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RE: Ist Rechtschreibung wichtig? Eine kleine Betrachtung.

in Deutsch Unplugged3 years ago (edited)

Oh ja! Mir persönlich ist sie sehr wichtig. Das hat vielerlei Gründe, über die ich nun nicht referieren mag. Gesellschaftlich nimmt eine standardisierte Schreibweise auch einen hohen Stellenwert ein, über den Sinn im Detail ließe sich da viel diskutieren.

Dein pragmatischer Ansatz ist korrekt. Schriftsprache ist ja nichts anderes als die Abbildung von Sprache durch Zeichen, dient in erster Linie der Kommunikation. Die Abbildung gelingt durch Bilder oder Piktogramme, oder eben durch abstrakte Zeichen. Diese müssen standardisiert sein, damit Sender und Empfänger einander verstehen. Ist der Schriftspracherwerb erstmal in Gang gesetzt, reicht dies auch "rudimentär", die Sprache kann im Ansatz als Lautsprache (was Deutsch durch die Orthographie nicht ist) dargestellt werden, Rechtschreibung ist nicht erforderlich, um die eigentliche Intention von Schrift zu erlangen.
Genau so arbeiten wir mit Leseanfängern, am Förderzentrum auch in den höheren Klassen. Die Lust am Schreiben, daran auch nur mit einer einzigen kurzen Notiz einen Gedanken festzuhalten uvm. darf den jungen Menschen nicht genommen werden. Korrekturen werden stets zusätzlich angeboten, der Schwerpunkt liegt aber immer auf Sinn und Inhalt des Geschriebenen. Anders ginge es gar nicht, alles andere wäre sehr frustrierend für lernschwache Schüler.

Doch irgendwann kommt der gesellschaftliche Kontext dazu. Für ein Bewerbungsschreiben wird etwas mehr verlangt. Kriegen wir mit vielen Gesprächen irgendwie geregelt, aber einfach ist's nicht.

Es ist eben der Kontext, in dem man Schrift selbst nutzt oder sie einem angeboten wird, der zählt.
Es gibt definitiv Wichtigeres als Rechtschreibung.

Gleichzeitig hat sie mich so sehr geprägt (positiv), dass ich mehr bin als ein "Orthographie-Ästhet".
Und jetzt unterscheide ich Arbeit (dort bin ich gern Unterstützer) und Freizeit. Ich bin durchaus bereit, "kulinarische Angebote" anzunehmen, wenn sie mir aber immer wieder zu bitter aufstoßen, setze ich mich nicht mehr mit Inhalten auseinander. Ich lege auch Bücher weg, wenn ich auf jeder Seite zwei oder mehr Rechtschreibfehler finde. Was heißt finden? Ich suche sie ja gar nicht. Sie stechen mir ins Auge, was auf Dauer weh tut. Unter Schmerzen machen die besten Inhalte keinen Spaß.
Kunstsprache kann ich respektieren, ist stellenweise auch sehr witzig, wenn's an Vergewaltigung grenzt, aber irgendwann zu anstrengend.

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 3 years ago (edited)

lernschwache Schüler

Das ist die Ausdrucksweise eines wettbewerbsorientierten Systems. Ich lehne diesen Terminus als Diskriminierung ab. Der Zustand so bewerteter Schüler muss im Sinne eines gelebten Humanismus wertneutral benannt werden. Viele junge Menschen, die Kultusminister und ihr exekutiver Arm als lernschwach bezeichnen, haben oft statt vielleicht Schrift, Musik oder Mathematik ihre Schwerpunkte in ganz anderen Disziplinen. Lerninhalte, bei denen lernstarke Schüler glatt versagen würden.

 3 years ago (edited)

Nachdem meine Tochter eine höchstbegabte Schülerin war, kam mein mittlerer Sohn in ihren Fußstapfen annähernd unter die Räder. Die Einstufung als lernbehindert und die erzwungene Umschulung in eine Allgemeine Förderschule haben mich damals dazu veranlaßt - neben anderen Gründen, die auch irgendwie mit dem Bildungssystem zu tun hatten - Deutschland zu verlassen... Aus dem Jungen ist ein hervorragender Profisportler geworden, der gleichzeitig sozial und psychisch so stark ist, daß er auch nach dem freiwilligen Absprung von diesem Pfad sofort und problemlos seinen Platz im Leben und in seiner Beziehung gefunden hat. Bildung ist unglaublich wichtig, so lange sie sich nicht auf das Erfassen von Faktenwissen und naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten beschränkt.

