Eine Vision...

in Deutsch Unplugged2 years ago

Ich sehe eine ziemlich coole, entspannte Welt. Die Menschen sind nicht getrieben vom Druck, ihren Lebensunterhalt durch ungeliebte und zermürbende Tätigkeiten zu verdienen. Nein, sie gehen auf in Beschäftigungen, die ihnen Freude bringen, die sie ausfüllen und deren Nutzen sie am Abend jeden Tages fühlen und erleben können. Dabei ist alles möglich - entsprechend der eigenen Neigung, den Kenntnissen und Fähigkeiten. Auch das Nichts-Tun ist völlig okay. Es gibt Phasen der Aktivität, der Kreativität, der Ruhe und Einkehr. Ganz persönlich hoffe ich, daß es kein Kunstwort mehr dafür gibt wie Work-Life-Balance, sondern daß es etwas ganz Normales und Unspektakuläres ist, genau so zu leben.

Das wird man im übrigen dort, wo man sich wohl fühlt. Wohl mit dem Klima, das einen umgibt. Wohl mit den Menschen, die sich den gleichen Ort zum Leben ausgesucht haben. Wohl mit der Art und Weise, wie Dinge dort gehandhabt werden. Grenzen wird es keine mehr geben. Auch keine Nationalstaaten. Es existiert vollkommene Freizügigkeit und Siedlungsfreiheit. Das führt zu einer Veränderung der Siedlungsstruktur, aber auch zu mehr Zufriedenheit.

Überhaupt wird Zufriedenheit - im Sinne von Ausgeglichenheit, Wohlbefinden, Akzeptanz - das Maß aller Dinge sein. Es wird nicht mehr gearbeitet, um Profite zu erwirtschaften. Weder im Kleinen noch im Großen geht es länger um Rendite und Kapitalerträge. Diskussionen um Tarifverhandlungen, Mindestrente, soziale Absicherung und Teilhabe werden Relikte aus der Vergangenheit sein.

Davon hören eventuell noch die Kinder. Im Geschichtsunterricht. Für oder gegen den sie sich selbst entscheiden können. Bildung erfolgt neigungs- und begabungsorientiert. In vielen verschiedenen Formen. Vielleicht dauert sie dadurch länger; vielleicht hört sie dadurch nie auf! Weil die natürliche Neugier nicht ausgebremst und unterdrückt wird durch verpflichtende Abschlüsse und Rahmenlehrpläne. Der Mensch steht im Mittelpunkt aller Bestrebungen und Aktivitäten, und zwar jeder Einzelne.

Politisch wird es Richtlinien geben müssen, die sich auf die großen Herausforderungen beziehen, vor denen die Menschheit steht. Ein unaufhaltsamer Klimawandel wird in vielen Punkten ein Umdenken und Neuorientieren erfordern. Das wird angeleitet. Das wird angeboten. Von einer Art Gremium, das ständig wechselt. Aus Mangel an anderen Vergleichen stelle ich es mir ähnlich dem Modell einer Räterepublik vor. Nur eben global und beschränkt auf diese großen Probleme. Über den Belag der Straße vor der eigenen Haustür entscheiden die Leute, die dort wohnen und täglich entlangfahren.

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Kunstwerk von Thomas Schmidtchen, Öl auf Holz

Das alles klingt nicht nur utopisch, das ist es auch. Ich kann die Jahreszahl in meiner Vision nicht mehr erkennen. Früher dachte ich, wir wären bereits deutlich näher daran... Natürlich habe ich keine Blaupause in der Tasche, wie wir zu diesem traumhaft paradiesischen Dasein hinkommen. Erforderlich ist meines Erachtens eine Umstrukturierung vor allem der Bildungsmaschinerie. Unsere Generation wird so große Veränderungen wohl nicht mehr erleben, aber die jungen Menschen, die wir heute auf die ewig gleiche Art auf's Leben vorbereiten, haben ebenfalls kaum Möglichkeiten, anders zu denken. Wir müssen damit aufhören! Das Wesentliche, was Kinder lernen müssen, ist das Lernen an sich! In seiner ursprünglichsten Form: selbstbestimmt, aus eigenem Antrieb. Vorbehaltlos, ohne Zwänge und Rahmen. Das müssen wir ihnen ermöglichen. Es wird dadurch wieder dazu kommen, daß Freiheit und Individualität maßgeblich sind für Entwicklung. Gemeinschaft funktioniert nicht als Initiation einer homogenen grauen Masse, sondern als Miteinander toleranter und selbstbewußter Einzelwesen. Das ist Diversität. Menschen müssen von klein auf einen Zugang zu Philosophie und Ethik bekommen, der ihnen ermöglicht, einen ganz eigenen Wertekanon zu entwickeln. Der sich von unserem unterscheiden könnte. Ja. Das müssen WIR aushalten. Bzw. das sind wir den nachfolgenden Generationen schuldig.

