[DE] Mullholland Drive in a Nutshell [Part III]: Zusammenfassung

in #deutsch5 years ago (edited)

Zusammenfassung

Ja, ich habe lange über "Mullholland Drive" gebrütet und denke, dieser Beitrag ist der letzte in der Reihe (siehe Teil [I](https://steemit.com/deutsch/@antikesdenken/de-mullholland-drive-in-a-nutshell) und [II](https://steemit.com/deutsch/@antikesdenken/de-mullholland-drive-in-a-nutshell-2-charakterprofile)). Er enthält nun wirklich meine abschließenden Gedanken. Das Tolle ist, dass ich wirklich Gefallen an der Filminterpretation gefunden habe und damit womöglich weitermache.
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Die übliche Lesart

Der Film leitet das psychische Drama her, das zum Selbstmord der Protagonistin Diane Selwyn führt. Und weiter? In einer bestimmten Lesart ist die Haupterklärung ihr verdrängter Missbrauch in der Kindheit durch den Vater. Sie deckt sich mit Lynch's anderen Werken. Es gibt natürlich auch im Film selbst viele Hinweise, die für diese Interpretation sprechen. Hervorzuheben sind hier v. a. der Film "Die Sylvia North Story" für den Betty vorspricht. Es gibt ihn zwar außerhalb von "Mullholland Drive" nicht, aber ein Interpret sieht Parallelen zu einem Film, in dem es um eine Frau geht, die vergewaltigt wurde und später Filmstar wird [[1]](http://www.mulholland-drive.net/studies/sylvianorth.htm). Ein weiterer interessanter Hinweis ist das Bild in Betty's Wohnung, das eine Frau zeigt, die vergewaltigt wurde und ihren Vergewaltiger später ermordete. Ich halte diese Lesart für gerechtfertigt, finde aber, es gibt eine weitere Lesart.

Eine neue Lesart

"Mullholland Drive" stellt sowohl die Realität als auch den Traum als zerstückelte Episoden dar, die sich zu überschneiden scheinen, also in einem Zusammenhang stehen. Das gilt auch für die Charaktere, die darin auftauchen. Je weniger wir zwischen ihnen unterscheiden und sie als Alter Ego ein und derselben Person betrachten, desto eher erfahren wir etwas über den Zusammenhang zwischen den einzelnen Episoden des Films. Lesarten wie die obige stützen sich auf eine Analyse, die die Charaktere stark voneinander trennen. Betrachtet man ihre Szenen als Episoden eines einzigen Traumes bzw. Lebens und ihre Charaktere dementsprechend als eine einzige Persönlichkeit, ergibt sich ein ganz anderes Bild. Wir lernen dann nicht nur etwas über Betty's, sondern auch unser Bewusstsein. Die Genialität des Filmes besteht darin, dass er eigentlich nur aus wenigen Episoden besteht. Die Story ist kurz, aber dafür unglaublich reich ausgestattet. David Lynch gelingt das, indem er dieselbe Erinnerung in immer wieder neuen Facetten bzw. Szenen darstellt. Darauf kommt man, wenn man sich die vielen Ähnlichkeiten und auch wortwörtlichen Wiederholungen scheinbar unzusammenhängender Dialoge genau ansieht. Zwei scheinbar unzusammenhängende Szenen geben uns denselben Hinweis: Diane ist eine schlechte Schauspielerin. Einmal der Hundehaufen vor ihren Füßen in der Apartmentanlage und die darauf folgende Szene, in der Luigi Castigliane den Espresso "scheiße" findet. Letztere Szene ist wie ein Vorsprechen, in dem Diane (Adam) versagt. Sie bekommt keine Rollen. Parallel dazu sagt Coco auch, dass Betty ihr "einen Haufen Mist" auftischt. Das waren nur zwei Parallelen. Der Film besteht aus vielen weiteren. Um sie zu entdecken, reicht es schon, auf Wiederholungen zu achten wie z. B.
  • "Du treibst ein gefährliches Spiel."
  • "... das Ende von allem."
  • "Es ist nicht mehr Ihr Film."
  • "Auf gar keinen Fall!
  • "Es ist alles in bester Ordnung."
  • Es gibt aber auch viele indirekte Wiederholungen wie z. B. die Erwähnung von Schwierigkeiten oder einem Unfall. "Mullholland Drive" ist wie ein Fraktal, in das man immer wieder hineinzoomen kann und darin auf weitere Komplexität stößt. Damit ähnelt er natürlich auch unserem Bewusstsein. Das ist uns schließlich auch in seiner Gänze verschlossen. Ein weiteres Stilmittel des Filmes ist die Unterbrechung des zeitlichen Zusammenhanges der Geschichte. Wie erwähnt leitet der Film lediglich das psychische Drama her, das zu Dianes Selbstmord führt. Wie bei einem Roman ist es aber ein ganzes Menschenleben, das diesem Ereignis vorausging. Damit der Zuschauer das Ereignis richtig einordnen und verstehen kann, muss er erst dasselbe erleben, was Diane erlebt hat. Und zwar in derselben verzerrten Wahrnehmung, ähnlich einem Drogenrausch. Lynch erzählt uns nicht einfach nur eine Geschichte. Er zeigt uns auf unglaublich kreative Weise, wie Bewusstsein funktioniert. Eine der psychologischen Erkenntnisse, die wir als Zuschauer aus dem Film mitnehmen können, lautet daher: Man kann nie zwischen Traum und Wirklichkeit unterscheiden. Es gibt keine Objektivität. Das gilt besonders beim Umgang mit den Menschen, mit denen wir zu tun haben. Sie könnten ja auch nur Facetten unseres Selbst sein. Je näher wir sie betrachten, desto eher erfahren wir etwas über uns selbst.

