Persönlichkeitsbildung? Wo? In den Schulen?

in #deutsch6 years ago

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In meinem letzten Beitrag
https://steemit.com/deutsch/@zeitgedanken/persoenlichkeitsbildung-wo
Ist der Versuch gestartet worden eine Ausgangslage zu illustrieren, die zu einem genaueres Hinsehen animieren sollte.

Schon vom Wortsinn her unterliegt die „Persönlichkeitsbildung“ zweier Begrifflichkeiten: „Persönlichkeit“ und „Bildung“.

Mit Persönlichkeit kann also nur die „Person“, das geistige Wesen, gemeint sein das sich zu einer „Persönlichkeit“ entwickeln soll oder kann. Der Körper, das physische Gebilde, kann es wohl nicht sein. Dieser Körper entwickelt sich so oder so auch ohne Geist, sofern dieser überlebt. Und es ist nun mal wie es ist, dass dieser Körper ohne fremde Hilfe am Beginn seiner Existenz nicht überleben kann. Dafür hat die Natur bestimmte Mechanismen vorgesehen die, wenn alles gut geht, Sorge dafür tragen, dass dieser Körper überlebt und sich entwickelt.

Und als zweites haben wir das Wort „Bildung“. Na da wird es schon schwieriger.
Bildung bezeichnet schon vom Wortsinn her einen Prozeß, eine Gestaltwerdung, die sich an einem gewissen Bild orientiert. Da extrem unterschiedliche Menschenbilder vorherrschen, sind auch die Vorstellungen über Art, Zweck und Bedingungen dieses Prozesses sehr unterschiedlich.

Dazu müssen wir uns aber auch den freiheitlichen Aspekt vor Augen führen. Der besagt:

„Ich muss nichts werden und brauche nichts zu bleiben“.

Was für ein seltsamer Aphorismus der uns da entgegenschallt. Aus unserer heutigen Sicht schallt es aus so weiter Entfernung, dass wir es kaum zu hören vermögen. Seinen Sinn erschließt sich erst, wenn wir ihm unsere volle Aufmerksamkeit schenken

“Ich muss nichts werden“;

das heißt niemand drängt mich, etwas anderes zu werden als das, was ich nunmehr bin. Es ist mir gerade freigestellt, ob ich überhaupt „jemals“ etwas werden will. Das MUSS in dem Aphorismus bezieht sich auf „nichts“ und ist insofern umfassend. Das schließt nicht aus, „dass“ ich etwas werde, und zwar über das hinaus, was ich jetzt bin. In dem Aphorismus heißt es nämlich weiter:

„Ich brauche nichts zu bleiben“,

das heißt niemand drängt mich, das zu bleiben was ich bin, mit anderen Worten,

“ich brauche nicht in meinem derzeitigen Status verharren, ich kann und darf auch etwas anderes werden.

Es ist mir sogar freigestellt, alles das zu werden, was ich will und kann, denn auch das Brauchen im Aphorismus steht zusammen mit dem Wort „nichts“. Es umfasst insofern alle Möglichkeiten.

Es ist offensichtlich, in dem Aphorismus geht es um die „Bildung des Menschen“. Und nicht nur das, es geht auch und vor allem um die

“Freiheit im Bildungsprozess eines jeden Einzelnen“.

Das heute dominierende Menschenbild führt zu einem Bildungsbegriff, der im Wesentlichen eine erlittene Formung meint.
Ein Menschenbild das hingegen in jedem Menschen das Potential einer einzigartigen Persönlichkeit sieht, bietet jene nötige Zuversicht, um ungleiche Entwicklung zu dulden und auf gleichartige Formung zu verzichten. Bildung kann so auch einen ganz anderen Wortsinn tragen: Statt erlittener Formung, vermag das Wort auch für aktive Entfaltung zu stehen. Bildung ist dann nicht mehr etwas, das uns widerfährt und zugeteilt werden muß, sondern der Prozeß unserer Persönlichkeitswerdung.
Dies wollen wir als den wahren Wortsinn von Bildung ansehen, denn nur dieser Zugang wurzelt in einem realistischen Menschenbild und nicht in einem Zerrbild oder Wunschbild. Wir wissen, daß Menschen im Kleinen zu Großem fähig sind, aber auch fehlerbehaftete, schwache Wesen sind, die irren, doch die Fähigkeit haben, zu lernen. Der Mensch als lernendes Wesen, als Ausnahmeexistenz, die sich selbst zu verbessern vermag, gibt erst dem Begriff Bildung seine Bedeutung. Geformt werden kann jedes Material, sich selbst zum Besseren formen kann nur der Mensch. (scholarium)

