Postmodernismus erklärt: Skeptizismus und Sozialismus von Rousseau bis Foucault - Teil 35v100

in #deutsch7 years ago (edited)

Das Buch "Explaining Postmodernism" von Stephen Hicks setzt sich kritisch mit dem Postmodernismus auseinander und liefert eine Erklärung für dessen Funktionsweise. Als Leitkultur westlicher Kulturen wird der Postmodernismus von vielen Intellektuellen, Akademikern, Künstlern und Politikern vehement unterstützt. Gleichzeitig zeigen sich aber auch in Deutschland immer mehr die negativen Auswirkungen dieses Systems philosophischer - oder sich philosophisch gebender - Axiome, weshalb es von größter Bedeutung ist, den Postmodernismus in seinen Eigenschaften und in seiner Tragweite zu verstehen. Die Vorlage ist das Buch "Explaining Postmodernism" von Stephen Hicks, die Übersetzung ein Eigenprodukt.

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Vom Zusammenbruch des logischen Positivismus bis zu Kuhn und Rorty

Den nächsten Schritt nahm Thomas Kuhn. Die Veröffentlichung seines Standardwerkes Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen im Jahr 1962 beinhaltete eine Zusammenfassung der vier vorangegangenen Jahrzehnte analytischer Philosophie und handelt von der Sackgasse, welche diese erreicht hat. Wenn Wahrnehmung, Logik und Sprache die Werkzeuge der Pilosophie sind, dann ist die direkt aus der Aufklärung hervorgegangene Wissenschaft nicht mehr als eine sich wandelnde, sozial subjektive Angelegenheit, die sich nicht mehr und nicht wenigr als objektiv bezeichnen kann wie jedes andere Glaubenssystem. Die Vorstellung, wonach die Wissenschaft von der Realität handelt oder die Wahrheit ausspricht ist eine Illusion. Es gibt keine Wahrheit; es gibt nur Wahrheiten und diese Wahrheiten sind veränderlich.

Entsprechend verschwand der objektivitäts- und wissenschaftsfreundliche Geist in den 1960er Jahren aus der anglo-amerikanischen Tradition. Richard Rorty, der bekannteste amerikanische Postmodernist verallgemeinerte diesen Punkt bis hin zum Antirealismus. Wie schon Kant vor zweihundert Jahren sagte, können wir absolut nichts über das Äußere sagen, also das, was wirklich real ist. Rorty sagt mit seinem Antirealismus das exakt selbe:

Zu sagen, dass wir die Vorstellung fallen lassen sollten, dass es da draußen ein Wahrheit gibt, die darauf wartet von uns entdeckt zu werden darf man nicht damit gleichsetzen, dass wir entdeckt haben, dass es da draußen keine Wahrheit gibt. Viel eher wird damit ausgesagt, dass es das beste wäre damit aufzuhören, die Wahrheit als eine tiefgreifende Materie zu sehen, als ein Thema philosophischen Interesses, oder als "wahr" in Bezug auf das Ergebnis einer "Analyse". Die "Natur der Wahrheit" ist ein fruchtloses Thema, das nicht jenen unähnlich ist wie das der "Natur des Menschen" oder der "Natur Gottes".

Zusammenfassung: Es entstand ein Vakuum, das der Postmodernismus füllen konnte

Über die Zeit nach Kuhn sagte der Historiker und Philosoph John Passmore offen und gerade heraus: "Die Wiederentdeckung Kants ist so weitverbreitet, dass es kaum einen Vergleich zulässt."

Die verschiedenen analytischen Schulen begannen mit Kants Schlussfolgerung, dass metaphysische Fragen nicht beantwortbar oder widersprüchlich sind, oder aber es sich um bedeutungslosen Nonsens handelt, den es zur Seite zu legen gilt. Die Philosophen wurden dazu angehalten, ihre Disziplin als eine rein kritische oder analytische Angelegenheit zu betrachten. Im Rahmen dessen versuchten dann einige der frühen analytischen Philosophen in Sprache und Logik allgmeingültige und notwendige Sturktureigenschaften zu finden. Ohne äußere metaphysische Basis für Sprache und Logik aber drifteten sie weiter ab ins subjektive und psychologische. Als sie dort schliesslich ankamen fanden sie, dass Subjektivität und und Psychologie höchst konventionell und variabel sind und so folgerten sie daraus, dass Sprache und Logik nicht nur nichts mit der Realität zu tun haben kann, sondern dass sie überdies auch von Konventionen bedingt und beliebig veränderbar sind.

