Frei und anders arbeiten - Funktioniert das?

in #deutsch6 years ago (edited)

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"Menschen arbeiten in einem Job, den sie nicht mögen, um Geld zu verdienen, für die Dinge die sie nicht brauchen, die sie aber besitzen, um Menschen zu beeindrucken, die sie nicht leiden können"

So oder so ähnlich könnte man den Großteil unserer heutigen Arbeits- und Lebenswelt definieren. Wachstum um jeden Preis. Unendlicher Druck auf den Schultern der Arbeitnehmer. Millionen von Überstunden und idR. klassische Unterbezahlung. Die Folgen dessen sind bekannt: Nach der "Robinson Crusoe Methode" das ständige Warten auf Freitag, psychische und physische Erkrankungen - ein Leben im Hamsterrad ...

Dass es auch völlig anders geht, beweist die Firma Semco. Hier gibt es nahezu keine Hierarchie. Die 3.000 Mitarbeiter bestimmen selbst ihr Gehalt und ihre Arbeitszeiten. Sie wählen ihre Vorgesetzten selbst. Geschäftspläne oder eine Personalabteilung sucht man hier vergebens. Weltweit sind Manager der Überzeugung, dass das was bei Semco passiert, allem widerspricht, woran sie selbst glauben und was scheinbar doch immer gut funktionierte.

So sind sämtliche Geschäftsbücher und Gehälter für alle einsehbar. Gewinne der Firma werden per Abstimmung aufgeteilt. Auf der anderen Seite sind E-Mails absolute Privatsache. Den Mitarbeitern ist es selbst überlassen, wieviel Geld sie für ihre Computer oder etwa Geschäftsreisen ausgeben.

Albtraum für heutige Personalchefs

Man könnte meinen, dass solche Anarchie zwangsläufig zum Untergang führen muss. Das Gegenteil ist der Fall. Die Gewinne des Unternehmens stiegen von 35 Millionen USD auf 220 Millionen USD seit die interne Umstellung der Arbeitswelt durch Inhaber Ricardo Semler durchgeführt wurde. Neben diesen Erfolgszahlen steht noch ein weiterer Fakt im Raum: Bei Semco liegt nun die Fluktuationsrate bei unter einem Prozent. Davon können die meisten Unternehmen nur träumen.

Es gibt ein einfaches Erfolgsrezept für die Treue der Mitarbeiter sowie die hohen Gewinne des Unternehmens:

"Behandle deine Mitarbeiter wie Erwachsene! Dann verhalten sie sich auch so. Je mehr Freiheiten du ihnen zustehst, desto zufriedener sind sie, werden produktiver und bringen mehr Innovation ein."
Semco besteht aus freien, gleichberechtigten und erwachsenen Menschen und nicht aus Arbeitskräften. Auf diesem Weg kann jeder einer gesunde Balance zwischen seinem Beruf und seinem Privatleben finden.

Druck und Stress machen Menschen eben nicht produktiv, sondern krank und kaputt. Dabei verliert nicht nur der Mitarbeiter, sondern im Ganzen langfristig auch das Unternehmen. Semlers Einstellung zu seinem Business-Modell beschreibt er detailliert auch in seinem Weltbestseller
Das SEMCO System, Management ohne Manager

Vor allem geht es dem Firmenchef um ein generell neues Verständnis von Arbeit. So ist er der Auffassung, dass eine Firma immer ein Gemeinschaftsprojekt und im Idealfall eine geteilte Leidenschaft sein sollte: "Leider haben wir immer etwas anderes beigebracht bekommen. Wir sollen uns als Bauarbeiter, Maler oder Steinmetze sehen anstatt als Kathedralen-Schöpfer."

Der französische Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint-Exupéry formulierte es einst so:

"Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer."

Wenn also Mitarbeiter nicht bloß eine Nummer sind, nur ein Rädchen im System, sondern tatsächlich ein wertvoller Teil des Großen und Ganzen, so haben sie Ideen, verstehen den Sinn ihrer Arbeit und wissen, was diese wert ist.

Vertrauen ist gut - Kontrolle ist besser

Wie in vielen anderen Bereichen scheint ein Umdenken auch hier schwer zu fallen. Gerade in deutschen Unternehmen ist man weitgehend immer noch davon überzeugt, Angestellte kontrollieren zu müssen. Da wird schon mal ein Detektiv losgeschickt, um zu checken, ob denn Herr Müller wirklich krank ist, oder zu Hause den Rasen mäht. Stechuhren, starre Arbeitszeiten, Reports zur Produktivität und das Ausspionieren von E-Mails sind Firmenalltag. Semco hat sich genau davon verabschiedet: "Wer möchte schon mit Mitarbeitern zusammenarbeiten, denen er nicht vertrauen kann?" Der Kontrollwahn der meisten Unternehmen wird hier einfach nur für verrückt erklärt: "Bei uns sagt keiner: 'Du bist fünf Minuten zu spät' oder 'warum geht dieser Mitarbeiter schon wieder aufs Klo?' "

