Pubertät erleben als Transgender

in #deutsch6 years ago (edited)

Die Pubertät ist vermutlich für die meisten Menschen ne krasse Zeit.
Seit 20 Jahren begleite ich nun Kinder durchs Leben und immer wieder beobachte ich, wie schwierig für sie die Phase ist, wenn ihr Körper sich auf einmal verändert.

Selbst für Kids, die sich völlig wohl in ihrem Körper fühlen und keine traumatisierenden Erfahrungen mit sich herumschleppen, ist dieser Wandel eine harte Nuss.

Dennoch kommen die meisten jungen Menschen damit relativ gut zurecht. Es ist halt eine sehr sensible Zeit. Die Risiken steigen in verschiedenen Bereichen gravierend an. Suchterkrankungen jeder Art, Depressionen, selbst verletzendes Verhalten, Risikobereitschaft, all das sind Anteile die zu dieser Lebensspanne gehören und mit der Hirnentwicklung zusammen hängen. Immerhin vernetzen sich in dem Alter die ganzen Nervenbahnen komplett neu, das ist eine Höchstleistung.

Als ich in die Pubertät kam, brach meine Welt zusammen. Es war nicht einfach nur so, dass ich auf einmal die Periode bekam oder mir Brüste wuchsen, was beides ziemlich schmerzhaft war, mein ganzes Selbstbild brach in tausend Stücke.

Ich weiss nicht, wie ich euch erklären soll, wie sich das anfühlte.


Für mich war es in mir selber irgendwie total logisch, dass ich zu einem Mann heranwachse. Die Bilder in meinem Kopf, wer ich bin und sein würde, wie ich mich selber sah und erlebte, ließen keinen Zweifel. Mir war natürlich bewusst, dass ich biologisch gesehen nun mal eine Vagina hatte, aber wenn ich mit Unterhosen vor dem Spiegel stand, sah ich einen Jungen vor mir. Und wenn ich mir meine Zukunft vorstellte, sah ich vor meinem inneren Auge mich selber als Mann.

Die weibliche Pubertät, war mein Alptraum. Sie ruinierte mein ganzes Selbstbild, meine Idee davon, wer ich bin, meine Gewohnheiten, alles auf einen Schlag zerstört. Das an sich war schon kaum zu ertragen für mich, aber noch schlimmer war, dass ich mit niemandem darüber reden konnte. Alle schienen sich so über meine Weiblichkeit zu freuen. Wie hübsch du geworden bist, jetzt siehst du endlich aus, wie ein richtiges Mädel Rachel ... und ich hätte schreien können vor Wut, Trauer, Schmerz und Angst.

Das Foto unten zeigt mich mit 11 Jahren, kurz bevor die Pubertät begann. Ich verkleidete mich mit einer Freundin zusammen, sie als Mann und ich als Frau. Mir war zu dem Zeitpunkt nicht bewusst, wie schnell diese Verkleidung meine Realität werden sollte.

In mir fühlte ich mich zerbrochen, falsch, ungeliebt und ungesehen.

Niemals hätte ich ein Foto von mir gemacht, niemals wollte ich jemandem mein wahres Ich zeigen, geschweige denn irgendetwas von meinen echten Gefühlen. Ich erlebte zwar eine Pubertät, aber sie war geprägt von Selbsthass, Einsamkeit und Verleugnung. Ich habe überlebt, irgendwie halbwegs funktioniert und mich total verschlossen.

Wenn ich jemandem versuche zu zeigen, wie schmerzhaft dieser Prozess war, wenn ich die Tür zu diesen Gefühlen in mir einen winzigen Spalt öffne, fang ich noch heute sofort an zu heulen. Deswegen vermeide ich es eigentlich, mich damit zu zeigen, weil ich niemandem ein schlechtes Gefühl geben will. Und doch denke ich, wie soll jemand verstehen, wie es ist, wenn das Geschlecht sich entgegen der inneren Wahrnehmung entwickelt, wenn ich den Schmerz darüber nicht zeige, dann ist alles, was ich vermittle nur hohles Geschwätz.

