Unterwegs an den Abgründen des ÖPNV in Sachsen-Anhalt / Travelling along the abysses of public transport in Saxony-Anhalt

in Deutsch Unplugged3 months ago

english below...

Diese Woche bin ich im Auftrag der NASA unterwegs. Also… Nicht DER NASA. Sondern der Nahverkehrsbetriebe Sachsen-Anhalt. NASA eben. Daß deren Logo dem der anderen NASA zum Verwechseln ähnlich sieht, ist bestimmt Zufall und absolut unbeabsichtigt ;-))

Jedenfalls – Öffentlicher Personennahverkehr ist so eine Sache. Zumindest auf dem flachen Land, abseits der städtischen Infrastruktur. Habe ich gehört. Ich fahre ja nun wirklich alles mit dem Auto, aber wer Zeitung liest und Berichte mitbekommt…: Mobilitätswüste.

Dachte ich.

Schon kurz nach unserer Eroberung des Paradieses (aka „Wir haben einen Hof auf dem Land!“) schwante uns, daß es vielleicht doch ganz funktional sein könnte mit Bus und Bahn auf dem Dorf. Was heißt Dorf…?! Wir reden von offiziellen 67 Einwohnern. Ich erwähnte schon einmal, daß es sich dabei um eine rein theoretische Größenordnung handelt. Für die fährt acht Mal am Tag ein Bus, vier in Richtung Köthen und vier in Richtung Bernburg. An Berliner Verhältnisse gewöhnt empfindet man das vielleicht als bescheiden, aber es fahren ohnehin nur ein paar Schüler zu ihren Schulen und der einzige Einwohner ohne Führerschein zum Einkaufen. Also – alles fein. Außerdem gibt es zusätzlich noch einen Rufbus. Den ordert man telefonisch oder per App eine Stunde vor der gewünschten Abfahrt, und dann wird man abgeholt. Kostet etwas mehr als ein normales Einzelticket, aber deutlich weniger als ein Taxi. Gute Sache.

Hat mich bei allem Erstaunen nicht weiter bewegt, bis kürzlich die NASA anfragte, ob ich eine Erhebung zum ÖPNV in ihrem Einzugsgebiet machen könnte. Aus meiner Sicht bedient das ein Zwischending zwischen meinen beiden Gewerben: Marktforschung auf ökologischem Gebiet. Hat sich schon öfter so passend ergeben, darum nahm ich den Auftrag gerne an.

Ich fahre jetzt sieben Tage kreuz und queer durch Sachsen-Anhalt, mit Bus und Bahn, Tram und Taxi. Nebenbei lerne ich natürlich unser künftiges Einzugsgebiet ganz gut kennen, aber in erster Linie checke ich:

  • Wie pünktlich sind die Nahverkehrslinien? Wie sauber, wie kundenfreundlich?
  • Wie steht es mit den Informationen zu Abfahrt, Wagenreihung, Gleis oder Bussteig?
  • Sind die Fahrer und Schaffner hilfreich und serviceorientiert?
  • Welche Infrastruktur gibt es an den Bahnhöfen und Haltepunkten und in welchem Zustand sind die?
  • Wie viele Fahrgäste nutzen zu welchen Tageszeiten das Angebot?
  • Wie zufrieden oder unzufrieden sind die? Was wünschen die sich ggf.?
  • Welche Apps nutzen die Fahrgäste zur Planung und Nutzung des ÖPNV? Was fehlt da, was könnte man zusätzlich anbieten?
  • Ist das Gesamtgebiet ausreichend abgedeckt? Komme ich in einer Stunde überall hin, wo ich hin wollen könnte?
  • Gibt es genügend Alternativen, Auswahl?

Es gibt noch mehr Fragestellungen, aber alle zielen darauf ab, die Kundenzufriedenheit und evtl. bestehende weitere Bedürfnisse der Reisenden zu erfahren.

Nun, um es kurz und knapp auszudrücken: ich bin ehrlich überrascht! Ich bin überall, wirklich überall, deutlich schneller auf diese Art als mit dem Auto. Wollte ich nicht glauben, mittlerweile bin ich überzeugt. Wenn es nur um die Bewegung von A nach B geht, schlagen die Öffis hier den privaten PKW um Längen. Natürlich ist damit noch kein Gepäck oder Sperrgut bewegt, kein bissiger Hund befördert oder keine johlende Kinderschar sicher befördert. Aber insgesamt haben die Verantwortlichen hier wirklich Köpfchen bewiesen und ein ziemlich gutes und praktikables Konzept gebastelt. Ein paar Kleinigkeiten werden, sicher auch im Ergebnis meiner sonst recht positiven Erhebung, noch nachgebessert.