Semler sagt weiter: "Wenn du dich bei uns im Büro umsiehst, sind da immer jede Menge leere Plätze. Du fragst dich: Wo sind die Leute? Ich habe nicht die leiseste Idee und es interessiert mich auch nicht ....... Es interessiert mich deshalb nicht, weil es mir nicht darum geht, dass unsere Mitarbeiter der Firma eine gewisse Anzahl an Stunden pro Tag zu geben haben .... Wir brauchen Menschen, die ein bestimmtes Ergebnis liefern. Ob mit 4, 8 oder 12 Stunden, am Sonntag kommen und am Montag dafür frei haben - Es interessiert mich nicht."

Personalabteilung - No

Wer stellt diese Leute ein? Wer prüft die Leistung?

"Genau das machen hier die Angestellten selbst. Wenn ein Team feststellt, dass jemand Neues notwendig ist, so wird im Intranet der Firma ein entsprechendes Meeting ausgeschrieben. Dieses ist natürlich freiwillig. Hier können alle kommen aber niemand muss."

Über die Funktion von Meetings bei Semco sagt Semler, dass er nicht will, dass irgendwer in irgendetwas verwickelt ist, was ihn nicht interessiert. Wen etwas im Meeting langweilt, der kann den Raum jederzeit wieder verlassen. Die einzige Vorschrift ist, das es keine Vorschriften gibt.

Wie sieht es hingegen im Firmenalltag vieler aus?

Wer kennt sie nicht: die Montagsmeetings. Da sitzen idR. die teuersten Mitarbeiter eines Unternehmens zusammen um Dinge zu besprechen, von denen keiner nach dem Treffen noch eine Ahnung hat, worum es nun konkret ging. Wichtig ist nur: Montag am Morgen ist Meeting. Das haben wir schon immer so gemacht. Und das werden wir auch weiter so machen. Und egal, wo man hinschaut: Am besten soll immer alles so bleiben wie es ist. Bloß keine Veränderungen. Irgendwie kommen wir schon durch. Ja und beim Rest, da schauen wir mal. Und: Warten auf Freitag!

Warum eigentlich nicht stattdessen das 7-Tage Wochenende einführen? Wer ist dabei?

Es bleibt spannend! ;-)

Quellen:
www.hafawo.at
"Die Befreiung der Arbeit" von David Rotter

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Was mich interessiert:
Wie macht semco das, wenn einer oder mehrere Mitarbeiter anfangen, das Ganze auszunutzen? irgendwer muss ja auch leute feuern können, sonst wäre das system höchst anfällig.

@sco Moin ... ja, das ist tatsächlich eine interessante Frage. Wo Licht ist, ist ja immer auch Schatten. In dem Buch könnte das evtl. beantwortet werden. Ich habe das noch nicht gelesen ....

Nun, das denke ich ist nicht das Problem. Das funktioniert in jeder Dorfgemeinschaft im Himalaya doch auch. Wenn da einer ist, der die anderen permanent ausnützt, dann macht man den weg. Der findet sich schnell in der Rolle des Klassenarsches bzw. des Dorftrottels wieder. Bei uns wird ja alles top-down von den Kommissaren in Brüssel entschieden. So ist man das gewohnt, und dieses Konzept funktioniert mit Deutschen schon deswegen nicht, weil die sich in ihrer Vorschriftenverliebtheit und ihrem Führerkult eine Welt, in der ihnen keiner befiehlt, was sie zu tun haben, überhaupt nicht vorstellen können. Aber die Deutschen sind ja praktisch schon terminal, wie die TAZ berichtet[1], insofern braucht man sich darüber in dem Kontext keine Gedanken mehr zu machen. Aber wer bestimmt die Firmenrichtlinien? Die Firma muß ja irgendwas machen / tun / bauen was den Markt interessiert. Und wenn es keine Hierarchie gibt, dann ist das ja weniger eine Firma, sondern vielmehr so eine Art Kommune.

[1] Artikel in der TAZ vom 4. August 2011 von Deniz Yücel mit der Überschrift »Super, Deutschland schafft sich ab!«

Die Dorfgemeinschaft-Methode funzt halt nur so lange, wie das System klein genug ist, um jeden persönlich zu kennen. Sobald das nicht mehr so ist, ist das Gemeinwohl ein so abstrakter Begriff, dass das soziale Gefüge nicht mehr zu 100% funktioniert und der Einzelne beginnt, vermehrt auf den eigenen Vorteil zu schauen.