Manchen von euch wird aufgefallen sein, dass meine Selbstdarstellung durch Bilder sich im Moment sehr jugendlich verhält. Keine Sorge, ich bin mir dessen voll bewusst.

Seit ich anfange, mich mit dem Thema zu zeigen, lerne ich mich neu kennen und arbeite vieles auf. Innerlich erlebe ich eine zweite Pubertät und sobald ich Hormone bekomme, werde ich die auch äußerlich erfahren dürfen.
Endlich wird alles richtig, endlich kann ich mich auf den Weg zu mir selber machen und ich grabe mein altes Ich langsam aus, wie ein Archäologe lege ich das Kind frei, welches ich einst gewesen bin und welches so, nie zum Mann heranwachsen durfte.

Ich fange an, mich mit meinem Äußeren zu identifizieren, ich baue eine neue Beziehung zu meinem Körper auf und erfinde mich neu, oder alt, wie man es sehen will.

Bewusst lasse ich all meine jugendlichen Gefühle zu, ich spüre den kindlichen Zorn in mir, den Schmerz aber auch die Freude. Ich erlebe mich selbst neu und mache neue Erfahrungen.

Ich schenke mir die Freiheit, all dass endlich auszuleben, und ich erlaube mir, diese Phase zu genießen, damit endlich alle Aspekte meiner Seele erwachsen werden können.

Psychologisch betrachtet ist dieser Effekt gesund und normal. Viele Transgender erleben mit der Umstellung ihre richtige Pubertät und kommen durch diesen Prozess endlich bei sich an. Spannend ist, wie die Außenwelt damit umgeht.

Manche können damit total entspannt sein, manche merken es nicht einmal und wieder andere, scheinen sich durch mein Verhalten getriggert zu fühlen.

Wenn du, aus irgend einem Grund, eine Phase des Lebens nicht erleben konntest, geh da rein. Ich kann es jedem nur wärmstens empfehlen, sich da Raum zu geben und das Leben mit allen Facetten zuzulassen, und die Pubertät gehört da ganz klar zur Selbstfindung dazu.

Sollten meine pubertären Anwandlungen mit der Einnahme von Testosteron noch markanter werden, bitte ich schon mal vorweg um eure Nachsicht und hoffe, ihr werdet es mit einem Schmunzeln quittieren.


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Sämtliche Bilder bilden mich ab und sind mein persönliches Eigentum

Sort:  

wow, das nenn ich mal ne ehrliche und objektive Selbstdarstellung. Natürlich kann ich als "Normalo-Mann" nicht in Deine Gefühlswelt sehen.

Trotz alledem habe auch ich eine solche pubertäre Phase mitgemacht wie alle anderen auch. Und bei uns "Männer" gings dann mehr um den ersten Bartwuchs, die Entwicklung des sexuellen Körperteiles schlechthin oder auch den Stimmbruch. Letzteres war interessant, zu merken wie die eigene Stimme tiefer wurde und und und.

In dieser Phase und jetzt komme ich auf Deine Aussage

eine Phase des Lebens nicht erleben konntest, geh da rein

keimte bei mir schon die Frage: Warum bin ich auf der Welt, was ist meine daseinsberechtigung. All dies sollte mich effktiv so lange beschäftigen bis ich ca 40 Jahre alt war. Das "geh da rein" war sehr ein wichtiger Prozess für mich und hält noch bis heute an, Sich zu hinterfragen und sich mit sich selber auseinander zu setzen erachte ich als einer der schwierigsten Prozesse.

Natürlich scheint der Vergleich sehr weit her geholt, geht es mir aber hier mehr um das latente Gefühl zu haben, etwas stimmt nicht, so wie du es auch mit Deiner Transgendergeschichte hattest. Ich bin jahrelang einem Gefühl oder einer Frage ausgewichen. Aber ich kann euch allen sagen, die Geschichte holt euch immer wieder ein, bis ihr den Schritt in die Aufarbeitung macht. Dieser Schritt kann sehr schmerzhaft sein.
Danke @asperger-kids für diesen sehr tiefgreifenden Artikel.
Liebe Grüsse aus der Wärme der Karibik. mikeCee

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Danke dir <3
Ich glaube, jeder kennt Anteile davon, eben mehr oder weniger. Das Warum für sich zu finden, hat ja auch total viel mit der Identität zu tun, insofern versteh ich den Vergleich total :)

Toller Beitrag über deine innere und äußere Veränderung! Ich bin mir sicher so ein Text nimmt auch vielen Transgendern die Angst davor mit Hormonen anzufangen. Wirklich toll welch positive Auswirkungen das für dich hat!

