Postmodernismus erklärt: Skeptizismus und Sozialismus von Rousseau bis Foucault - Teil 36v100

in #deutsch7 years ago (edited)

Das Buch "Explaining Postmodernism" von Stephen Hicks setzt sich kritisch mit dem Postmodernismus auseinander und liefert eine Erklärung für dessen Funktionsweise. Als Leitkultur westlicher Kulturen wird der Postmodernismus von vielen Intellektuellen, Akademikern, Künstlern und Politikern vehement unterstützt. Gleichzeitig zeigen sich aber auch in Deutschland immer mehr die negativen Auswirkungen dieses Systems philosophischer - oder sich philosophisch gebender - Axiome, weshalb es von größter Bedeutung ist, den Postmodernismus in seinen Eigenschaften und in seiner Tragweite zu verstehen. Die Vorlage ist das Buch "Explaining Postmodernism" von Stephen Hicks, die Übersetzung ein Eigenprodukt.

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Erste These: Der Postmodernismus ist das Endergebnis der kantschen Epistemologie

Nach diesem Durchmarsch durch 200 Jahre Philosophiegeschichte möchte ich nun eine Zusammenfassung anfügen und meine erste Hypthese hinsichtlich der Ursprünge des Postmodernismus anbieten:

Der Postmodernismus ist ein umfassender und rücksichtsloser Ausdruck dessen was passiert, wenn man die Aufklärung ablehnt und das umsetzt, was die Epistemologie seit Kant vorgegeben hat.

Die Kernzutaten des Postmodernismus wurden von den Philosophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt. Die Entwicklungen der kontinentalen Philosophie bis Heidegger bereitete den Weg und gab den Ton für den Postmodernismus vor; und die negativen Entwicklungen in der anglo-amerikanischn Philosophie bis hin zum Zusammenbruch des logischen Positivismus ließ die Verteidiger von Vernunft und Wissenschaft entmutigt und richtungslos zurück, die daraufhin nicht mehr in der Lage waren, den Postmodernisten mit deren skeptischen und relativistischen Argumenten eine starke Antwort zu geben.

Und doch war ein Großteil der Philosophie des 20. Jahrhunderts nur Stückwerk und unsystematisch, was vor allem für die anglo-amerikanische Tradition gilt. Der Postmodernismus war die erste große Synthese der Implikationen aus allen wichtigeren Entwicklungen. Im Postmodernismus finden sich entsprechend der Antirealismus, die epistemologische Subjektivität, das Gefühl als Wurzel aller Wertvorstellungen, ein konsequenter Relativismus sowohl des Wissens als auch der Werte, sowie der konsequenten Entwertung wissenschaftlicher Erkenntnissuche.

Im Herzen des Postmodernismus schlagen die beiden Kammern bestehend aus Metaphysik und Epistemologie. Trotz der Selbstbehauptung anti-metaphysisch und anti-epistemologisch zu sein fokussieren sich die Arbeiten fast ausschliesslich auf diese beiden Bereiche. Heideckers Angriffe auf Logik und Vernunft bereiteten Emotionen Raum, Foucault entwertet Wissen, indem er es als Ausdruck sozialer Macht bezeichnet, Derida dekonstruiert die Sprache und erklärt sie zu einer ästhetischen Spielerei und Rorty beschreibt das Versagen der realistischen und objektivistischen Tradition fast ausschliesslich mit metaphysischenund epistemologischen Begriffen.

