normale Sprache war, erscheint heute gestelzt, geschnörkelt, verstaubt oder schlicht seltsam.

Manchmal aber geht es noch viel schneller, dass ein Wort außer Mode kommt. Der Genosse zum Beispiel hat bei vielen Menschen vor allem im Osten Deutschlands einen eher faden Beigeschmack. Das ist ein Erbe der DDR-Vergangenheit, wo offizielle Genossen meist schlechte Nachricht waren.
Genossenschaften haben dieses Problem dagegen nicht, was an sich schon interessant ist.

In anderen Fällen können scheinbar harmlose Worte wie Eisen oder Blut einen deutlich negativen Klang erhalten, wenn man sie nur in der richtigen (oder falschen?) Weise zusammen setzt, sie sind dann historisch vorbelastet: Blut und Eisen (Politik.)

„...Preußens Grenzen nach den Wiener Verträgen sind zu einem gesunden Staatsleben nicht günstig; nicht durch Reden oder Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden – das ist der große Fehler von 1848 und 1849 gewesen – sondern durch Eisen und Blut.“ - Bismarck am 30. September 1862


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Das Volk

Ein sehr eigentümliches Verhältnis haben die Deutschen zum Wort Volk. Sie sind das Volk, ein wichtiges Gebäude ist ihnen gewidmet, sie haben es weltbewegender Weise sogar in einer friedlichen Revolution gerufen – aber wenn man von ihnen spricht, redet man meist von der Bevölkerung.

Nicht das Volk Deutschlands, sondern seine Bevölkerung hat ein Problem mit dem Wort Volk.
Das Völkische, die Zeit des Nationalsozialismus; als es Volks-Empfänger gab und Volkssturm und ein Volk einem Führer volkte; diese Zeit hat das Wort verdorben, es in Eisen gewandet und in Blut ertränkt.

Doch auch vorher war das Volk nicht unbedingt ein Adelsbegriff, grenzte es doch meist von diesem Adel ab: einfaches Volk, fahrendes Volk, dummes Volk.


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Insofern ist die oftmalige Verwendung des Begriffes Volk durch eine bestimmte „Zeitung“ (oft in Verbindung mit einem bestimmten Elektronikladen) auf den ersten Blick merkwürdig, erklärt sich aber wahrscheinlich durch genau diesen Abgrenzungsgedanken.
Die Leser dieser Zeitung wissen, dass sie das „einfache“ und „dumme“ Volk sind, und wollen ihre Zugehörigkeit dazu solidarisch zeigen, indem sie „nicht blöd“ einkaufen.

In der letzten Zeit erfährt das Volk auch auf anderem Wege eine gewisse Renaissance, wird das Wort wieder Salon-fähig oder zumindest Parlaments-gängig.
Die Alternative für Deutschland, die Partei angeblich vom Volk für das Volk, aber von Gründern und Programm eher ein rechter Elitenclub, verwendet das Wort wieder häufiger, macht es fast wieder volkstümlich.
Bei all der Selbstzerfleischung in dieser Partei ist allerdings nicht davon auszugehen, dass das Wort Volk auf diesem Wege einen Persilschein erhält.

Interessant ist: Wenn man nach „Volk“ in der Bildersuche sucht, erscheinen lauter Bilder von Autofelgen. Was ja nun auch irgendwie wieder typisch deutsches Volk – Entschuldigung, deutsche Bevölkerung – ist.

Wie dieser Beitrag entstanden ist:

Jemand(tm) meinte vor zwei Tagen, dass eine Serie zu Worten interessant wäre. Da ich schon lange ein Fan von Wörtern und ihrem Wandel, ihrem Ge- und Missbrauch bin, fand ich das durchaus attraktiv.
Dieser Artikel von @afrog hat mich dann dazu gebracht, doch mal etwas über das Wort „Volk“ zu schreiben, das arme Ding, das zusammen mit der Heimat so sehr gelitten hat.
Fall es euch gefallen hat, kann ich auch über andere Wörter ein paar Gedanken niederschreiben. Vorschläge aus dem Volk und aus der Bevölkerung willkommen!

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Sehr intelligent, wohl begründet und sehr gut geschrieben, @lennstar. Ich bin froh, nicht der einzige zu sein, dem dieses Wort in seiner ganzen Fragwürdigkeit begegnet. Ich meine sogar, eine Essenz dieser ganzen Wortklauberei zu erkennen. Wo ein Volk ist, gibt es Herrscher. Das widerspricht aber unserer bürgerlichen Herkunft, die immerhin schon seit über 12 Generationen, dank Napoleon, noch immer genossen werden kann. Genau an diesem Punkt vermisse ich ein gewisses Selbstverständnis bei vielen Bürgern. Immerhin, jetzt hat sich der Bürger, der nur immer hinter verdeckter Hand über das ganze Pack jaulen konnte, emanzipiert. Mit der AfD werden wir sehen, wo diese Menschen ihr Volk verorten. Wir sind so viele Völker, wie nie zuvor. Hier sind wir Bürger, denn wir haben keinen Herrscher.

Das klingt so, als gäbe es über Bürgern keinen Herrscher?

Ich denke, bei der Frage greift die Verfassung. Um die geht es hier eigentlich. Leite mir daraus Volk ab. Wenn es dir gelingt das korrekt zu tun, ohne jeden Widerspruch, von welcher Seite auch immer, reden wir weiter darüber unter Einbeziehung des Begriffes Volk. Nein, tatsächlich ist das Volk der Souverän. Da hat es keinen König mehr und keinen Kaiser. Das Volk der Verfassung ist die Gesamtheit der Bürger.

Ich will mich übrigens noch bei dir bedanken, @lennstar. in deinem Post genannt worden zu sein. Das finde ich richtig toll.

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