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 2 years ago 

Kenne ich, hab ich schon gesehen: Star Trek the next generation. Aber die haben auch einen Replikator.

 2 years ago 

Ja, genau! Gene Roddenberry hat in Star Trek (also der Original-Serie und TNG) ja den idealen Menschen darstellen wollen, der sich eben frei seinen Neigungen widmen kann...

Replikator finde ich jetzt nicht so erstrebenswert. Das klingt so nach Chemie und unnatürlich...

 2 years ago 

Das war eine Vorstellung von der Zukunft, die ich mir mit Spannung und Vergnügen angeschaut habe. Trotzdem ist das nicht die Entwicklung, die ich in der Realität erleben wollen würde. Ich bin da eher friedensbewegt und wenig expansionsaffin.

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 2 years ago (edited)

Ich habe ja an anderer Stelle schon gemerkt, dass du ein Befürworter - obwohl ich auch fast Fan sagen würde - des bedingungslosen Grundeinkommens bist. Ich habe beim Lesen deiner Zeilen daran gedacht.
Ich selbst finde das auch ziemlich interessant. Ich könnte zwar aktuell tatsächlich nicht sagen, ob ich etwas anderes lieber machen würde... aber ich könnte mir vorstellen, einen Teil der bisherigen Arbeitszeit mit anderen Sachen zu füllen... zum Beispiel dem Programmieren auf der Blockchain ;-)
Ich kann überhaupt nicht verstehen, wie jemand einer Tätigkeit nachgehen kann, die ihm absolut keinen Spaß macht. Und das nur, weil diese Tätigkeit möglicherweise besser bezahlt ist. Oder wie manche Eltern ihren Kindern nahelegen (oder gar vorgeben), doch einen Beruf zu wählen, der gut bezahlt wird. Ob es dem Kind liegt oder gar Spaß macht, spielt dann nur nachrangig eine Rolle.

Ich habe schon immer das, was ich mache, gern und gründlich gemacht. Sicher hat jeder mal Tage, an denen es einem eben nicht so gut geht, aber wir sind ja auch keine Maschinen, die ihre Emotionen und Stimmungen nach belieben ausschalten/umschalten können.

Abgesehen davon ist der Ansatz des Grundeinkommens aber auch angesichts der damit entfallenden Bürokratie wegen des Wegfalls der "anderen" Sozialleistungen nicht zu verachten...
Aber das war ja nicht vorrangig dein Thema.

Zur Bildung: Wir sehen es hier in der Familie ja gerade aktuell, und im Grunde betraf es uns alle auch selbst während der Schulzeit. Es gibt Dinge, die man in der Schule lernt, mit denen einige niemals wieder Berührung haben werden. Es gibt eben Kinder, die sich eher naturwissenschaftlich orientieren, während andere sich eher künstlerisch ausleben. Warum dann alle denselben Unterricht haben, erschließt sich mir nicht. Insofern kann ich eine neigungsorientierten Bildung nur befürworten. Grundkenntnisse klammere ich hier mal aus. Und selbst die kann man ansprechend und motivierend rüberbringen.

Das Stichwort Motivation passt ja zu deinem letzten Absatz. Ich - oder besser wir - halten nichts davon, Schulnoten z. B. mit Geld zu belohnen. Wir haben immer versucht, den Kindern Selbstmotivation und die Fähigkeit zu vermitteln, selbst zu erkennen, was ihnen liegt. Ob es uns gelungen ist, wird sich nicht kurzfristig erkennen lassen. So etwas ist ja (leider) ein langer Prozess, der auch den Eltern einiges abverlangt...

