Wie intelligent sind Pflanzen?

in #deutsch6 years ago

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Liebe Steemianer,

was ist eigentlich Intelligenz? Wahrnehmung, Informationsverarbeitung, Lernen, Gedächtnis, Selbsterkennung, Vorausschau und die Fähigkeit zur Problemlösung sind alles Komponenten von Intelligenz. Aber was, wenn das alles auch auf Pflanzen zutrifft?

Obwohl Pflanzen keine Nervensystem haben, können Pflanzen erstaunliche Dinge:

  • Sie können, je nach Umweltbedingungen, ihren Phänotyp, also ihr Äußeres anpassen und zwar in einem weit größeren Ausmaß als Tiere (eine exotische, aber durchaus effiziente Form der Umweltanpassung, nicht?)
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  • Sie können Umweltsignale wahrnehmen und entsprechend reagieren (zum Beispiel ihre Blätter genau auf die Sonne ausrichten (Phototropismus) oder ihren Wuchs der Gravitation anpassen (Gravitropismus, entspricht unserem Gleichgewichtssinn)

  • Pflanzenwurzeln können Hindernisse wahrnehmen, bevor sie darauf stoßen und ihr Wachstum entsprechend umdirigieren, die Ranken von Kletterpflanzen wickeln sich mittels Berührungsempfindlichkeit gezielt um Objekte, um Halt zu finden

  • Sie bilden hormonähnliche Substanzen wie zum Beispiel Auxin (Phytohormone genannt), die Wachstum und Differenzierung steuern

  • Pflanzen haben auch einen circadianen Rhythmus wie Menschen und blühen teilweise je nach Tageslänge (wie wissen sie, wann die Tage länger werden?)

  • Manche Pflanzenzellen sind zu raschen Bewegungen befähigt (hier am Beispiel der fleischfressenden Venusfliegenfalle)
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  • Wenn Brennhaare der Brennessel abbrechen durch Kontakt mit einem Fressfeind, wachsen auf sich neu entwickelnden Blättern umso mehr Brennhaare (es muss hier eine Informationsübertragung (elektrisch, chemisch oder hydraulisch?) von den verwundeten zu den neuen Blättern geben)

Das noch junge Gebiet der Pflanzenneurobiologie hat noch weit verblüffendere Dinge herausgefunden:

  • Obwohl Pflanzen keine Nervenzellen im engeren Sinn haben, haben sie Reizweiterleitungssysteme basierend auf Aktionspotentialen, Ionenkanälen und Proteinionenpumpen wie tierische Zellen, großteils weiß man nicht um deren Funktion (außer bei Ausnahmen wie der Venusfliegenfalle, siehe oben, oder der Mimose). Pflanzen produzieren auch die gleichen Neurotransmitter Dopamin und Serotonin wie wir, man weiß aber ebenso wenig, wozu sie sie brauchen.
  • Pflanzenwurzeln locken Bodenmikroben (durch Abgabe von Zucker und Aminosäuren) an, interagieren mit ihnen und nehmen Nachbarpflanzen wahr.
  • Die Pflanze Arabidopsis thaliana (Acker-Schmalwand) reagiert auf Aufnahmen von Kauvibrationen, die von an Blättern knabbernden Raupen verursacht werden, mit der Ausscheidung von Verteidigungschemikalien!
  • Die Tabakpflanze Nicotiana attenuata kann ihre Fressfeinde sogar unterscheiden: Nach Herbivoren-Befall produziert sie verstärkt Nikotin. Im Fall von Raupen, die eine Resistenz gegen Nikotin haben, setzt die Tabakpflanze jedoch flüchtige Terpene frei, welche Fressfeinde der Raupen anlocken.

Generell ist die richtige Antwort auf gefressen werden eine heikle Balance der Ressourcenverteilung für die Pflanze, denn die Produktion von Abwehrstoffen kostet Energie, die dann nicht für Fruchtbildung und Vermehrung verwendet werden kann. Daher auch der Zusammenhang zwischen der Ertragsreichheit der Zuchtsorten und deren Anfälligkeit für Krankheiten. Man hat die meisten Nutzpflanzen rein auf optimierten Ertrag gezüchtet und glaubt, sich um Schädlinge und Krankheiten dann selbst kümmern zu können (mit Chemieeinsatz ☹).

Pflanzen können sogar lernen: Die bekannte Mimose (deren Blätter bei Berührung zusammenklappen) lernt, einen ständig wiederkehrenden Reiz, der nicht gefährlich ist zu ignorieren. Es ist keine reine Gewöhnung, denn eine andere Art von Reiz führt wieder zum gleichen Reflex. Der ursprüngliche Reiz führte auch Wochen später nicht mehr zum Reflex. Die Pflanze hatte ihn gelernt und sich gemerkt.
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Auch Flachskeimlinge und Tomatenstauden wurden in der Hinsicht untersucht und ähnliche Ergebnisse gefunden. Kein Mensch weiß, WIE sie das schaffen. Man weiß, dass sich nach einem Reiz „elektrische Wellen über Potentialänderungen in einer Pflanze ausbreiten und sich in der Folge die Konzentrationen mancher Proteine verändern“. Auch das Ein- und Ausschalten bestimmter Gene (Epigenetik) könnte beteiligt sein.