Von der postmodernen antirealistischen Metaphysik und der vernunftsablehnenden Epistemologie ist es dann nur noch ein sehr kleiner Schritt zu den postmodernen sozialen Implikationen. Sind Realität und Vernunft nämlich erst einmal vom Tisch, was bleibt einem dann noch? Wir können es wie es die Konservativen machen und uns von da an einfach der Tradition einer Gruppe zuwenden und dieser folgen. Oder wir können das machen, was die Postmodernisten bevorzugen: Auf unsere Gefühle hören und diesen folgen. Horchen wir dann in uns hinein, dann führen uns unsere Gefühle zu den Antworten der dominanten Theorien zur menschlichen Natur der vergangenen 200 Jahre. Von Kierkegaard und Heidegger lernen wir, dass unser emotionales Innerstes aus einem tiefgreifenden Gefühl der Furcht und Schuld besteht. Und von Marx kennen wir das tiefe Gefühl der Entfremdung, des Opferstatus und des Zorns. Bei Nietzsche entdecken wir das Bedürfnis nach Macht. Freud brachte unsere dunkle und aggressive Sexualität ans Tageslicht. Zorn, Macht, Schuld, Lust und Angst sind der Wirbelsturm im Zentrum des postmodernen emotionalen Universums.

Die Postmodernisten sind sich uneinig, ob diese Kerngfühle biologisch oder sozial definiert sind, wobei die Variante mit den sozialen Ursachen eindeutig vorne liegt. Zumindest ist der Einzelne nicht Herr über seine Gefühle: Die Identität ist das Produkt der jeweiligen Gruppenmitgliedschaft. Da jede Gruppe ihre eigene sexuellen, öknomischen und rassischen Erfahrungen und Entwicklungen hinter sich brachten, haben die einzelnen Gruppen keinen gemeinsamen Erfahrungsrahmen. Ohne objektiven Standard, an dem man die einzelnen unterschiedlichen Perspektiven und Gefühle gegeneinander abwägen könnte, und ohne Möglichkeit vernünftig zu argumentieren, besteht das notwendige Ergebnis entsprechend in einer konfliktgeladenen Balkanisierung.

In diesem Zusammenhang macht die politische Korrektheit als Taktik sehr viel Sinn. Wer die Vernunft ablehnt, von dem kann nicht erwartet werden, dass er sich vernünftig verhält. Mit der Leidenschaft im Sinn agiren und reagiern wir holzschnittartig und aus dem Bauch heraus. Und mit dem Verlust des Individualsinnes müssen wir unsere Identität aus der Gruppe ableiten. Da wir nicht viel mit den anderen Gruppen gemein haben werden wir sie als Konkurrenz wahrnehmen. Das Aufgeben von rationalen und neutralen Wertmaßstäben sorgt für eine Verschiebung hin zu einer gewalttätigen Austragung des Wettbewerbsdruckes. Und gleichzeitig sorgt die Ablehnung von friedlichen Konfliktlösungen dafür, dass nicht der Besonnenste, sondern der Rücksichtsloseste gewinnen wird.

Die Reaktion der Postmodernisten auf die Aussicht einer solchen brutalen postmodernen sozialen Welt drückt sich in drei verschiedenen Formen aus, je nachdem ob man in der Angelegenheit Foucault, Derrida oder Rorty folgt. Foucault hält sich dabei eng an Nietzsche, da er das Wissen als einen Ausdruck sozialer Macht hält und uns dazu aufruft, das brutale Spiel der Politik mitzuspielen - auch wenn er im völligen Widerspruch zu Nietzsche fordert, das Spiel im Namen der traditionell Unterdrückten zu spielen. Derrida widerum bevorzugt die Variante Heideggers und wusch ihn rein mit der Dekonstruktion der Sprache, die er zu einem ästhetischen Spiel erklärt und sich damit aus dem Kampfgeschehen herausredet. Rorty schliesslich hofft aufgrund der Aufgabe der Objektivität darauf, dass wir eine "zwischensubjektive Einigung" erzielen können mit den "Mitgliedern des eigenen Klans," und dass wir dabei friedlich miteinander umgehen. Kurz gesagt, die postmodernen Optionen enden alle im Kampf, oder in der Selbstaufgabe, oder in der Selbstisolierung, oder im Versuch, die brutalen Auswüchse des allgegenwärtigen Kampfes abzumildern.

Der Postmodernismus lässt sich effektiv als das Endergebnis der mit der kantschen Epistemologie eingeleiteten Gegenaufklärung bezeichnen.

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