RE: Heimat auf Bestellung
Deutschland steckte besonders vor den Weltkriegen in schweren Identitätskrisen. Oder als was willst du die trunkenartige Germanifizierung des Sprachraumes sonst bezeichnen? Dude, ich wusste doch, dass ich für dich doch viel besser ein paar bekannte, griffige Kategorien hätte Revue passieren lassen sollen. In so einer Art geordneter Hommage an das Land, das man liebt, hasst oder hassliebt. Da habe ich doch glatt das Thema verfehlt.
Mit Hilfe der gröbsten wissenschaftlichen Parameter, wie räumlicher Ausdehnung, natürlicher Grenzen und genetischer Durchlässigkeit, unter Berücksichtigung des zur Verfügung stehenden Biotopes. Ich hätte den Bogen schlagen können zu geistigen, religiösen und technischen Errungenschaften, um damit möglichst viele Vorurteile auf einen Streich zu bestätigen. Anmoderiert von einem maximal läufigen Exemplar aus dem Pool williger C4–Promis im Rahmen einer knuffigen Chartshow, läuft so etwas heute im Vormittagsprogramm. Ich weiß, dass dieses lächerliche Format gerade Hochkonjunktur im Bereich cineastisch gestützter Zeitvernichtung genießt. Aber ein billiges Format wird halt auch durch seine ständige Wiederholung nicht besser.
Zu Allererst muss man sich bei dem Thema doch deutlich vor Augen führen, was man damit überhaupt tut, wenn man ein Land liebt oder hasst. So ein irrationales Verhalten ist doch mindestens mal kritisch zu hinterfragen. Menschen, Berge, Täler, Wälder, Wiesen, Gewässer, Gebäude, Produkte und Rituale in einen Eimer zu werfen, umzurühren, in nette, konsumierbare Portionen abzugießen und dabei Unterschiede zu feiern die gar keine Unterschiede sind, sondern vielleicht nur zufällige Parallelentwicklungen mit lokalem Kolorit.
Erstens hasst man bestimmt genau so viele Menschen von Herzen, wie man sie liebt, egal welcher Herkunft. Arschloch bleibt Arschloch. Ob das Arschloch nun in Berlin oder Baden–Baden bescheuert ist, spielt nicht die geringste Rolle. Zweites dürfte man beim Observieren von Dekadenz und Fäulnis in Bankog so ziemlich auf die gleichen Verdichtungspunkte stoßen, wie in Büsum und drittens wird man nicht dadurch schlauer, dass man in einem Land lebt, in dem angeblich Dichter, Denker und Erfinder in überdurchschnittlicher Stärke auftreten. Das sind alles an den Haaren herbei gezerrte Kategorien. Es kommt ja noch schlimmer. Selbstverständliches wird willkürlich zur Besonderheit stilisiert, um in einem feulletonistischen Mix als Attraktion verpackt, etwas Neues darzustellen. Einzig, um unterscheiden zu können, was bei strenger, objektiver Beschau überhaupt nicht im Geringsten unterscheidbar ist.
Deutschland kann gar nicht so oder so sein, Nicht gut oder schlecht, weil Deutschland als Individuum weder existiert, noch einzuordnen ist. Du betrachtest einen Stahlpfosten und versuchst, sein organisches Herz zu finden. Deutschland ist ein in der Realität manifestiertes Konglomerat verschiedenster Ideen, ganz unterschiedlicher Zeitalter. Es ist die maximal mögliche Materialisierung verschiedener, geistiger Modelle im lokal Notwendigen.
Ich könnte mir echt gut eine "Top10 der deutschen Vorurteile die wirklich war sind", ala Watchmojo vorstellen. <-- Sarkasmus
Kann ich sehr gerne tun, Herr Frosch. Das macht vielleicht viel klarer worum es mir geht. Erstmal der Hass:
Für viele Deutsche ist lautes Reden im öffentlichen Raum Lärmbelästigung, wenn es nicht gerade Samstag 01:00 ist. Wir fordern gerne sehr manierliches Verhalten und das ist als Tat etwas extrem Unfreundliches in meinen Augen.
Bürokratie. Wir Deutschen sind hier die Meister. Zu starke Bürokratie - man könnte es auch fast anti-Transparenz nennen - ist nie gut. Ich denke da stimmst du mir überein.
Pünktlichkeit und Genauigkeit, aka Pingeligkeit sehe ich auf beiden Seiten Liebe und Hass. Das zu erörtern würde aber denke ich den Rahmen sprengen.
Meine Liebe gegenüber Deutschland:
Der Hang zur Suche nach "der Wahrheit" auch wenn sie nie gefunden werden kann, ist die Reise immer wieder spannend. Ob in Wissenschaft oder Philosophie. <--- leider heutzutage nicht mehr ganz so populär
Skepsis gegenüber der Obrigkeit. Die meisten Deutschen sind grundsätzlich allem was mächtig oder reich ist skeptisch gegenüber eingestellt. "Macht korrumpiert" wie man so schön sagt.
Bescheidenheit, auch ein zweischneidiges Schwert.
Das waren ganz grob die Werte die ich mit Deutschland assoziere und die sind halt sehr gemischt, sowie die Leute hier, die selten allen diesen Vorurteilen gerecht werden.