All das können Pflanzen ohne Ganglien oder ein Gehirn zu besitzen, also völlig dezentral (aber ohne blockchain 😊), entgegen der jahrhundertealten Theorie – ohne zentrales Nervensystem kein Lernen. Die Grenze zwischen nicht empfindungsfähigen Pflanzen und empfindungsfähigen Tiere wird immer unklarer. Es wäre auch zutiefst anthropozentrisch, einem Lebewesen eine Fähigkeit abzusprechen, nur weil es eine bestimmte Struktur nicht hat (kein vernünftiger Mensch würde einer AI - wenn sie dann da sein sollte - die Intelligenz absprechen, nur weil sie kein organisches Gehirn hat).

Wie die Beispiele zeigen, gehen Pflanzen oft einfach andere Wege, die von unserem Standpunkt aus gesehen nur nicht als intelligent wahrgenommen werden, aber letztlich extrem zweckmäßig sind. Auch durch das langsame Wachstum, die fehlende Bewegungsaktivität und das schwierige Beobachten des Geschehens im Boden sehen wir oft nicht die Dinge, die Pflanzen aktiv gestalten, auch da wir gar nicht die nötige Aufmerksamkeitsspanne dafür haben.
Die klassiche Frage, ob Pflanzen Schmerz spüren können, kann sicher mit „ja“ beantwortet werden, aber unklar ist, was „spüren“ für die Pflanze heißt bzw. was der Schmerz in ihr auslöst, z.B ob sie ihn als unangenehm empfinden. Laut Lehrmeinung empfinden sie nichts, aber ich bin mir da nicht mehr sicher.

Fazit: Um auf Nummer Sicher zu gehen, sollten Veganer ab sofort keine höheren Pflanzen mehr essen! Die gute Nachricht: Es bleiben noch Pilze, Algen, Flechten und Moose 😊

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https://de.wikipedia.org/wiki/Pflanzenneurobiologie
https://www.pri.org/stories/2014-01-09/new-research-plant-intelligence-may-forever-change-how-you-think-about-plants
https://news.nationalgeographic.com/news/2014/07/140709-plants-vibrations-insects-botany-science/
Michel Thellier, „Haben Pflanzen ein Gedächtnis?“, Springerverlag (2017)

pics:
http://www.sueddeutsche.de/wissen/pflanzenzucht-geheimes-treiben-im-untergrund-1.3706059
http://slideplayer.com/slide/4369183/
gyfcat.com
pinterest.at

Sort:  

Naja Pilze sind dann für Veganer aber auch schwierig, weil Schleimpilzen sagt man ja auch nach nicht doof zu sein. Aber wieso bist du der Ansicht Pflanzen können ggf. Schmerzen empfinden wenn du doch selbst schreibst, dass sie kein Nervensystem haben. Eine Reaktion auf einen Reiz muss noch kein Schmerzempfinden bedeuten. Selbst mit zentralem Nervensystem muss ein Reiz kein Schmerz sein. Ein Windhauch z.B. spüre ich, er tut aber nicht weh. Es gibt auch Menschen, die keine Schmerzen empfinden können - klar, eine Krankheit, aber es geht. Pflanzen verlieren bei jedem Sturm tausende Äste, Blätter, Stücke von Rinde usw - Schmerz zu empfinden hieße ein Leben in absoluter, permanenter Qual führen zu müssen. Ein Bakterium reagiert übrigens i.d.R. auch auf einen physischen Kontakt - kann es also schmerz empfinden? Sollten Veganer sich lieber nicht mehr waschen? Und haben Pilze mit ihren Myzelgeflechten eine Blockchain?

Sie haben keine Nervensystem, aber sie haben ein Reizweiterleitungssystem, Hormone und Neurotransmitter. Und niemand weiss eben, was der Reiz für sie bedeutet. Ich möchte nur nichts aussschliessen aus einer verfehlten Position heraus, dass ohne zentrales Nervensystem kein Schmerz möglich sei. Es gibt ja auch Geld ohne Zentralbanken :)

Nicht mehr lange

Sehr schön zusammengefasst. Schon während des Lesens kam mir der Gedanke: "Na, da wird ja für die Veganer die Nahrungspalette ganz schön klein." Und dann sehe ich dein Fazit. 😃
Aber da tut sich ja bei weiter steigender Nachfrage ein weites Feld chemischer Cocktails auf. So hat man auf den Rückseiten der Verpackungen immer schönen Lesestoff.

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