Und dann… Dann heißt es nur noch, die erhofften Massen von Leuten von der wunderbaren Welt der öffentlichen Verkehrsmittel zu überzeugen. Aber für‘s Marketing bin ja nicht ich zuständig. Wird schon.

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english version:

This week I'm travelling on behalf of NASA. Well... Not THE NASA. But the Nearfield Area transport company Saxony-Anhalt. NASA, that is. The fact that their logo looks confusingly similar to that of the other NASA is probably a coincidence and completely unintentional ;-))

Anyway - local public transport is one of those things. At least in the flat countryside, away from the urban infrastructure. That's what I've heard. I really do drive everything by car, but if you read the papers and notice the reports...: A mobility desert.

That's what I thought.

Shortly after our conquest of paradise (aka "We have a farm in the countryside!"), we realised that it might be quite functional with buses and trains in the village. What do you mean village...?! We're talking about an official population of 67. I have already mentioned that this is a purely theoretical figure. There is a bus for them eight times a day, four in the direction of Köthen and four in the direction of Bernburg. If you're used to Berlin standards, you might think that's modest, but only a few schoolchildren travel to their schools and the only resident without a driving licence goes shopping anyway. So - everything is fine. There is also an on-call bus service. You order it by phone or app one hour before the desired departure time and then you are picked up. It costs a little more than a normal single ticket, but significantly less than a taxi. A good thing.

Despite my astonishment, it didn't move me any further until NASA recently asked if I could do a research study on public transport in their catchment area. From my point of view, this serves as an intermediate between my two trades: Market research in the ecological field. It has often turned out to be a good fit, so I was happy to accept the assignment.

I'm now spending seven days travelling all over Saxony-Anhalt by bus, train, tram and taxi. Along the way, of course, I'm getting to know our future catchment area quite well, but first and foremost I'm checking:

  • How punctual are the local transport lines? How clean, how customer-friendly?
  • What about the information on departures, carriage order, platform or bus stop?
  • Are the drivers and conductors helpful and service-orientated?
  • What infrastructure is there at the stations and stops and what condition are they in?
  • How many passengers use the service and at what times of day?
  • How satisfied or dissatisfied are they? What do they want, if anything?
  • Which apps do passengers use to plan and travel on public transport? What is missing, what else could be offered?
  • Is the entire area sufficiently covered? Can I get everywhere I want to go in one hour?
  • Are there enough alternatives, choices?

There are more questions, but all of them are aimed at finding out about customer satisfaction and any other needs that travellers may have.

Well, to put it briefly and succinctly: I am honestly surprised! I get everywhere, really everywhere, much faster this way than by car. I didn't want to believe it, but now I'm convinced. If it's just about getting from A to B, public transport beats private cars by far. Of course, it's not quite enough to move luggage or bulky goods, transport a snappy dog or carry a crowd of hooting children. But all in all, the people in charge here have really shown their brains and come up with a pretty good and practicable concept. A few little things will be improved, certainly as a result of my otherwise very positive evaluation.

And then... All that remains is to convince the hoped-for masses of people of the wonderful world of public transport. But I'm not responsible for marketing. It'll be fine.

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 3 months ago 

uuuuh Auftrag, das ist ein schönes Wort, oder ?

Nahverkehr, ich habe da auch so ein wenig gemischte Gefühle, auch wenn ich selbst wirklich nur seltenst damit in Berührung komme.
Meine Mädels kennen das ziemlich gut, in und um Hanau und Frankfurt gut ausgebaut aber nicht wirklich Zeitersparnis eher genau das Gegenteil, weil man muss ja auch irgendwie hinkommen, also zusätzliche Anfahrt zumindest zum Bahnhof für den Zug oder die S-Bahn. Und dann stimmt natürlich auch nie die Kostenberechnung für die Vergleiche, weil man hat ja auch noch ein Auto was vor und nach dem Ticket Kosten produziert für Kraftstoff, Steuer, Versicherung, Abschreibung, Werkstattaufenthalte,Parkkosten. Ich sag mal mit der Erfahrung aus all unseren Firmenfahrzeugen über Jahrzehnte hinweg unter 0,35 geht da gar nix pro gefahrenen KM.
Hier in Spanien sieht es ein wenig anders bei mir aus da nehme ich ab und zu schon mal den Zug anstatt dem Flieger oder dem Auto für die Inlandtrips, z.B. Malaga-Madrid 2,5-4 Std für zwischen 25 und 125€ allerdings fehlt halt auch hier dann die Hinfahrt nach Malaga (1-1,5 Std.) die nochmal mindestens 0,35€ / km kostet also 35€ (gut wenn man es blauäugig sieht dann ist es 1/10 Tankinhalt also 6 Liter für aktuell 1,38), das ist ab Malaga mega bequem mit Kaffee und Bistro, Highspeed-Internet funktionierenden Klimaanlagen, aber gut die Probleme fangen dann am Ankunftsort an, wie geht´s weiter, Taxi, Bus, U-Bahn, passt das mit dem Termin und danach ?
Da ist es mir in der Regel trotzdem lieber die 6 Stunden Fahrt mit dem Auto (600 km) hinzunehmen, wo ich ebenfalls wenigstens die ganze Fahrt die Telefonate erledigen kann, in der Regel am Termin ankomme wie geplant, danach auch wieder direkt zum nächsten komme oder wieder heim.
Selbstverständlich sind die Preise zu den Stoßzeiten also im Berufsverkehr die teuersten, also wenn ich Termine um 0:30 machen kann dann fahre ich am billigsten mit der Bahn nach Madrid hehe, aber das ist nicht wirklich die Regel ;)