 2 years ago 

In der Tat erlebe ich es im gesamten Umfeld so, daß die Arbeit ein schnöder Broterwerb ist und in den meisten Fällen nicht einmal gemocht wird.

Viele Mitschüler meiner Kinder mit kreativen Neigungen (Berufswünsche Glasmaler, Hutmacher oder Goldschmiedin) bekamen von Schule und Elternhaus den gewissen Druck, sich doch der BWL zu widmen, etwas Sicherem halt...

Ich hasse den Mist. Wir erzeugen uns so viele psychische Probleme mit Steuerung in die individuell falsche Richtung, mit Leistungsdruck, mit Wettbewerbsdenken,... Das ist alles hausgemacht, was als Burn Out oder Depression oder chronischer Schmerz daherkommt.

 2 years ago 

Ich sehe eine ziemlich coole, entspannte Welt. Die Menschen sind nicht getrieben vom Druck, ihren Lebensunterhalt durch ungeliebte und zermürbende Tätigkeiten zu verdienen. Nein, sie gehen auf in Beschäftigungen, die ihnen Freude bringen, die sie ausfüllen und deren Nutzen sie am Abend jeden Tages fühlen und erleben können.

Ich halte das für eine Überbewertung der Lebenszufriedenheit.
Unsere Uraltvorderen in der Steinzeit kämpften ums Überleben. So sagen wir heute, sie erfuhren es vielleicht gar nicht als "Kampf ums Überleben", sondern als Leben.

Seinen Lebensunterhalt zu verdienen und Lebenszufriedenheit zu empfinden, kamen erst auf mit der Arbeitsteilung und mit wachsendem Wohlstand. Beides wollen wir wohl kaum wieder aufgeben. Aber möglicherweise liegt hier der Hund begraben?

In der hier vorgestellten Utopie fehlen mir zwei wichtige Aspekte bzw. Fragenkomplexe:

  • Wie wirkt sich sozialpsychologische Gruppendynamik aus auf die Vorlieben und Entscheidungen des Einzelnen? Wir werden eben NICHT geboren als freie Individuen, sondern wir müssen das lernen. Manche ernstzunehmenden Denker sagen, freie Individualität sei eine Illusion, der wir nachjagen. Fakt ist: Geboren werden wir biosozial abhängig.
  • Wie steht es mit den Organisationen und Institutionen? Den kommunalen, regionalen, nationalen, übernationalen Strukturen? Wenn in einem Haus mehr als eine Partei lebt und wohnt, welche davon (oder welche von ihnen wie gebildete Gemeinschaft) soll entscheiden über das Dach und über den Belag der Straße vor dem Haus? Wer hat überhaupt das Haus so gebaut, dass es an einer möglichen Straße liegt? Anarchie, also Herrschaftsfreiheit, ist eine Sache, Bildungsfreiheit eine andere, und soziale Organisation von gemeinschaftlichen Entscheidungen eine dritte. Bedrohungen von außen (Klimawandel, echte Seuchen, Naturkatastrophen) eine vierte, Bedrohungen von innen (Irrtümer, Lügen, Habgier, Hass und Verbrechen) eine fünfte.

Ich sehe einen Ozean, auf dem viele einst voneinander unabhängige Segelschiffe miteinander vertäut und verschraubt und der Takelage beraubt wurden, um ein stabiles Floß zu gewinnen. Wer ganz am Rande schippert, kann versuchen, seinen Teil wieder abzudocken und davon zu rudern. Aus der Mitte kommt keiner mehr raus. Dort wird längst unter der Oberfläche mit Motoren gearbeitet, die den Kurs halten sollen. Aber wer bestimmt diesen Kurs? Ich sehe das Floß schippern, schwanken, dümpeln, treiben, bisweilen fahren. Wohin? Gibt es überhaupt ein festes Land zu erreichen?

 2 years ago 

Du bist und bleibst halt mein Lieblings-Schwarzseher...

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