 3 years ago 

so lange sie sich nicht auf das Erfassen von Faktenwissen und naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten beschränkt

Ach wenn es denn wenigstens so wäre. Es ist die Bildung eines kompentitiven Systems. Es herrscht Wettbewerb in den Kinderstuben der Nation. Das liegt am System und jenen Eltern, die es kritiklos leben. Alles in der Schulpolitik ist auf Elitenbildung ausgerichtet. Wer da nicht rein passt, hat schlechte Karten oder Geld.

 3 years ago (edited)

Du hast natürlich vollständig recht. Der benutzte Ausdruck ist nicht korrekt, wurde aus einer unüberlegten Schreibfaulheit heraus benutzt. Da ich tatsächlich in erster Linie an meine Klientel gedacht habe (Lesenlernen am Förderzentrum), habe ich mir die (derzeitige!) Nomenklatur "Schüler mit sonderpädagigischen Förderbedarf mit dem Schwerpunkt Lernen bzw. geistige Entwicklung" erspart. Ist auch nicht viel besser. Kommt halt immer darauf an, wie man mit einem Begriff umgeht, wie man ihn meint, wie er aufgefasst wird. Ich habe diesen Begriff völlig wertungsfrei benutzt, sollte sich dadurch jemand unbeabsichtigt diskriminiert oder verletzt fühlen, entschuldige ich mich dennoch.

Grundsätzlich gilt meine Aussage ja ohnehin für alle Schüler: Jeder Teilleistungsbegabte frustriert, wenn ihm die Freude darüber, etwas schriftlich festhalten zu können, was sein Gegenüber sogar versteht, genommen wird, bloß weil er die faszinierende Verknüpfung von Symbol und Bedeutung abweichend von allgemeinen Vereinbarungen zu Papier bringt.

Teilleistung bezieht sich dabei nicht auf Leistungserwartungen einer Leistungsgesellschaft, sondern auf die Gesamtheit einer Fülle kognitiver und motorischer Kompetenzen sowie unterschiedlichste Wahrnehmungsfähigkeiten, wobei Teilbereiche bei jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt sind.

Besser? Erinnert mich allerdings leider an etwas, das ganz viel Energie kostet und oft in bürokratischen Debatten von der Arbeit MIT den jungen Menschen abhält, die in weiten Bereichen im Aufbau eines ordentlichen Selbstbewusstseins besteht.

 3 years ago 

Sehr schön gedacht und geschrieben, Chriddi.

 3 years ago 

Oh je, ausgeschlafen nochmal durchgelesen. Viel durcheinander gewürfelt, viel fehlt. Z.B. das Eingehen auf die Rechtschreibprogramme, die Fluch und Segen zugleich sind. Auch hier kommt es immer wieder darauf an, wer sie wie nutzt.

Du siehst, lieber @ty-ty, dein Beitrag ist toll und bietet enorm viele Vorlagen.
Der Artikel ist auf Steemit entstanden, vielleicht sollte dies als Kontextvorlage reichen. Eine Blogging-Plattform, auf der man sein Geschreibsel auch noch verkaufen kann, was schon mal ein paar Adressaten voraussetzt (natürlich nur, wenn man überhaupt die Absicht hat, dass der eigene Beitrag gelesen wird... (wird ja oft behauptet, man kann machen, was man will, weil eh keiner läse)). Ich denke, man kann schon selbst die Richtung weisen, ob der Blog eher einem persönlichen Tagebuch (dann ist eh alles egal) dienen soll oder man sein Tun hier tatsächlich als "Veröffentlichung" sieht, die bitte möglichst viele anspricht, ohne sich dabei inhaltlich und sinngebend zu verbiegen.
Angebot und Nachfrage, Verfasser und Adressat, Inhalt und Stil, Norm und Rebellion, Kunst und Spleen...