Wenn es überhaupt so etwas wie Freiheitsbewusstsein in einer Gesellschaft gibt, dann muss sich das in der Form niederschlagen, in der Persönlichkeitsbildung stattfindet. Denn Freiheit ist kein Merkmal „der“ Gesellschaft, sondern ein Merkmal von einzelnen Personen

Bildung zur Persönlichkeitsbildung bedeutet also gewissermaßen fortgesetzte Menschwerdung, die aktive Entwicklung hin zu einem besseren Menschen. Ohne diesen Bezugspunkt hängt Bildung in der Luft und dreht sich im Kreis; ohne dieses Ziel, unserem Potential näher zu kommen und uns so zu vervollkommnen, ist es sinnlos, von Bildung zu sprechen. Wer sich nicht traut, das Bessere vom Schlechteren, das Richtige vom Falschen, das Unmenschliche vom Menschengemäßen zu unterscheiden oder auch nur die Möglichkeit einer solchen Unterscheidung zuzulassen, der möge von Unterhaltung, Beaufsichtigung, Umformung oder Vereinheitlichung sprechen, doch soll zur Bildung gefälligst schweigen.

Doch schauen wir uns erst einmal ein wenig um.

“Jeder hat ein Recht auf Bildung“

heißt es. Dieses Recht wird heute hauptsächlich in den Zwangskasernen der Schulwelt vorgegebenen Bahnen gewährt (oder besser gesagt erzwungen). Weitere Ausprägungen sind dann die Hoch- und Eliteschulen. Viele Mitteleuropäer bewegen sich bis in ihr 25. Lebensjahr und noch länger darin.

Nun hat es in der Vergangenheit eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten gegeben, die den Bildungsweg über Schulen radikal in Frage gestellt haben.

Immanuel Kant, Gerhard Hauptmann, Franz Grillparzer, Thomas Mann, Hermann Hesse, Albert Einstein, Margaret Mead

und unzählige andere können ja nicht alle auf dem falschen Boot gesessen haben, wenn sie den Schulbetrieb vehement kritisierten und verachteten (Kant: „Jugendsklaverrei)

In der Vergangenheit hatte ich schon mal den Versuch gestartet klarzulegen was ich persönlich von der Zwangsbeschulung, die ja angeblich zur Persönlichkeitsbildung führen soll, halte und möchte es an dieser Stelle nochmals kurz wiederholen:

Es geht im groben Vergleich um dass „Nudeln der Gänse“

Wie deutlich dieser Ausspruch auf unsere Kinder in unseren Schulen zu übertragen ist, machte der Gymnasialprofessor Walter Bergius in seiner Erinnerung deutlich. Er erinnert an das „scheußliche Schauspiel“ des vorweihnachtlichen „Nudeln der Gänse“, in dem die armen Tiere in einen winzigen Kasten gesteckt werden und alle zwei Stunden öffnet ihnen jemand gewaltsam den Schnabel, stopft ihnen eine bestimmte Anzahl an Nudeln in den Hals und nötigt sie, diese herunterzuschlucken. Jeder hat Abscheu bei diesem Anblick, meint Bergius. „Aber niemand macht sich klar, dass es - nur geistig und nicht körperlich - genau dieselbe Prozedur ist, welche die Schule an unseren Kindern vornimmt“! (Walter Borgius, Die Schule - Ein Frevel an der Jugend, Nachdruck Freiburg 1981)
Zu ähnlichem Urteil gelangt auch Ekkehard von Braunmühl (1975): Das Prozedere des schulischen Lernens offenbart gröbste Menschenverachtung. Die Schule betrachtet die Heranwachsenden „als Menschenmaterial…, dem irgendwelche Qualitäten reingejubelt werden sollen.
Selbst Immanuel Kant nannte in seinen Erinnerungen an seine eigene Schulzeit dieses Gebaren und ich wiederhole es nochmals „Jugendsklaverei“
Wer menschenverachtende Handlungen, wie unser Schulsystem, praktiziert, nimmt auch auf das Menschenrecht keine Rücksicht, derjenige hält auch Grundrechte für überflüssig. Dass dies so ist, beweist das z.B. Hessische Schulgesetz. Dort steht unter § 183:
§ 183 HSchG – Einschränkung von Grundrechten
Das Grundrecht der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) wird nach Maßgabe des § 71 Abs. 1 und 4 (Verpflichtung zu besonderen Untersuchungen, Schulgesundheitspflege), das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) wird nach Maßgabe der §§ 60, 61 Abs. 1, § 63 Abs. 1 bis 3, § 64 Abs. 1 und § 69 Abs. 4 eingeschränkt.