Daraus ergab sich die Frage, welchen Status die Wissenschaft hat. Analytische Philosophen hatten aus welchem Grund auch immer entschieden, dass sie die Wissenschaft mögen und nahmen sich daher ihre Konzepte und Methoden für eine Untersuchung vor. Nun aber mussten sie sich - wie Paul Feyerabend sie dazu aufrief - fragen, warum die Wissenschaft überhaupt etwas besonderes ist? Warum nicht die Konzepte und Methoden der Theologie untersuchen? Oder Dichtung? Oder Hexerei? Das Ende der Debatte um die "Wahrheit" und ihr Beiseiteschieben als metaphysische Spekulation führte nun dazu, dass die analytischen Philosophen nicht mehr sagen konnten, warum die Konzepte der Wissenschaft wahrer sind, oder warum die Methoden der Wissenschaft besonders sind, weil sie dazu da sind, uns der nun nicht mehr relevanten Wahrheit näher zu bringen. Die analytischen Philosophen der 1950er und 1960er Jahre konnten nur noch sagen, dass die Wissenschaft gemessn an ihrem persönlichen Wertesystem wichtig ist.

Wir stellen nun also die Frage über die Werte: Wenn die Grundlage für ein Studium der Wissenschaft aus persönlichen Präferenzen besteht, welchen Rang haben dann persönliche Werte? Bei Wertefragen schwenkte die anglo-amerikanische Tradition bis Mitte des Jahrhunderts auf die Position der kontinentalen Tradition ein. Und wieder waren die Schlussfolgerungen der analytischen Tradition höchst subjektivistisch und relativistisch. Die Trennung zwischen Fakten und Werten ging zurück auf Hume und die meisten Philosophen schlusfolgerten, dass Wertanschauungen weder objektiv noch subjektiv vernünftig sind. Brian Medlin fasste den Zustand seiner Profession Mitte des Jahrhunderts so zusammen, dass "es nun größtenteils im Allgemeinen von professionellen Philosophen akzptiert wird, dass die ultimativen ehtischen Prinzipien zufällig sein müssen." Diese Zufälligkeit könnte in den Willensakten begründet ligen, oder in sozialen Konventionen, oder - wie die führenden logischen Positivisten meinten - es könnte sich um subjektive emotionale Ausdrücke handeln.

Mit diesen Schlussfolgerungen zu Wissen, Wissenschaft und Werten war die anglo-amerikanische Intellektuellenwelt dann endlich bereit für Nietzsche und Heidegger.

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Schon interessant, wie die 200 Jahre lang rumgeeiert sind, nur um am Ende zum Schluss gelangen, dass der erste, der auf die Idee kam bestimmte Axiome zu verwenden recht hatte mit seinen Implikationen. Daraus aber zu schliessen, dass die Axiome womöglich nichts sind, darauf sind sie nicht gekommen...

Der Artikel ist in schrecklicher Weise populistisch, auch wenn ich die Stoßrichtung gegen eine Wissenschaftsfeindlichkeit durchaus verstehe. Was sind z.B. ‚objektive Wahrheiten‘, wenn sogar Mathematik und Physik um Fluss sind, ca. 95% des physikalischen Universums schlicht unbekannt ist. Durch eine pauschale Behandlung von Moderne und Postmoderne kommt man nicht weiter. Ich halte beide Worte einfach für bezugslos. @doodlebear

Was sind z.B. ‚objektive Wahrheiten‘

Als eine objektive Wahrheit würde ich den Tod bezeichnen. Um den ist bislang noch niemand herumgekommen.

Allgemein ist etwas dann objektiv wahr, wenn das selbe mehrmals unabhängig voneinander passiert und in allen Fällen das selbe Ergebnis herauskommt.

wenn sogar Mathematik und Physik um Fluss sind, ca. 95% des physikalischen Universums schlicht unbekannt ist.

Ist das für dich ein Grund die Erforschung des Unbekannten aufzugeben und es wahlweise als uninteressant (Rorty) oder göttlich (Schleiermacher) zu bezeichnen?

Der Artikel ist in schrecklicher Weise populistisch

Das Buch handelt letztlich von der Frage wie es kommen konnte, dass die Geisteswissenschaften auf die Idee kommen konnten, ein Mandat dafür zu haben, die komplette Gesellschaft nach ihren Vorstellungen - und größtenteils gegen deren Willen - umzugestalten. Populistisch ist das mE nicht, oder nicht mehr als das was von den Postmodernisten vertreten und gefordert wird (zur Zeit z.b. dieses gender pay gap Ding).

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