 3 months ago 

Das ist ja eigentlich so meine Vorstellung. Liest man ja - kein ausgebauter ÖPNV auf dem Land, man ist auf das Auto angewiesen...

Ernsthaft: ich bin auf allen Strecken, die ich so teste, deutlich schneller mit Bus und Bahn. Ja, es liegt vor allem an Baustellen und Umleitungen, aber es wird nie alles perfekt heile sein. Muß man immer mit rechnen. Und es funktioniert wirklich gut. Also ein paar Vorurteile schmeiße ich - zumindest für Sachsen-Anhalt - gerne über Bord.

Wenn ich lese App:
kann man den ÖPNV bei euch noch ohne Anmeldung und Bargeldlose Zahlung Nutzen?
Und was den einen Einwohner ohne Fuehrerschein angeht, das ist nur eine Frage der Zeit bis es alle trifft(Altern tun wir alle), die Vorbereitungen laufen schon

 3 months ago 

Hi! Lange nix mehr von Dir gehört...!

Also ja, man kann im Bus beim Fahrer bar bezahlen oder ein Papierticket entwerten oder eine Monatskarte vorzeigen. In der Tram ist ein Automat, der Fahrscheine ausspuckt, gegen Bargeld oder Kartenzahlung. Und so weiter...

Diese App, die ich beschrieb, informiert über Verspätungen, Ersatzverkehr, Streckenänderungen. Und dient z.B. dem Ordern von Mobilitätshilfen für Senioren oder Behinderte, Gepäckservice etc. Man kann sein digitales Ticket dort hinterlegen, muß man aber nicht.

Unser einziger Fußgänger hat einfach ein motorisches Problem und kriegt die Hand-Auge-Koordination nicht auf die Reihe. Ansonsten ist der junge Mann fit und nicht allzu betrübt über sein Manko. Alle anderen im Dorf haben und fahren Auto. Anders als in Berlin; da gibt es echt viele Leute, die nie im Leben über einen Führerschein nachdenken würden...

Ja, die "Müdigkeit" hat mich lange davon abgehalten nochmal was zu schreiben.
Immerhin habe ich es mittlerweile geschaft meinen Postingkey auf meinen Mobile Browser zu bringen. So bin ich nicht mehr umbedingt auf einen PC angewiesen.

Gut das die Moeglichkeit zur Barzahlung doch noch irgendwie exisitiert.
Hintergrund ist das ich desletzt eine Geschichte mitbekommen habe bei der
ich schon den Eindruck hatte das Busse nur noch mit Digitalgeld nutzbar sind.
Scheint aber eine Sache des Busfahrers gewesen zu sein.

Mensch da hätte man sich bei den RE13 zwischen Magdeburg und Gommern übern Weg laufen gekonnt, oder wir haben es sogar, nur wussten es nicht. Ja ist schon interessant was die Aufgabenträger manchmal wissen wollen.

 3 months ago 

Hihi! Hätte man das eher gewußt... Morgen bin ich mit RB 30, 50 und 10 unterwegs. Wer weiß... ;-))

67? It's a veritable big city.
I bet it's nice

 3 months ago 

Of the official 67, there are certainly many adult children who never deregistered after moving out. Or something like that. We now estimate the local population at around 35 adults and 7 children. We're even pretty sure about the latter...

Probably it was the government that subtract the missing. That way they get more funding, or nobody told them and they actually went out and counted.😆

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