Wie die Hormone dann werden, weiss ich ja noch nicht :D Ich erzähls euch dann aber :D
Es macht auf jeden Fall sehr viel für dein Leben, wenn du 100% zu dir stehen kannst.

Liebe Rachel,

wir kennen uns kaum und noch nicht lange. Aber ich kann dir sagen deine Worte sind sehr berührend und gehen bei mir mega unter die Haut. Ich sitze im Cafe und musste grade aufpassen, dass ich nicht anfangen zu heulen.

Ich wünsche dir eine grandiose Pubertät. Sie soll so schön sein, wie du sie dir ausmalst! Mit allen Höhen und Tiefen. Aber auch die Tiefen sind ja für was gut, gell?

Ohwaia, das wär was gewesen Liebes, mitten im Cafe, damit hättest du dein Umfeld total aus dem Konzept gepasst, nur grundloses Lachen wär noch schlimmer gewesen.

Danke <3 Naja, schön mal ich mir die Pubertät nicht aus, eher explosiv und anstrengend, aber diesmal wenigstens authentisch :D

Think positive: mit dem jetzigen Stand deiner Persönlichkeit und dein Wissen darüber ist es vielleicht (positiv) besser als du denkst... alles was du durchlebst bedeutet ein Lernen fürs Leben und macht dir später vieles einfacher..

Und das mit dem Lachen ist so ne Sache.. da bringe ich wirklau öfter mal die Leute um mich rum so aus dem Konzept, dass ich das Gefühl habe mich entschuldigen zu müssen für meinen Lachanfall 😂😂

Ah ich bin positiv, daran is ja nix Negatives, denke ich auf jeden Fall :)
Bin voll im Reinen damit und sehe diese Phase als ein Geschenk vom Leben an mich.

Ich find es einfach nur toll, wie du hier über deine Geschichte und deine zweite Pubertät schreibst. Oder auch anders ausgedrückt, dass du darüber schreibst. Und die Pubertät ist auch was tolles. Es kann zwar ziemlich auf und ab gehen, aber kann genau deshalb zu eine sehr schöne Zeit werden.

Und keine Sorgen wegen möglicher pubertärer Verhaltensweisen, die haben wir doch alle manchmal noch :)

Hehe danke, ich geniesse es auch sehr, hier meine Gedanken deponieren zu können, für euch und mich, ist eine feine Sache.

Vermutlich, irgendwie sind wir ja alle noch kleine Kinder, manchmal mehr manchmal weniger.

Liebe Rachel
Dein Bericht erinnert mich an meine Pubertätszeit, die für mich auch nicht leicht war. Vorallem meine Herkunft, ich bin adoptiert, hat mich lange beschäftigt. In diese Zeit fiel auch der Tod meines Adoptivvaters und ein paar Jahre später meiner leiblichen Mutter die ich nie sah.
Ich kann aber nur schwer nachvollziehen was in einem jungen Menschen vorgeht wenn er sich im falschen Körper fühlt. Ich denke Rachel, du bist auf dem richtigen Weg und kommst der Person die du werden willst mit jedem Tag näher. Dazu sollen dich meine besten Wünsche begleiten.

Danke mein Lieber.
Wenn man in der Pubertät probleme mit der Identität bekommt, ist das immer hart, egal was der Auslöser ist. Tut mir leid, was du erleben musstest.
Danke dass du dir die Zeit genommen hast, meine Gedanken dazu zu lesen und einen lieben Kommentar für mich dazulassen.

Ich wünsch dir ebenfalls nur das Beste.

Vielen Dank Rachel!

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