Ds mnschlch Ghrn knn Wndrbrs lstn. lls st nr n Frg dr Whrnhmng.

hauptsache, der turmbau zu babel holt uns nicht irgendwan ein. ansonsten entscheidet jeder selbst. mus sich aber auch darüber bewust sein, das schriftsprache - auch ohne smileys - sehr viel mehr rüberbringt als nur inhalte. zum beispiel die wertschätzung der eigenen arbeit und den respekt vor adresaten.

Letzteren habe ich dir soeben gezollt, indem ich mich richtig angestrengt habe, den letzten Absatz zu korrigieren - das war wirklich schwer für mich, grenzte an innere Zerrissenheit... ;-)

 3 years ago 

Ist es ein guter Stil, den Kommentarbereich eines Verfassers durch mehr Schriftzeichen als der Autor selbst benutzt hat, zu sprengen? Da gehen die Meinungen auseinander. Da der Drops in diesem Fall aber ohnehin gelutscht ist, lege ich frech nach:

Rechtschreibung und andere Stilblüten

Ich behaupte, orthographisch recht sicher durch die schriftliche Welt zu laufen und erwarte dies ganz bestimmt nicht von jedem. Ich halte es für ungerecht, dass die Rechtschreibnote in der Schule so eine starke Auswirkung auf die Bewertung eines Aufsatzes oder einer Referatsausarbeitung hat, wenn es letztlich um Inhalte geht, ebenso wie die Tatsache, dass Legastheniker nur bis zu einem bestimmten Alter einen "Freibrief" erhalten.

Es soll auch keinen wirklich interessieren, dass mir, die ich Wortbilder recht gut abgespeichert habe, so manch Wortvergewaltigung in den Augen weh tut. Rechtschreibfehler, Zeichenverdreher und Flüchtigkeitspatzer passieren jedem von uns, ich möchte aber behaupten, dass diejenigen, die einen Artikel verfassen können, auch dazu in der Lage sind, ihren Artikel gegenzulesen und einige Teufelchen auszumerzen. Das macht meine Wenigkeit mehrfach, wie man an den häufigen Editierungen erkennen kann, auch nach Veröffentlichung eines Textes.
Albert Einstein soll übrigens ein Legastheniker gewesen sein, aus dem ist ja auch etwas geworden. Ich denke aber, auch er hat einen Korrekturleser eingesetzt, bevor er seine wissenschaftlichen Ausarbeitungen unter die Menschheit brachte.

Der gute Albert verfügte noch nicht über eine Auto-Korrektur am Computer, auf die er sich vermutlich auch nicht verlassen hätte. Der Mensch weiß immer noch mehr als die Maschine, er kann ihr sagen, dass man tatsächlich den Konjunktiv benutzt, tatsächlich ein Umlaut des Wortes Vokal bilden soll. Und wenn der "Koch" zum "Bock" wird, wie mein Rechner es mir gern vorschlägt, wird es aberwitzig, sofern der Verfasser seine Niederschrift nicht noch einmal durchliest.

Ihr habt vermutlich schon bemerkt, dass ich ein Freund des Genitivs bin und meinen Kumpel mit aller Kraft vor dem Aussterben bewahren möchte. Falls jemand diesem Gebilde lateinischen Ursprungs aber noch nicht begegnet ist, sollte er dem Rettungsfond nicht beitreten, es käme dem schmerzlichen Folgen eines Hauptsatzes auf die Konjunktion "weil" gleich.

Quelle

 3 years ago 

Ich benutze recht gern des Genitivs, auch wo er gerade nicht hin müsste, weil: das soll als Ausgleich wirken für die vielen fehlenden Verwendungen. Des Genitivs weist dem Dativ in den Akkusativ: J'accuse!

Und nach "weil" denke ich mir einfach einen Doppelpunkt, falls es danach ohne Inversion weiter geht. Denn: nach "denn" brauchen wir auch keine Inversion mit Verb am Ende und weil ich glaube, dass das in gewisser Weise im Fluss ist. Wir sprechen und schreiben ja auch nicht mehr wie vor zweihundert Jahren.

Auf jedensten vielen Dank für deine ausführlichen Kommentare! Ob diese in Summa der Worte länger sind als der Original-Post - wen interessiert's? Mich nicht. ;-)

Auf die in manchen Kommentaren anklingende - ich nenne es mal so - Überkreuzung von ästhetischen mit ethischen Kriterien komme ich vielleicht in einem eigenen Artikelchen zurück, in welchem ich dann Schulz von Thuns Kommunikationsquadrat in etwa so einzusetzen gedächte:
"aus dem Selbstkundgabe-Schnabel raus, aber in das Beziehungs-Ohr rein".
Das wird, scheint mir, zu:
"du mutest mir etwas Unangenehmes zu, also bist du mir nicht freundlich gesonnen".