Richtig. Und wenn irgendein Hans Wurst in Brüssel bestimmt, welche Farbe das Dach eines Bauern in Daglfing haben soll, dann ist man auf dem Holzweg eindeutig zu weit gegangen. Prinzipiell ist es schon richtig, wenn die kleinste Gruppe auch die größten Befugnisse hat, und dann funktioniert es auch am besten. Allerdings nicht ganz so effizient. Das sieht man am Beispiel Bitcoin ganz gut. Bis die Community einmal eine Entscheidung trifft, hat Brüssel schon hunderte getroffen - allerdings bestimmt nicht im Sinne der Mehrheit.

wow sehr ausführlicher Beitrag

Danke für die Vorstellung dieser sehr "anderen" Firma! Klingt wirklich genial! Mich würde jetzt noch ein Erfahrungsbericht von jemandem interessieren, der dort arbeitet. Von außen hört sich alles immer so schön an. Aber scheint ja wirklich zu funktionieren. Hoffentlich wird das ein Vorreiter und Vorbild für viele andere Firmen.

Danke für dein feedback. Es gibt wohl auch schon hierzulande junge Firmen, die so oder so ähnlich aufgestellt sind. Das lässt hoffen für die Zukunft!

Vielen Dank fuer diesen erleuchtenden Post ich kann dir in allen Punkten zustimmen es lohnt sich nach im Leben nach dem zu streben was einen am meisten gluecklich macht und dort ist man auch am produktivsten!!!

..... oder anders ausgedrückt: " ...... wenn du ein Leben lang glücklich sein willst, dann liebe deine Arbeit!" ;-)

Das hört sich verdammt gut an :)
Und ich glaube das ist auch der Schlüssel zum Erfolg!

Ja, es gibt auch schon deutsche StartUps, die das ähnlich umsetzen. Alles beginnt immer mit dem ersten Schritt. Alles ist möglich. :)

So macht Arbeiten doch Spaß. Ich glaube, dass die Leute unter diesen Voraussetzungen viel entspannter und produktiver sind. Ich hoffe, dass mehr Arbeitgeber auf diesen Zug aufspringen. Frei und anders arbeiten, wer will das nicht?

Ich denke, dass das hier noch einige Zeit dauert. Die Schmerzen sind allgemein noch nicht groß genug. Es geht uns ja allen bestens - angeblich. The times they are a changin :-)

Schade das man das System nicht auf alle Branchen übertragen kann. Ich arbeite in der Gastronomie und wenn da jeder macht was er will und kommt wann er will. Dann Prost Mahlzeit. Allerdings kann man manche Aspekte auf jeden Fall übertragen.
Up and resteem.! Haste
Gruß Viktor

Moin @gutenmorgen, Viktor. :-) Ich stimme dir zu, dass das sicher in einigen Branchen schwieriger umsetzbar ist. Ich glaube aber nicht, dass eine neue Arbeitswelt, nur weil sie dezentral, also ohne regulierende Institution auskommt, deswegen gleichzeitig unstrukturiert abläuft - also: Jeder macht was er will. Ich denke so läuft das auch bei SEMCO nicht. Hier umzudenken, geht doch eher in die Richtung, dass Menschen mehr lernen zusammen etwas aufzubauen und da hat jeder seinen Platz . Das wird in der Gastro nicht anders sein. Es ist halt hier einfach mehr Abstimmung und Absprache statt Bestimmung notwendig. "Jeder macht einfach zu jeder Zeit, wie es ihm gefällt" funktioniert sicher nicht. Hier ist mE. auch wichtig, den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität zu kennen. Klar: Mit nem zentralen Dienstplan, festgelegt vom Chef, muss sich keiner Gedanken machen. Da ist man dann eher Opfer statt Macher. Aber Opfer haben diese Welt noch nie wirklich verändert! So sehe ich das. Danke für dein feedback. Beste Grüße Mathias

Sehr interessanter Einblick in den Alltag der Firma!

"Menschen arbeiten in einem Job, den sie nicht mögen, um Geld zu verdienen, für die Dinge die sie nicht brauchen, die sie aber besitzen, um Menschen zu beeindrucken, die sie nicht leiden können"

Dies habe ich schon früh erkannt, auch wie sehr sich viele ausnutzen lassen (Beispiel: Daten), teilweise sogar beschweren aber sich im Endeffekt doch nicht genug für interessieren.

Lösungen, andere Konzepte oder Menschen mit ähnlichen Ansichten sind meist vorhanden.
Ich sehe eher das Problem in Bequemlichkeit und Faulheit..
Denn dies alles kann nur funktionieren wenn sich Leute auch wirklich für einsetzen wollen, nicht wenn sie versuchen ihren größten Nutzen daraus zu ziehen.

Danke für den Artikel!
Greets

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