Ungeachtet der Verwunderung, dass die Macher dieses Schulgesetzes sich des Artikel 19(1) Satz 2 GG erinnern, dessen Zitierung grundvoraussetzende Verpflichtung für die Geltung eines jeden Gesetzes ist, das Grundrechte einschränken will, was in den meisten Gesetzen nicht beachtet wird, wie z.B im Bundeswahlgesetz, zeigt deutlich die Verwendung unserer Kinder als „Menschenmaterial“. Und da ist Persönlichkeitsbildung nicht vorgesehen.

Da ist es wohl nicht verwunderlich, dass freiheitlich gesinnte Pädagogen zu einem derben, aber offensichtlich treffenden Urteil gelangen:

Schule als „Frevel an der Jugend“, als „Fluch der Kindheit“

dem ich mich nur anschließen kann.

In den nächsten Beitragen möchte ich die Analyse der Schulaktivitäten noch etwas vertiefen, die zu den oben beschriebenen Erscheinungen geführt haben.

Für Heute mache ich erst mal Schluss.

Euer Zeitgedanken.

Sort:  

"Das heute dominierende Menschenbild führt zu einem Bildungsbegriff, der im Wesentlichen eine erlittene Formung meint.
Ein Menschenbild das hingegen in jedem Menschen das Potential einer einzigartigen Persönlichkeit sieht, bietet jene nötige Zuversicht, um ungleiche Entwicklung zu dulden und auf gleichartige Formung zu verzichten. Bildung kann so auch einen ganz anderen Wortsinn tragen: Statt erlittener Formung, vermag das Wort auch für aktive Entfaltung zu stehen. Bildung ist dann nicht mehr etwas, das uns widerfährt und zugeteilt werden muß, sondern der Prozeß unserer Persönlichkeitswerdung.
Dies wollen wir als den wahren Wortsinn von Bildung ansehen, denn nur dieser Zugang wurzelt in einem realistischen Menschenbild und nicht in einem Zerrbild oder Wunschbild. Wir wissen, daß Menschen im Kleinen zu Großem fähig sind, aber auch fehlerbehaftete, schwache Wesen sind, die irren, doch die Fähigkeit haben, zu lernen. Der Mensch als lernendes Wesen, als Ausnahmeexistenz, die sich selbst zu verbessern vermag, gibt erst dem Begriff Bildung seine Bedeutung. Geformt werden kann jedes Material, sich selbst zum Besseren formen kann nur der Mensch. (scholarium)"

Ein wunderschöner Text.

Wenn man Kant’s Erinnerungen an seine Schulzeit ließt, kommt dieser fast zum gleichen Ergebnis.

habe jetzt echt darüber nachgedacht, da wir auch einen 18-Jährigen zu Hause haben, der eine Privatschule besucht, aber ich sag jetzt dazu besser nichts ;)

Es ist da auch nicht anders - ohne weitere Worte

lg

Auch Privatschulen unterliegen den staatlichen Lehrplänen und Schulgesetzen.

du bringst es gleich auf den Punkt - den STAATLICHEN Lehrplänen und ... - ???

Ich bin schließlich Lehrer und kenne das System.
Ich versuche mein möglichstes den Schülern innerhalb des Systems zu helfen.

Vielleicht bist gerade Du eine Ausnahme, auch ich stehe aktiv im Berufsleben und weiss über die Schwächen etc. (darüber möchte ich mich nicht weiter auslassen) meiner Kollegen und Mitstreiter, und muss sagen ich bin schließlich auch Lehrer :)

Ich bin Surf- Katamaran- und Wasserski Lehrer.
Was ich in meiner Ausbildung gelernt habe, stimmt teilweise heute nicht mehr. Von daher, sollte man vielleicht nicht so überzeugt auftreten und sagen "ich bin schliesslich Lehrer und kenne das System"

Kennst Du das System wirklich? Dann viel Spass in der Politik ;)
würde dazu passen, denn die Politiker sind sich auch einig, dass sie alles richtig machen, denn WIR SIND JA POLITIKER UND KENNEN DAS SYSTEM

nicht böse sein
lg Raoul

Du hast mich falsch verstanden. Gerade weil ich Lehrer bin und das System kenne, bin ich ein absoluter Gegner des staatlichen Schulzwangs. Ich kann ihn nicht bekämpfen, aber als Teil des Systems versuchen die Folgen des Systems für die Schüler erträglicher zu machen.
Der Lehrplan lässt dazu genug Freiheiten, man muss sie nur zu nutzen wissen.

Danke für deinen Wink. Was es damit auf sich hat, da komme ich in späteren Beiträgen zurück.
Danke erst mal, vielleicht treffe ich ja in diesen nächsten Beitragen deine Gedanken und freue mich auf etwaige Zusätze von dir.

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