 3 years ago 

Ist des Genitivs jetzt doch dem Dativ sein Freund?!
Tu du mal lieber den Quadranten von dem Schulze raussuchen!
Mist. An den blöden Beziehungsaspekt, der ein Rauschen in den Sender-Empfänger-Kanal gebracht hat, habe ich auch gedacht. Nur Schulz von Thun lag mir dabei nicht auf der Zunge. Hätte mir eventuell viel Geschwafel gespart... ;-)

 3 years ago 

"Rauschen", "Sender", "Empfänger", "Kanal"?
Eine derartige technische Verdinglichung liegt mir fern. Als Metaphern können sie bis zu einem gewissen Grad herhalten. Aber da diese Metaphern sich allzu gern verselbstständigen, vermeiden wir sie besser.
Meint
meiner-einer

 3 years ago 

Du kannst die Metaphern gern vermeiden, "wir" werden das nicht tun, denn ich benutze sie. Das ist ein durchaus gängiges Vokabular bei der Erklärung der hochkomplexen Kommunikation als rein formalen Aspekt - einen wechselseitigen Austausch von Nachrichten zwischen Sender und Empfänger über vereinbarte Zeichen (Lautsprache, Schriftsprache, Symbolsprache…). Ich finde diesen Ansatz sehr anschaulich. Ganz besonders, wenn es um Störungen in der Kommunikation geht. Z.B. kann der beste Redner einem gehörlosen Menschen keine Inhalte vermitteln. Wer ist "schuld"? Niemand. Der Übermittlungskanal ist falsch gewählt.

 3 years ago 

Gegen die Anschaulichkeit habe ich nicht argumentiert. Diese ist zweifellos gegeben.

Mir ist die Analogie zu oberflächlich und wie gesagt zu leicht in die Irre führend. Inwiefern ist die Lautsprache ein Satz vereinbarter Zeichen? Wer hat sie wann mit wem vereinbart - und vor allem: WIE?

Entspricht das Wort "Übermittlungskanal" tatsächlich der Dimension der menschlichen Sinnesorgane und Wahrnehmungsweisen? Ich habe da halt Zweifel...

 3 years ago 

Das Modell ist doch zunächst einmal nur eine Basis ("technisch" ist dabei korrekt und absichtlich gewählt), auf die man die reine Sache herunterbrechen kann. Definitiv zu oberflächlich, wenn man "Kommunikation" in seiner Gesamtheit betrachtet. Das kann aber niemand in einem einzigen Modell, in keinem einzigen Buch. Kommunikation mit all seinen Facetten ist eine ganze Wissenschaft, die es von Anbeginn der Menschheit gibt. Sogar noch früher - jedes Lebewesen kommuniziert.
Aber da will ich auch gar nicht "streiten". Mich interessiert tatsächlich, warum du das Vokabular für irreführend hältst. Mich irritiert es gar nicht.

Inwiefern ist die Lautsprache ein Satz vereinbarter Zeichen?

Einzelne Laute, die du mit deinen Sprechwerkzeugen bildest, ergeben miteinander verknüpft z.B. ein Wort. Akkustische Zeichen in einer bestimmten Kombination erhalten Bedeutung. Das, was sich lautsprachlich wie Baum anhört, ist bei uns die Pflanze mit dem braunen Stamm und dem grünen Blattwerk.
Wer dies wann mit wem vereinbart hat, kann dir niemand beantworten. Wie? Kommunikation und Entwicklung. Auch Auseinanderentwicklung. Für tree muss mensch ganz andere Laute produzieren.

Entspricht das Wort "Übermittlungskanal" tatsächlich der Dimension der menschlichen Sinnesorgane und Wahrnehmungsweisen?

Nein. Natürlich nicht.
Gibt es ein Wort, dem dies gelingt? (Rhetorische Frage.)
Dafür gibt es auch kein umfängliches (einzelnes) Modell. Viel zu viele Facetten spielen dabei eine Rolle.

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