    Die Bedeutung des schwarzen Buches: "die Geschichte unserer Welt in Telefonnummern"

    Thema des Filmes ist Diane's innerer Konflikt. Sie ist die Hauptperson. Es geht aber eigentlich gar nicht um sie, sondern uns alle. Dafür sprechen einerseits die vielen gescheiterten Dialoge des Films, im Zusammenhang mit den vielen Telefonanrufen. Aber vor allem das schwarze Buch in der Szene mit Ed und Joe. Selbst wenn man so weit geht zu sagen, dass sich beide wie Betty und Rita verhalten (Ed hat eine ähnliche Wunde wie Rita. Joe ist blond wie Diane. Joe möchte etwas von Ed – Betty möchte etwas von Rita. Ed erzählt Joe von einem Unfall – Rita erzählt Betty von einem Unfall.) bleibt immer noch das Rätsel um das schwarze Buch. Es enthält "die Geschichte unserer Welt in Telefonnummern" (Ed). Mehr erfahren wir nicht. Telefonnummern verbinden Menschen miteinander. Aber warum braucht Joe sie? Die naheliegende Antwort wäre, dass er darüber an Ed's Auftraggeber herankommen möchte. Betrachtet man allerdings den größeren Zusammenhang des Films, nämlich seine Hauptaussage, ist es auch viel leichter, die Rolle des Buches einzuordnen. "Die Geschichte unserer Welt" lautet: Unsere Persönlichkeiten leben getrennt voneinander in verschiedenen Zimmern (Adam lebt in Zimmer 16, Diane in Zimmer 17, siehe Szene 01:28:50) und ihre Gesprächsversuche scheitern permanent. Es gibt keine Synchronisation zwischen ihnen ("Il n'y a pas d'orchestre."). Sie hintergehen sich, betrügen sich und versuchen (erfolglos) sich gegenseitig zu vernichten.

    Asynchronität – "Il n'y a pas d'orchestre."

    Der Magier im Club Silencio verrät es: So wie Betty vergessen hat, dass sie die Rolle einer Schauspielerin spielt, haben wir auch vergessen, dass unsere Aussagen "vom Band" kommen. Wir sehen uns beim Sprechen und Schauspielern permanent selbst zu (wie Adam, der seine Rollen castet). Die einzelnen Persönlichkeitsanteile sind asynchron. Wie ein Orchester, bei dem man die einzelnen Instrumente an- und abschalten kann. Das könnte man bei einer Live-Aufnahme nicht. Weil Betty aus verschiedenen Persönlichkeiten zusammengesetzt ist, die nicht (richtig) miteinander kommunizieren, ist sie auch nicht erfolgreich und kann das Ideal der Camilla Rhodes nicht erreichen. Doch Betty's Ego Adam kann die Karriereambitionen nicht seinlassen. Statt im Entweder-Oder zweier Optionen zu denken, schlägt ihr Über-Ich (Mr. Roque) einen Neustart vor. Der Cowboy gibt ihr den Tipp, wirklich zu schauspielern und Camilla Rhodes zu verkörpern (eine ganzheitliche Person, sozusagen ein Orchester zu sein). Doch weil die Kommunikation zwischen Betty's Persönlichkeitsanteilen nicht gelingt, spielt sie eine Schauspielerin, statt eine zu sein. Eigentlich müsste sie sich von ihrer Rolle distanzieren. Sie distanziert sich aber von ihren Persönlichkeitsanteilen und hofft, dass diese überzeugen. Lynch verbindet also zwei heikle Themen bzw. er zeigt wie zwei heikle Themen in Hollywood zusammenhängen: Erfolg und Missbrauch. Er zeigt uns nach obiger Lesart die harte Realität, nämlich, dass der Weg zum Erfolg für einige Frauen auch mit (Selbst-)Missbrauch gepflastert ist. Er zeigt aber auch einen möglichen Weg, oder besser gesagt: ein Erfolgsrezept, für ambitionierte Schauspieler, die erfolgreich sein möchten, ohne sich von sich zu entfremden. Quellen [1] http://www.mulholland-drive.net/studies/sylvianorth.htm [2] http://www.mulholland-drive.net/analysis/analysis10.htm [3] https://www.mulholland-drive.net/studies/bluebox.htm [4] https://www.mulholland-drive.net/theories/18.htm [5] http://www.mulholland-drive.net/theories/28.htm
    Image source [1](https://pixabay.com/de/hollywood-schild-los-angeles-1598473/)



    06.01.2019 UTC + 1
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